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Vom Bahn-Hunger

Woher kommt es, daß alle Menschen im Eisenbahnzug, kaum daß die Räder rollen, heißhungrig werden? Noch hat der letzte Wagen die Bahnhofhalle nicht verlassen, da stürzt die Frau mir gegenüber, wie der Tiger auf das Kalb, auf ihren Handkoffer, reißt ihm den Bauch auf und wühlt in seinen Eingeweiden. Erbarmungslos wird dem Mitreisenden Einblick in die Intimitäten des Nachtlagers geboten. Flanellärmel baumeln über den Kofferrand, Haarbürste und Kamm quellen zwischen zermanschten Äpfeln aus der Tiefe, und da angeln die Finger auch schon ein halbzerquetschtes Ei und eine noch leidlich erhaltene Buttersemmel aus der Tiefe.

Aufatmend, wie vom Tode des Verschmachtens eben noch gerettet, macht sich's die Frau in der Ecke bequem und schindet dem Ei die zerdrückte Schale ab. Dann aber, jäh vom Geist erleuchtet, kramt sie wiederum im Koffer nach einem Tütchen Salz, und als auch das, gereinigt von Sicherheitsnadeln und Wollwutzerln, gebrauchsfertig ist, hebt das Tafeln an. Das Ei wird mit equilibristischer Geschicklichkeit im Mund verstaut.

Nichts wirkt so ansteckend als Essen im Zug. Leute, die den Magen noch knüppelvoll vom Frühstück oder Mittagessen haben, erinnern sich angesichts der speisenden Frau sofort an ihr Wurstbrot, an ihre Käsestulle, an ihre Schokoladentafeln im Koffer, an Thermosflaschen mit Kaffee und Tee, an Äpfel und Schmalznudeln, und nach wenigen Minuten rascheln überall Papiere, bröseln Semmeln, riechen Orangen, schweben Wursthäute zu Boden.

In der Bahn wird nämlich das Essen nicht gegen den Hunger, sondern gegen die Langweile ausgeübt, und es gibt Leute, deren reger Geist über den Kofferproviant hinaus noch an jeder Haltestation zwei Paar Wienerwürstl fordert, um beschäftigt zu sein.


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