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Ellen verbarg nicht ihre Dankbarkeit für Schwedenklees Fürsorge und Anteilnahme an allem, was sie betraf. Sie hielt diese Fürsorge für völlig uneigennützig, der tiefen Freundschaft entspringend, die ihn mit ihren Eltern verbunden hatte. Natürlich verriet ihr ihr weiblicher Instinkt, daß er sie gern um sich sah. Wirkliches und aufrichtiges Vertrauen aber empfand sie erst seit den letzten Wochen, da er sich so lebhaft für ihre Pläne interessierte.
Er hatte ihr eine kleine Bibliothek, die sie für ihre Studien brauchte, besorgt.
Mit allem Eifer gab sie sich der Arbeit hin. Jeden Morgen verschwand sie nach dem Frühstück in den Wald, der an Schwedenklees Acker grenzte. Erst gegen Mittag kehrte sie zurück, die Wangen gerötet, Glanz und den Widerschein frohen Erlebens in den Augen.
Neugierig schlich ihr Schwedenklee eines Tages nach. Er hätte sie nie finden können, wenn nicht der Hund ihr Versteck verraten hätte. Auf einer Kuppe des Waldes war eine kleine, von Erlen umgebene Lichtung, so dicht abgeschlossen, daß es nahezu unmöglich war, die Lichtung zu finden.
Dies war Ellens Versteck. Er beobachtete, wie sie mit dem Buche in der Hand auf und ab ging. Sie sprach, deklamierte, ohne daß er die Worte verstanden hätte. Sie spielte! Sie kniete flüchtig nieder, hob die Arme, sie flüchtete, sie wehrte unsichtbare Feinde ab, erstarrte in Qualen, löste sich befreit – wieder klang ihre Stimme.
»Was mag sie wohl spielen?« dachte Schwedenklee neugierig in seinem Versteck. Nie kam sie ihm seltsamer, rührender vor als in diesem Moment.
Offenbar war sie nicht zufrieden. Wieder kniete sie nieder, ihre dünnen, zarten Hände flehten, ihre ganze Gestalt, die Arme, die Neigung ihres Kopfes. Wieder wich sie zurück – herrlich und wunderbar erschien sie ihm, leidenschaftlich hingegeben ihrem Werke, inmitten der Einsamkeit und Heiligkeit des Waldes.
Strolly, der Hund, gewöhnt an ihr wunderliches Gebaren, lag im Grase, den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt. In der Gabel eines Astes entdeckte Schwedenklee den schwarzen Kater.
Bei einer lebhaften Geste schreckte der Hund auf und sprang an ihr empor. Sie umarmte ihn, küßte ihn und beide wälzten sie sich im Grase. Hell und herzlich klang Ellens Gelächter.
Heute, morgen, übermorgen belauschte sie Schwedenklee klopfenden Herzens. Aber der Hund lief hin und her, bellte – endlich stutzte Ellen, unterbrach ihre Deklamation und lauschte. Sie machte Miene, dem Hund zu folgen.
Schwedenklee entfloh und belauschte sie fortan nicht mehr.
Trotz dem kameradschaftlichen, harmlosen und nahezu kindlichen Tone, der zwischen ihnen herrschte, bewahrte Ellen immer noch eine gewisse Scheu und Fremdheit. Zuweilen sprach sie von ihren Hoffnungen in der Zukunft, niemals, oder fast niemals rührte sie an die Vergangenheit.
Bis zum Alter von ungefähr fünfzehn Jahren hatte sie wohl ein ziemlich sorgloses, ja heiteres Leben geführt. Dann kam die Krankheit der Mutter. Ellen, ein Kind noch, führte den Haushalt, die Sorge trat ihr ganz nahe. Früh gereift in manchen Dingen, hatte die Schwere dieser Jahre sie in ihrer seelischen Entwicklung in anderer Beziehung gehemmt. Unentwickelter als Mädchen ihres Alters, die sorglos und heiter erblühten, war sie in anderen Dingen.
Oft beobachtete Schwedenklee, wie sie mit den Tieren plauderte. Sie sprach mit ihnen wie mit kleinen Geschwistern, so naiv gläubig und zärtlich. Die Tiere aber schienen sie völlig zu verstehen.
»Wie rührend sie ist!« dachte Schwedenklee, und ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Glückes erfüllte ihn.