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Kugel – schönes Wort der deutschen Sprache! Daran ist alles rund um den vollen, dicken Vokal »U«. Das kollert und kullert schon beim Aussprechen, und wenn's für Tausende von Wörtern je ein Dutzend Umschreibungen und sinngleiche Verkleidungen gibt: die Kugel läßt nichts anderes an sich heran. Das ist ein Wesen von höchster Formverbindlichkeit, aber zugleich von außerordentlicher Distanzierung.
Kugeln lassen sich nicht zusammenschachteln wie Rechtecke, Würfel, Pyramiden, Walzen – Kugeln sind Aristokraten: Jede hübsch für sich, sind sie pralle Philosophen: spiegeln die Welt, aber machen sich nicht mit ihr mehr gemein, als es auf dem kleinsten Fleckchen nötig ist. Gewiß: nicht ohne Hang zur Geselligkeit, aber auf Berührung läßt man sich so wenig wie möglich ein.
Eine Schachtel mit Christbaumkugeln, die ja nun noch dazu aus sprödem Stoff, aus Glas, geschaffen sind, ist wie ein Asyl von noblen Einsiedlern.
Sie haben freilich auch kein Alltagsschicksal. Acht oder vierzehn Tage lang wiegen sie sich im festlichsten Glanz und Licht, um dafür fünfzig Wochen im Dunkel und in Vergessenheit zu ruhen.
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Die »Christbaumschachtel«, vom Speicher oder aus dem Kammerkasten geholt, verstaubt und fremd, ist den Kindern von Jahr zu Jahr eine vorweihnachtliche Augenweide. Die größeren unter den Kleinen begrüßen da die einzelnen Kugeln wie alte, gute Bekannte. Da ist die große rote und die märchenblaue kleine, da die schillernde bunte und hier die silberblanke, da ist eine als Äpfelchen maskiert und dort eine als Weintraube, strahlend gelb und von festlichstem Leuchten. Auch lange Ketten von kleinen, lustigen Kugelkindern, an der Silberschnur aufgereiht, gleiten durch die Finger und rischeln und rascheln aneinander. Wer kann – groß oder klein – der Versuchung widerstehen, sein Gesicht im Rund der Christbaumkugel zu spiegeln? Breitmäulig und plattnasig, verzogen und verbogen, in allen Farben des Regensbogens dazustehn, ist für jeden ein schaurig schönes Vergnügen. Man ist als Kind so oft heimlich um den Baum geschlichen, um nie müde am bizarren Konterfei zu werden.
In manchen Christbaumkugeln war (und ist heute noch) im Spiel und Leuchten ihrer Farbe ein ganz besonderes, geheimnisvolles Leben, wie ja auch die von den Geschmäcklern so belächelten Gartenkugeln in das Grün ein seltsam zauberisches Element bringen.
Die große purpurne da war dem Kind neben aller Pracht ein bißchen schreckhaft, unheimlich. – Es geisterte in ihrem Rot etwas wie von den Schauer- und Blutgeschichten, die die Schulkameraden und Lehrbuben in der Werkstatt wußten, so daß einen ein Gruseln ankam, das zwischen Lust und Angst, Neugier und Bangen hin und her zitterte.
Die gelbe aber mit ihrem strahlenden, warmen Schein war Fest und Freude, hatte etwas vom flammenden Herdfeuer in sich, in das man immer wieder – trotz aller Verbote – wie gebannt hineinschaute, das mit dem Schürhaken aufgewiegelt wurde. Ganz besonders lockte die blaue mit ihrem Märchenlicht, ihren hellen, kalten, wandelnden Reflexen auf dem dunklen Rund, die wie das letzte Flämmchen in der Lampe ein ganz weltenfernes blaues Schimmern aus dem Unwirklichen brachte. –
Erinnerung an eine dieser Kugeln, die, übriggeblieben, liegengelassen, ein Spielzeug für Kinderfinger gewesen ist, ein verbotenes und daher doppelt süßes.
Erst rollt die Hand behutsam die Kugel eine kleine Strecke über den blanken Tisch, dann immer weiter, immer weiter, zuletzt im frevlerischen Versuch bis knapp an die Tischkante. Zweimal – dreimal – vier-, fünfmal. Und dahinter der gar nicht ausgedachte Wunsch: sie soll zerschellen, soll aufweisen, was hinter ihr ist, und dann ging's über die Kante hinweg, mit leichtem Ping-Päng auf den harten Boden. Da lagen die Splitter: nüchtern und entzaubert. Die Lust wich der Angst. Tolpatschige Kinderfinger suchten Reste zusammenzufügen, und gleich quollen aus feinen Wunden Blutströpflein in die Splitter. Ein erster Fingerzeig des Lebens, daß man hinter Illusionen und Geheimnisse nur mit Weh und Wunden blickt. Als Rest bleiben Scherben ... Und nicht nur bei Christbaumkugeln!