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Die letzte Augustwoche draußen in der Sommerfrische ist jedes Jahr nach mannigfachen Adagios und Scherzos, die der Sommer bringt, das elegische Finale. Bei jedem neuen Frühstück versichern sich die Zurückbleibenden, daß es nun doch schon richtig »herbstelt«, und diese, zu Augustende gewiß nicht erschütternde Beobachtung findet nachdenklich-melancholische Zustimmung. Der Herr Rat Maier verträgt das Baden nicht mehr, Frau Assessor Huber hat schon einige braune Blätter vom Spalierbaum abgepflückt, Herr Apotheker Schmid muß abends den Lodenmantel anziehen, und Fräulein Schulze darf – dem Himmel sei's geklagt – nicht mehr singen, weil die immerhin kühle Luft die Stimmbänder angreift. (Segen des Herbstes!)
Jeden Morgen pilgern die Heimkehrer mit Kind und Kegel, mit Mann und Roß und Wagen, gepäckbeschwert und blumenbeladen wie Opfertiere zum Postauto oder zur Haltestelle. – Die noch ein, zwei, drei, vier Tage Bleibenden haben Gefühle wie Robinson, der, von Gefährten und Schiff verlassen, in unwirtlicher Gegend allein sein muß.
Abschiede werden von Nulpes und Tulpes genommen, als brächen die Herzen mit Donnergetöse entzwei, obwohl man weder vor noch nach der Sommerfrische eine Sekunde um Nulpes oder Tulpes weiß. Tarockfreundschaften verwehen mit dem letzten Rauch aus dem Dampferschlot, und was bei Frauen Sommerfreundschaft knüpft: Häkelmuster, Kochrezepte, gemeinsame Entrüstung über »diese unmögliche Person«, Langeweile, Tischnachbarschaft und Kinderspiel – das alles verflüchtigt, wenn das Postauto um die Ecke biegt, in Schall und Rauch.
Vielleicht, daß die sechzehnjährige Ingeborg oder Ruth noch während der Heimfahrt ein bißchen von dem schlanken braunen Studio Fritz oder Kurt träumt, der so himmlisch mit den Ohren wackeln konnte und überhaupt so reizend war, möglich, daß irgendwo ein strammer Hiasl oder Seppl noch am Sonntagsjanker ein Rüchlein Heliotrop oder Coty-Extra einschnuffelt – von der Berlinerin vom letzten Burschenball her – vorbei. Jetzt fährt er sein Odelfaß über abgemähte Fluren, und gegen das kommt die schönste Geruchserinnerung nicht auf.
In den Zügen, die stadtwärts fahren, leuchten die bunten Herbstblumensträuße, die letzten Gaben der bäuerlichen Hauswirtin aus dem kleinen Gartel. Männer mit viel Gepäck schmeißen sie manchmal aus dem Coupéfenster, wenn sie im Weg umgehen. Frauen sind zartfühlender. Sie lassen lieber ein Handkofferl stehen, als auf den Strauß in ihrer Hand zu verzichten.
In der Gaststube sitzen die Zurückgebliebenen wie Schiffbrüchige auf ihren Planken, jeder an einem andern Tisch, alte Herrn, Urlaubsnachzügler, und die Wirtin sagt: »Wega de paar Fretter tean ma koa extra Speiskartn auflegn. A Gulasch gibt's und an Niernbratn!«
Unten am See hocken die Austragler und der dienstlose Kraftwagenführer, der Saisonkellner und der Kahnverleiher beisammen. Es ist jetzt ein bißchen langweilig für sie. Wenig mehr gibt's »zum spekuliern«! Keine kurzberockten »Weibats«, keine kühngemusterten Bademäntel, kein städtischer Er und Sie mit Drum und Dran an Ergötzlichem zu scharfer Nachrede.
»Furt sans jetzt, de Goaßn, de langghaxtn, gar is mit dem ganzen Sommerfrischlergschmoas«, sagt der alte Damerlvater, und es heißt dasselbe, als wenn der poetische Oberinspektor Lehmann ins Fremdenbuch schreibt: »Die schönen Tage von Aranjuez sind nun vorüber.«