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Frau Hansine hatte manchen Abend an den Erinnerungen des Hofes und ihrer Kinderzeit geschrieben. Tagsüber ließ sie das Leben auf dem Hof und die viele Arbeit nicht dazu kommen, besonders als Weihnachten heranrückte und sie für viele Menschen zu denken und zu sorgen hatte.
Der Winter war bis dahin mild gewesen. Novemberstürme hatten zwar, wie in jedem Jahr, die See gegen den Deich gejagt, und die grauen Wasserwölfe rasten und brüllten vor dem festen Riegel, der ihnen das Land sperrte, dem sie so gern den Garaus gemacht hätten. Doch Novemberstürme waren selbstverständlich. Sie taten wohl hier und da ein wenig Schaden am Deich, aber an jedem stillen Tag besserten ihn die Arbeiter wieder aus, und Sorge machte sich keiner.
Im Dezember kam Frost. Erst tat der Winter, als spiele er nur so ein bißchen mit seinen Eiskünsten. Dann verhängte er an einem Nachmittag die ganze Welt mit seinem Nebel, der eisig durch alle Ritzen drang und wie Rauch über dem Deich und der See stand. Draußen die Möwen auf den Holzpflöcken der Buhnen wurden in dem täuschenden Dunst zu ungeheuren Alken. Kamen sie an den Deich geflogen, so schienen Flugzeuge heranzubrausen, bis dann plötzlich vor dem Fuß sich etwas Weißes niederließ, mit dem Schnabel durch das Gefieder strich und nichts war als ein harmloses Strandläuferchen.
Günter Röder-Möwke, der Herr vom Duvenhof, kam in seinen hohen Stiefeln, die Beinkleider in die Stiefelschäfte hineingeschoben, den Deich entlang und sah solch einen Seeboten dicht vor sich auftauchen. Die zierliche Möwe hatte einen Fisch im Schnabel, den sie verspeisen wollte; doch bei dem Anblick des großen zweibeinigen Wesens schwang sie sich schreiend wieder empor und ließ die Beute liegen. Langsam stieg der Mann am Deichhang nieder. Es war Ebbezeit. Das graue, schlickige Watt dehnte sich weit hinaus, nur einzelne Lachen und rinnende Priele waren noch voll Wasser. Aber es war keinem Uneingeweihten zu raten, sich vom sicheren Ufer zu entfernen. Dieser Nebel beirrte auch den Wegkundigen, und wer sich verirrte da draußen, der versank in der Flut, wenn sie in breiten Wogen heranjagte und alles in ihrem kalten Schoße begrub.
Ein Riese tauchte auf vor dem Hofbesitzer. Einem Geist der Urzeit gleich, eine ungeheure Waffe über die Schulter gelegt, wuchs sein dunkler Schatten durch das Grau heran, bis er kleiner und kleiner wurde und als Fischer Mews zu erkennen war, der ein Ruder trug. Er machte halt und nickte einen Gruß.
»Tja, Mews, das ist ein dreidoppelter Nebel, der uns heute beglückt! Wenn der so beibleibt, gibt es viel Unglück auf See.«
»Der Paster läßt ja all die Glocken gehen,« antwortete der Alte.
Sie lauschten. Langsam und schwer kamen Glockentöne durch die Luft. Aber sie kamen, als wären sie in Watte gewickelt und erstickt von solcher Hülle.
»Das hören sie draußen gar nicht,« sagte Mews.
Und wie sie noch standen und die dumpfen Klänge aus unbekannten Weiten, bald ferner, bald näher, bald aus der See, bald vom Lande zu kommen schienen – denn der Nebel irrt nicht nur das Auge, sondern ebensosehr das Ohr –, da krachte ein Schuß.
Unwillkürlich zählte der Fischer. »Eins, zwei – acht, neun, zehn.« Und wieder das dröhnende Böllern. Abermals: »Eins, zwei« bis zehn. Da kam es zum drittenmal.
Landrat Grävenitz hatte die Warnungsschüsse lösen lassen. Die würden nun alle halben Stunden sieghaft den dicken Qualm durchbrechen, rufend, mahnend, mit ihrer hallenden Stimme den Schiffern draußen im Wattenmeer zubrüllend: »Hier ist Land. Hier ist alles voll Untiefen. Hier paßt auf Steuer und Senkblei auf!«
»Sind welche draußen?« fragte der Hofbesitzer, denn bei Ebbe segelt kein Schiffer. »Warum gehen die Schüsse?«
»Teten Wegner und Harm Sörensen sind auf Krabbenfang. Sie dachten, es bleibe klar, und wie sie 'ne Viertelstunde weg waren, ging der Nebel los.« Der Alte wies auf sein Ruder. »Ich bin all den Priel lang gegangen« – er deutete auf einen Wasserlauf, der seit Jahren die gleiche Richtung hielt, denn in ihm strömte das Wasser der Braruper Wiesen, wenn sich bei Ebbe die Schleuse öffnete, der See zu – »ich dacht', ich fand' sie am Ende. Ich hab' so viel gerufen, aber das hört ja kein Mensch bei der dicken Luft.«
Über ihren Häuptern hallte wieder die Kirchenglocke in langen, dumpfen Tönen.
»Wenn die Flut kommt, setzt Wind ein, dann wird es heller,« sagte Röder vor sich hin.
»Wenn die Flut kommt, kann denen das Hellwerden nichts mehr nützen.«
Da schrien irgendwo im Watt zwei Möwen, die eine gellend einsetzend, zuerst allein drei scharfe Schreie, dann beide zusammen abermals dreimal. Fischer Mews hob die Hand, als wollte er sagen: »Nu mal kein Wort!« Sein grauer Kopf neigte sich vor, seine eingesunkenen Augen, grün wie die See, die ihn wiegte, bohrten sich förmlich in die treibenden Dunstwolken. Wieder drei einzelne gellende Möwenschreie und dann drei andre, von zwei Vögeln zugleich ausgestoßen.
»Das sind sie.« Und beide Hände wie einen Schalltrichter vor den Mund legend, gellte er Antwort, siebenmal.
Darauf warteten beide Männer. Sie hielten den Atem an, als könne schon der leise Hauch des Mundes jenen Ruf der Ferne überklingen. Würden die zwei, die da im Watt umgingen, die rechte Richtung erfaßt haben?
Es schien ferner herzukommen, als die beiden Rufer zum drittenmal ihren Schrei erklingen ließen. Ehe Mews Antwort geben konnte, krachte wieder ein Böllerschuß, ein zweiter, ein dritter. »Dem Himmel sei Dank! Der Landrat weiß, daß welche draußen sind. Er läßt alle drei Minuten schießen. Sie können gar nicht so sehr weitab sein; aber es wird auch Zeit, daß sie 'rankommen.«
Im Nebel begann ein Quirlen und Drehen. Fern im Westen war der Wind wach geworden, der die neue Flut heranjagte. Wallen und Sieden war in dem weißen Rauch. Bald schien er sich zu heben, dann sank er doppelt dicht über Deich und Strand. Seine Nässe hing den Männern im Haar, im Bart, lag wie tausend graue Perlen auf ihren Mänteln. Der Hofbesitzer schauerte vor Frost zusammen, aber sie standen unbeweglich und lauschten und warteten. Jäh schreckten sie zusammen. Ganz dicht vor ihnen hatte wieder eine Möwe eingesetzt; sie mußte keine hundert Schritte mehr entfernt sein vom Deich, mußte schon fast das Vorland erreicht haben. War das ein Tier gewesen oder ein Mensch? Und es wuchs dunkel auf aus dem brauenden Gewoge, eine dicke, hohe Masse. Sie teilte sich und nahm Formen an: zwei Menschen. Da traten sie heraus aus der Wand, gewannen Gestalt, bekamen Gesichter.
»Na, da seid ihr ja!« sagte der alte Mews. »Wir dachten all, das könnt' euch schlecht bekommen. Habt ihr denn was gefangen?«
»Och ja! Geht an. Erst sind wir am Priel langgegangen und denn 'rüber nach Plattensand und denn schräg auf das Wrack zu. Aber der Strom muß 'ne neue Rinne ausgewaschen haben, denn da ging ein breiter Wasserlauf. Beinah haben wir uns verlaufen. Läßt der Landrat wegen uns schießen?«
Sie gingen zu vieren am Deich hoch, und als sie droben waren, sahen sie über sich hin und wieder schon blaue Himmelsfetzen, denn droben blies der Wind in das Grau hinein; unten aber über dem Watt lag es noch dick und würgend, und man hörte in dem Grund schon das Aufrauschen nahender Wellen.
»War Zeit, daß ihr 'rankamt,« sagte Mews.
»Das war's woll,« stimmten sie bei.
Weiter machten die Fischer keine Worte über die Sache. Sie waren beide alte Einspänner, hatten nicht Weib noch Kind, lebten zusammen in ihrer Hütte tausend Schritt hinter dem Deich, nicht weit vom Fuß jener Höhe, auf welcher der Duvenhof lag, und es wartete niemand daheim auf sie. Nun würden sie sich den Kaffeetopf an das Torffeuer setzen und die nassen Röcke über den Herd hängen und eine Pfeife anzünden mit dem Tabak »Rauch du ihn!«, den kein andrer Mensch riechen konnte, ohne Stickanfälle zu bekommen, und dann würde Teten sagen: »Grad so 'n Nebel hatten wir mal vor Lappland,« und würde danach fünf Minuten schweigend weiterschmauchen. Und nach fünf Minuten würde Harm die Pfeife im Mundwinkel hängen lassen und durch die Zahnstummel murren: »Aber der bei Tromsö damals war noch ein gut Teil dicker.« Mehr Unterhaltung brauchte es nicht zwischen ihnen, denn sie hatten alle Fährnisse eines langen Schifferlebens zusammen durchgemacht, und jeder wußte, was der andre dachte.
Günter Röder aber wanderte am Deich hin, und der alte Mews wanderte mit ihm, denn er wollte etwas von dem Hofbesitzer. Sein Boot war nicht mehr seetüchtig, und wenn zum Frühling der Fischfang wieder losging – jetzt war ja wenig zu holen –, dann würden die alten Planken auch trotz allem Flicken und Teeren nicht mehr zusammenhalten. Er setzte es dem Herrn auseinander. »Denn was soll so 'ne alte Wasserratte anders anfangen, Herr Röder? Wenn ich nicht auf See sein kann, freut mich das ganze Leben nich mehr.« Er machte eine kleine Kunstpause. »Und wenn sich da einer fänd', der mir hundert Taler leihen wollt' – etwas hab' ich ja auch noch, und alles brauch' ich Bootsbauer Helms nich gleich zu bezahlen …« Wieder die wartende Pause.
»Mews,« sagte Günter Röder, »wenn ich nun nein sag', denkt Ihr, der reiche Kerl ist bloß geizig. Der könnt' wohl, der will nur nicht. Aber mir ist es auch schändlich knapp im Augenblick. Der Hof ist nicht mehr, was er war. Ihr wißt, daß voriges Jahr der Kuhstall abbrannte. Als das Geld endlich von der Versicherung ankam, war es so gut wie ganz entwertet. Das waren nicht mehr Pfennige an Wert, als es Mark sein mußten. Ich sitz' selber bei der Bank in Meldorf böse drin. Dieser Sommer soll mich herausholen, hoff' ich, wenn es ein guter Sommer ist. Die Töchter in Hamburg kosten auch ein gutes Stück Geld …« Er schwieg und sah nachrechnend vor sich hin.
Seit Hunderten von Jahren waren die Leute in Brarup in dem Gedanken aufgewachsen: wenn uns der Schuh drückt, gehen wir zum Duvenhof. Und die Duvenhofer waren immer bei der Hand gewesen. Nun hatten die Landleute zwar reiche Jahre gehabt seit dem Kriege, aber niemand wußte, was vom Duvenhof fortgegangen war an Darlehen und Geschenken. Plötzlich war alles entwertet, was in Papieren und auf den Banken gelegen hatte, und ob von den vielen Darlehen je etwas den Rückweg finden würde, das war sehr fraglich; eigentlich war es so gut wie sicher, daß nichts wiederkam. Er hätte Mews gern geholfen, ja, wie gern!
»Och, Herr Röder,« sagte lachend der Fischer, »wenn man Sie reden hört! Man sollt's beinah glauben. Na, ich frag' heut nicht mehr, ich komm' eins wieder 'ran, wenn Sie Ihre Fettschweine verkauft haben. Schweinefleisch hat immer noch en guten Preis. – Wann kommen denn die Duven nach Hause?«
»Ja, ich weiß auch nicht, Mews. Hansine und Ovedine, die werden wohl zum Fest kommen; sie können ja reisen. Aber Engel? Voriges Jahr war sie auch nicht da. Krankenschwestern sind nicht ihr eigener Herr. Und in den großen Krankenhäusern wird auf solche junge Schwester keine Rücksicht genommen. Sie sind da siebenhundert Schwestern ohne die Wärter und Wärterinnen; da ist der einzelne nur eine Nummer.«
Mews schüttelte sich. »Da kann einem gräsen werden, wenn man sich das denkt. Immer kranke Leute und immer kranke Leute! Huha! Ich hab' mal in Riga im Spital gelegen, als ich noch Steuermann war; nee, einmal und nicht wieder! Lieber in der Koje, so eng es da ist! Sie hätten das gar nicht leiden sollen, Herr Röder, daß die Engel so 'n Gewerbe angefaßt hat.«
»Dabei läßt sich wenig machen, Mews. Heutzutage kann man die Töchter nicht mehr alle daheim behalten. Und wenn man es könnte, sie mögen nicht mehr. Sie wollen alle aus dem Nest und das Fliegen lernen. Da muß man sie den Beruf wählen lassen, der ihren Wünschen und ihrem Können entspricht. Die Hauptsache ist, daß sie brav bleiben und was Rechtes werden.«
»Na ja,« sagte Fischer Mews, aber sein Ja klang wie ein inwendiges Nein. Er verstand den Duvenhofer nicht. Wo der doch der Vater war und einfach ein Machtwort reden konnte. Ja, sie, die kleinen Leute, die mußten ihre Kinder in Dienst schicken, daß sie Brot hatten, aber einer, der, wie Röder, doch alle Tage noch zu essen für sie hatte, wenn der jetzt auch tat, als wären da Sorgen … Aber es bleibt immer eine Kluft zwischen den Ständen; man versteht sich nicht.
»Soll mich wundern, Herr Röder,« wechselte Mews das Gespräch, »wann die ›Nikoline‹ ankommen wird. Ob sie bei diesem Nebel überhaupt von Hamburg abgefahren sind? Das war schon bannig diesig heute früh. Wenn das all hier so is, denn is auf der Elbe, wo der viele Qualm noch dazukommt, rein nichts zu sehen.«
»Sie werden wohl nicht gefahren sein,« sagte Röder. »Sauerbier ist ja ein zuverlässiger Mann.« Er machte sich keine Sorgen um den alten Kasten. Der fuhr seit neunzehn Jahren dreimal wöchentlich die Strecke von Hamburg nach Lilebüll, dem kleinen Anlegeplatz da an der Küste, und er fuhr nur, wenn Sauerbier für die Fahrt einstehen konnte, denn der Schaden wäre im Verhältnis zum Gewinn zu groß gewesen. So aufregend war der Handel am Deich nicht, daß die ›Nikoline‹ nicht auch einen Tag später landen konnte.
Der Nebel, der so getan, als wolle er sich verziehen, hatte sich anders besonnen. Er zog seine dichten, nassen Tücher wieder eng um die Küste. Es wurde eisig kalt, und Röder war froh, als er sein Dach erreicht hatte.
In der Küche, er kam durch die große Hintertür des Hauses, war viel Leben. Frau Hansine und drei Mädchen rollten die braunen Kuchen zu Weihnachten aus; dann trugen sie diese hinüber in das Backhaus, wo die Mamsell am heißen Ofen stand und die Platten regierte. Das ganze Haus roch nach Zitrone und Sirup, nach Gewürzen und schmelzender Butter, und als er einen Blick in die Küche warf, standen da schon die großen, rosinengespickten Topfkuchen, das einzige Gebäck, das er selber liebte.
»Na, Mutter,« sagte er und trat neben seine Frau, die heiße Backen hatte, »heute abend wirst du müde sein. Ist das ein Nebel draußen! Sei froh, daß du deine Arbeit im Hause hast!«
»Ach, Günter, ich weiß nicht, mir ist heute gar nicht behaglich? So eine Unruhe hab' ich; ich kann gar nicht die Gedanken bei meinen Kuchen haben. Es wird doch nichts mit den Kindern sein?«
»Was soll wohl mit den Kindern sein? Morgen hast du sie alle hier, und sie lachen deine Sorge aus.«
»Ordentlich schwer liegt es mir auf der Brust.«
»Das ist die dicke, eisige Luft. Die dringt selbst in die heiße Küche.«
»Als Hansine damals gefallen war und sich den Fuß verstaucht hatte, war mir auch so. Glaub' mir, eine Mutter fühlt das, wenn ihre Kinder in Not sind und nach ihr verlangen.«
»Vielleicht sind sie wieder mit ihren Moneten zu Ende, und das quält sie. Morgen kommt ein Telegramm: Bitte schnell dreißig Mark schicken!«
»Wenn es weiter nichts wäre!«
Die Mamsell schickte um frische Platten. Die Arbeit ließ keine Zeit zum Grübeln, und Frau Hansine warf nur immer einmal einen Blick aus dem Fenster, vor dem der Nebel wie eine dicke Mauer stand, die alles, was dahinter war – und wie viel von ihrem Herzen wohnte dahinter! – in Kälte und Dunkel hüllte. –
Alle Kuchen waren gebacken. Die Uhr zeigte auf halb fünf. Draußen sank die Dunkelheit, und die Frau vom Duvenhof stieg in ihre Giebelstube, das Licht am Fenster anzuzünden, wie sie es seit langen Jahren tat. Bei diesem Nebel war es zwar wirkungslos. Tausend Schritt vom Hof sah man den starken weißen Schein nicht mehr; doch es konnte klar werden in der Nacht, und dann – sie wollte die alte Überlieferung aus Sorge um die Schiffer draußen auf See auch nicht einen Tag unterbrechen.
Als sie wieder niedergestiegen war, stand unten auf dem Flur einer von den alten Fischern, die eben ihrem Manne am Deich begegnet waren, als die Warnungsschüsse sie aus dem Watt zurückgelockt hatten, und der Alte sagte: »Frau Röder, auf dem Steinsand sitzt der Dampfer fest. Die alte ›Nikoline‹ ist da aufgelaufen. Sie gibt Signale. Vorhin kam mal ein bißchen Luft in den Nebel, da sah man Raketen steigen. Und einmal war uns das so, als schössen sie. Ich wollt' man Bescheid sagen, damit ans Amt Brarup telephoniert wird und nach Lilebüll. Der Schlepper soll 'rausgehen. Allein kommen sie nicht wieder ab. Der Steinsand hat zähen Klei.«
»Ist es denn sicher die ›Nikoline‹?«
»Wird sie schon sein. Sonst wüßt' ich nicht, wer da heut 'rumfahren sollt'.« Der alte Seebär hatte alle Küstenschiffe fest im Kopf und kannte jede Strecke und jede Fahrzeit von jedem unter ihnen.
»Wollt Ihr einen kleinen Schluck, Harm?«
»Kann nich schaden, Frau Röder. Teten macht schon unser Boot fertig; wir wollen gleich mal 'rüber.«
»Es ist ja keine Spur von Wind; ihr müßt rudern.«
»Tja, 'ne gute Stunde wird's dauern, bis wir 'ran sind. Na, danke, der war gut! Geht einem ordentlich bis in die Knochen. Denn will ich man wieder 'runter an'n Deich.«
Er schob sich aus der Haustür, und Frau Hansine ging schnell in die Stube ihres Mannes. »Du mußt telephonieren, Günter, nach Brarup und Lilebüll! Die ›Nikoline‹ scheint am Steinsand festgefahren zu sein. Harm war eben hier.«
»So? Wie kann Sauerbier das vorkommen! Na, ich telephonier '. Sag' Kofahl« – das war der Pferdeknecht – »er soll Ajax aufzäumen! Ich reit' gleich nach Lilebüll.«
»Willst du mit hinaus?«
»Natürlich. Bis der Schlepper Dampf auf hat, bin ich da.«
Drei Minuten später war in Brarup und Lilebüll alles auf den Beinen und rannte zum Deich, obgleich kein Mensch etwas sehen konnte, und Günter Röder saß auf seinem Fuchs und jagte den Deich hin nordwärts nach Lilebüll, den Schlepper S 7 noch zu erwischen, ehe er hinausging in die See.