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Schwedenklee sitzt in der Nacht auf der Treppe des Hauses. Das Haus ist dunkel, schwarz der Wald, Schwedenklee sitzt in völliger Finsternis. Zuweilen schlägt Feuer aus der Treppe des Hauses: das ist Schwedenklees Zigarre, die Funken stiebt.
Heute, morgen, übermorgen sitzt Schwedenklee in der Nacht, und nur zuweilen fahren wilde Funken aus seiner Zigarre.
Ruhelos rennt der Hund hin und her, die Nase am Boden. Durch den Garten, über die Felder, in den Wald, immer die Nase am Boden, alten Spuren nach. In der Nacht fällt Regen, und nun ist der Hund plötzlich ruhiger.
Ellen also war ins Engagement abgereist ...
Er hatte nicht mehr erwartet, daß sie ihm auf die gewisse Frage antworten würde – und doch, sie hatte es getan! Auf dem kleinen Bahnhof, der wimmelte von lauten Badegästen, hatte sie zart seinen Arm berührt und ihn mit einem Blicke angesehen – ja, was für ein Blick war es doch?
Das war ihre Antwort! Schwedenklee atmete tief – ja! Und er hatte sie verstanden. Sie sagte: »Es wäre ja alles so wunderbar gewesen, aber siehst du – es ist nicht so einfach ...«
Nun, er hatte verstanden, vollkommen. O gewiß, es war nicht so einfach ...
Es ist ja möglich, dachte Schwedenklee, daß ihr, die hilflos und vereinsamt im Leben steht, im ersten Augenblick eine Verbindung mit dir erwägenswert erschien. Es ist wahrscheinlich, daß sie auf deinen Vorschlag eingegangen wäre, da sie einen anderen Ausweg nicht fand! Da aber erschien Pohl! Seine Stimme weckte plötzlich die Stimmen ihrer Jugend. Und was die Hauptsache ist: er zeigte ihr einen Ausweg, in einem Augenblick, da sie ratlos war, keinen Ausweg fand, ja nicht einmal mehr an die Möglichkeit eines Ausweges dachte. Daher ihre unverständliche Erregung. Blitzschnell folgte sie ihren Instinkten.
»Aber wozu die vielen Worte?« sagte Schwedenklee zu sich. »Es gibt eine viel einfachere Erklärung: sie liebte dich nicht! Sie fühlte, daß diese Verbindung für sie nie glücklich sein konnte. Ja, die Wahrheit ist zuweilen bitter!«
Und dann kam da vielleicht noch etwas hinzu ...
Schwedenklee lächelte.
»Sie versteht es ja heute noch nicht, weshalb sie so begierig war, nach Hamburg zu reisen – die Reine, Wundervolle!« flüsterte er. »Später, später! Ich habe vom ersten Augenblick an alles geahnt!«
»Daß ich noch das Wettrennen um die Wiese mitmachte! Und an dem Ast hing ich so lange, daß mir heute noch der Arm weh tut!«
Funken fuhren aus Schwedenklees Zigarre.
Jeden Abend saß Schwedenklee in der Dunkelheit auf der Treppe des Hauses, und die Funken stoben. Es war Neumond.
Am Tage arbeitete er an seiner Terrasse.
»Diese fünfzig Kubikmeter Erde werden wir schon bewältigen!« sagte er, selbstbewußt, und der Schweiß rann ihm über das Gesicht.
Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß Schwedenklee in diesen Tagen sich häufig selbst in den Weinkeller begab.
Es gibt Menschen, die einen Stoß in die Herzgrube ohne besondere Erschütterung ertragen, sie sind sehr selten, andere, die lamentieren und ein großes Geschrei machen, und wieder andere, die einfach eine Flasche aufziehen, sich räuspern und eine Zigarre anzünden ...
Schwedenklee stand in diesen Tagen sehr spät auf und ging erst schlafen, wenn der Morgen graute. Augusta betrachtete ihn mit vorwurfsvollen Blicken. Er aß ihr zu wenig.
Ja, diese Augusta, sie war keineswegs so albern, wie er glaubte. Sie sah in sein eingesunkenes, verstörtes Gesicht und sagte sich: »Diese Frauenzimmer, wie sie ihm zusetzen – es ist schon eine Schande!«
Der Neubau war fertig. Er roch nach Kalk, Gips und Glaserkitt. Auch das Badezimmer – das alle Badezimmer Deutschlands schlagen sollte – war im Rohbau fertig. Die versenkte Wanne war vier Meter lang und zwei Meter breit, die Hähne blitzten. Eines Tages mühte sich ein Fuhrwerk, ein kleiner Wald auf Rädern, die Straße herauf: die Blattpflanzen kamen. Sie hatten ein Vermögen gekostet.
»Stellen Sie sie einfach in den Baderaum!« sagte Schwedenklee. Da standen sie, bis sie verkamen.
Weshalb aber, zum Teufel, war es in diesem Neubau so kalt? Strömte der Putz diese Kälte aus? Schwedenklee betrat den Neubau nicht mehr.
Zart und fein stieg die Mondsichel aus dem Meer empor.
Schwedenklee saß im Dunkel auf der Treppe des Hauses und rauchte.
Er hatte heute den ersten Brief Ellens erhalten. »Dank, Dank – du wirst mich verstehen – du bist mir gewiß nicht böse ...«
Ja, gewiß, Schwedenklee gehörte zur Klasse jener Menschen, die alles verstehen und daher alles vergeben, denen nichts Menschliches fremd ist – gewiß, er verstand alles. Mehr als sie ahnte! Und böse? Nein, böse konnte Schwedenklee überhaupt nicht werden.
Und doch, gerade an diesem Abend wurde Schwedenklee von starker Unruhe erfaßt. Er ging auf und ab, die Funken sprühten aus seiner Zigarre. Schweiß brach aus seiner Stirn.
Seine Augen sanken ein. » Wenn sie nun aber doch mein Kind wäre?« sagte er voller Gram. »Auch die Krankenschwester, du erinnerst dich, sagte, sie glaube, Blank habe dir besondere Mitteilungen zu machen ...«
»Hätte ich Gewißheit – alles wäre ja anders!«
Verraten wir es: Schwedenklee ging in die Dunkelheit, wo sie am schwärzesten war, um hier, ganz im Dunklen, obschon niemand in der Nähe war, die Finger in die Augen zu drücken und zu stöhnen.
Ja, Schwedenklee hatte heute einen schlechten Tag. Er strich die ganze Nacht in der Finsternis hin und her, fröstelte im Nachtnebel.
»Gerade als ich die Hand nach ihr ausstreckte –!« sagte er, aber er sprach nicht weiter.