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Engel Linden-Möwke bekam mit der Zeit noch sechs Schwestern, alle blond, blauäugig und schlank aufstrebend wie die jungen Tannen. Der alte Möwke setzte sich zur Ruhe, Reiner Linden-Möwke wirtschaftete, und wie das Familienbuch, das von jener Zeit an geführt wurde, berichtet, wirtschaftete er so gut, daß sie keine Not zu leiden hatten, ob die Zeit gleich hart war und die See zusammen mit den Menschen viel Not über das Land brachte. Schleswig-Holstein unterstand in jenen Jahren dem dänischen König, der zugleich Herzog der beiden Herzogtümer war, und so wurde es nicht in die Kriege gegen Napoleon hineingezogen; dagegen fochten dänische Truppen auf französischer Seite, und die Kontinentalsperre legte sich wie ein würgender Ring um die Küsten.
Aber die Küste Schleswig-Holsteins ist lang und reich gegliedert. Überall sind Landzungen und Buchten, und draußen vor der Küste liegen die Inseln, wo Fischfang getrieben wird und Seefahrt, und überall an Deich und Strand ist ein Kommen und Gehen von Schiffen, und wenn es nur Fischerboote sind. So viele Zollbeamte, wie zur Bewachung dieser langgedehnten Küste nötig gewesen wären, gab es gar nicht. So viele Blinkfeuer, die ausgereicht hätten, die See auch bei Nacht unter Aufsicht zu halten, konnten sie gar nicht anzünden. Es gab da Lärm und Schießerei an manchem dunkeln Abend, aber trotzdem sagt man, sei in den Marschhäusern Zucker und Kaffee nie ausgegangen. Nur wenn die Zollwächter kamen, um Nachschau zu halten, dann war nichts dergleichen zu finden.
Es kam der Winter 1812/1813, wo der französische Kaiser im eisigen Rußland seinen Stern erblassen sah. Doch davon ahnte keiner hier etwas, daß das stolze französische Heer geschlagen, zerstreut, von den Kosaken wie hilfloses Wild gehetzt, in wirrer Flucht an die deutsche Grenze zurückströmte. Es war Weihnachten, und in den Häusern brannten zwar keine Tannen – der Brauch war noch wenig verbreitet – aber doch hölzerne Armleuchter, pyramidenartig aufgebaut, mit Lichtern besteckt, die an das alte Julfeuer mahnten. Es gab auf den großen Höfen Schweinebraten und Milchreis mit Pflaumen und viele braune Kuchen, und die Armut durfte sich an jeden Tisch setzen und mithalten, denn wer hätte in der heiligen Zeit einen Bettler von der Tür gewiesen?
Am Tage nach dem Fest – es hatte schon wochenlang gefroren und gestürmt wie selten – gab es wieder einen Nordweststurm; der brach den Eisgürtel an der Küste und jagte die Sturmblöcke auf wilden Wogen gegen den Deich. Soweit das Auge sehen konnte, war draußen vor der Küste alles eine drängende, dröhnende Masse von Wasser und Eis, und die aufeinandergetürmten Massen brachen wie ganze Berge heran, stürzten sich auf das Vorland, wurden überrannt von ihren Brüdern, hoben und schoben sich, erreichten die Höhe des Deiches, brachen nieder auf die Deichkappe und berannten das Land.
Tag und Nacht war alles auf den Beinen, was arbeiten konnte. Aber der Sturm blies auch Tag und Nacht hindurch und den nächsten Tag, und als es wieder auf den Abend ging, war der Deich an drei Stellen gebrochen; die Wasser preßten die Eismassen durch die Lücken, stürzten sich selber, gurgelnd, zischend, heulend, hindurch, und bald kam es wie so manches Mal im Lauf der Jahrhunderte: die Flüchtlinge aus den tiefgelegenen Dörfern strömten zum Duvenhof, trieben ihr Vieh vor sich her und hatten die Kinder auf die Betten gepackt und die Betten auf Karren, und vor dem Herrenhaus des Hofes muß es wie ein Zigeunerlager gewesen sein.
Für solche Fälle gab es und gibt es noch zwei niedere Baracken, die ein wenig entfernt von den Ställen unter dem Schutz des Holzes liegen, dort, wo der Hof nach Osten sieht. In diesen Baracken werden in der Not die dicken alten Lehmöfen geheizt, und Stroh wird über den gestampften Boden geschüttet, auf dem Herd des Vorflurs brennt ein Feuer, über diesem hängt der Kessel mit Brotsuppe, und ein halbes Dutzend Talglichter sorgen für Beleuchtung. Da kriecht dann alles unter, was froh ist, ein Dach über dem Kopf zu haben. Das Vieh aber kommt in die Ställe, und wenn es sich auch drängen muß, es gehen eben viele geduldige Ochsen in einen Stall.
Bald war der Hof zur Insel geworden; der Sturm sauste über ihn hin, die ganze Nacht donnerte und dröhnte das pressende Eis. Erst gegen Morgen legte sich der Wind ein wenig, und der Frost, der schon den ganzen Tag auf der Lauer gelegen hatte, fiel über die Eisblöcke her, kittete und mauerte sie zusammen, schlug zwischen den Bergen und Tälern eine feste Verbindung und machte die ganze fruchtbare Ebene zu einer unwegsamen Eiswüste.
Aber es gab noch viele unsichere Stellen in dem Eis, denn als sich der Sturm gelegt hatte und das Wasser durch den gebrochenen Deich zurückströmte in die See, da entstanden Hohlräume unter dem Eis, die mit Krachen zusammenbrachen, wenn der Frost das Eis zerriß; und wenn die Flut zurückdrängte durch die Deichlücken, strömte sie wieder unter das Eis und schoß mit Strudeln und Zischen in den Spalten empor. Es währte Tage, bis Ruhe wurde um den Duvenhof, dann aber lag er auch fest umschlossen vom Eisgürtel, und soweit auch vom Giebelfenster aus der Blick reichte, überall war Eiswüste.
Ich habe vergessen, etwas zu erzählen, was einmal vor langen Jahren geschehen war, aber es kann hier noch berichtet werden, denn es wurde in dieser Sorgenzeit wieder lebendig.
Einmal hatte es auf dem Duvenhof eine Tochter gegeben, die war mit einem Seemann verlobt, dessen Schiff zwischen den Inseln fuhr. Der hatte gesagt, wie schwer es sei, im Wattenmeer in finsterer Nacht den Weg zu finden, und wie er immer nach dem Giebelfenster des Duvenhofs spähe, wenn er in sternloser Nacht unterwegs sei; denn bei klarem Wetter könne man den Lichtschein aus dem Giebelfenster wie einen langen, hellen Strich deutlich wahrnehmen, und wenn er den sehe, dann wisse er, daß sein herzliebstes Mädchen dort noch wach sei, er wisse aber auch, daß er dem Lande zu nahe gekommen sei, denn die Fahrrinne lief so, daß er den Schein nur noch als winzigen Punkt erkennen durfte. Dann steuerte er vorsorglich weiter nach Westen.
Seit die Braut das wußte, ließ sie alle Nächte ein Licht am Fenster brennen, und hinter das Licht stellte sie ein blankgeputztes Blech, das den Schein verstärkte. Es währte nicht gar lange, da kannten alle Wattenschiffer dies Licht. Es tat ebenso gute Dienste wie ein richtiges Blinkfeuer, von denen es damals noch ganz wenige gab, und sie nannten es nur das Duvenlicht.
Die Duvenhoftochter heiratete und zog hinaus auf die Inseln, nach Nordstrand, und soll dort auch solch Licht für die Schiffer gebrannt haben. Auf dem Duvenhof hat sich die Sitte noch eine Zeitlang erhalten, bis sie, wie so manche alte Einrichtung, in Vergessenheit geriet. Es kamen ja auch Leuchttürme auf an der Küste; da war das Licht vom Duvenhof nicht mehr so wichtig. –
In dem Giebelzimmer, das groß und breit sich über Flur und zwei Stuben des Unterhauses erstreckte, hausten die sieben Möwkes. Engel, die nun fast dreizehn Jahre alt war, führte das Regiment über die kleineren Schwestern, denn sie war für ihre Jahre ausnehmend verständig, wie das bei solchen Mädchen oft ist, die schon früh lernen müssen, andre Geschwister zu betreuen. Auch war die Mutter viel elend, denn die hatte seit Jahren jeden Sommer das Marschfieber, das aus den Fennen steigt, wenn die Sonne den Boden durchglüht. Damals sagte man, »die graue Frau hat sie angehaucht«, wenn Menschen an dem Fieber erkrankten, jetzt weiß man, daß das Fieber eine deutsche Form der Malaria ist und geradeso wie diese von den Mücken verbreitet wird, die im Hochsommer in allen Gräben ihre Brutstätten haben. Heute geht man der Seuche mit Chinin tatkräftig zu Leibe, damals wußte man nur von Schwitzkuren und allerlei Kräutertee. Wer einmal das Marschfieber im Blut hatte, der wurde es viele Jahre lang nicht los.
Engel Möwke hatte Augen, die hell und rein waren, aber doch nicht mehr Kinderaugen. Und hinter der klaren Stirn gingen die Gedanken auf eigenen Wegen.
Als alle Stuben im Haus voll von Flüchtlingen lagen und die Baracken am Holz auch, da sorgte das Kind verständig und eifrig für die Flüchtlinge und ging hin und her zwischen dem Herrenhaus und den Baracken, ging dazwischen aber oft auf den Boden des Pferdestalles, denn da nisteten die weißen Tauben in großen Scharen, und die Tauben waren ihre Lieblinge, wie einmal vor vielen Jahren die Freude ihrer Urahne.
Nun ging der Vater, der jeden Abend den ganzen Hof ablief, einmal weiter hinaus bis auf das Eis, und als er von da zurückkehrte, fiel es ihm auf, daß oben in dem Giebelzimmer noch Licht war, und zwar ein so helles Licht, daß er im ersten Augenblick glaubte, es müsse da brennen. Dann sah er freilich an dem stillen, unbewegten Schein, Feuer könne das nicht sein. Immerhin wunderte er sich doch, vor allem, weil die Kinder schon vor geraumer Zeit zur Ruhe gegangen waren.
Er ging, in das Haus zurückgekehrt, hinauf in die große Stube und fand seine sieben Duven alle friedlich schlafend in ihren Betten, die drei Größten jede für sich in einem Bettchen, die vier Kleinen je zwei und zwei zusammengekuschelt auf der gleichen Lagerstatt. Alles war heimelig und friedlich im Raum wie immer, aber am Fenster brannte im messingnen Leuchter eine dicke Kerze, und hinter die Kerze, als solle ihr Licht doppelt hell hinausfallen in die Nacht, war ein Spiegel gestellt.
Reiner Möwke schüttelte den Kopf, ließ aber Licht und Spiegel stehen, wenn er auch nicht wußte, was er sich dabei denken sollte. Am andern Morgen fragte er seine Tochter, was das sollte.
Engel ist wohl ein bißchen rot geworden, hat aber frei geantwortet, das sei für Menschen, die noch bei Nacht unterwegs seien, denn durch die Überschwemmung sei die ganze Gegend so verändert, daß sich leicht einer nicht mehr zurechtfände in der Eiswildnis. Der Lichtschein aber locke ihn dahin, wo Sicherheit und Unterkunft sei. Und außerdem, die Leuchtfeuer seien ja alle von den Zollwächtern gelöscht, damit draußen auf See die Küstenschiffer nicht bei Nacht fahren könnten.
Reiner Möwke hat dazu gelächelt, hat aber sein Kind gewähren lassen. Es kam wohl auf die paar Kerzen nicht an auf dem reichen Hof.
Flüchtlinge ließen sich nun zwar nicht mehr sehen, dagegen erschienen eines Tags Zollwächter; die hatten richtig den Weg über das Eis gefunden und kamen, den Hof zu untersuchen nach einem jungen Burschen, der sich vermutlich dort verborgen halte.
»Es sind viele Fremde zurzeit auf dem Hof,« sagte der Möwkenbauer, »denn die Leute, denen die See das Dach über dem Kopf fortgenommen hat, warten hier auf bessere Tage. Aber einer, wie ihr ihn sucht, der ist nicht darunter.« Denn es sollte keiner aus der Gegend sein, sondern ein junger Handwerkersohn aus Tondern, droben dicht an der jütischen Grenze. Der sei zum Militär eingezogen worden, habe sich aber nicht gestellt, sondern die Flucht ergriffen. In Meldorf sei er gesehen worden auf dem Wege nach Hamburg. Dänische Soldaten, die ihn von Tondern her kannten, hätten ihn erkannt und festnehmen wollen. Er sei ihnen aber ausgekommen und habe sich, wie festgestellt worden sei, der Küste zugewandt, wohl in der Hoffnung, mit einem Schiff nach den Inseln und weiter nach England oder Spanien zu entkommen. Er sei unbedingt festzunehmen, denn er sei ein gefährlicher Bursche, der wilde Reden gegen den großen Kaiser und sein Heer im Munde führe, und solche Gesellen dürfen gar nicht geduldet werden.
Die Zollwächter, die da gekommen waren, waren selber dänische Soldaten unter französischer Führung. Reiner Möwke, der, wie alle eingesessenen Bauern, genug Dänisch verstand, um mit ihnen zu verhandeln, schüttelte immer wieder den Kopf. Endlich sagte er: »Also sucht den Hof ab! Wenn ihr ihn findet, mögt ihr ihn mitnehmen.« Denn er war ganz sicher, sie würden den jungen Patrioten nicht finden.
Drei Stunden suchten die vier Mann in allen Ställen, Scheunen, Baracken; sie fanden nichts. Verdrossen machten sie sich auf den Rückweg.
Das Leben ging seinen Gang weiter, und einige Tage später setzte Tauwind ein, der den Eisgürtel in Bewegung brachte. Spalten klafften auf, Wasser strömte an vielen Stellen hervor; durch den Wechsel von Ebbe und Flut zerriß das morsche Eis, man konnte nicht mehr wagen, auf das feste Land hinüberzugehen oder von dort zum Duvenhof zu kommen.
Da geschah es abends, als die Familie mit den Knechten und Mägden bei der Abendsuppe saß, daß Engel hereinkam und einen jungen Menschen an der Hand führte, der blaß und vernachlässigt aussah, erfrorene Hände und wirres Haar, aber in den Augen einen starken, guten Blick hatte. Den zog sie gegen den Tisch hin zu ihrem Vater und sagte, als sei das nichts Besonderes: »So, Vater, da ist er – der, den die Soldaten suchten. Er muß nun hier auf dem Hof bleiben, denn draußen auf dem Eis ist es nicht mehr sicher.«
Dann kam alles heraus, was sich begeben hatte.
Das Kind, denn sie war doch noch ein Kind den Jahren nach, hatte eines Tages, als es schon ein bißchen dämmerig wurde, auf dem Boden noch seine Tauben betreut und da durch die Luke gesehen, wie draußen auf dem Eis sich jemand bewegte. Das war gewesen, als das Eis noch nicht sicher war, sondern immer noch schwankte und schob und es ein gefährliches Gehen auf ihm war. Sie hatte gemerkt, es mußte jemand sein, der nicht Bescheid wußte, sicher keiner vom Hof, denn die wagten sich noch nicht hinaus. Eilig war sie vom Boden hinabgelaufen und durch das kleine Hölzchen dahin, wo sich der Duvenhügel hinter dem Obstgarten senkt und wo das Eis zum Stehen gekommen war. Da hatte sie mit der Schürze und den Händen dem Fremden Zeichen gemacht, er möge so und so gehen, und er war glücklich herangekommen.
Als er ihr von seiner Not berichtete, daß er gehetzt werde wie ein Stück Wild und lieber sterben wolle, als sich den Franzosen in die Hände geben, denn er sei ein Deutscher und wolle das bleiben, überlegte Engel, wie sie ihn am besten verbergen würde.
»Sie werden mir hier sicher nachforschen,« sagte der große Junge, »denn sie wissen, nach welcher Richtung ich mich gewandt habe, und daß ich in diesen Tagen hier an der Küste kein Schiff finde, um fortzukommen, das wissen sie auch. Ich hab' da im Eis ein Boot gefunden, zerbrochen, irgendwo fortgerissen, aber es möchte als Unterschlupf dienen, denn es ragt halb hervor aus den Schollen, und man kann sich darin verbergen, weil ringsum alles von aufeinandergetürmten Schollen ganz unwegsam ist. Haben meine Verfolger keine Hunde, dann finden sie mich da nicht. Den ganzen Tag hab' ich dort gehockt, bin halb erfroren und verhungert und hätte in der Nacht umkommen müssen. Darum hab' ich mich aufgemacht, ob ihr auf dem Hof hier mir nicht helfen könnt, aber so, daß euch selber keine Not davon kommt.«
Engel überlegte verständig und ruhig, was da zu machen sei. »Heute wird keiner mehr von drüben kommen,« sagte sie. »Die trauen sich doch nicht über das Eis. Das ist noch viel zu unsicher. Heute kannst du auf dem Taubenboden bleiben. Da kommt keiner hinauf. Essen kann ich dir bringen, Stroh liegt da in der Kammer, auch Pferdedecken. Sobald das Eis fest ist – wenn es so weiter friert, ist das morgen abend der Fall – dann mußt du in dein Boot, mußt dir Betten hinausschaffen und Stroh und Decken; ich kann es dir holen. Wir haben den Hof voll von fremden Leuten, die versorgt sein wollen, da fragt keiner, wenn ich allerlei Sachen herumschleppe. Ich will das hier heraufbringen, und du mußt es hinaustragen, wenn es ziemlich dunkel ist, und alle Abend mußt du kommen und dir hier vom Boden Essen holen; ich schaff' hier was herauf. Sehen darf dich aber keiner, denn wenn die Soldaten kommen, könnte dich doch einer verraten. Sie sind zwar alle gut deutsch, aber es ist besser, niemand weiß, daß du hier bist, damit sie auch meinem Vater nichts anhaben können.« –
So ungefähr wird sie alles mit ihm besprochen haben. Zuletzt hat sie noch den Gedanken mit dem Licht gehabt. Freilich hat das Licht nach Westen geschienen, aber der junge Mensch hat gemeint, er könne von seinem Versteck aus den Deich sehen, auch wenn es schon dämmerig sei; und einmal so weit dem Deich entgegengegangen, daß er den Duvenhof von vorn erblicke, würde er dann das Licht erspähen und sich an seinem Schein auf den Hof finden. Auf dem Taubenboden aber solle eine Laterne brennen, damit er da finden könne, was ihm bestimmt sei.
So hat das blutjunge, verständige Ding alles eingerichtet. Ein Erwachsener hätte es nicht besser können. Und das Mädchen hat keine Miene verzogen, als die Soldaten auf den Hof kamen; freilich wird auch kaum einer sonderlich auf das Kind geachtet haben.
Aber nun war Tauwetter. Das Eis begann zu drücken und zu brechen, und in dem Boot, über das der junge Mensch eine Wagenplane gespannt hatte, die, von Schnee überstoben, längst sein Versteck dem Eise gleich machte, war kein Bleiben mehr.
»Jetzt werden sie ihn hier auch nicht mehr suchen,« sagte Engel. »Nun denken sie doch, er ist längst auf und davon, wenn er nicht in Schnee und Sturm umgekommen ist.«
Sie haben alle das Mädchen bewundert; freilich, große Worte haben sie sicher nicht gemacht, das ist hier ja nie Sitte gewesen, aber die Eltern haben sie noch einmal so fest in die Arme genommen wie sonst, und die Dienstboten haben untereinander gesagt: »Die Engel! Die Engel, das wird noch mal 'ne ganz feine Deern!« Das war ihr höchstes Lob.
Das Eis schwand zum Teil, trieb ab in die See, und nach zwei Wochen ungefähr konnte man wieder über das Land gehen. Freilich hatte längst wieder Frost eingesetzt, und der mußte auch kommen, damit der tiefe, lehmige Boden der Marsch die Menschen trug; denn trocknen tat er erst, als die Frühlingssonne über die Äcker schien.
Da war der junge Mann längst in Sicherheit, nach Hamburg fort; und bald danach, als der große Freiheitskampf der Völker begann, befand er sich im Lützowschen Freikorps. Er war nur ein Handwerkersohn, Tischler war der Vater, aber er wollte Lehrer werden, und am liebsten hätte er auf der Kanzel gestanden und Gottes Wort gepredigt. Dazu reichten aber die väterlichen Pfennige nicht; so mußte er sich mit dem Lehrberuf bescheiden.
Es gingen Jahre hin über den Duvenhof; da kam er einmal wieder dorthin. Es lasse ihm keine Ruhe, sagte er, er müsse die wiedersehen, die ihm in der Gefahr so tapfer beigestanden hätten.
Aber wenn ihr denkt, die Sache hätte nun natürlich damit geschlossen, daß die zwei ein Paar geworden sind, so irrt ihr. Engel war bereits einem jungen Landmann Horst Stein versprochen und war mit ihrem Verlobten sehr zufrieden, wozu auch alle Ursache war, denn er hat sich sein Leben lang als ein tüchtiger, frommer und tadelloser Mann gezeigt. Der junge Tonderner Lehrer hätte auch nicht als Bauer auf den Duvenhof gepaßt; dagegen war es den Eltern nicht unlieb, als er später die dritte, Ovedine, heimführte, die ihm in das Schleswigsche folgte und eine gute kleine Lehrersfrau wurde.
Die Tauben vom Duvenhof flogen aus nach allen Seiten, aber über die Grenzen von Schleswig-Holstein flog keine hinaus.
Seit der Zeit aber wurde es wieder Brauch, daß im Giebelzimmer bei Nacht ein Licht brannte, ein dickes Wachslicht vor einem blanken Hohlspiegel, und wenn die dunklen Nächte kommen, gehe ich noch heute hinauf und zünde es an. Sie kennen es alle draußen an der Küste. Es hat auch schon einmal einen Fischer aus Brarup heimgeführt, der sich zu weit hinaus getraut hatte in das Watt und in der Dunkelheit den Rückweg nicht fand. Ohne das Duvenlicht wäre er zu spät an die Küste gekommen. Die Flut hätte ihn überrascht und mit sich genommen. Seit das geschehen ist, halte ich doppelt darauf, daß das Licht, das jetzt eine Lampe ist, am Abend oben im Giebel angezündet wird.