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Die Schwester zog Schwedenklee in einen feuchten, eisigen Vorraum, eine Art Küche mit Ausguß, die Fenster waren gefroren.
»Man hat ihm,« sagte sie, »während er schon todkrank lag, die letzten Habseligkeiten gepfändet. Noch gestern kam die Hauswirtin und machte eine solch fürchterliche Szene, daß es zu Tätlichkeiten zwischen mir und ihr kam. Sie holte die Polizei, die Polizei aber hatte doch mehr Einsicht, als sie den Kranken sah, und zog ab.«
»Wie schön von Ihnen!« stammelte Schwedenklee ergriffen. Er drückte der Schwester bewundernd die Hand »Was für eine prächtige Frau sind Sie doch!« Diese ungeschlachte, kalte Person, ja, es gab immer noch Menschen! »Ich komme für alles auf, Schwester Anna,« stotterte er verlegen. Immer noch zitterte er am ganzen Körper, und seine Zähne klapperten. Seine Nerven hatten völlig versagt.
»Wir haben nichts, auch nicht einen Pfennig, nur Schulden.«
»Nun, so nehmen Sie, bitte. Ich gehe. Morgen früh bin ich wieder hier, ich habe heute nicht länger Zeit.«
»Einen Augenblick!« sagte Schwester Anna und nahm ein Päckchen Briefe von einem verstaubten Brett.
»Das hier ist für Sie, und hier ist ein Brief, den Blank gestern schrieb.«
»Danke«, stammelte Schwedenklee und stürzte mit seinem Zylinder die Treppe hinab.
Noch heute wußte Schwedenklee nicht zu sagen, wie er wieder in sein Stadtviertel zurückgekommen war. Er erwachte aus einer Art von geistiger Starre, als der Chauffeur die Türe des Autos öffnete. Zu seinem großen Erstaunen stand das Auto vor seinem Stammcafé.
In einem völlig verstörten, entgeisterten Zustand kam Schwedenklee in den Billardsaal. Ohne zu denken hatte er offenbar dem Chauffeur das Stammcafé genannt.
Niemand sprach ihn an, der Kellner wagte kaum guten Abend zu sagen – jeder fühlte, daß mit Schwedenklee etwas Außergewöhnliches geschehen war.
»Lieber Freund!« Hinter einer Zeitung verborgen, zitternd an allen Gliedern, zuweilen Kaffee schlürfend, um seine Erregung zu verbergen, entzifferte Schwedenklee Blanks letzten Brief.
»Lieber Freund! Ich habe große Eile. Schon umhüllen mich die Schleier des Todes. Ich verbrenne vor Qual. Der Gedanke an Sie ist mein einziger Trost, und ich klammere mich an Sie.
Erbarmen Sie sich meiner Tochter Ellen! Beim Andenken Ihrer Mutter – erbarmen Sie sich meines Kindes. Ich übergebe Ellen Ihrem Schutz!«
Schwedenklee zitterte, totenbleich im Gesicht, hinter seiner Zeitung.
Der Bassist Schwarz näherte sich.
»Nelly ist bitterböse auf Sie!« schrie er laut lachend. »Sie hat eine Stunde auf Sie gewartet, mein Gott, wie böse sie war!«
Schwedenklee wich dem Blick des Sängers aus.
»Verzeihen Sie«, sagte er leise und stockend, bebend vor verhaltener Erregung. »Ich komme soeben vom Sterbebett eines Freundes.«
»Oh, ich bitte um Entschuldigung«, stammelte Schwarz und begab sich rasch zu den Kartentischen.
»Ich übergehe Ellen Ihrem Schutz ...«
Heiß stieg ein heiliges Gelübde aus Schwedenklees Herzen. Plötzlich nahm er Pelz und Zylinder, und mit einem verwirrten Lächeln auf dem verstörten Gesicht eilte er zum großen Erstaunen der Gäste rasch die Treppe hinab.
In den folgenden Tagen sah man Schwedenklee sehr geschäftig: im Zylinder, schwarzem Überzieher. Er fuhr im Auto ab, er kehrte im Auto zurück. Den ganzen Tag war er unterwegs, er aß in der Stadt. Er sprach fast nichts, seine Miene war ernst, feierlich.
Stundenlang ging er, tief in Gedanken versunken, durch die Zimmer seiner Wohnung. Endlich war er ins reine gekommen. Er klingelte Augusta.
»Augusta,« sagte er, »wir müssen diese Zimmer umräumen. Sagen Sie dem Portier, daß er mir morgen früh helfen soll. Ich –« er verlor unter Augustas Blick die Sicherheit – »wir werden Besuch bekommen. Die Tochter meines verstorbenen Freundes wird bei uns wohnen.«
Augusta legte den Kopf auf die Seite, zog den Mund breit und betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Dann wandte sie sich hastig ab und schlug die Türe zu. Das war Augustas Antwort.
»Nun gut,« dachte Schwedenklee, »soll sie gehen, die alberne Gans!«
An einem Nachmittag fuhr ein Auto vor Schwedenklees Haus vor. Zuerst stieg Schwedenklee aus, sehr erregt, scheue Blicke um sich werfend, und dann eine schmächtige, ganz in Schwarz gekleidete, tief verschleierte junge Dame, die eine armselige kleine Handtasche trug und den Blick auf den Boden heftete.
Unbeweglich, hilflos stand die junge verschleierte Dame auf der Treppe, während Schwedenklee den Chauffeur entlohnte.
»Augusta!« rief Schwedenklee. Aber niemand regte sich, das Haus schien verlassen.
Schwedenklee war äußerst verlegen und sehr aufgeregt.
Er hatte zwei kleine Zimmer seiner Wohnung mit antiken Möbeln hübsch und anheimelnd eingerichtet, so daß ein junges Mädchen von Geschmack daran Gefallen haben mußte. Sogar einen kleinen elektrischen Ofen hatte er angeschafft, damit sein Gast nicht frieren solle.
»Ich habe diese kleinen Zimmer für Sie eingerichtet, Ellen«, sagte Schwedenklee mit unsicherer Stimme. »Hoffentlich fühlen Sie sich wohl hier. Auf jeden Fall, Sie sind hier ganz zu Hause.«
»Danke«, sagte die tief verschleierte junge Dame tonlos, ohne einen Blick in die Zimmer zu werfen, die Augen zu Boden gerichtet, unbeweglich.
»Jedenfalls vergessen Sie nicht, daß Sie hier ganz zu Hause sind«, wiederholte Schwedenklee verwirrt und ging zur Türe. »Sie werden gleich Tee bekommen. Ich denke, Sie wollen allein sein, und werde Ihnen Augusta schicken.«
Das Mädchen in schwarzer Kleidung wandte sich ihm zu.
»Dank für alles, was Sie für Papa getan haben«, flüsterte sie tonlos, ohne den Blick zu heben. Sie zitterte heftig. Und plötzlich fiel sie vor Schwedenklee in die Knie. »Dank!«
Schwedenklee hob den schlanken, zarten Körper auf. Er war aufs tiefste erschüttert.
»Sie sollen nicht so sprechen. Es ist ja alles selbstverständlich.« Rasch verließ er das Zimmer.
»Jetzt ist sie hier! Jetzt ist sie bei mir!« flüsterte Schwedenklee, als er die Türe seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte, und ein Strom von Glückseligkeit durchrann ihn.