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Engel lief im Herrenhaus von Fredenskoog treppauf und treppab und hatte immer noch etwas zu holen und zu putzen. Zehnmal fühlte sie den großen Kachelofen im Gastzimmer an – es lag neben ihrer eigenen Stube – und fragte immer wieder das Stiftsfräulein: »Tante, wann können sie hier sein? Erst um elf? Es wird heute nie elf.«
Endlich aber schlug die alte Dielenuhr, und mit dem Glockenschlag fuhr Johann Klinker, seit vierzig Jahren Kutscher in Fredenskoog, vor das Haus. Aus der großen Familienkutsche sprangen zwei junge Menschen; die sahen gar nicht nach Schneeabenteuern und Frost und verunglückter Reise aus, sondern lachten wie vergnügte Kinder und fielen den Wartenden um den Hals, Hansine der Schwester und Gerd der Tante.
»Junge, Junge,« rief sie, »auf solche Begrüßung bin ich alte Frau nicht mehr vorbereitet! Du wirfst mich ja um! Mein Himmel, sogar ein Kuß!«
»Du darfst ihn weitergeben,« sagte der ausgelassene Neffe, »an deine neue Nichte. Da steht sie. Magst du sie leiden? – Wollen Sie einen Schwager haben, Cousine Engel?«
Wenn Hamm erwartet hatte, Engel in ungeheurer Überraschung zu sehen, hatte er sich schwer geirrt. Die sagte nur: »Na endlich!«, faßte die Schwester um und gab ihr einen herzlichen Kuß. »Alles Glück, mein alter Hans! So viel Glück, wie nur ein Mensch tragen kann!«
Auf dem Möwenhof war doch Unruhe, als der Wagen leer von der Station zurückkam und die Nachricht brachte, der Zug sei nicht gekommen, wahrscheinlich sei er im Schnee stecken geblieben. Der Bahnhofvorsteher habe ein Telegramm aus Wilster bekommen, es werde wohl Morgen werden, ehe die Reisenden weiter könnten.
»Unser armer Hans!« sagten die Eltern.
»Ach, Gerd ist ja bei ihr!« meinte Dina. »Der sorgt sicher sehr gut für sie und läßt ihr nichts geschehen.«
Früh am andern Morgen läutete das Telephon. »Hier Hansine. – Ja, ich bin es, ganz heil und lebendig. – Wo ich bin? Bei Engel. – Ja, das ist eine lange Geschichte; die erzählen wir euch, wenn wir morgen kommen. Nur den Schlußpunkt will ich gleich hersetzen. Ich bring' euch zu Weihnachten noch einen Sohn mit, einen ganz langen. – Glaubt ihr es nicht? – Engel, komm einmal her und sag', daß es wahr ist!«
Dann hörte die Mutter das klingende Lachen ihrer beiden Töchter am Ohr, und die ganze Familie lief zusammen. Von Brarup aus fragte dreimal das Postfräulein: »Sprechen Sie immer noch?«
Am folgenden Tag aber war Weihnachten auf dem Möwenhof mit seiner ganzen tiefen Seligkeit.
* * *