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Drittes Kapitel.
Wie die Möwkes waren und lebten

Wenn wir die Kirchenbücher in Brarup nicht hätten, wüßten wir wenig mehr von der fernen Vergangenheit. Aber die sind wie Wegweiser. Der Pfad läßt sich an ihnen prüfen, und was so in der Familie an Überlieferungen lebt, und was einzelne der Duvenhofer aufgeschrieben haben, das rankt sich um diese festen Daten als farbiges Blütenwerk herum. Die ältesten Kirchenbücher sind zwar in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, dessen wilde Wogen bis hier herauf brandeten, verlorengegangen, aber der Pfarrer Seligmann hat genau in ihnen Bescheid gewußt und aus dem Gedächtnis viel wieder ausgezeichnet.

Daher wissen wir, daß schon im Jahre 1456 ein Christian Möwke auf dem Duvenhof, der damals Möwenhof hieß, saß. Er soll ein tüchtiger Landmann gewesen sein, angesehen in der Gemeinde, fähig, mit Schwert und Speer und Morgenstern umzugehen, wie es die Zeit verlangte, nur sehr jach im Zorn. Und der Möwenhof hat, wie es heißt, zu seiner Zeit schon zweihundert Jahr bestanden, was weiter nicht wunderbar ist, denn all die Dörfer und Städte unsrer Landschaft, mit wenig Ausnahmen, waren bereits im Mittelalter vorhanden. Es findet sich auch bei seiner Erwähnung in den Aufzeichnungen des Pfarrers der Vermerk: »Der Hof heißt Möwenhof, alldieweilen der kleine See, so ein paar hundert Ellen nordwärts am Hofe liegt, seit immer dafür bekannt ist, daß die Möwen sich Winters in großen Scharen an seinen Ufern zu sammeln pflegen, also, daß es aussieht wie stäubendes Schneewetter, wann sie abends heranbrausen und sich niedersenken in das Rohr und auf das Eis. Darum auch die Besitzer den Namen Möwke führen.«

Ja, wir führen den Namen noch, obgleich wir alle nicht mehr in männlicher Linie von den Möwkes abstammen, sondern immer Schwesterkinder erbten, wenn einmal keine Hoftochter vorhanden war. Aber jede, die zum Besitz des Hofes kam, nahm zum eigenen Namen den Namen Möwke hinzu. Es gab da die Kreuz-Möwke, die Linden-Möwke, die Stein-Möwke, bis endlich wir kamen, die Röder-Möwkes.

Einmal wird der Hof vielleicht wieder den alten Namen tragen, so heißt es, wenn nämlich ein Knabe auf ihm geboren wird und aufwächst und dann auch die großen Weiden am Deich, die vor zweihundert Jahren an die von Trummer fielen, an den Hof zurückgelangen. Das ist eine lange Geschichte; ich werde sie erzählen an ihrem Platz. Aber man möchte es nicht recht glauben, daß das noch einmal kommen kann, denn ihr drei habt ja alle keinen Sinn für die Landwirtschaft, und wenn Vater und ich einmal davongehen, wer von euch wird auf den Möwenhof kommen, hier zu leben und zu sterben? Engel hat ihre Kranken, Hans sein Kunstgewerbe und Ovedine ihre geliebte Geige. Wäre eine von euch geeignet, die Frau eines Landmannes zu werden? Und ein andrer paßt nicht auf den Möwenhof. Doch darüber will ich mir nicht den Kopf zerbrechen.

Von dem, was unsre Vorfahren in den Kriegen der Dithmarschen mit den holsteinischen Rittern geleistet haben, wissen wir nichts. Aber es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß sie in den Schlachten bei Hemmingstädt und wo sie sich sonst schlugen, tüchtig dabeigewesen sind. Ein paar uralte Waffen, Morgensterne, deren Stiele längst vermodert und zerbrochen sind, eine Armbrust, auch nur noch teilweise vorhanden, und runde Steinkugeln, zu Wurfgeschossen geeignet, werden ja noch von Vater aufbewahrt.

Damals, als der Pfarrer Seligmann wieder aufzeichnete, was ihm die Schweden verbrannt hatten, lebte ein Jürgen Möwke auf dem Hof. Von diesem berichtet er: »Und ist seit hundert Jahren und mehr allemal der Möwken einer Kirchenjurate gewesen und hat uns, den Pastoren, treulich zur Seite gestanden, so die hartschädeligen Bauern nicht nach Recht und Billigkeit verfuhren. Also auch Jürgen Möwke, der ein aufrechter und ehrlicher Mann ist, und muß ich an ihm rühmen, daß er nicht zu den Möwkes gehört, die von der jachen Hitze fortgerissen werden, sonderlich wenn ihnen das Bier und der Wein einheizen.«

Da wird es zum zweitenmal erwähnt, daß die Möwkes jache Hitze unter dem Schädeldach haben oder doch haben können. Wir wissen also, daß diese Hitze seit Jahrhunderten in unsrer Familie steckt, wenn sie auch gebändigt erscheint, sobald ein Möwke über die Zwanzig kommt. Aber es ist mit ihr wie mit einem Feuer, das verdeckt und verborgen weiterschwelt: man weiß nie, wann es zum Ausbruch kommen kann. Die Menschen, die uns ruhig und gleichmütig durch den Tag gehen sehen, ahnen ja gar nicht, wie schwer das oft ist, wie oft wilde Gewalten in unsern Seelen aufstehen, lieben und hassen und heißen Zorn herausschleudern möchten oder eine ganz wilde, starke Aufopferung für die, die wir lieben. Kommt einmal solch ein jäher Ausbruch trotz den reifen Jahren und der schwer errungenen Selbstbeherrschung, dann stehen die guten Freunde erschrocken da und begreifen nicht, wie so etwas möglich sein kann.

Wißt ihr nicht, wie heftig ihr sein könnt? Nein, Ovedine nicht, die artet nach Vater, und der stammt ja nicht von den Möwkes ab. Aber Engel. Wenn du es auch noch so gut verbirgst, mein liebes Mädchen, und wenn du auch von klein auf damit kämpfst, und wenn auch keiner, der dich nicht ganz genau kennt, es in dir suchen würde, es ist doch da, dies jähe Aufflammen. Dies plötzliche Brennen und Jubeln und Hassen und Lieben ist doch da zu deinem Glück und zu deinem Leid.

Ja, mein Hans, dir brauch' ich es nicht erst zu sagen, was du an Familienerbteil in dir trägst. Es schlägt jeden Tag heraus, in Trotz und Zorn, in verbissenem Eifer und ärgerlichem Fortschleudern dessen, was sich dir nicht fügen will. Ich sagte es ja schon, du kommst nicht leicht durch das Leben. Ich höre, wenn ich an dich und deine spätere Zukunft denke, immer Stielers Worte für sein Töchterlein: »Doch wird dir wohl noch manche Stunde hart, bis aus Klein-Irmchen wird Frau Irmingard.« – Wieviel Wasser muß wohl noch den Berg hinablaufen oder sagen wir lieber an unsern Deich branden, bis einmal aus dem herrischen Hans eine gebändigte Hansine geworden ist!

Ja also, da bin ich wieder vom Hundertsten ins Tausendste gekommen. Ich war doch bei Jürgen Möwke, der alles in allem ein tüchtiger Mann gewesen sein soll. Im Jahre 1653 ist er nach dem Kirchenbuch gestorben, und bald nach seinem Tode hat eine schwere Flut und ein nachfolgender harter Winter den ersten Hausbau der Möwkes schwer beschädigt. Ich kann vom Jahre 1650 an die uralte Familienbibel zu Hilfe nehmen. Es sind viele unbedruckte Seiten in sie eingebunden, damit die Möwkes auf ihnen aufzeichnen konnten, was den Nachkommen wissenswert sein würde. Und weil das Schreiben damals für die Bauernfaust noch eine schwere Sache war, haben sie die Blätter nicht über Gebühr in Anspruch genommen. Mehr als eine Seite hat selten einer gebraucht, um alles zu berichten, was ihm das Leben gebracht. 1660 ist der Hof zum großen Teil neu erbaut worden. Es steht ja auch im Tragbalken über dem Hoftor: Neddergebogen 1659 – wedder gehoben 1660. Seitdem ist manches angebaut, das Dach erhöht, Wände und Mauern sind gebessert worden, aber der Grundbau jener Zeit ist noch erhalten.

Damals, als der große Krieg verrauscht war, als wieder Handel und Wandel blühten, damals wurden die Dithmarscher Bauern große Herren. Sie trugen bei festlichen Gelegenheiten sieben Röcke und Westen übereinander, ein Kleidungsstück immer reicher und prächtiger als das andre, damit jeder erkennen konnte, was sie wert wären. Die unterste Weste war wohl aus selbstgewebtem Linnen mit Knöpfen von Horn oder Bein, darüber kam die Tuchweste, dann eine aus Samt oder Seide, und zum Schluß flimmerte dicker Brokat mit eingewebten goldenen Blumen und Arabesken. Hatte die Tuchweste noch blanke Kupfermünzen zu Knöpfen, so saßen an der seidenen Silbertaler, die brokatne aber, die nur die ganz reichen Bauern sich leisten konnten, waren mit Dukaten versehen.

Sie erzählen, es sei da einmal auf einem Hof bei Garding ein großes Fest gewesen, eine riesige Hochzeit. Da habe Per Persen, der reichste Bauer aus ganz Eiderstädt, Moike Momsen freien wollen. Er sei keiner von den Jüngsten gewesen, ein Witmann, aber ohne Kinder. Sein Bauch sei ebenso stattlich gewesen wie sein Doppelkinn, und seine Nase habe mit dem Rock und den Westenknöpfen um die Wette geglänzt. Die Braut aber sei das schönste Mädchen der ganzen Gegend gewesen.

Die Trauung hat mit großer Pracht stattgefunden, und Per Persen hat dabei einen Rock angehabt, ganz mit Dukatenknöpfen besetzt. Auf jedem Knopf sei sein Namenszug eingegraben gewesen. An der grünseidenen, mit goldenen Rosen durchwirkten Weste aber hätten funkelnde Steine gesessen. So etwas hatten sich die dicksten Dithmarscher Bauern noch nicht geleistet.

Daß die Braut ihn gern genommen hätte, kann wohl niemand sagen. Der Hof lockte ja und die Geldkisten, aber der Mann war eine schlimme Dreingabe. Man sagt, sie hätte einen andern lieber gehabt, einen Seemann; aber der hatte nur seine gesunden Arme, und so einem gab Momsen seine Tochter nicht. Da sei sie jeden Abend auf den Deich gegangen und habe die See gebeten, sie solle ihr helfen, daß sie doch den gräßlichen Persen nicht zu nehmen brauche. Sie dachte wohl, die See solle ihren Hein rechtzeitig wieder heimbringen.

Die See verstand das anders und kam in ihrer eigenen Art zu Hilfe. Ein Wintergewitter brachte eine Sturmflut. Die brach in das Hochzeitshaus, ehe man nur ahnte, wie nahe die Gefahr war. Das Wasser schlug an die Mauern, stürmte über die Schwelle, zerbrach die Fenster, stieß eine Hausecke ein, jagte die ganze Hochzeitsgesellschaft unter das Dach auf den Boden, fraß alle Leckereien von den langen Tischen, schwemmte den Brautschatz der Tochter, der in Wagen verpackt auf dem Hofe stand, hinaus in das Watt, und zuletzt nahmen die wilden, grünen Seeweiber noch den dicken Bräutigam mit hinaus in die Flut. Denn Per Persen war so betrunken, daß er nicht mehr den Weg zum Boden fand, und als ein paar junge Burschen von der Gesellschaft ihn mit sich schleppen wollten, konnten sie seinen gewaltigen Körper nicht halten. Auf der obersten Treppenstufe glitt er ihnen aus, stürzte zurück in Schaum und Flut und wurde nicht wieder gesehen.

Ob die Braut über diesen Ausgang sehr traurig war, berichtet der Chronist nicht.

Nach Jahr und Tag kam der Seemann heim und wollte nun natürlich die junge Witwe freien. Der alte Momsen war aber noch immer harthörig und sagte nein.

Als er von allen Seiten gedrängt wurde, doch seine Einwilligung zu geben, verschanzte er sich hinter den Vorwand, seine Tochter wisse ja gar nicht, ob sie wirklich Witwe sei. Es kämen bei Sturmfluten oft so wunderliche Rettungen vor, daß es nicht unmöglich sei, der dicke Per Persen käme noch einmal wieder. Solange dessen Tod nicht sonnenklar bewiesen sei, so lange dulde sein Gewissen keine neue Ehe der Tochter.

So gingen zwei Jahre hin. Da fanden Krabbensucher im Watt die Reste eines Menschen: Schädel, Knochen, ein paar Fetzen Zeug, und an dem Zeug, als einziges Erkennungszeichen, die funkelnden Steinknöpfe, die noch kein Mensch vor Per Persen getragen hatte.

Da begruben sie die Überreste an der Kirche, und der Seemann bekam Moike Momsen.

Das ist so eine der Geschichten, wie wir sie uns hier erzählen, wenn wir abends um das Feuer sitzen, es im Ofenloch bullert, die Bratäpfel in der Röhre zischen und die alten Frauen das Spinnrad schnurren lassen.

Damals, als diese Geschichte spielte, war schon ein Enkel von Jürgen Möwke auf dem Hof, von dem die Chronik und die Überlieferung viel zu berichten weiß. Er war im Jahre 1648 geboren, gerade als der schreckliche Krieg zu Ende ging. Seine Jugend sah neuen Aufstieg, sah Sturmflut und Wiederaufbau des Hofes, und als er fünfundzwanzig Jahre alt war, also im Jahr 1673, wurde er Hofbesitzer, denn da wurde sein Vater von einem wilden Pferd so heftig geschlagen, daß er nach sechs Wochen von dannen mußte.

Vielleicht war es dem Hans Möwke nicht gut, daß er so jung Herr wurde über den großen, reichen Hof. Vielleicht lag auch der jache Zorn stärker in ihm als in allen, die vor ihm gewesen, genug, es heißt, er sei ein tüchtiger Bauer gewesen, aber ein rechthaberischer und heftiger Mann, und seine Familie und seine Leute hätten es schwer gehabt unter seiner Hand. Drei Töchter soll er gehabt haben und einen Sohn. Der Sohn aber ist sein Abgott gewesen. Der alte Dithmarsche Bauernstolz saß ihm tief im Geblüt. Frei waren seine Väter gewesen, solange die salzige See an die Küste rannte, frei wie die reichen Herren in der Stadt und die Edelleute auf ihren Höfen. Dithmarscher Bauernblut war auch Herrenblut, und Hans Möwke war ein Herr wie nur einer. Vierelang fuhr er zur Kirche. Als die älteste Tochter Gesine heiratete, speisten dreihundert Gäste auf dem Hof; es wurde alles aufgetischt, was gut und teuer war; Branntwein stand in Fässern, Bier und Wein war so viel da, daß man hätte noch zwei Hochzeiten damit rüsten können. Der Brautschatz von Gesine Momsen mußte mit sechs Wagen vom Hof gefahren werden. Noch ihre Enkelinnen konnten Bettücher nähen von den Linnenbolzen, die sie in das Haus ihres Mannes brachte.

Ja, der Möwenhof war einer, der seinem Herrn goldenen Segen in die Kasten trug, und vor allem waren es die Seewiesen, gleich hinter dem Deich gelegen, die jedes Jahr große Herden dänischer Ochsen fett machten, und aus diesen Ochsenherden wuchs das Vermögen der Möwkes.

Es soll damals einen alten Spruch gegeben haben, der Möwenhof werde seinen Reichtum behalten, solange der Poggensee seine Möwen behalte. Die Möwenscharen aber, die über dem kleinen See schwebten, die nahmen eher zu als ab.

Da geschah es einmal, daß ein Dammbruch, wie ja immer einmal einer stattfand, Salzwasser in den Poggensee brachte. Das war ebenfalls schon früher geschehen und hatte keine weiteren Folgen gehabt. Aber man meint doch, das sei der Grund gewesen, daß plötzlich im nächsten Winter die Möwen nicht wieder gekommen seien, und man erklärt das so: Wenn die See in Eis stand, daß die Möwen dort nicht mehr fischen konnten, dann war immer noch eine Stelle im Poggensee, wo das Eis nicht schloß. Es sollte da eine warme Quelle sein, die auch bei der schärfsten Kälte das Wasser nicht gefrieren ließ. Zugleich war der Teich so fischhaltig, wie kein Gewässer in der ganzen Gegend. Daher fanden die Möwen immer Nahrung in ihm. Hans Möwke hatte gesorgt, daß nie Mangel war an Fischbrut; er verstand sich auf die Fischerei, was damals noch selten war. Nun hatte aber das Seewasser alle Fische getötet, und zugleich hatten Klei und Sand, von der Flut hineingeschwemmt, die Quelle verstopft. Sie hat sich wohl einen andern Ausweg gesucht, denn von da an fror auch der See im Winter ganz zu. Als nun die Möwen nicht mehr fanden, was sie hier durch Jahrhunderte gefunden hatten, da blieben sie aus. Erst kamen sie noch hin und wieder auf Kundschaft, fanden immer gleiche Nahrungsnot und verzogen sich. Es fliegen heute nicht mehr Möwen um den Poggensee wie um jeden Tümpel und Graben des Landes. Da gab es Gerede in der ganzen Gegend. Man gab viel auf solche Zeichen, und wenn Hans Möwke auch lachte und spottete, wohl ist ihm sicher nicht dabei gewesen.

Doch der reiche Hof stand unverändert, und das Geld häufte sich auf im Kasten.

Wenn Hans Möwke an eine Not dachte, die kommen könnte, hatte er höchstens die See und den Deich im Auge, denn es steht geschrieben, daß er ganz besonders tätig war im Schanzen und Besticken und allem, was Deicharbeit war. Das Unglück kam aber nicht von dorther, das kam überhaupt nicht von außen, sondern aus seinem eigenen inneren Menschen: von der jachen Hitze unter seinem Schädeldach.

In Brarup lag zwischen den Höfen – der Möwenhof ist ja seine drei Kilometer vom Dorf entfernt – das Haus des Amtmanns, der über Süderdithmarschen gesetzt war. Dieser Amtmann hatte es nicht leicht mit den Bauern, denn erstens war er ein studierter Herr, und für den hatten sie ebensoviel Abneigung wie Bewunderung, und dann war er meist ein Herr von Adel aus altem Geschlecht, denn die Jurisprudenz wurde besonders von Söhnen alter, verarmter Familien betrieben oder von jüngeren Söhnen, die nicht viel Erbteil zu erwarten hatten. Für den Adel aber, der da aus Holstein kam, hatten die Dithmarschen schon gar nichts übrig. Sie wußten noch nach Jahrhunderten davon, daß ihre Väter und die Holsteiner Herren und die Könige von Dänemark – als Helfer der Holsten – sich gewaltig in den Haaren gelegen hatten. Also war der jeweilige Amtmann in Brarup nicht auf Rosen gebettet. War er ein kluger, überlegender Mann und besaß er Humor, so fand sich für ihn wohl mit der Zeit ein Weg, seine Bauern zu lenken. Dann ging es ein paar Jahrzehnte ganz leidlich, bis ein Neuer kam, der erst wieder seine Leute kennenlernen mußte.

Zu Hans Möwkes Zeit kam wieder solch ein neuer, und zwar einer, der, tüchtig im Beruf und bestimmt, im Leben sich gar nicht auf Halbheiten einließ. Alsbald hatte er bei jeder Gelegenheit Lärm mit den Leuten. Es kam noch dazu, daß seine Mutter eine Gräfin Löwenskiold war, eine Dänin aus altem, aber armem Hause, und diese Dame, die dem verwitweten Sohn die Wirtschaft leitete und seine drei Kinder erzog, war verzweifelt, weil sie in einem Dorf leben mußte, sie, die am Hof zu Kopenhagen als junges Mädchen Triumphe gefeiert hatte. Sie trug nicht dazu bei, den Sohn zum Frieden mit den Bauern anzuhalten.

Am schlimmsten wurde es mit Hans Möwke. Der hatte sich im Leben noch von keinem Menschen etwas sagen lassen; wie würde er sich von einem Amtmann kommandieren lassen! Bei jeder Gelegenheit gerieten sie zusammen.

Nun war es schon damals Sitte, daß jedes Frühjahr der Deichgräfe mit den Deichgeschworenen den Deich in Augenschein nahm, um festzustellen, wo der während des Winters Schaden gelitten hatte. Auch nach Mäuselöchern im Boden, Kuhlen im Vorland, schlechten Rasenplacken sahen sie, wie es Pflicht war, und nachmittags nach solchem Rundgang saßen alle zusammen im Krug und beredeten das Ergebnis. Hatte einer der Bauern, zu dessen Land der Deich gehörte, seine Pflicht an dessen Erhaltung nicht ganz erfüllt, so wurde er streng gemahnt und, wenn es angebracht schien, auch in Buße genommen. Das heißt, er mußte Strafe zahlen.

Der Amtmann, Herr von Trummer, wohnte diesen Sitzungen bei. Obgleich nun Hans Möwke derjenige war, der seine Deichpflicht am besten erfüllte, gab es doch in einem Frühling gerade an seinem Deich großen Schaden. Die See hatte dort, als der Eisbruch kam, solche Massen zusammengeschoben, daß sie bis über die Deichkuppe stiegen, und lange Strecken waren vom schützenden Rasen entblößt, andre ausgewaschen; im ganzen sah es schlimm aus. Die Bauern wußten alle, den Möwke traf kein Vorwurf; die See ist stärker als Menschenhand. Er war auch schon mit seinen Knechten mitten im Werk, alles wieder zu richten, so gut und so schnell es ging. Im Krug sprach man drum ohne jeden Vorwurf über die Sache, bis der Amtmann, der sich wohl freute, Hans Möwke einen Hieb versetzen zu können, einwarf: »Ja, das kommt vor, wenn die reichen Herren meinen, Pflicht und Arbeit sei nur für die Armen und die Dummen.«

Ehe der Möwkenbauer antworten konnte, sprang der Deichgräfe für ihn ein. »Wäret Ihr hier am Ort nicht erst seit zwei Monaten, Herr von Trummer, so müßtet Ihr wissen, daß niemand so für den Deich einsteht wie Hans Möwke. Eure Worte treffen ihn nicht.«

Dann mischten sich auch wohl andre ein, genug, es kam nichts nach der Sache.

Aber Hans Möwke ließ die Worte nicht stecken. Das war ihm noch nicht geschehen, daß jemand gewagt hatte, ihm einen Vorwurf zu machen, und noch dazu einen so ungerechten. Am nächsten Tag fuhr er – vierelang, denn er wollte dem Amtmann Achtung einflößen – am Amt vor und verlangte Herrn von Trummer zu sprechen. Der empfing ihn nicht in seiner Wohnung, sondern in der Amtsstube, wo gerade kleine Leute mit ihren Anliegen saßen. Darin sah der Bauer schon eine Nichtachtung, die ihm zu Kopf stieg. Er fragte aber den Herrn kurz und grob, nun gerade in Gegenwart der Knechte und Arbeiter, was er sich dabei gedacht habe, als er ihn am Tage vorher so ungerecht angegriffen, und warum er, als der Deichgräfe ihn verbessert, nicht ein einziges Wort der Entschuldigung gehabt habe, wie sich das wohl gebührte bei solcher Verfehlung.

Dem Amtmann fuhr der Zorn hoch, als er so zur Rede gestellt wurde. Ein Wort gab das andre, und Herr von Trummer sagte: »Als Vorgesetzter bin ich Ihm überall keine Rechenschaft schuldig.«

»Was ist das?« fragte Möwke. »Vorgesetzter? Ich hab' im ganzen Leben noch keinen gehabt. Und ich lass' mir vom hergelaufenen Amtmann nichts befehlen!«

»Wenn Er hier nicht sofort manierlich ist, lass' ich Ihn durch meinen Diener hinauswerfen!« schrie Herr von Trummer.

Da fuhr dem herrischen Manne der wilde Zorn in das Blut, er faßte einen schweren eisernen Leuchter – der stand mit brennender Kerze auf dem Tisch, weil der Amtmann sein Siegel hatte unter ein Schriftstück setzen wollen – und schleuderte das grobe Stück dem Herrn von Trummer an den Kopf.

Da war das Unglück fertig. Der Herr stürzte rücklings nieder, blutete aus einer Kopfwunde, stammelte noch etwas, verlor das Bewußtsein, und die Leute, die in der Stube anwesend waren, rannten davon, denn damals war es eine eigene Sache, in solchem bösen Prozeß auch nur als Zeuge genannt zu werden. Diener liefen hinzu und trugen den Amtmann in seine Wohnung. Hans Möwke ging mit zornheißen Augen aus dem Hause. Sie wüßten ja, wo er zu finden sei, schrie er den Leuten zu.

In der Aufregung hatte niemand acht auf die Kerze gehabt. Der Leuchter war unter einen Stuhl gerollt, auf dem und um den Akten lagen, die Kerze aber war nicht erloschen. Sie faßte das Papier, es glomm und schwelte wohl erst – man weiß das nicht, man kann sich das nur denken – und mit einem Male stand die Amtsstube in Flammen. Und weil die Löschvorrichtungen nicht weither waren damals und wohl alles sich mit dem sterbenden Amtmann beschäftigte, auch kein Kommando war, so stand bald genug das ganze Haus in Feuer.

Das war das Unglück, das die Möwen mit ihrem Ausbleiben vorhergesagt hatten.

Hans Möwke hätte wohl fliehen können; dazu war er zu stolz. Er ging in die Stadt und zeigte sich selber an.

Die Herren vom Gericht machten gleich sehr ernste Gesichter. Totschlag war ja nichts so Seltenes in jenen Zeiten. Die Menschen hatten es noch wenig gelernt, ihre Leidenschaften zu zügeln, aber Totschlag durch einen der reichsten Bauern im Lande am Amtmann selber, so etwas war noch nicht dagewesen.

Er gab sein Wort, nicht zu entweichen, bis sie ihn richten würden; da ließ man ihn zurück auf seinen Hof und bestellte die Verhandlung auf einen baldigen Tag.

Ehe es aber dazu kam, ging Hans Möwke eines Tages über den Deich; er nahm wohl in der Stille für lange Zeit Abschied von der Heimat. Dabei begegnete ihm die alte Frau von Trummer, der sein Jähzorn den einzigen Sohn genommen hatte. Wie die Frau ihn kommen sah und neben ihm seinen Jungen erblickte, so einen frischen Kerl von fünfzehn bis sechzehn Jahren, schlug ihr Leid so heftig auf, daß sie ihn anrief: »Ja, Er geht da gesund, mein einzig Kind aber liegt unter der Erde, und seine drei Kinder sind vater- und mutterlos. Soll doch Seine Untat an ihm gerächt werden, daß er sohnlos werden soll wie ich und nie wieder ein Möwke auf dem Möwenhof haust!«

Hans Möwke hat kein Wort geantwortet, aber der Sohn hat erzählt, dem Vater, der doch sonst kein Grausen gekannt, sei das Zittern so arg gekommen, daß er ihn habe halten müssen, damit er nicht zusammenbrach.

Bald danach trat das Gericht zusammen. Es haben sich viele für Hans Möwke verwandt, und die Herren entschieden, er sei wohl schwer gereizt worden und habe aus Zorn und Unbedacht, aber nicht in böser Absicht gehandelt. So solle er nicht das Leben verlieren, wohl aber die rechte Hand, mit der er solch groß Unglück angerichtet habe.

»Und haben sie ihm die Hand auf den Richtblock gelegt, und der Fron hat sie abgehauen mit der Schärfe des Schwerts.«

Ein verdüsterter, unsteter Mann kam Hans Möwke heim. Daß er die Hand verloren hatte, war hart. Wäre es in einem ehrlichen Kampf geschehen, so hätte er es leicht getragen. Aber abgehauen vom Fron …! Wer mit dem unehrlichen Volk in Berührung kam, der wurde dadurch selber unehrlich. Und der Unehrlichste der Unehrlichen war der Henker. War er, der reiche, stolze Marschbauer, nun nicht auch einer von denen, vor denen die ehrlichen Leute die Kleider zusammenraffen und die Kinder hinwegziehen? Den die Hunde ankläffen, und dem man das ehrliche Begräbnis verweigert? Er trug schwer an seiner Verfemung, und es gab Leute genug, die ihn spüren ließen, daß seine Not ihnen Genugtuung war, denn er hatte vordem viele durch seinen Hochmut gekränkt. So ging er nur noch bei Abend aus und ließ sich nicht mehr im Krug sehen, aber auch nicht mehr in der Kirche.

Das war aber noch lange nicht alles. Die verlorene Hand war nicht die einzige Buße, zu der das Gericht ihn verurteilt hatte. Herr von Trummer stammte, wie schon gesagt, aus einem armen Hause, und nach seinem Tode und dem Brand stand es um seine Kinder und die Mutter schlecht. Also hatte Hans Möwke für sie zu sorgen. Man kam, seinen Hof zu besichtigen, und erfand als wertvollsten Besitz die Marschwiesen, die ihren Wert behalten mußten, solange Dämme und Deiche die hungrige See hinderten, sie zu verschlingen. Da sprach das Gericht denen von Trummer die Deichwiesen zu »erblich und immerwährend, solange einer des Geschlechts leben und ihren Nutzen genießen werde. Danach aber, wenn keiner der Trummers mehr am Leben sei, aber auf dem Möwenhof noch ein Möwke sitze, danach sollten die Deichwiesen wieder zurückfallen an die Möwkes. Und sollten die Trummers darum die Wiesen nicht verkaufen dürfen, es sei denn, ihre Not wäre so groß, sie könnten sich nicht anders helfen. Wobei aber alsdann die Möwkes das erste Recht haben sollten, sie für sich zu erstehen«.

Da war dem Hof sein Reichtum genommen; denn wenn auch die Kornfelder und die Obstgärten und die Wiesen landein noch immer ein hübscher Besitz waren, es war nur die Hälfte von dem, was gewesen.

Aber auch darüber hätten sie wohl hinwegkommen können. Da verunglückte der junge Jürgen Möwke, Hans Möwkes Sohn, bei einer Wanderung im Watt. Er ging hinaus, Seehunde zu schießen, und kam nicht wieder. Nebel – wie er so oft ganz unvermutet heranfliegt über die See – hatte ihn überfallen, die Flut ihn überrascht, daß er den Weg verlor; er kam nie zurück.

Das brach den Vater vollends. Mochten seine Frau und der Pfarrer und die Töchter sagen, was sie wollten, er sah sich selbst als Mörder seines Sohnes an. Mit dem jähen Wurf nach dem Haupte des Amtmanns hatte er das eigene Kind getroffen. Er ließ sich nicht eines andern belehren, wurde immer finsterer und menschenscheuer und »da verfiel er in die Inselkrankheit, die umgeht, wenn die Stürme sausen und der Nebel die Welt verhängt und es dunkel wird in der Welt und in den Seelen«. So sagt wieder die Chronik. Was sie aber die Inselkrankheit nannten, das war eine unabwendbare Schwermut, die den Menschen zerbrach.

Auch Hans Möwke zerbrach an ihr. Mit fünfzig Jahren war er ein alter Mann. »Da ihm denn sein Haar weiß war wie bei einem steinalten Manne, und die Arme zitterten und die Füße, bis der allgütige Gott ihn erlöste von seiner großen Not.«

Man sollte meinen, er hätte für seine unselige Tat im Leben genug gebüßt, aber es gab Menschen, denen war alles noch nicht genug gewesen; denn als er beerdigt werden sollte in der Gruft der Möwkes an der Kirche von Brarup, da widersetzten sich etliche in der Gemeinde. Ein Mann, der unter dem Henkerschwert gestanden hatte, gehöre nicht in die Reihen ehrlicher Christen. Die Frau, die eine stille Seele gewesen zu sein scheint, wäre wohl dagegen nicht aufgekommen; es gab aber einen Prediger in Brarup, der war unerschrocken und hatte auch den Mund auf dem rechten Fleck. Der trat unter die Gemeindeältesten, die über den Fall beratschlagten, und fragte sie sehr kurz, ob unter ihnen keiner sei, dem einmal die Hand nach der Waffe gezuckt habe. Und hielt ihnen allen ihre Sünden vor, vor allem ihre üble Sitte, bis zum hellen Tage über dem Becher zu sitzen und dann nicht mehr zu wissen, was sie täten. Statt über einen ihresgleichen zu Gericht zu sitzen, sollten sie vielmehr dem Herrn danken, daß er sie nicht in ähnliche Not geführt habe. Und er schloß seine Rede mit den Worten: »Wer sich ohne Sünde weiß, der werfe den ersten Stein auf ihn!«

»Worauf sich viele zu ihm bekehrten und die andern stille waren.«

So haben sie Hans Möwke beigesetzt in der Gruft der Möwkes, die noch immer neben der Kirche ihren uralten Leichenstein hat, darauf im Laufe der Jahrhunderte die Inschrift dreimal vertieft worden ist: »Hier liggt, was von de Möwkes sterblick ist.«

Nun lebte die Witwe mit zwei Töchtern auf dem stillgewordenen Hof. Von der einen erwähnt die Überlieferung nur, sie sei früh Vater und Bruder gefolgt, die letzte, Engelke Möwke, aber war berufen, den Hof und die Familie weiterzuführen.

Von Engelke Möwke wird viel erzählt. Sie soll sonderlich schön gewesen sein, mit heller Haut und Haaren so sonnengolden, daß es war wie lauter Licht. Auch habe sie, bis das Unglück kam, lachen können wie ihre Tauben. Für Tauben hatte sie eine besondere Liebe und zog deren von allen Arten, aber die weißen mit den roten Füßchen waren ihr die liebsten. Die nisteten unter allen Dächern des Hofes, und wenn Engelke ihnen pfiff, stob es heran wie ein Gewirbel von Schneeflocken, daß sie ganz verschwand zwischen den flatternden Tieren.

Es wollte sich aber trotz ihrer Schönheit und dem Wert des Hofs kein Freier in der Nähe finden; man hatte eine Furcht vor dem, was da geschehen war. Sie hat dann einen geheiratet aus der Geest, der hieß Jon Reiner. Weil aber der Spruch des Gerichts bestimmte, daß die Deichwiesen nur zurückfallen sollten an den Hof, falls dort noch ein Möwke sitzen würde, kamen sie darum ein bei der Regierung, dem Namen Reiner den vieljährigen Hofnamen Möwke anzufügen. Das wurde ihnen gestattet für sie und alle, die nach ihnen dort sitzen und aus ihrem Blut stammen würden.

Da aber noch immer in der Gegend der Möwenhof mit Scheu angesehen wurde, beschlossen sie, ihn anders zu benennen, vor allem auch, weil ja die Möwen, die ihm einmal den Namen gegeben, fortgezogen waren. Da nannten sie ihn Duvenhof, nach Engelkes Tauben.

Das ist so geblieben. Wunderlicherweise hat sich der Hof seit zweihundert Jahren nie in männlicher Linie fortgeerbt. Es sind wohl Knaben auf ihm geboren worden, doch wurden sie nie groß, und einer, der schon siebzehn Jahre alt war, fiel als Schüler in einem Duell. So erbte immer eine der Töchter, denn die Mädchen gediehen; es gab immer genug von ihnen, immer waren viele blonde Duven auf dem Duvenhof.

Engelke Reiner-Möwke hatte selber vier, und als die erwachsen waren, hatte sich allmählich das Gerede beruhigt. Die Mädchen fanden alle Männer, denn dazumalen war es eine Schande für eine Bauerntochter, ledig zu bleiben. Es war gegen allen Brauch und alles Herkommen. Jeder Mensch hat im Leben seine Pflicht zu tun, so sagten sich unsre Dithmarschen, und welche andre Pflicht kam der Frau zu als Wirtschaften und Kindererziehen? Von Frauenbewegung und Berufen außer dem Hause wußte man nichts; damit hätte niemand den Leuten hier kommen dürfen, sie hätten gemeint, er wäre aus dem Tollhaus entsprungen.

Die älteste Tochter der Engelke Reiner-Möwke, die einen Karsten heiratete, war Gehöftserbin, und ihre älteste Tochter saß nach ihr auf dem Hof. Es wird allerlei berichtet von Hochzeiten und Kindtaufen, von Begrabenwerden und allerlei Bauten auf dem Hof; etwas Sonderliches, was nicht in jedem andern Hause ebenso gewesen wäre, geschah hier nicht. Das Leben gab und nahm, jagte die See gegen den Deich, und mehr als einmal im Lauf der nächsten hundertfünfzig Jahre auch durch den Deich und hinein in das Land. Der Duvenhof lag droben auf seiner Höhe und sah ringsum die schwarzgrünen Wasser fluten, er war wie eine Insel in fressender Flut, und seine Bewohner hatten Not, wenn die Felder voll Salzwasser gestanden hatten und die Brunnen brackiges Wasser gaben, weil aller Grund tief hinein von der Flut verdorben war; aber das ist Küstennot, und die mußten sie teilen mit allen, die hier wohnten, wie wir es noch müssen, wenn es über uns kommt.

In unserm Eßzimmer hängen zwei alte Bilder, die sind aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Von denen wird in der Chronik erzählt. Das eine ist ein Mädchen in der Tracht der Landmädchen damaliger Zeit, mit einem Gesicht, das zwar im Lauf der Zeit gedunkelt ist, dem man es aber noch ansieht, daß es einstmals sehr hell gewesen sein muß, weiß und rosenrot und gut passend zu den schweren Zöpfen, die wie Gold über die Schulter hängen. Daneben hängt das Bild des blonden Junkers, das ihr so liebt, des schlanken Jungen mit der hochmütig geschürzten Lippe und den rassigen Zügen. Das ist Herr Gerd von Hamm, der sich aus dem Hause der Duvenhofer die Ehefrau geholt hat, geholt gegen allen Brauch, denn seit wann war es Sitte, daß Edelmann und Bauer untereinander freiten?

Wo er die blonde Hansine zuerst gesehen, das weiß ich nicht, und etwas erfinden, das will ich nicht. Genug, er kam einstmals zu einem Pferdekauf auf den Duvenhof, denn der damalige Möwkenbauer war dafür bekannt, daß er nicht nur die schönsten Töchter und die fettesten Ochsen, sondern auch ganz prächtige Pferde hatte. Die Möwkes haben immer auf ihrer Pferdekoppel Tiere gehabt, die nach Hamburg und Kopenhagen, ja, bis hinüber nach England gingen.

Pieter Kord-Möwke, der damalige Besitzer – man schrieb übrigens das Jahr 1794 – dachte sich nichts dabei, als der Junker kam. Er war es gewohnt, seine Pferde begehrt zu sehen. Dem Junker aber war es nur um die schöne blonde Sine zu tun, und er ging ihr nach in Haus und Feld und wußte sie mit schönen Blicken und schönen Worten zu umwerben.

Aber Hansine Möwke war keine von denen, die sich durch so leichtes Geschütz besiegen lassen, und eines Tages sagte der Vater dem Junker in aller Ruhe, aber sehr deutlich, der Herr möge doch seine Pferdekäufe bei einem andern betreiben.

Der Herr von Hamm war also an die Luft gesetzt. Nun wurde es ihm erst richtig Ernst mit seiner Werbung, denn als er das junge Mädchen nicht mehr sehen durfte, kam es ihm vollends zum Bewußtsein, daß dies Gefühl in seinem Herzen mehr, ja, viel mehr war als ein spielendes Wohlgefallen, wie es wohl einmal einen adligen Herrn zu einem Bauernmädchen ziehen mochte.

Es war damals aber schon Sitte, daß die reichen Dithmarscher Bauern, die sich ebensoviel wußten und fühlten wie die vornehmen Grundbesitzer, ihre Söhne und Töchter für kürzere oder längere Zeit nach Hamburg und Lübeck oder nach Kiel und Schleswig schickten, damit sie Lebensart lernten und sich zu benehmen wußten. Das erklärt vieles. Hansine Kord-Möwke trug wohl die Tracht der Dorfmädchen, und daß sie ihr stand, seht ihr ja noch auf ihrem Bilde, aber sie konnte ein gutes Buch lesen und verstehen, wußte, wie man einen Gast empfing und bewirtete, und hatte jenen angeborenen Zug stiller Vornehmheit, der sich in den alten Geschlechtern findet, die durch Jahrhunderte reines Blut gehabt haben und festen Boden in eingesessenem Besitz unter ihren Füßen. So war sie trotz dem gestreiften Wollrock und dem bunten Mieder wohl nicht ungeeignet, den Platz einer adligen Gutsfrau einzunehmen.

Gerd von Hamm war elternlos. Sein Gut war keins von den großen, aber es gab, was das Leben forderte. Und dann, er war drei Jahre in Frankreich gewesen, zu jener Zeit, als dort die neuen Ideen von Freiheit und Gleichheit alle Gedanken aufregten. Damals hatte es ihn vielleicht nicht sonderlich berührt, nun wurde das wach und fragte in ihm: »Soll ich mir nicht nehmen dürfen, was nur ein altes Vorurteil mir vorenthalten will?« Nachdem er darüber mit sich ins reine gekommen war, sandte er einen Freiwerber, nämlich den Justizrat Lindenhahn aus Heide, seinen juristischen Beistand, an den Möwkenbauer und ließ in aller Form um die blonde Hansine werben.

Der Möwkenbauer sagte rundheraus nein.

Als der Justizrat um eine Erklärung dieses schwer erklärlichen Neins bat, setzte er ihm ruhig, aber bestimmt auseinander, daß er nach alter Art und Sitte erzogen sei und diese Art und Sitte auch festzuhalten gedenke, solange er Herr auf dem Duvenhof bliebe. Danach hätte es keine Art, wenn man die Schranken durchbräche, die nun einmal von unserm Herrgott jedem Stande gezogen seien. In alten Zeiten hätten sich Bauern und Herren arg in den Haaren gelegen, und viel Blut sei darum geflossen. Das sei, dem Himmel sei Dank, vorüber. Aber immer bleibe es so, daß dem einen hier und dem andern dort sein Platz gewiesen sei, wie ja auch Bauern und Bürger immer am besten täten, jeder nur wieder in seinem eigenen Stand zu freien. Er könne kein Glück für sein Kind darin sehen, wenn es diesen Platz verließe, auf dem es geboren und erzogen sei. Und er wolle auch nicht, daß der Herr von Hamm einmal sich seiner Frau schämte, was doch nach Art der Welt leicht geschehen könnte.

Der Herr Justizrat mußte also unverrichteter Sache fortgehen.

Es sind dann mehrere Jahre vergangen, bis endlich aus den beiden doch ein Paar geworden ist. Aus alten Briefen, die zwischen den Schwestern später gewechselt worden sind, geht hervor, daß der Herr von Hamm sich im Felde am Rhein sehr tapfer zeigte, aber bei einem Gefecht ein steifes Bein davontrug, das ihn zur Heimkehr zwang. Als er nun wieder auf seinem Gut Uhlenhorst bei Kiel saß und Zeit hatte zum Nachdenken und einsah, daß auch der Krieg und das lahme Bein ihm nicht über seine Liebe zu Hansine Möwke hinweggeholfen hatten, da sandte er zum zweitenmal den Justizrat Lindenhahn und gab ihm einen beweglichen Brief mit an das blonde Mädchen und verpfändete darin sein Wort als Edelmann, wenn es ihm nicht gelingen sollte, die Hand der Vielliebsten zu gewinnen, so wolle er nie eine Frau nach Uhlenhorst bringen, und die Herren von Hamm sollten mit ihm aussterben.

Es kam ihm zu Hilfe, daß Hansine Möwke alle Bewerber ausgeschlagen hatte, die in das Haus gekommen waren, und da ihr Vater sie nicht gegen ihren Willen zwingen mochte, war sie noch frei. In dem Winter aber, welcher der Werbung des Uhlenhorsters voranging, hatte eine Seuche die ganze Gegend heimgesucht, hatte viele Opfer gefordert, und fast wäre auch Hansine fortgerafft worden. Das hatte wohl den Vater weich gemacht, daß er sich sagte: So will ich sie doch viel lieber dem unwillkommenen Schwiegersohn geben als dem Tode, wenn sie mir auch gleich verloren sein wird dort in den fremden, vornehmen Verhältnissen.

So sind die zwei doch zusammengekommen.

Hansine Möwke war die zweite der vier Schwestern, die damals auf Duvenhof lebten. Die Älteste, die Erbtochter, heiratete einen reichen Nachbarsohn, der selber Hoferbe war. So ging der Hof auf die dritte über. Die freite im Jahre 1799 Reiner Linden, und im Jahre 1800 wurde ihnen die erste Tochter geboren, die den Namen Engel bekam. Der Name ist ja seit alters her sehr verbreitet in der Landschaft.


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