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Schon in der nächsten Woche kamen die Werkleute, und der Umbau und Ausbau des Hauses begann. Es wimmelte auf Siebenbirken plötzlich von Handwerkern.
Schwedenklee erhob sich schon am frühen Morgen. Er ging mit dem Meterstab hin und her. Er fertigte für Maurer und Zimmerleute und Tischler Detailzeichnungen an.
Man muß es zugeben, in den letzten Jahren war Schwedenklee die Entschlußkraft einigermaßen abhanden gekommen. Er sollte zum Beispiel einen wichtigen Brief schreiben. Er konnte sich nicht dazu aufraffen. Da ist dieser Brief, dachte er, es wird höchste Zeit! Aber die Tinte war dick geworden. Der Brief unterblieb.
Schwedenklee hatte sich sehr geändert. Er sieht, daß eine Latte an einem Zaun lose ist. Sofort holt er Hammer und Nägel und hämmert, daß es lustig widerhallt.
Da steht ein alter Fliederbusch, dessen Blätter matt herabhängen. Schwedenklee hätte früher nie einen Finger gerührt. Jetzt holte er sofort einen Hammer und einen langen Zimmermannsnagel und meißelt Löcher in den zementharten Lehm rings um den Stamm.
»Was tust du?« staunt Ellen, hingerissen und voll äußerster Verwunderung.
Schon schleppt Schwedenklee Wasser heran und gießt die Löcher voll, sorgfältig, geduldig, bis der Zement sich erweicht. Schon am zweiten Tage stellen sich die matten Blätter des Fliederbusches steif und prall. Und Ellen staunt!
Schwedenklee ließ sich wiegen – auf derselben Wage, wo die Schweine, in einem Holzverschlag, gewogen wurden. Sein Gewicht war außerordentlich hoch. Er verschwieg es! Aber man sah ihn nun schon am frühen Morgen mit dem Spaten im Garten. Er arbeitete im Schweiße seines Angesichts den ganzen Tag über. Nach einer Woche hatte er bereits fünf Pfund verloren.
Nun begann Schwedenklee schwere Steine, Feldsteine, die in Massen an einer Hecke angehäuft waren, zu schleppen und zu rollen. Er hatte beschlossen, einen Steingarten zu bauen. Der Schweiß rann ihm in Strömen von der Stirne.
In dieser Woche nahm er acht Pfund ab. Schon waren ihm die Hosen zu weit. Sein Gang war leichter, er lief sogar zuweilen, allerdings nicht lange, da ihm der Atem kurz wurde. In seine schlaffen Arme kam wieder Kraft.
Zuweilen strichen Radfahrer flink an Siebenbirken vorbei. Mit einem merkwürdigen Interesse sah Schwedenklee diesen flinken Radfahrern nach.
»Kannst du radfahren, Ellen?« fragte er eines Tages, voller Entschlossenheit.
»Nein!«
»Vielleicht wäre es hübsch, Partien zu machen?«
»Oh!«
Schon fuhr Schwedenklee in die Stadt und brachte zwei funkelnagelneue Räder mit.
Ja, bei Gott, vielleicht hatte Schwedenklee sich doch etwas zuviel zugemutet! Er fuhr vor etwa zwanzig Jahren Rad und glaubte nicht, daß es möglich wäre, diese Kunst zu verlernen? Kaum aber hatte er das Rad bestiegen, als er schon auf der anderen Seite in das Gras hinabstürzte. Augusta lachte, Ellen lachte, die Handwerker lachten. Wurde Schwedenklee böse? O nein, auch Schwedenklee lachte. Kühn fuhr er einige zwanzig Meter geradeaus, um bei einem Holzhaufen zu kentern.
Ellen, zierlich, leicht, gewandt, kletterte in das Rad, und Schwedenklee führte die Maschine voller Vorsicht. Ellen schrie, lachte – und wenn sie fallen sollte, landete sie an Schwedenklees Schulter.
Schon am vierten Tage nach den ersten Übungen unternahmen sie eine kleine Radtour, die so reich an Erlebnissen war, daß sie tagelang darüber sprachen.
Schwedenklee wurde in der Tat täglich schlanker. Sein Blick wurde offener, freimütiger. Seine dicken roten Prälatenwangen wurden flächig und braun, sein Körper straffte sich. Seine Stimme bekam einen metallischen Klang.
Schwedenklee trug beim Lesen eine Hornbrille. Einmal trat Ellen ein, die ihn nie mit dieser abscheulichen Brille gesehen hatte. Sie lächelte, ja sie mußte laut herauslachen.
In Zukunft trug Schwedenklee diese Brille nicht mehr. Die frische Luft, die Bewegung stärkten seine Augen in wenigen Wochen so sehr, daß er keine Brille mehr brauchte.
Eine ganze Woche regnete es. Schwedenklee zeichnete wieder an seinem Zentralbahnhof.
Dann packte er die Geige aus und begann, lustlos anfangs, Instrument und Klang entfremdet, ganz leise zu spielen.
Da erschien Ellen plötzlich – ganz entgeistert! – in der Türe.
»Du spielst Geige?« rief sie maßlos überrascht aus. Freude stand in ihren hellen Augen.
»Du spielst ja sehr gut!« sagte sie, noch mehr überrascht.
Schwedenklee kam in Verlegenheit. Er erinnerte sich an die Zeit – viele Jahre war es her – da er begeistert mit den Musikstudenten zweimal in der Woche musizierte, da er sogar den Ehrgeiz besessen hatte, Geiger zu werden – still!
Es stellte sich heraus, daß auch Ellen Geige spielte. Ihr Vater hatte sie unterrichtet.
»So spiele.«
»Nein. Ich werde üben, wenn du nicht zuhörst. Ich habe lange nicht gespielt.«
»Weshalb nicht?«
Ellen errötete.
»Papa verkaufte seine Geige.«
»Ja, weshalb denn?«
»Er verkaufte sie, als Mama starb. Wir hatten so große Ausgaben damals.«
Schwedenklee fragte nichts mehr.
»Es ist keine besondere Geige«, sagte er. »Aber wenn du mir eine Freude bereiten willst, Ellen, so nimm sie als Geschenk an.«
Alles, alles wollte er ihr schenken, nur um ein freudiges Feuer in ihren Augen zu entzünden. Zart und kühl war die Haut ihrer Schultern. Sie war nicht schöner als andere Frauen, oh, keineswegs, aber sie war jung und unerfahren, das war alles, was sie anderen Frauen voraus hatte. Es war die Jugend, nicht mehr, nicht weniger.
Er bemühte sich, Ellens Wünsche und Pläne zu erforschen. Sie war scheu, sprach nie von sich und den Dingen, die sie im Innersten beschäftigten. Sie errötete, wenn man sie nach ihren Wünschen fragte, und erklärte, sie wünsche nichts. Vielleicht aber hatte sie irgendwelche Neigungen, Lust zur Musik, zu irgendeinem Berufe? In allen Dingen wollte er ihr wie ein Freund zur Seite stehen.
Endlich überwand Ellen ihre Scheu und erschloß sich. Es fand sich, daß Ellen längst einen Entschluß gefaßt hatte. Verlegen und errötend bekannte sie, daß sie zur Bühne gehen wolle. Mehr als das, es stellte sich heraus, daß ihre Ausbildung bei verschiedenen Lehrern bereits so weit gefördert war, daß sie schon in diesem Sommer, wäre der Todesfall nicht eingetreten, in ihr erstes Engagement in einen kleinen Badeort hätte gehen sollen.
Schwedenklee, der fürchtete, daß das Theater sie ihm entfremden könne, versuchte sie umzustimmen. Aber Ellen hing voller Leidenschaft an dem gewählten Berufe. Sie war fest entschlossen, denselben verführerischen und gefährlichen Weg zu gehen wie ihre Eltern.
»Nun gut«, dachte Schwedenklee. »Ich habe gute Beziehungen zu den Theatern in Berlin. Sie wird es leichter haben, soll es leichter haben, als andere. Freilich: das Theater – lieber wäre mir ein anderer Beruf – lieber wäre mir gar kein Beruf ...«
Ellen hatte einen hellen, ergreifenden Sopran: vielleicht Sängerin?
Nun, sie sollte wählen, sie sollte werden, was sie wollte!
Tagelang stand eine Überraschung in Schwedenklees Augen. Ellens Neugierde war aufs höchste gestiegen.
Eines Tages wurde ein kleiner funkelnagelneuer Stutzflügel vor dem Hause abgeladen. Es war ein Glück, daß Ellen im Walde war! Als sie zurückkam, fand sie den Flügel im Speisezimmer. Ein kleiner Strauß von Frühlingsblumen stand darauf, und an der Vase lehnte eine Karte, auf die Schwedenklee geschrieben hatte: der kleinen Ellen für ihre neue Wohnstube.
Ellen war überglücklich. Sie schlang ihre weichen, nach Gras und Wald duftenden Arme um seinen Hals. Die Berührung ihrer Arme war leise und doch unsagbar innig.
Am Abend fand das erste Konzert statt. Schwedenklee spielte aus bekannten Opern, und er spielte außerordentlich aufgeregt. Er spielte Klavier keineswegs so gut wie Geige. Aber er spielte ohne Mühe, las gewandt, und zudem konnte er die meisten Opern auswendig. Schon nach wenigen Tagen hatte er sich wieder eingespielt, und der kleine Flügel sang und donnerte wie ein Provinzorchester, das sich alle Mühe gibt. Nun begann er auch einzelne Partien halblaut zu singen.
Ellen war wie verzaubert. Mit glänzenden Augen saß sie da, den Mund offen, die Ohren leuchteten purpurrot. Ihre Kindheit erwachte, da sie in einer Luft von Musik aufwuchs.
Bald aber – wie angezogen – stand sie hinter Schwedenklees Stuhl und begleitete ihn mit leiser, erregt bebender Stimme.
Fast jeden Abend wurde musiziert. Draußen die Nacht, der Mond klettert in den samtschwarzen Himmel empor, die Bäume brausen.
Mehr und mehr verlor Ellen ihre Scheu, und ihre Stimme strömte klar, rührend, voller Leidenschaft. Sie glühte vor Erregung.
»Vielleicht werden wir doch noch eine Sängerin aus dir machen, Ellen?«
»Papa sagte, meine Stimme sei zu klein«, erwiderte Ellen, errötend über das Lob.
»Nun, wir werden ja sehen.« Schon war auch Schwedenklee vom Fieber ergriffen: oft sah er sie, Ellen, seine Ellen, auf der Bühne stehen, umbrandet vom Beifall.