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19

Endlich waren alle Einkäufe beendet. Koffer wurden gepackt. Der Tag der Abreise aufs Land wurde festgesetzt.

Der Zug verließ den Bahnhof.

»Nun gehörst du ganz mir«, dachte Schwedenklee triumphierend, und seine Erregung war so groß, daß seine Hände zitterten.

»Was denkst du?« fragte Ellen, verwirrt durch seinen Blick.

»Ich fürchte, Ellen wird sich langweilen«, erwiderte Schwedenklee lächelnd, um seine Erregung zu verbergen.

»Ich? Auf dem Lande? Oh, nie!« rief Ellen aus. Dann saß sie still, mit großen Augen, die erfüllt waren von Genugtuung, diese grauen Hauswände, zwischen denen der Zug sich durchzwang, hinter sich zu lassen.

»Gott sei Dank!« flüsterte sie und atmete auf, als die Stadt zu Ende war und die Wiesen kamen.

»Allmächtiger!« dachte Schwedenklee. »Wie wird es sein, wenn ich mit ihr allein sein werde?«


Schwedenklees Landgut »Siebenbirken« lag an der Ostsee, ganz in der Nähe von Warnemünde. Es lag nicht direkt am Meer, gewährte aber eine herrliche Aussicht über die See.

Der Name stammte von Schwedenklee selbst. Früher hatte dieses Bauerngut überhaupt keinen Namen gehabt, nur eine Hausnummer. Aber da gerade sieben Birken vor dem Hause standen, hatte Schwedenklee den Besitz sehr poetisch »Siebenbirken« genannt.

In einer Anwandlung von Weltflucht hatte Schwedenklee vor Jahren »Siebenbirken« gekauft. Er wollte allein, zurückgezogen, »wie ein Bauer« leben. Damals. Er hatte das Bauernhaus und die Wirtschaftsgebäude gelassen, wie sie waren, etwas krumm, plump, mit Stroh gedeckt, und ein Haus auf einem Punkte errichtet, der die schönste und vollkommenste Aussicht über die See bot. Seit Jahren hatte er sich nicht mehr um »Siebenbirken« gekümmert. Er hatte einige Monate – damals als er weltflüchtig war – auf dem Landsitz verbracht und den Bau des Landhauses geleitet. Als der Bau fertig dastand, war er noch eine Woche geblieben. Aber am Ende der Woche hatte ihn das Grauen der Einsamkeit erfaßt. Noch in der Nacht hatte er gepackt: es war ja nicht auszuhalten! Mit dem Frühzug schon war er nach Berlin gefahren. Nur einige Male war er noch auf zwei, drei Tage in all den Jahren nach Siebenbirken gekommen, und stets hatte ihn das Gefühl trostloser Langeweile wieder vertrieben. Nein, nein, er hatte kein Talent, einsam zu leben! Verschiedenen Anwandlungen, das Landgut zu verkaufen, hatte er nur aus Trägheit nicht nachgegeben.

»Ahnte ich etwas?« sagte er sich heute, in sein Inneres horchend.

Der Bauer, an den das Gut verpachtet war, holte sie in einem wackligen Stuhlwagen ab.

Der Wagen war so klein, daß Augusta mit den Koffern und Kisten auf der Station warten mußte.

»Wie wunderbar! Wie herrlich!« rief Ellen mit leuchtenden Augen aus, als sie durch die scharfe Märzluft dahinfuhren. In den Wäldern lag noch da und dort Schnee.

»Wird es dir hier gefallen?«

Ellen nickte freudig.

Am ersten Tage hätte Schwedenklee nahezu die gute Laune verloren: die Mahlzeiten schienen ihm etwas sehr ländlich. Augusta ging mit Tränen in den Augen, fiebernd, aufgelöst, in der völlig kahlen Küche hin und her. »Es ist ja nichts da, gar nichts da!« sagte sie. Ellen hatte sich eine von Augustas Schürzen umgebunden und versuchte durch ihre Munterkeit Augustas Verzweiflung zu verscheuchen.

Am nächsten Tage fuhren Augusta und Ellen zur Stadt, um einzukaufen. Bepackt mit Töpfen, Schüsseln, Kochlöffeln, Sieben, Porzellan, Gläsern kehrte der Wagen zurück. Augusta strahlte.


Auf Siebenbirken lebten der Bauer mit seiner Familie, ferner zwei Pferde, drei Kühe, ein Rudel Schweine, etliche dreißig Hühner, einige Familien Gänse und Enten. – Es gab einen Hund, eine Art Schäferhund, fahlgelb mit dunkelgrauen Rückenhaaren, mit Namen Strolly. Diesen Hund hatte Schwedenklee aufgezogen, zur Zeit, da er baute, und obschon er nur zwei-, dreimal auf das Gut zurückgekehrt war, hatte der Hund ihn wiedererkannt. Das rührte Schwedenklee. »Strolly«, furchtbar bissig und rasend allen Fremden gegenüber, war liebenswürdig, untergeben, sittsam und von äußerstem Entgegenkommen gegen Freunde. Schon am ersten Tage war er zu Ellen übergegangen, obschon ihn sein Feingefühl hinderte, es allzu deutlich zu zeigen. Sooft er Schwedenklee sah, tat er so, als ob er ihm die gleiche Anhänglichkeit bewahrt habe. Sobald aber Ellen nur sichtbar wurde, zeigte sich offen seine Heuchelei.

Es gab einen schwarzen, dicken Kater, Munki, der es liebte, sich auf den Schultern spazierentragen zu lassen, ein menschenliebendes Tier, das sich an den Beinen rieb, sobald man sich zeigte. Dick, befriedigt, glücklich saß der Kater auf Ellens schmaler Schulter. Am dritten Tage schon war auch er zu Ellen übergegangen.

Es gab eine Stute »Lotte«, die – ein Phänomen – mit der Zunge eine Türklinke hob, sobald sie neben dem Pferdestall Stimmen hörte.

Es gab zwei Hähne, einen dicken alten, mit in hundert Schlachten zerzausten Federn, und einen jungen – schlank, graziös, mit den Bewegungen eines Fechters –, die sich wie Teufel bekämpften. Zuweilen wurde der jüngere von dem alten bis tief hinein in den Wald gejagt.

Es gab ein kleines Schwein, das zärtlich war wie ein Hund und sich gerne den Kopf graulen ließ. Das waren die Besonderheiten von Siebenbirken, sonst war es ein Landgut wie jedes andere. Nicht zu vergessen eine Gans, die – ein Einzelgänger, nicht auf dem Hof gebrütet – von den übrigen Gänsen verleugnet und gehaßt wurde und den Menschen wie ein Hund folgte. Sonst wie überall: Geschrei, Gegacker, Lärm, Blöken, und die Jauche rann aus den Ställen in den großen Misthaufen des Wirtschaftshofes.

Beglückt beobachtete Schwedenklee, daß Ellen auf dem Gute auflebte. Vom Morgen bis zum Abend war sie unterwegs in Ställen und Scheunen. Munki, der schwarze Kater, saß auf ihrer Schulter, Strolly sprang ihr bis an die Ohrläppchen – und sie zankte den fetten Hahn aus, der sich gegen den jungen, den sie »Spanier« nannte, albern und eifersüchtig benahm. Die Blässe ihres Gesichtes verlor sich, zartrotes Geäder erschien auf den Wangen. Ihre Stimme zwitscherte fröhlich.

Nur dann und wann saß sie in sich versunken abseits, den Blick gequält in die Ferne gerichtet. An diesen Tagen sprach sie nur selten, leise, die Stirn zerknittert. Ihr Blick war verschleiert von Schwermut, die Gedanken ferne.

Ein Zittern durchrieselte sie, wenn man sie berührte. Abends brannten dann zwei Kerzen in ihrem Zimmer, und am Morgen erschien sie bleich, verstört, mit geröteten Augen. Aber immer seltener wurden diese Anfälle schwerer Traurigkeit, die Schwedenklee, besonders anfangs, sehr beunruhigten.

Ellen interessierte sich für alles, was in der Wirtschaft vorging. Sie war als Stadtkind nur flüchtig mit dem Lande in Berührung gekommen. Was für Futter erhielten Hühner und Schweine, weshalb wurde der Acker gewalzt, wie kam es, daß der Klee zwei, drei Jahre stand, was war eigentlich »Winterroggen«, von dem so viel die Rede war – über all das konnte sie nicht ausführlich genug mit dem Bauer sprechen, und sie fragte auch Schwedenklee unausgesetzt, Schwedenklee, der kaum Weizen von Roggen zu unterscheiden vermochte.

Als die Pferde zum erstenmal auf die Koppel durften, war es ein richtiger Festtag für Ellen. Sie selbst brachte die Pferde in den Stall zurück. Sie lernte sogar das Melken der Kühe. Schwedenklee hatte sich nie überwinden können, das Euter einer Kuh zwischen die Finger zu nehmen.

»Dir gefällt es hier?« Seine größte Sorge war, daß es ihr schließlich doch nicht gefallen könnte. Allein, fern von allen Menschen wollte er sie haben. Ja, so mußte es sein, grenzenlos war sein Egoismus, das Schicksal hatte gesprochen.

»Wir werden also hierbleiben? Du wirst sehen, es ist gar nicht zu langweilig. Wenn erst die Badegäste kommen werden.«

Ellen zog die Braue hoch, ihre feine nervöse Braue. »Ich will keine Menschen sehen!«

Wie dankbar war Schwedenklee.

»Du willst also vorläufig nicht nach Berlin zurückkehren?«

»Berlin?« Ellen war entsetzt. »Ich will bei Strolly und Munki bleiben!«

Schwedenklees Gesicht wurde dunkel: er war eifersüchtig auf die Tiere ...


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