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Fünfzehntes Kapitel.
Ein Ausflug

Frau Kapitän Sagebiel steckte den grauen Kopf in das Zimmer der Schwestern. »Ach, Fräulein Hansine! Da ist jemand am Telephon und möcht' Sie sprechen.«

»Ist es vielleicht meine Schwester, Frau Sagebiel?«

»Nein, es war 'ne Herrenstimme.«

»So? Wer ist denn das?« Sie ging auf den Flur und sah, wie sich Fräulein Schmidt aus der Nebenstube eifrig am Schirmständer zu schaffen machte. Augenscheinlich wollte es ihr gar nicht gelingen, ihren Schirm unterzubringen. Hansine wartete ganz ruhig, bis die Dame endlich damit zurechtkam, dann sagte sie: »Wünschen Sie etwa auch zu telephonieren, Fräulein Schmidt?«

»Ich – wieso?« Das Fräulein, das nichts zu tun hatte und jede Gelegenheit, in andrer Leute Angelegenheiten hineinzuhorchen, mit Wonne wahrnahm, verzog sich eilig.

Hansine nahm den Hörer. »Hier Hans Möwke.«

»Sehr angenehm, Herr Vetter!« antwortete es. »Ich nehme an, daß Sie ein plötzlich gewordener Bruder meiner Cousinen sind.«

»Ach so, Sie sind da? Ja, verzeihen Sie, ich dachte nur an Engel oder eine ihrer Mitschwestern. Frau Sagebiel sagte zwar … Ja, aber ich dachte, sie habe sich verhört.«

»Also, meine verehrte Cousine, ich komme mit einem Vorschlag. Was meinen Sie zu einer Elbfahrt?«

»Wozu? Ich glaube, meine Ohren sind nicht gut heute.«

»Ach ja, Sie werden schon richtig gehört haben! Ich sagte ganz genau: zu einer Elbfahrt. Wir bekommen nämlich nach der Wetterkarte beständiges Wetter mit klarem Frost, und da ist es schön am Strom. Wir könnten am Sonntag – Sonntags haben Sie doch alle drei frei?«

»Dina und ich, aber Engel, das weiß ich nicht.«

»Vielleicht läßt es sich machen. – Also wir könnten um elf Uhr mit dem Zug fahren, um zwölf in Blankenese Mittag essen – ich bitte Sie ebenso höflich wie dringend, meine Gäste zu sein –, dann machen wir einen Spaziergang am Strom, und nach dem Kaffee fahren wir zu Schiff nach Hamburg zurück.«

»Das wäre ja sehr nett, Herr Vetter, aber es wird sich nicht machen lassen.«

»Warum denn nicht?«

»Dina muß üben, und ich muß zeichnen.«

»Verehrte Cousine, am Telephon bringt man keine Ausreden vor, die verteuern nur das Gespräch. Sie meinen wohl, es sei nicht ganz passend, mit dem Vetter, den man noch so wenig kennt, einen Ausflug zu machen, sich von ihm einladen zu lassen.«

»Also, wenn Sie das so genau wissen …«

»Aber ich bin gestern abend von Brarup gekommen. Auf dem Duvenhof habe ich mir das Bild meines Ahnherrn besehen, des blonden Junkers, wie Sie sagen.«

»Ach!«

»Und ich habe mir von Ihren Eltern die Erlaubnis zu dieser Sonntagsfahrt erbeten. Sie dürfen sich mir ruhig anvertrauen. Ich werde sie alle drei sicher abliefern.«

»Ja dann!«

»Um elf Uhr auf dem Hauptbahnhof, vorn in der Eingangshalle. Auf Wiedersehen, verehrte Cousine!«

Ovedine lief in das Krankenhaus. »Engel, du mußt frei haben am Sonntag. Sieh doch zu, ach, sieh doch zu!«

»Versuchen kann ich es ja. Ich hab' meinen freien Tag in diesem Monat noch nicht gehabt, Dine. Aber wenn ich auf den Glockenschlag nicht da bin, wartet nicht bis zum nächsten Zug! Ich hab' dann eben nicht kommen können.«

Aber sie konnte kommen. Es war eine Seligkeit, einmal am Sonntagmorgen bis halb acht im Bett zu liegen, während die Nebenschwester schon um sieben auf Station lief. Ach, sich so strecken, die Decke noch einmal um sich wickeln und sich sagen zu dürfen: »Einen ganzen Tag darfst du faul sein. Einen ganzen Tag darfst du tun, was du willst. Niemand ruft und niemand schilt.« Nur wer so harte Tage hat und so strenge Zucht, der weiß, wie gut ein freier Tag schmeckt.

Um elf Uhr standen sie alle drei in der großen Vorhalle und sahen schon den neuen Vetter am Kartenschalter in der langen Reihe stehen. Er winkte vergnügt, und sie winkten wieder. Fünf Minuten später gingen sie durch die Sperre, die breite Treppe hinunter, und waren vergnügt wie Schulkinder. Ganz große Augen aber machten sie, als Hamm ein Abteil zweiter Klasse öffnete.

Dina in ihrer harmlosen Art sagte: »Das geht doch nicht! Wenn nachher der Schaffner kommt!«

Sie wurde feuerrot, als der Vetter hellauf lachte. »Der darf kommen; mit Damen fahre ich immer Zweiter.«

»Fahren Sie oft so mit Damen?« neckte Hansine. »Es klang so.«

»Mit zweien fahre ich oft, ich gebe es zu. Das eine ist meine Mutter, das andre meine Großtante.«

»Sehr brav aus der Klemme gezogen.«

»Aber ich hoffe, jetzt auch öfter das Vergnügen mit den jungen Damen zu haben, da ihre Eltern mir Neffenrechte gegeben haben.«

Engel sah ihn scharf an. »Waren Sie wirklich auf dem Duvenhof?«

»Aber, na aber, denken Sie, ich schwindle? Ich habe meinen Paß bei mir.« Er zog aus seiner Brieftasche eine kleine Photographie. »Wer ist das?«

»Ach, sieh mal, unser blonder Junker!«

»Und wo hätte ich den wohl photographiert, wenn nicht auf dem Duvenhof? Montag fuhr ich hin, Dienstag zurück. Ich hatte nur Angst, das Bild würde bei dem trüben Wetter bis heute nicht fertig. Aber da kam gestern der Sonnenschein.« Sie steckten alle drei die Köpfe darüber.

»Wer von uns bekommt das?« fragte Hansine. »Sie zeigen es uns doch nicht, um uns Heimweh zu machen und es dann wieder wegzustecken.«

»Das bekommt diejenige von Ihnen, die heute am artigsten ist.«

»Entschuldigen Sie, Herr Vetter, ich war seither immer der Meinung, Sie seien Altertumsforscher und nicht Pädagoge.«

»Alltags bin ich für alte Dinge und ihre Erforschung, Sonntags für junge Menschen und ihre Erziehung.«

Sie lachten ihn aus und fragten, wie alt er denn eigentlich sei.

Ja, das sei auch so eine Sache. Alltags zähle er vierzig, aber Sonntags in so vergnügter Gesellschaft zwanzig.

»Die Wahrheit wird also in der Mitte liegen,« meinte Dina.

»Ich schätze auf dreißig.«

»Weil Sie so brav Rätsel raten können, bekommen Sie eine Pralinee.« Aus der kleinen Reisetasche, die neben ihm auf dem Sitz stand, holte er ein Kästchen mit Schokolade. »Ich rate Ihnen zu der großen in der Mitte. Die Verkäuferin sagte, sie habe Nußfüllung.«

»Und meine Schwestern?«

»Die bekommen eine zum Trost.«

Sie waren allein im Abteil und vergnügt wie die Stare im Frühling. Solch ein Vetter, der gewissermaßen vom Himmel fiel, war eine gute Errungenschaft.

Als sie in Blankenese ausstiegen, ging Engel mit Hamm voran; doch das währte nur kurze Zeit, da hatte Hansine die Führung, und Dina hielt sich treulich neben ihr.

Über Nacht war ein leichter Schnee gefallen. Alle Fischerhäuschen waren bepudert, und zwischen den niedrigen Dächern, die sich übereinander geschachtelt gegen die steilen Hänge der alten Sandberge lehnten, wolkte Rauch. Wie lustig es sich da ging! Zur Rechten das Gitter eines winzigen, drei Schritt breiten Vorgärtchens, zur Linken das Strohdach eines solchen Hauses, die Steige so schmal, daß kaum zwei Menschen nebeneinander schreiten konnten, und alle mit glattem Stein sauber gepflastert wie eine Diele. Bisweilen gingen lange, lange Treppen hinab in die Tiefe, durchschnitten all die vielen Steige und mündeten drunten am Strand. Und dann die großen, alten Parks. Ihre Eichen und Linden standen kahl wie eine braune Zeichnung gegen den strahlend blauen Winterhimmel, auf dem oberen Astrand einen weißen Silberschein tragend. Die weiten Rasenflächen hatten noch ihr Grün. Ein wenig trüber war es als in den Sommertagen, aber die Möwen, die drüber hinschossen, blitzten weiß und schwarz in prächtigstem Federkleid wie nur je. Die großen Häuser waren zum Teil verschlossen. Vor ihren Fenstern lagen Laden, die Haustüren öffneten sich keinem Glockenzeichen. Den Winter über waren die Bewohner nach Hamburg hineingezogen. Nur im Nebenhäuschen hütete der Gärtner die einsame Herrlichkeit. Kein Park schloß sich durch Gitter und Zaun von dem andern ab. Hansische Gastfreundlichkeit stellte die weiten, grünen Räume das ganze Jahr bereitwilligst dem Publikum zur Verfügung. Jedermann konnte ungehindert durch alle Besitzungen hingehen; nur das wurde von ihm erwartet, daß er dem Hause und den Bewohnern nicht in taktloser Weise allzu nahe kam.

Sie gingen durch die langen Wege, und einmal fragte sie ein alter Gärtner, nachdem er sie eine Weile still beobachtet hatte: »Wollen die Herrschaften einmal die Gewächshäuser sehen?« Wie um sich zu entschuldigen, setzte er hinzu: »Die Herrschaft ist im Süden. Es ist eigentlich ein Jammer, daß niemand die Blumen sieht.«

Sie folgten ihm gern.

An das Wohnhaus angebaut lag der Wintergarten, und aus dem Wintergarten führte ein Gang in die Treibhäuser. Sie staunten, als sie hineinkamen. Die Palmen und Orchideen waren den Kindern des Duvenhofs wie eine Zauberwelt. Und daß die Orchideen ihre Blüten niederhängen ließen von den Ranken, und daß diese wunderlichen purpurroten und zartvioletten Gebilde mit dunklen Tupfen, die wie Gesichter aussahen, wirklich Blumen waren! Und da – ein Feigenbaum mit wirklichen Feigen!

»Aber sie schmecken nicht besonders,« sagte der Führer. »Sie bleiben ohne rechte Süße und sind sehr wässerig.«

Und in den Treibhäusern die Tulpen und Hyazinthen und Azaleen, sie standen über und über in rosa und weißen Kleidern, und die wunderbar schönen, stolzen Kamelien! Allein um diese Blumenpracht lohnte sich die Fahrt.

»Und keiner sieht das, keiner?« fragte Engel.

»Es kommt bisweilen der Geschäftsteilhaber vom Herrn Senator und sieht sich um, ob hier alles in Ordnung ist. Der geht dann auch durch die Gewächshäuser und nimmt sich ein paar Blumen mit. Sonst geht nur das fort, was auf den Friedhof kommt, zum Grab von Frau Senator, und was zu den Freunden geht, so an Geburtstagen. Da hab' ich einen langen Zettel …«

»Die Frau ist tot?«

»An Schwindsucht gestorben, schon vor zehn Jahren. Und nun ist der junge Herr auch krank geworden. Darum ist der Herr Senator mit ihm im Süden.«

Engel sah still vor sich hin. Sie als Schwester wußte am besten, was solche Sorge für einen Vater war. Hier blühte und duftete es, war alles Schönheit und Glanz und konnte doch dem Besitzer nicht eine Stunde seine Angst vergessen machen. Aber dann sagte sie – denn ihre Gedanken waren weitergeflogen – so aus diesen Gedanken heraus: »Wenn ich doch nur einmal in der Woche einen Arm voll Blumen hier aus dem Gewächshaus zu meinen Kranken tragen könnte! Wie sich da manche freuen würden!«

»Sind Sie denn Krankenpflegerin, Fräulein?« fragte der alte Mann.

»Schwester in Sankt Georg.«

»So, so?« Er sah sie nachdenklich an.

Als sie gehen wollten, bat er: »Wenn sich die Herrschaften vielleicht in das Buch schreiben wollen, das in der Halle liegt. Das tun alle, denen ich die Gewächshäuser gezeigt hab'.« Er stand neben ihnen, als sie seinem Wunsche nachkamen, und achtete genau darauf, daß Engel zuerst ihren Namen eintrug. Dann sah er sich das Buch gründlich an. Irgend etwas ging ihm dabei durch den Kopf.

Eine halbe Stunde später saßen sie in einer kleinen, sauberen Wirtschaft, die den Blick auf die Elbe hatte, und aßen Schnitzel mit Setzei und Büchsenspargel. Dazu ließ der Vetter einen ausgezeichneten Rheinwein kommen. Leider mußte er feststellen, daß die drei Cousinen den Wein nicht recht zu würdigen wußten, denn sie sagten: »Ja, der schmeckt recht gut,« aber damit war auch ihr Interesse für den goldenen Sohn des deutschen Südens erschöpft.

Von dem Fenster, an dem sie saßen, ging der Blick hinunter auf die Elbe. Es war Flutzeit. Dampfer und Segler kamen den Strom herab.

»Es kommt wieder Verkehr in die deutschen Häfen,« sagte Hamm. »Das Leben steigt aufs neue in den deutschen Adern empor, und unsre Ströme sind die Schlagadern. Da, sehen Sie doch! Da kommt ›Kap Polonia‹, der große, neue Hapagdampfer. Er geht unter eigenem Dampf.«

Der Riese der See, alle Fahrzeuge um ein Gewaltiges überragend, kam langsam und majestätisch auf den gelben Elbwogen herangerauscht. Das Wasser strudelte und ging in breiten, schäumenden Schwellungen auf, stürzte gegen die Ufer, warf sich zurück, toste und lärmte, als wollte es den Menschen und Häusern zuschreien, was für ein Held herannahe. Die Menschen hoch an Bord waren wie winzige Nippfiguren. Die breite Rauchfahne legte sich wie ein ungeheures Tuch über den Strom. Da war er vorüber.

Sie sahen ihm lange nach, wie er majestätisch, ohne die leiseste Bewegung seines Riesenkörpers, den Strom hinglitt. Draußen würden die Wellenberge sich gegen seinen Bug werfen, ihn stoßen, zerren, reißen. Er würde hinaufsteigen auf ihre grünklaren Rücken und hinabsinken in die schwarzschattenden Täler und sieghaft hingehen über Berge und Täler, auch wenn sie ihre Schaumfahnen bis zu seinen Schornsteinen warfen und die schwarzen, heißen Schlote mit weißen Salzkristallen zeichneten. In fernen Häfen würde seine gewaltige Stimme erschallen und den fremden Völkern in die Ohren rufen: »Deutscher Fleiß, deutsche Ausdauer! Wir sind zwar niedergeworfen, denn es standen zehn gegen einen, aber wir sind auch wieder aufgestanden. Wer von euch hätte uns das nachgemacht?«

Die vier am Fenster, die ihm nachschauten, fühlten alle etwas Heißes im Herzen.

Noch war Winter, aber einmal kam der Lenz und die Auferstehung. Alle drei Schwestern sahen Hamm an. Ja, er war doch ein wirklicher Vetter; wenn auch nur wenig Blutstropfen noch Art von Art sein mochten, der Geist war der gleiche.

Engel sagte lächelnd: »Es ist recht gut, daß Sie uns aufgefunden und die alte Verwandtschaft erneuert haben. Ich glaube, wir werden uns verstehen.«

»Das Gefühl hatte ich auch schon, als ich Ihre Schwestern auf der ›Nikoline‹ kennenlernte. Man spürt den verwandten Wesenszug. Darum suchte ich in Hamburg die nähere Bekanntschaft. Und nun wollen wir uns versprechen, uns nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Das hätte zwischen den Familien überhaupt nicht sein sollen.«

»Aber die lange Zeit!« meinte Dina.

»Und die Entfernung,« setzte Engel hinzu.

Da wurde Hansine ernst. »Das wäre es nicht gewesen. Was dazwischen lag, war das andre, das Traurige und Harte.« Sie sah Hamm an. »Wissen Sie darum?«

»Ja, ich weiß es. Es ist eine sehr traurige Tat geschehen. Doch der, der sie beging, ein Bruder meines Großvaters, hat sie mit dem Tode für sein Land gesühnt.«

»Aber was die Tat veranlaßte, das lag tiefer als nur ein Streit beim Wein. Das war der Widerstreit zwischen zwei Weltanschauungen.«

»Der ist im deutschen Lande immer gewesen. Aber jetzt darf er nicht mehr sein. Vor einem halben Jahrtausend schlugen sich Ritter und Bauern in blutigen Schlachten die Köpfe entzwei, statt als gemeinsamer Stamm zusammenzuhalten gegen den äußeren Feind. Später schlugen sich junge Menschen im ernsthaft gemeinten Duell, und nur wenn die Not an den Grenzen wie eine Sturmflut drohte, standen sie zusammen und wußten: Wir sind ein Volk und ein Blut. Aber wenn jetzt wieder andre Zeiten kommen, muß jeder Standesunterschied begraben sein. Nur das Bewußtsein muß bleiben, daß wir Brüder sind, daß wir auch die Brüder derer sind, die jetzt so tun, als wäre das Heil nur im Ausland und ›international‹ sei das große Segenswort der Zukunft.«

»Ich hasse alles, was so redet,« sagte Hansine in ihrer scharfen Weise.

»Suchen Sie lieber zu verstehen! Sehen Sie diese Leute an wie Schwerkranke! Sie sind von der Zeit in ein Fieber geworfen worden, das sie nicht loswerden können, noch nicht. Aber die Zeit kommt auch noch einmal.«

»Sie sind ein Optimist.«

»Wenn Vertrauen zu meinem Volk Optimismus ist, ja, dann bin ich einer. Aber Optimismus ist: an das Unwahrscheinliche glauben. Ich glaube an das, was nicht nur kommen kann, nein, was kommen muß. Wie oft haben wir am Boden gelegen, tiefer noch als jetzt! Wie uneinig und zerfahren sind wir gewesen! Und jedem Niedergang ist ein höherer Aufstieg gefolgt. Das kommt so sicher, wie auf die Ebbe die Flut folgt.«

Hamm und die drei Schwestern saßen eine ganze Weile schweigend da. Draußen folgte ein Schiff dem andern. Sie gingen ein und aus über den stolzen Strom und trugen Leben hinaus und Leben herein, und die Männer, die sie führten – ob es nun große Kapitäne waren oder nur kleine Finkenwerder Fischer – alle waren tapfere, starke Leute, gesund an Leib und Seele. Und in jedem einzelnen war der unbeirrbare Wille: Kopf hoch!

Zwei Stunden später fuhren sie nach Hamburg zurück. Es war bitter kalt auf dem Dampfer, aber sie hatten sich gut mit warmer Kleidung versehen, und außerdem: holsteinische Kinder sind kein verweichlichtes Geschlecht.

Es dunkelte schon, als Hamburg auftauchte. Tausende und aber Tausende von Lichtern flimmerten ihnen entgegen. Über der dunklen Silhouette des Hafens stand der lichte Schein, der jede Großstadt überflammt, und als sie dicht an die Anlegebrücke herankamen, sahen sie wie einen ungeheuren dunklen Riesen gegen dies Licht den Roland stehen, den Wächter des Hafens, der alle Häuser überragt, und der die Züge des Mannes trägt, der vor mehr als fünfzig Jahren das einige Reich geschmiedet hatte. Was sterblich war an ihm, das ruht drüben im Sachsenwald unter tausendjährigen Eichen, aber sein Geist wirkt weiter in dem jungen Geschlecht: deutsch sein, deutsch bleiben!

Als sie sich trennten und »Auf Wiedersehen!« sagten, kam es allen aus dem Herzen.

Engel schien es, als ob Hamm bei dem Wort Hansine besonders herzlich ansähe; die aber verzog keine Miene.


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