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Achtzehntes Kapitel.
Dina geht heim

Hansine wunderte sich schon nicht mehr, wenn gegen Abend der Vetter anrief und fragte: »Machen wir heute abend einen kleinen Bummel? Es ist herrlich auf der Alster. Soll ich ein Boot bestellen?«

Aber unter drei Fällen bekam er zweimal einen Korb, denn sie hatte wenig Zeit. Da war erst morgens die Schule, dann in den Nachmittagsstunden der Besuch bei Dina und abends noch so oft eigene Arbeiten. Aber es wurde ihr schwer, wenn sie nein sagen mußte, obgleich sie sich das selber nicht gern eingestand.

Engel, die sonst gern neckte, war sehr taktvoll, wenn die Rede auf diese Anfragen kam. Sie wußte zu gut, wie Hansine, so bestimmt sie sich gab, durch ein Wort verscheucht werden konnte. War es nur gute Kameradschaft zwischen den beiden, schön, dann sollte man die nicht stören. Wollte da Tieferes werden, umso zarter hatte man es dann zu behandeln.

Sie selber ging jetzt an manchem Abend zur ›Schönen Aussicht‹. Der Weg an der Alster hin war so herrlich im jungen Frühling, und sie wurde von den beiden alten Leuten mit so viel Herzlichkeit willkommen geheißen, daß sie sich vorkam wie bei guten Großeltern. Abends durfte sie nur selten bei Dina sitzen; so nahm sie zweimal in der Woche den Weg zu Trummers. –

Nach drei Wochen kam das »Kind« zurück in die Pension Sagebiel, noch ein bißchen schwach auf dem rechten Fuß, noch genötigt, auf der Treppe einen Stock zu benutzen und sehr langsam zu steigen, aber doch von den Ärzten mit der Versicherung entlassen, diese Schwäche werde vergehen, und übers Jahr, »da kann das Fräulein auch wieder tanzen.«

Hansine war den Tränen nahe, als sie ihren Schützling heimholte. Dina mußte mit Scherzen und Necken verhindern, daß der Schwester nicht die hellen Tropfen über das Gesicht liefen. »Ich will dich nun auch so verziehen, Dinakind! Ich will so schrecklich gut mit dir sein!«

»Das bist du ja immer gewesen, mein alter Hans.«

»Ich war oft so eklig.«

»Ach bewahre! Grobs' mich nur ruhig ein bißchen an! Das gehört dazu, und nach einem kleinen Unwetter scheint die Sonne immer am hellsten.«

»Nein, ich grobse nie mehr.«

»Hans, wenn das eine Brücke ist …«

»Fängst du auch schon an, mir zu mißtrauen? Von Engel bin ich es ja gewohnt, daß sie immer etwas an mir zu mäkeln hat, aber du … Na ja, so sind Schwestern.« Ihre Stimme grollte.

Dina begann zu lachen. Da sah Hansine sie einen Augenblick erstaunt an, dann lachte sie mit.

Sie mußten nun doch den Eltern melden, was geschehen war, denn das Krankenhaus hatte ihre gesamten Einkünfte aufgezehrt, und der Juni war ja erst im Beginn.

Einige Tage später kam der Vater und schalt, daß sie nicht eher geschrieben hätten, und holte sein jüngstes Küken heim. Es war ja doch ganz ausgeschlossen, daß Dina stundenlang mit dem noch schwachen Fuß stehen und Geige üben konnte. Und, wie er sagte, sie werde daheim auch schon Arbeit finden, wenn sie diese leisten könne. Er hoffe, im August, wenn Hansines Ferien begännen und Engel ihren Urlaub erhielt, sollte auch einmal auf dem Duvenhof ein Fest gefeiert werden.

Zwei Tage blieb er in Hamburg, suchte dabei auch die Trummers auf und hatte mit der alten Dame eine lange Unterhaltung, die sich um Engel drehte.

Engel hatte Ostern ihre Schwesternprüfung bestanden. Das war keine große Sache für sie gewesen, das Bestehen verstand sich von selbst. Sie wollte noch den Sommer im Krankenhaus bleiben, um mehr zu lernen, als die ersten Lehrschwesterjahre ihr gezeigt hatten. Und dann? Immer im großen Betrieb bleiben? Dazu fühlte sie sich noch zu jung. Es hatte doch auf die Dauer gar zu viel von einem Kasernenleben an sich. Man wurde alt und einseitig vor der Zeit. In Privatpflege gehen? Vielleicht, obgleich man dazu vorher noch gerne mehr gelernt hätte. Eine Stelle als Gemeindeschwester auf dem Lande annehmen? Die Verantwortung! – Ja, das wollte alles sehr überlegt sein.

Für Hansine lag der Weg klar da. Sie hatte noch ein Jahr auf der Kunstgewerbeschule und ging dann nach Wien. Das war ihr alles so sicher. Aber die zwei andern! – Nun, kam Zeit, kam auch wohl Rat.

Dina fuhr mit dem Vater heim. Sie nahmen sich noch einen Reisegenossen mit, den Schlackerjochen. Er hatte mehr als vier Monate im Krankenhaus verbracht, bis die erfrorenen Füße, die in Eiter übergingen, leidlich geheilt waren. Wohin nun? Es wäre von einem Krankenhaus zu viel verlangt, sich um die Zukunft jedes Patienten zu kümmern. Aber Engel kümmerte sich um diesen Jüngling, der mit rührender Anhänglichkeit an ihr hing. Als er draußen herumgehen durfte – sie war inzwischen auf eine Frauenstation gekommen – strahlte er auf, sobald er sie durch den Park kommen sah, und als sie ihm erklärte, sie wolle versuchen, ihn auf dem Hofe der Eltern als Kleinknecht unterzubringen, sagte er begeistert zu allem ja.

Herr Röder-Möwke war nicht so sehr erfreut, als sie ihm ihren Schützling anvertraute.

»Ja, Pap, liebster Pap, ich hab' es dem Jungen versprochen! Daß er doch nicht ganz zugrunde geht, nachdem ich kaum einen Menschen aus ihm gemacht hab'. Nimm ihn doch mit zum Duvenhof! Versuch' es doch wenigstens! Er hat mir versprochen, sich ordentlich zu schicken. Bei Lehrer Metelmann kann er Unterricht bekommen; er kann nämlich noch nicht recht lesen und schreiben. Altes Zeug für ihn hat hier unser Pastor gesammelt, und sauber ist er jetzt auch.«

»Na, wenn die Frauen etwas wollen … Dann besorg' mir deinen Jüngling morgen früh an die Bahn!«

So nahmen sie ihn mit. Es ging auch drei Wochen ganz gut, dann war Schlackerjochen eines Tages auf und davon. Nach vier Tagen kam er wieder. Er hätte bloß mal eins ordentlich laufen müssen. Aber mit den Füßen, das gehe man noch schlecht. Am rechten fehlten drei Zehen, das hinderte ihn. So fand er sich zum Duvenhof zurück. Dann wiederholte sich dies Fortlaufen in gewissen Abständen; aber immer kam er zurück, und Röder hatte nicht den Mut, ihm die Tür zu weisen. Vielleicht gewöhnte er sich doch noch an ein seßhaftes Leben.


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