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Siebzehntes Kapitel.
Die Trummers

Der große Konzertsaal strahlte in Licht, und eine auserlesene Gesellschaft füllte ihn, obgleich es nur ein Schülerkonzert zu hören gab. Aber Professor Paegelow galt etwas in der Hamburger Musikwelt, und dann stammten seine Schülerinnen aus der ersten Hamburger Gesellschaft. Alle Freunde und Verwandten kamen, um die jungen Menschen zu hören, zu bewundern und über Gebühr zu loben.

Als Engel und Hansine eintraten, stand dicht am Eingang hinter einer Säule Adolf von Hamm. »Ich habe hier auf Sie gewartet,« sagte er. »Zwar habe ich strengen Befehl, nicht hier zu sein. Da ich es doch bin, muß ich wenigstens, dem kleinen Veilchen gleich, im verborgenen blühen.«

»Wir bleiben auch hier hinten,« sagte Hansine. »Unsre Eltern sind nämlich gekommen, sie sind nur noch in der Kleiderablage, und wenn Dine sie sieht, kommt sie aus dem Text. Darum haben wir unsre Plätze ganz im Hintergrund genommen.«

Die Möwkes kamen und begrüßten den Neffen, und Hansine fragte erstaunt: »Was – ihr duzt ihn?«

»Ja, er hat sich Neffenrechte ausgebeten, und warum sollten wir sie ihm nicht gewähren? Wir haben nicht viele Verwandte, mit denen wir noch in Verbindung stehen. Wer sich zu uns bekennt, zu dem bekennen wir uns auch.«

»Ja,« sagte Hamm und sah Hansine lächelnd an, »Ihre Eltern und ich, wir haben so einen kleinen heimlichen Bund miteinander geschlossen, so eine Art Freimaurerei.«

»Ach, ich bin nicht neugierig! Es wird schon an den Tag kommen.«

Das Zeichen zum Beginn wurde gegeben. Stille legte sich über den menschengefüllten Saal.

Hinterher gestanden sich Eltern und Schwestern, daß sie viel zu wenig von allem gehört hätten, was geboten wurde, weil ihre Gedanken immer im Künstlerzimmer waren, wo Dina dem Augenblick entgegenzitterte, der sie selber auf das Podium rief.

»O wie süß!« Hansine hörte deutlich die Worte in ihrer Nähe, als die Schwester erschien. Wie ein Kind wirkte Dina mit der zierlichen Figur, den kurzen Locken und dem reinen, jungen Gesicht. Sie trug ein ganz schlichtes, weißes Seidenkleidchen – die Schwester hatte es ihr gearbeitet –, ein weißes Band als Gürtel, und nur drei wunderschöne helle Rosen gaben der Kleidung Farbe. Die Rosen hatte Engel gebracht. Ein großer Zauber ging von Dina aus. Man sah in der Großstadt selten eine so unberührte Lieblichkeit.

Beide Schwestern kniffen unwillkürlich die Daumen ein. Dann lauschten sie auf. Ganz weich und leise setzte die Geige ein. Nun begann sie zu singen. Sie jubelte hellauf, tanzend gingen die Klänge durch den Saal, lachten, neckten sich, starben hin zu leisem Geflüster und jauchzten wieder empor. Dina schien die ganze Welt zu vergessen. Sie spielte, wie sie daheim noch nie gespielt hatte, und als sie sich am Schlusse verneigte, ging brausender Beifall durch den Saal. Freilich mochte es ebensosehr der jungen Künstlerin persönlich wie ihrem Spiel gelten. Wieder und wieder rauschte der Beifall auf, man erwartete, das junge Mädchen hervorkommen zu sehen, aber Ovedine kam nicht wieder.

Hans stand leise auf und schlich sich, als eine andre Dame auftrat, hinaus aus dem Saal in das Künstlerzimmer.

Es war voll dort, aber sie fand doch gleich die Schwester, denn sie hörte Professor Paegelows tiefen Baß: »Na, so was! Dinekind! Es ist doch alles glänzend gegangen.« Die Worte leiteten sie, daß sie sich durch die Versammelten drängte, und da fand sie Dina auf einem Sessel in der Ecke hockend, in Tränen, schluchzend und lachend in einem Atem.

»Aber Dine, was ist denn los?«

»Die Nerven,« sagte eine Dame.

»Nerven?« fragte Hans mit der ganzen Verachtung des gesunden Naturkindes. »Nerven haben wir Schwestern im Leben noch nicht gehabt.« Sie legte den Arm um die Kleine. »Ist dir nicht wohl, Lüttje?«

»Ich hab' mich so schrecklich geängstigt, Hans. Ich hab' mich rein tot geängstigt.«

»Ach wo! Du bist noch ganz lebendig.« Und leiser: »Dine, schäm' dich doch, hier vor den fremden Leuten zu heulen!«

»Ich heul' nicht,« sagte die Kleine empört, und ihre Empörung gab ihr Fassung. »So« – sie wischte sich die Tränen vom Gesicht –, »nun bin ich wieder ruhig.« Doch als sie aufstand, zitterten ihr die Knie, und sie mußte den Arm der Schwester nehmen. »Du weißt nicht, wie das ist, Hans,« murmelte sie. »Du sollst da vor all die vielen Menschen hintreten, dich anstarren lassen und noch spielen dazu. Ich hab' die Zähne so zusammengebissen …«

»Du hast glänzend gespielt, Dine,« sagte Hans.

»Schauderhaft hab' ich gespielt, ganz mechanisch.«

»Red' doch keinen Unsinn! – Hör' mal! Da beklatschen sie deine Nachfolgerin. Nun ist es zu Ende, nicht?«

»Ja, nun ist es zu Ende.« Leise setzte sie hinzu: »Für mich ist es für immer zu Ende. Ich spiel' nie wieder im Konzertsaal.«

»Wollen es abwarten. Nun komm nur! Hast du deinen Mantel? Sag' deinem Professor Lebewohl! Die Eltern warten schon draußen.«

»Die Eltern?«

»Denkst du wirklich, die wären nicht zu deinem Fest gekommen? Dina, du bist harmlos!«

Es wurde ein vergnügter Abend, als sie alle – der Vetter schloß sich wie selbstverständlich an – in Jalands Restaurant saßen und der Vater ein gutes Abendessen und einen deutschen Sekt bestellte. »Wir müssen doch den ersten Triumph unsres Kükens feiern!«

Sie tranken ihr zu, und Dina mit ihrem liebenswürdigen Lächeln ging auf alle Scherze und guten Worte ein. Doch in ihr blieb unverändert der eine Gedanke: »Ich kann nicht Künstlerin werden. Es ist da etwas in mir, das überwinde ich nicht. Ich würde krank daran, sollte ich so Abend für Abend hinaus vor die Menschen. Wir Möwkes sind eben zu sehr Naturvögel, wir können nur in Freiheit und Einsamkeit singen; der Konzertsaal ist ein Käfig für uns.«

Aber sie sprach an diesem Abend nicht mehr davon. Sie sprach auch nicht davon, als sie in ihrer Pension mit Hansine allein war, denn sie wußte, deren Gedanken kreisten um die eigenen Sorgen.

Die Preisarbeiten waren abgeliefert, und am nächsten Tag sollten sie in der Schule ausgestellt werden. Wie würden die andern Entwürfe sein? Es war doch wohl keine da, die so viel Einfälle hatte wie sie, Hansine Möwke. Aber trotzdem sie das wußte, fieberte die Unruhe in ihr. Konnte es doch sein, daß eine andre den ersten Preis bekam?

Am andern Morgen sprach sie kaum, und die kleine, feinfühlige Dina berührte ihre eigenen Angelegenheiten nicht mit einer Silbe. Sie sorgte nur, daß Hansine ihren Kaffee trank und daß sie wenigstens einen Zwieback aß. Als sie ging, rief Dina ihr heiter nach: »Hals- und Beinbruch, mein alter Hans!«

Die rannte förmlich durch die Straßen und kam um zehn Minuten zu früh vor die Tür der Schule. Es war aber andern ebenso gegangen. Und als sie zusammenstanden und jede sich selber kleinmachte und die andern dagegen auf den Schild hob, wie es bei solchen Gelegenheiten Brauch ist, kam als letzte ein kleines, ältliches Fräulein, das erst vor drei Wochen eingetreten war und sehr allein zwischen all der Jugend still und bescheiden vor seinem Zeichenbrett gesessen hatte. Man hatte sie kaum beachtet und sich nur gewundert, daß auch sie sich am Preiszeichnen beteiligte, da man ihr nichts zutraute.

Nun ging das kleine Fräulein ganz still hinter der jungen, erregten Mädchenschar her, hinein in das Haus.

Zwei Stunden später kam Hansine schon wieder heim.

Als Dina ihr Gesicht sah, wußte sie genug. »Aber mein Hans! Aber mein alter lieber Hans, was ist denn?«

»Was ist? Nichts ist. Nur das ist, was ich dir immer gesagt habe. Ich kann nichts. Durchgefallen, elend durchgefallen.«

»Das ist ja gar nicht möglich.«

»Unmöglich, aber wahr. Da ist ein kleines Fräulein gekommen, das saß immer still und ängstlich in seiner Ecke, Fräulein Megge, und wir dachten: Was will die eigentlich hier? – Die hat das Beste geliefert, die hat den Preis.«

»Ist denn darüber schon abgestimmt? Ich denke, das dauert acht Tage.«

»Ja, bis die Entscheidung herauskommt. Aber wir wissen doch schon, wie sie ausfallen wird. – Na, es ist gut, daß die Eltern gestern spät noch gereist sind. So muß ich denen nicht auch gleich sagen: Eure Tochter hat sich blamiert; hatte so große Rosinen im Kopf und ist so gründlich von einer andern geschlagen worden.«

»Dein Entwurf war doch so wunderschön! Was sagten denn deine Kameradinnen?«

»Was sollten sie groß sagen? Sie fanden ihn zuerst auch sehr schön und meinten, ich bekäme den Preis. Dann sahen sie die beiden andern – da war nicht mehr viel zu reden.«

»Die beiden andern?«

»Ja, Fräulein Megge hat gleich zwei ausgestellt: weißer Mohn auf mattblauer Seide und violette Orchideen auf Silberspitze. Raffiniert schön, das Schönste, was ich sah; das kann ich gar nicht leugnen. – Und nun kam es auch heraus. Sie ist schon eine Künstlerin, aber sie muß ihre alten Eltern mit durchbringen. Die Blumenmalerei als solche ernährt sie jedoch nicht, darum geht sie in das Kunsthandwerk und will ein Jahr die Kunstgewerbeschule besuchen, um die Prüfung zu haben. Sie meint, das helfe ihr. Und der Preis ist ja freie Schule. Das kann sie brauchen.«

»Dann gönn' es ihr, Hans!«

»Ich gönn' ihr den Preis und alles, aber ich gönn' es ihr nicht, daß ich so viel schlechter bin als sie.«

»Was sie ist, wirst du werden.«

Hansine warf den Kopf in den Nacken. »Es war zu gräßlich: diese Blicke von den andern, die einen mitleidig und die andern schadenfroh!« Sie stieß einen Stuhl, den sie umklammert gehalten, hastig von sich. Die möwkesche Heftigkeit kochte ihr im Blut.

»Mein Hans, sei doch gut, mein alter Hans!« Dina legte den Arm um den Nacken der Schwester.

Aber Mitleid war etwas, was Hansine am wenigsten ertrug, auch von den liebsten Menschen nicht. »Laß mich bloß in Ruhe!« Heftig wie eben den Stuhl, stieß sie jetzt die Schwester zurück.

Dinas Arm fiel nieder, sie glitt aus von dem Stoß, knickte in die Knie und brach mit einem Schmerzensschrei zusammen.

Für einen Augenblick war es ganz still in der Stube. Hansine würgte an ihrem Zorn. Dann fiel es ihr wohl auf, daß Ovedine kein Wort mehr sprach; sie blickte sich um und sah die mit kalkweißem Gesicht am Boden. Schnell, wie die Gefühle bei ihr wechselten, folgte dem ersten Zorn die Reue. »Dine, hast du dir weh getan? O verzeih doch! Das hab' ich nicht gewollt. Mach' doch die Augen auf! Dine, liebste Dine, was ist denn?«

Dinas Züge verzerrten sich im Schmerz. »Es ist nichts, es ist nichts. Ich bin mit dem Fuß …« Da biß sie wieder die Zähne zusammen vor Schmerz, und als Hans versuchte, sie emporzurichten, schrie sie laut auf.

Frau Sagebiel hörte den Schrei draußen in der Küche und kam gelaufen. Sie war eine entschlossene Frau, und ehe zwei Minuten vorüber waren, sagte sie sehr bestimmt: »Das geht so nicht. Wenn der Fuß nur nicht gebrochen ist! Kommt mir ganz so vor. Telephonieren Sie doch mal gleich an Ihre Schwester, Fräulein Möwke!«

Engel wurde im Krankenhaus an das Telephon gerufen. Mit einer Stimme, die vor verhaltenen Tränen fast unverständlich war, teilte Hansine ihr das Unglück mit. »Kannst du nicht kommen, Engel? Ich weiß mir nicht zu helfen. Sie hat so wahnsinnige Schmerzen; halb ohnmächtig ist sie.«

»Ja, ja, ich will fragen. Ja, ich komm' sicher.«

Engel kam in einem Auto angejagt.

Dina lag auf ihrem Bett, wimmerte und gab nur mühsam Antwort. Sie konnte nicht gut Schmerzen ertragen, war ein bißchen weich gegen sich und wollte Hansine doch nicht merken lassen, wie sehr sie litt.

Die hatte Preis und alles vergessen über dem neuen Elend. »Engel, glaubst du auch, daß der Fuß gebrochen ist? Nur ich bin schuld, ich bin schuld mit meiner Heftigkeit! O Engel, ich kann ja nie wieder froh werden!«

»Das laß nun nur!« sagte Engel und kehrte die Krankenschwester heraus. »Deine Seelennot, die reden wir dir nachher schon fort. Besorg' erst mal einen Wagen vom Roten Kreuz, daß wir sie in das Krankenhaus bekommen!«

»Ins Krankenhaus geh' ich nicht.«

»Papperlapapp! Natürlich gehst du. Na, ich will lieber selber telephonieren.« Sie ging hinaus auf den Flur. Man hörte ihre ruhige, bestimmte Stimme draußen sprechen.

Hansine wurde ein bißchen ruhiger; Engel hatte in solchen Fällen eine Sicherheit, daß man ihr unbedingt vertraute.

Sie schien nach verschiedenen Stellen zu sprechen. Es währte eine ganze Weile, bis sie wieder hereinkam. »So, in drei Minuten ist das Krankenauto hier. Sie tragen dich hinunter und legen dich hinein, Lütt. Du wirst es kaum gewahr. Die Leute sind glänzend geschult. Pack' ihr mal zusammen, was sie braucht, Hans! Nachthemd und Kamm und Bürste und so was. Liegen muß sie doch, sie braucht nicht viel mit. Die kleine Handtasche genügt. Hier ist dein Mantel, Dine; wir legen ihn dir nur über. – So, da tuten sie unten schon.«

Man hörte die Hupe des Autos, gleich darauf Tritte auf der Treppe. Dann kamen zwei Männer mit einer Tragbahre in die Stube, und ehe Dina mehr als einen scharfen Schmerzensschrei ausstoßen konnte, lag sie schon auf der Trage. Der Fuß war mit Kissen gestützt, und es ging die Treppen hinunter.

»Und wir?« fragte Hansine.

»… steigen hier an der Ecke in ein zweites Auto und fahren ihr nach. Wir sind ebenso schnell dort wie sie.«

Dina wurde es doch unheimlich, als sie so allein, nur mit dem einen Krankenträger neben sich, davonfuhr. Die Trage war so, wie sie herabgetragen wurde, mit ihr in das Gefährt gesetzt worden. Als sie vor der Aufnahmestation des Krankenhauses ankam und der Träger ausstieg, tauchten im nächsten Augenblick zu ihrem Trost auch schon die Gesichter der beiden Schwestern auf. Wenige Minuten später hieß es: »Nach 35.«

Das war eine chirurgische Station, und als sie wieder hinausgehoben und weitergetragen wurde, flüsterte Engel ihr hastig zu: »Du kommst zu Professor Geißler. Er ist etwas kurz, aber gut als Arzt und im Grunde auch ganz menschenfreundlich. Aber jammer' ihm nicht zuviel vor! Wir kommen in einer kleinen Stunde, uns nach dir umzusehen.«

Dann war Dina wieder sich selbst überlassen, bis in 35 eine freundliche Oberschwester, die von Engel telephonisch benachrichtigt war, sie aufnahm und in ein Zimmerchen bringen ließ, das zurzeit leer war.

»Ich brauche also nicht in den Saal?« fragte Dina erleichtert.

»Das Zimmer ist im Augenblick leer. Es kommt auf den Professor an, was der bestimmt, und welche Klasse für Sie bezahlt wird. Jedenfalls liegen Sie als Angehörige einer unsrer Schwestern hier zum halben Preis.«

Das war schon eine gute Botschaft, denn Dina hatte bei sich beschlossen, die Eltern sollten, wenn möglich, von diesem Fall erst erfahren, wenn sie wieder herumlaufen konnte.

»So,« sagte Engel, als sie mit Hansine zurückgeblieben war, »bei Dina sind wir zunächst überflüssig. Die Angehörigen bei der Einlieferung eines Patienten sind für Ärzte und Schwestern eine Plage. Ich habe mich, als dein Hilfeschrei kam, für den Morgen freigemacht. Also können wir nun in mein Zimmer gehen.« Sie sah nach der Uhr. »Halb zwölf. Da hab' ich ja bis zum Essen noch eine ganze Weile Zeit für dich.«

»Erst halb zwölf?« fragte Hansine. Es schien ihr kaum möglich, daß es nur drei Stunden waren, seit sie zur Kunstgewerbeschule ging. Was hatte sich in den Zeitraum dieser drei Stunden zusammengedrängt!

Sie saßen in Engels Stübchen, und die fragte: »Also nun berichte mal, wie das eigentlich kam!«

Da brach aus Hans alles heraus, erst die eigene kleine Not – jetzt erschien sie ihr so klein – und dann ihre Heftigkeit und wie sie Dinas Fall verschuldet. Schließlich kamen brennende Tränen und Anklagen und immer wieder das Wort: »Darüber komm' ich nie wieder fort, Engel, darüber komm' ich nicht fort! Und die Eltern! Und unsre arme kleine Dina! Sie hat mir auch nicht ein hartes Wort gesagt.«

»Das hätt' ihr auch wenig ähnlich gesehen. Wein' doch nicht so schrecklich, Hansemann! Oder meinetwegen, wein' dich aus, aber dann besinn dich auch wieder! So, wie ich Dina verstand, hat da ein Bettvorleger gelegen, der unter ihr gerutscht ist. Eure gute Sagebiel bohnert ja wohl fürchterlich. Siehst du, das kann doch vorkommen.«

»Aber es wäre nicht geschehen, wenn ich nicht so gallig und giftig gewesen wäre. Engel, wenn sie nun was zurückbehält, wenn sie zeitlebens hinken wird!«

»Sie wird ja wohl nicht. Hier kommen alle Tage so viele Menschen her mit gebrochenen Gliedern; die meisten werden wieder ganz gut, wenn es ein glatter Bruch ist. Jetzt wird sie wohl schon unter den Händen des Doktors sein. Hoffentlich ist das Bein nicht zu sehr geschwollen, daß sie es gleich einrichten können. Dann läuft sie in ein paar Wochen wieder munter herum.«

Nach einer Stunde gingen sie hin zur Station, und die Oberschwester gab guten Bescheid. Ja, es war ein glatter Bruch; man habe Eis aufgelegt, damit die Schwellung abziehe. Vielleicht könne der Fuß noch am Abend eingerichtet werden. Sie sollten aber nicht hineingehen, denn die Patientin habe ein kleines Beruhigungsmittel bekommen und sei jetzt im Halbschlaf, der ihr über die Schmerzen hinweghelfe.

»Grüß' sie tausendmal von mir, Engel, wenn du sie heute noch siehst!« bat Hansine, als sie miteinander zum Ausgang schritten. »Sie soll mir vergeben. Ich will sie auch künftig noch viel, viel lieber haben. Ach, du hast es gut, du bleibst in ihrer Nähe, und ich muß nun hinaus und sitz' allein zu Hause und mach' mir Vorwürfe und … Die Stunden werden gräßlich lang werden.«

»Du wirst schon jemand finden, der dir über die Stunden forthilft,« meinte Engel. »Ich will es dir nur sagen: ich dachte mir schon, daß du wohl in ziemlich elender Verfassung sein würdest, wenn wir Dina hier behielten. Darum hab' ich vorhin, als ich nach dem Auto telephonierte, auch Vetter Gerd angerufen; er hat gelobt, dich hier am Portal um halb eins zu erwarten. Na, was sag' ich! Da spaziert er ja schon herum.«

»Wie kommst du dazu, Engel? Das ist doch reichlich selbstherrlich von dir!«

Hansine kam nicht weiter, denn Hamm stand schon vor ihnen und fragte: »Nun, wie ist es? Wirklich ein Bruch?«

»Leider. Aber es sollen keine Komplikationen sein. Nehmen Sie es nicht übel, Herr von Hamm, ich muß nun in den Dienst, hab' heute morgen schon viel versäumt. Auf Wiedersehen, Hans, und quäl' dich nicht zu sehr! Dadurch wird es nicht anders.«

»Ich bin heute keine gute Gesellschaft,« sagte Hansine, als sie mit Hamm auf die Straße trat. »Ich bin schuld an dem Unfall meiner Schwester. So etwas stimmt den Menschen nicht vergnügt.«

»Dann haben Sie es also doppelt nötig, daß jemand mit Ihnen geht und Ihre Gedanken ablenkt. Wohin wollten Sie gehen?«

»Ich weiß nicht, ich glaube, nach Hause, das heißt in die Pension.«

»Und da wollen Sie sich in eine Ecke setzen und Grillen fangen? Ein sehr lohnendes Geschäft. Sagen Sie mal, liebe Cousine – Sie sehen recht blaß aus – haben Sie heute wohl gefrühstückt?«

»Ach, wer von uns hatte Lust, an Frühstück zu denken!«

»Und heute zum Morgenkaffee, haben Sie da ein Ei gegessen oder sonst etwas Handfestes?«

Es kam heraus, daß Hansine auch zum Kaffee nichts gegessen hatte, weil sie mit allen Gedanken bei der Ausstellung der Preisarbeiten gewesen war.

»Also gänzlich nüchtern noch. Sie werden mir hier auf dem Steindamm umfallen, wenn ich nicht schleunigst für Sie Sorge trage. Kommen Sie! Hier in der Nähe ist eine kleine, sehr feine Konditorei. Da trinken Sie Bouillon und essen Pasteten dazu.«

»Ich denke nicht daran.«

»Ich umsomehr. Seien Sie mal vernünftig, Hansine!«

»Ich heiße Fräulein Möwke.«

»Ein andermal. Heute sind Sie meine Pflegebefohlene, und wenn Ihnen die Hansine nicht paßt, werde ich Sie als Kameraden ansehen und Hans sagen.«

Sie seufzte, und weil sie fühlte, daß ihr schwindlig wurde – kein Wunder nach all der Aufregung des Morgens und bei dem leeren Magen – fügte sie sich und ging mit dem Vetter.

Der ließ sie erst ganz in Ruhe. Er sah wohl, sie mußte sich besinnen. Erst nachdem sie gegessen und getrunken hatte und wieder Farbe bekam, begann er von der Klassenausstellung.

»Geschlagen,« sagte Hansine, »elend geschlagen. Aber das scheint mir jetzt ganz gleichgültig.«

»Ich wollte gerade hin und mir die Sachen ansehen,« sagte Hamm. »Als zweiter Direktor des Museums habe ich das Recht, in der Kunstgewerbeschule in alles hineinzusehen, was mich interessiert. Und Ihre Arbeit interessierte mich selbstverständlich. Da rief Ihre Schwester an. Gut, daß ich noch im Bureau war. Wenn Sie sich nun ein bißchen besonnen haben, gehen wir noch einmal zusammen hin. Vielleicht kommen Sie jetzt selber zu einer andern Ansicht.«

Hansine wollte erst nicht, aber seinem heiteren Zureden gab sie doch endlich nach. Eine kleine Stunde später standen sie im Zeichensaal und besahen gemeinsam die Arbeiten.

Nein, Hansine kam zu keiner andern Ansicht. Fräulein Megges Entwürfe waren die besten. Auch Hamm konnte das nicht bestreiten, so gern er es getan hätte. »Aber gleich dahinter kommt der Hans,« tröstete er, »und dann kommen die andern erst in weitem Abstande.«

Hansine seufzte. »Das ist gleich. Ich bin eben nicht die Beste, und ich wollte es sein; ich wollte den Preis haben.«

»Ist er Ihnen so nötig? Die freie Schule für ein Jahr?«

»Ach nein, das gerade nicht. Der äußere Gewinn – das kann ich entbehren, wenn es auch ganz nett gewesen wäre.«

»Dann gönnen Sie es dem kleinen Fräulein Megge! Die kann es brauchen.«

»Kennen Sie sie?«

»Näher nicht. Aber sie war bei mir, ehe sie hier eintrat, und fragte mich um Rat. Wozu ist solch ein Mann wie ein Direktor da, wenn man ihn nicht fragen soll? Und ich glaube, sie hätte es ohne diese Hilfe nicht lange machen können.«

»Ich will mich bemühen, meinen Mißerfolg von diesem menschenfreundlichen Gesichtspunkt aus anzusehen. – Nun können wir wohl wieder gehen.«

»Ja, wenn Sie mir versprechen, sich jetzt still hinzulegen und zu schlafen. Ihre kleine Schwester schläft sicher auch, und helfen können Sie ihr nicht dadurch, daß Sie sich hinsetzen und schwarze Gedanken suchen. Farbe haben Sie zwar wieder, aber Ihre Augen sehen ganz matt aus.«

»Ich bin wie gerädert und zerschlagen. Aber schlafen kann ich trotzdem ganz bestimmt nicht.«

Nichtsdestoweniger schlief Hansine ein, als sie sich auf ihr Bett gelegt hatte. Sie schlief ganz fest bis zum späten Nachmittag. Da fuhr sie in die Höhe, weil es ihr war, als höre sie jemand lachen. Als sie die Augen ganz verstört aufriß, saß Engel neben ihrem Bett.

»Ich komm' eben vom Dienst und bin rasch hergelaufen. Ich dachte, du seiest in allen Zuständen, und nun schläfst du; ich hätte dich forttragen können. Brauchst dich nicht zu schämen, du bist einfach zu Ende gewesen.«

»O Engel, wie geht es Dina?«

»Sie läßt dich grüßen. Ist noch so ein bißchen benommen von ihrem Mittel, aber der Fuß ist schon eingerichtet und liegt in Gips. Das geht noch mal gut ab. Sie läßt dir sagen, du sollst es den Eltern unter keinen Umständen schreiben. Eben sind sie abgefahren, nun sollen sie nicht gleich wieder herreisen. Ich hab' ja gerade mein Monatsgeld bekommen, und ihr habt auch wohl noch was, und als Schwester einer Schwester zahlt sie ja nicht den vollen Preis.«

»Hat sie große Schmerzen?«

»Jetzt nicht mehr. Sie läßt dir auch sagen, du möchtest dir keine Gedanken machen; es sei eben ein unglücklicher Zufall gewesen, und sie sei ganz froh, daß sie nun morgen nicht mit zu den Trummers brauche.«

»Mein Himmel, ja, die Trummers! An die hab' ich gar nicht mehr gedacht. Ich muß gleich abschreiben.«

»Unter keinen Umständen. Ich gehe mit dir, und du wirst sehr nett sein gegen meinen alten Herrn. Du sollst mal sehen, was das für ein vornehmer alter Mann ist! Morgen abend dürfen wir doch nicht bei Dina sein.«

»Ich habe gar keine Lust.«

»Darauf kommt es nicht im geringsten an. Sie haben uns eingeladen, und wir haben angenommen. Nun wird gegangen. Jetzt mach' dich nur ein bißchen in Ordnung! Wir gehen noch eine halbe Stunde hinaus.«

»Ach Menschenkind, du kommandierst mal wieder!«

»Hans, wenn ich dich nicht auch mal kommandierte, würdest du ganz Selbstherrscher werden.«

»Sag' das nicht, Engel! Ich habe heute zwei tüchtige Lehrzettel bekommen.«

Hansine sah so unglücklich aus, daß Engel den Arm um sie legte. »Mein alter, lieber Hans, so mein' ich das doch nicht. Du bist doch mein Bester. – Na, wie war der lange Vetter denn?«

»Wir haben uns gut vertragen. Er machte auch gar keine langen Reden über meine Arbeit – wir waren nämlich zusammen in der Gewerbeschule – sondern sagte ganz offen, sie sei ja gut, aber die von Fräulein Megge sei besser. Ich kann keine Leute leiden, die meinen, sie müssen einem aus Verbindlichkeit etwas vorschwindeln.«

»Hamm schwindelt sicher nie. Ob er wohl verlobt ist?«

»Hamm? Warum?«

»Ach, ich denke nur so! Er hat doch die Jahre dazu. Und er bekäme sicher keinen Korb, so nett wie er ist.«

»Laß das doch seine Sorge sein!« Hansines Stimme klang jetzt merklich gereizt.

Engel sah die Schwester von der Seite an. Durfte man von Hamm in diesem Sinne nicht sprechen? Nun, sie würde das Thema nicht wieder berühren. –

Am Abend waren sie bei den Trummers.

Hansine hatte nachmittags eine halbe Stunde bei Dina sitzen dürfen, und beide Schwestern hatten sich in ihrem ganzen Leben noch nicht so viele gute Worte gesagt wie in jener halben Stunde, um sich gegenseitig zu trösten und auch, weil sie noch nie ihre Liebe zueinander so stark empfunden hatten.

Ovedine hatte auch darauf bestanden, daß Engel und Hans abends zu den Trummers gehen müßten. »Das ist so selbstverständlich, darüber reden wir gar nicht. Ich schlafe dann schon; man schläft hier sehr früh ein. Und warum sollt ihr in euern einsamen Stuben sitzen statt da bei netten Menschen? Morgen erzählt ihr mir, wie es war.« – Also gingen sie.

Ein vornehmes Haus, reiche Zimmer, alles alte Kultur. Nichts Überladenes, nichts Geschmackloses; das war in diesem Hause unmöglich.

Herr von Trummer war leidenschaftlicher Bücherfreund, besonders aber liebte er schöne alte Stiche, Kupfer- und Stahlstiche. Er hatte große Mappen seltener Werke in seinen dicken Schränken.

Seine Schwester war mehr für solche Dinge, die ein bißchen blinken und scheinen, wie sie selber sagte: altes Porzellan und Kristall, eingelegte Becher und Teller, schöne Birkenmöbel; ihr großes Zimmer hinter dem Wintergarten war ein Kunstwerk aus der Biedermeierzeit.

Engels Augen gingen mit ganz offensichtlicher Begeisterung im Raum umher. Dann wanderten sie wieder von den schönen Dingen zur Besitzerin, und einmal, als sie meinte, ihre Blicke seien nur ganz heimlich zwischen Bruder und Schwester hin und her gegangen, hatte die Klosterdame, die noch sehr gute Augen hatte, sie doch dabei ertappt. Sie lächelte. »Ja, kleines Fräulein, wir sind ein Paar verschiedene Geschwister, nicht? Er hätte die Frau sein müssen und ich der Mann, wie?«

»O nein!« sagte Engel höflich verlegen. »Weshalb denn?«

Da begannen beide Geschwister offen zu lachen. »Jetzt tut es nicht mehr weh,« sagte das alte Fräulein. »Aber als wir junge Menschen waren … Sehen Sie, da hängt ein Bild aus unsrer Kinderzeit, ich ein Backfisch und er ein kleiner Abeceschütze. Damals begann ich zu spüren, daß die Natur sich einen schlechten Scherz mit uns gemacht hatte. Na, lassen wir das!«

Sie führte Engel in den Wintergarten, dessen Türen nach einer Terrasse offen standen, denn man schrieb Mitte April, und es gab einen warmen Frühlingstag. Der alte Geheimrat folgte mit Hansine.

»Sehen Sie,« sagte Fräulein von Trummer, als sie so weit von den Nachfolgenden entfernt waren, daß jene sie nicht verstanden, »mein Bruder hatte als Kind das Unglück, sich einmal schwer zu verbrennen. Eigene Unvorsichtigkeit, aber darum nicht leichter zu tragen. Wochenlang fürchteten wir, er werde erblinden. Davor ist er bewahrt geblieben, aber die tiefen Narben haben ihn für Lebenszeit entstellt. Zart war er immer, während ich Kräfte hatte wie ein Knecht. Nun war er auch noch unschön geworden, und daran trug er schwer. Eitel war er nicht, aber er meinte, jedermann stoße sich an den roten Narben. Gegen die Frauen war er ganz zurückhaltend, besonders als ihm später sehr entgegengekommen wurde, denn er war einer der reichsten Grundbesitzer in den Herzogtümern, ist es ja auch noch. Er glaubte, jede sehe in ihm nur den reichen Mann. Darum hat er viele Jahre ein Reiseleben geführt. Dann war er ein Jahrzehnt in Sondershausen Leiter der Staatsbibliothek; er hatte Literatur und Kunstgeschichte studiert, und aus jener Zeit stammt sein Titel. Er legt Wert auf ihn. Eine kleine Schwäche, aber er meint, das sei das einzige, was er sich selber erworben.«

Sie sah zum Bruder zurück. Ihr häßliches, derbes Gesicht bekam einen mütterlichen Ausdruck, der es verschönte. »So, nun wissen Sie Bescheid über Ihre neuen Freunde, denn von mir ist nichts zu erzählen. Ich bin nur der Schatten meines Bruders, allerdings ein recht kräftiger Schatten.«

Sie schob den Arm unter den von Engel. »Es wäre doch gut, man hätte solchen jungen Menschen als Tochter oder Nichte immer um sich, jemand, für den man noch in die Zukunft sehen würde. Wir Alten blicken viel zu viel in die Vergangenheit. – Aber nun erzählen Sie mir einmal von sich und den Ihren! So wunderlich ist seit alten Zeiten das Schicksal unsrer Familien verkettet. Wer von uns Trummers aufwuchs, der lernte die Geschichte von jenem fernen Unglück und den Seewiesen, die früher die Gründer und jetzt noch die Erhalter des Trummerschen Reichtums sind, das heißt, jetzt haben wir ja auch von meiner Mutter her die drei Güter, Hverstad im Schleswigschen sowie Glücksdorf und Fredenskoog in Holstein. – Aber nun schwatze ich alte Frau wieder von uns. Jetzt sind Sie daran, Fräulein Möwke.«

Hinter ihnen sagte der alte Herr zu Hansine: »Mein Neffe ist Ihnen ja auch bekannt. Er hat uns schon von den Möwkes erzählt, als er Sie und Ihre jüngste Schwester bei dem großen Schiffbruch kennengelernt hatte. Wäre es nicht so gekommen, daß ich Ihre Schwester im Krankenhaus gefunden hätte, so würden wir andre Mittel und Wege gefunden haben, uralte Beziehungen wieder aufzunehmen.«

»Leider sehr feindliche Beziehungen,« meinte Hansine lächelnd.

»Ja leider. Umso nötiger, daß in diesen ernsten Zeiten zwischen allem, was zum denkenden Deutschtum zählt, andre Zusammenhänge kommen. – Sagen Sie, Fräulein Hans – Sie erlauben einem alten Manne wohl, Sie so zu nennen – wer von Ihnen will denn einmal den Möwenhof übernehmen?«

»Den Duvenhof? Er ist ja leider nie wieder ein Möwenhof geworden, und nun wird er es auch nicht wieder.«

»Gibt es nicht da so etwas wie eine alte Sage, daß er wieder zum alten Glanz erwachen wird?«

»Ja, wenn ein Sohn und Erbe auf ihm geboren wird, und wenn die Wiesen …« Sie stockte.

»Die Wiesen, ja, die werden nun doch bald an den Hof zurückfallen. Wir beide, meine Schwester und ich, sind die letzten aus unsrer Familie, und wie lange haben wir noch? Lassen Sie uns hoch in das biblische Alter kommen, so müssen doch in zehn bis fünfzehn Jahren die Deichwiesen wieder möwkisch sein.«

»Wir Schwestern sind alle keine rechten Landfrauen, so lieb wir unsern alten Hof haben. Ich weiß, unsern Eltern ist es ein trauriger Gedanke, daß er einmal in fremde Hände kommt, und wenn wir ihn auch nur verpachten werden.«

»Vielleicht finden Sie noch – wenigstens eine von ihnen – das rechte Interesse an der Landwirtschaft.« – Er wandte sich zu seiner Schwester. »Ich sehe Friedrich dort an der Tür; er wird das Abendessen melden.«

Der betreßte Diener in der Tür des Wintergartens meldete: »Es ist serviert.«

Im gleichen Augenblick kam Gerd von Hamm herein. »Verzeihung, verehrte Tante, daß ich so im letzten Augenblick erscheine; ich wurde aufgehalten. Die Elektrische mußte hinter einem verunglückten Bierwagen halten. Es war höchst unterhaltend, als sich alle Linien stauten und Hunderte von klugen Leuten mit dem Mundwerk halfen, den Wagen fortzuschaffen. Aber leider hielt es mich sehr auf. Ich darf dir den Arm bieten, nicht wahr?«

»Das darfst du. Und deinen andern Arm mußt du Fräulein Engel reichen, denn wir haben leider keinen weiteren jungen Herrn zur Verfügung.«

So ging Hansine am Arm Herrn von Trummers, und die zwei andern Damen teilten sich in Hamm.

»Aber ich mache gar keine Ansprüche,« sagte das Klosterfräulein. »Wir Alten freuen uns, bei den Gesprächen der Jugend zuzuhören, was, Aloisius?«

Man trennte sich bald nach zehn Uhr, denn Engel gab Hansine einen Wink und bat, sie zu entschuldigen; sie müsse rechtzeitig im Krankenhaus sein, der Dienst beginne früh am Morgen. »Wir durften den alten Herrschaften nicht länger lästig fallen,« sagte sie draußen.

»Ich glaube, die alten Herrschaften ließen sich ganz gern belästigen,« antwortete Hansine.

»Ja, du hast immer eine gesegnete Meinung von dir.«

Doch Hamm stand seinem Kameraden bei. »Ich glaube, Sie können meiner Tante keine größere Freude machen, als wenn Sie oft hingehen. Sie ist förmlich heißhungrig nach Jugend. Die beiden alten Geschwister sind in glänzenden Verhältnissen aufgewachsen – jeden Wunsch konnten sie sich erfüllen – aber das Beste ist ihnen nie geworden: die unbekümmerte Lebensfreude. Da kann man bei den Möwkes in die Schule gehen.«

»Ja ja, lieber Vetter. Und wenn man so recht unbekümmert lebensfreudig ist, dann bekommt man ganz gehörig was auf den Hut.«

»Das ist wie ein Platzregen, Hans. Nachher blüht alles doppelt fröhlich.«

Engel wollte sagen: »Seit wann heißt du denn bei Herrn von Hamm so einfach Hans?« Aber sie schluckte es hinunter. Es war so etwas in ihr, das warnte, in die Freundschaft der zwei hineinzureden. Es war doch Freundschaft?


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