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Ellen – Blank – schon nach kurzer Zeit streifte Schwedenklee das immerhin nicht alltägliche Erlebnis nur noch selten in seinen Gedanken. Er hatte die Verbindung mit Fräulein Wiedehopf wieder aufgenommen, und seine Beziehungen zu der jungen Dame waren rasch vertraut geworden, in viel kürzerer Zeit, als er anfänglich beabsichtigt hatte. Er hatte Verpflichtungen, war wenig zu Hause, seine Gedanken waren durch die neue Freundschaft hinlänglich beschäftigt.
Etwa zwei Wochen nach jenem Abendessen, als er nachmittags gerade das Programm zu einem Ausflug entwarf, klopfte Augusta und meldete Blank.
»Herr Blank wartet mit einem Wagen vor der Türe.«
»Wer?«
»Herr Blank. Der Herr von neulich!«
Ungläubig und etwas verwirrt starrte Schwedenklee auf Augusta – schon kam ihm Blank mit ausgestreckten Händen entgegen.
»Ich hatte gelobt, Ihre Liebenswürdigkeit nicht mehr zu mißbrauchen!« rief er lebhaft aus. »Sie sehen, ich bin schwach geworden. Wenn Sie mich nicht tief unglücklich machen, kränken wollen, müssen Sie mir erlauben, Sie zu einer Wagenpartie nach dem Grunewald einzuladen.«
»Ich bin leider gerade sehr beschäftigt, Herr Blank.«
»Nein, nein, verletzen Sie mich nicht, ich bitte Sie! Geben Sie mir Gelegenheit, mich für Ihre Einladung zu revanchieren.«
Schwedenklee fand sich noch immer nicht zurecht. Wagen – Grunewald – und wie sah Blank aus? Er war kaum wiederzuerkennen!
Er trug einen noch recht ordentlich aussehenden dunkeln Ulster, einen neuen Hut, neue Schuhe – und seine Blässe war völlig verschwunden. Sein Gesicht war leicht und gleichmäßig gerötet, wie das eines gesunden, glücklich erregten Menschen. Erst später fand Schwedenklee, daß diese Röte von hohem Fieber herrührte.
Blanks Augen strahlten vor Freude, es war Schwedenklee ganz unmöglich, ihn zu enttäuschen. Er bat noch um eine Minute Geduld.
»Ich werde dem Kutscher unterdessen Bescheid sagen. Sie essen doch im Grunewald mit mir?«
Nun rollten sie dahin.
»Mein Freund!« rief Blank unter lebhaften Gesten aus. »Ich sehe, Sie sind außerordentlich erstaunt. Ich bin es ja selbst! Noch immer kann ich es nicht fassen. Wissen Sie denn, was geschehen ist? Niedergebrochen, erschöpft, in Verzweiflung, habe ich plötzlich neuen Lebensmut bekommen. Ahnen Sie, was das bedeutet? Neuen Lebensmut? Ich fange wieder an zu hoffen. Vielleicht – ja wer weiß es, aber ich habe immerhin die Hoffnung –, vielleicht hat das Schicksal in einer guten Laune beschlossen, mir so etwas wie einen Nachsommer zu schenken! He, Kutscher, fahren Sie doch etwas hurtiger, nicht so langsam!«
»Ich freue mich aufrichtig, Sie zuversichtlicher zu sehen!«
»Und das kam so, mein lieber und verehrter Herr Schwedenklee! Hören Sie nun. Sie, mein verehrter Freund, Sie sind die Ursache! Ja! Ihr, wie sagten Sie in Ihrer großen Güte, Ihr Darlehen – damit begann es. Mein Himmel, was ist seitdem alles geschehen! Ich bin verwirrt, kindisch geradezu. Ich hatte den Mut, die Selbstüberwindung, Ihren Brief nicht sofort zu öffnen. Bei jeder Laterne kämpfte ich mit mir. Nein, sagte ich, du bist kein Bettler! Zu Hause öffnete ich Ihren Brief und – glauben Sie mir – ich war vor Erstaunen minutenlang betäubt. Morgen, sagte ich, bringe ich ihm das Geld zurück. Morgen! Aber am Morgen dachte ich anders. Plötzlich – es war wie ein Wunder, stieg wieder, nach Monaten, ein Gefühl der Hoffnung in meinem Herzen empor. Ich sagte mir: wenn Gott dir einen gütigen Freund in den Weg gesandt hat, weshalb willst du diesen Wink des Himmels nicht verstehen? Gut, ich brachte das Geld nicht zurück!
Ich handelte! Ich raffte mich auf! Ich löste meine Kleider aus – hier, diese Kleider. Ich ging zu einem Friseur. Ich ging in eine Badeanstalt. Ich ging in ein Restaurant und aß. Ich wurde plötzlich ein anderer Mensch! Hoffnungen beflügelten mich. Ich ging in die Filmbörse. Waren Sie schon in der Filmbörse? Ein Kaffeehaus in der Friedrichstraße?«
Schwedenklee schüttelte den Kopf.
»Gehen Sie nicht hin. Sie werden nie so viel Elend, offenes und verborgenes, schlecht verborgenes Elend, auf einer Stelle finden. Ich gehe hin – ich bin gesättigt, anständig gekleidet, ich bestelle Kaffee. Glückt es heute nicht, so glückt es morgen. Ich fühle Ihr Kuvert in meiner Tasche, ich habe keine Eile, ich fühle mich sicher.
Was denken Sie? Regisseure kommen herein. Sie haben das ja nie beobachtet. Man kennt diese Regisseure, die Herren und Damen stürzen sich förmlich auf sie –! Aber auf mir ruht sein Blick, der Blick des Allmächtigen. Ich tue, als kümmere es mich nicht im geringsten. Er geruht an meinen Tisch zu kommen. Er stellt sich vor, denken Sie, obschon ihn hier jedermann kennt und er es genau weiß. Was denken Sie, was geschieht? Er verpflichtet mich für zwei Filme, zwei – bei sehr gutem Honorar! Zwei Filme!« Blank lachte laut heraus und breitete die Arme den Vorübergehenden entgegen.
»Ich hatte früher eine Verachtung für den Film, müssen Sie wissen. Er erschien mir wie eine Profanierung der Kunst. Ich war immer Idealist, das heißt ein Dummkopf – werde es bleiben bis an mein Lebensende, kann nicht anders. Ich lehnte früher, da ich noch auf hohem Rosse saß, jedes Engagement ab. Später aber gab sich es bescheidener und war zufrieden, in der Komparserie zu filmen, bis ein Regisseur schrie: Bedauere, Sie verhusten mir ja jede Aufnahme. Ja, so sagte er: Sie verhusten ... hahaha!«
So laut war Blank, so froh erregt, daß Schwedenklee der Überzeugung war, er sei etwas angeheitert.
»Zwei Filme also,« fuhr Blank lebhaft fort, »Sie sehen, das Unfaßbare war geschehen. Ein Wunder hat sich ereignet! Das Schicksal hatte mich völlig vergessen, plötzlich aber ließ es sein Auge wieder in Gnaden auf mir ruhen. Ich filme bereits eine ganze Woche, heute, am ersten freien Tag, eilte ich zu Ihnen, um Ihnen die große Neuigkeit zu verkünden. – Im ersten Film, der zur Zeit gedreht wird, spiele ich die Rolle eines Günstlings der großen Katharina, der an schleichendem Gift, das ihm sein Rivale, ein französischer Abbé, eingab, dahinsiecht. ‚Die Rolle ist Ihnen wie auf den Leib geschrieben, Blank‘, sagte der Regisseur. Sie sehen! Ja, eine herrliche Sache: ich sieche dahin, drei Akte hindurch. Meine erlauchte Geliebte läßt mich fallen im Augenblick, da ich den Stempel des Todes auf der Stirn trage. Aber ich räche mich ...«
Blank nahm eine Schachtel aus der Tasche und bot Schwedenklee eine Zigarette an. »Ich habe nicht vergessen, daß Sie ein leidenschaftlicher Raucher sind, hoffentlich schmeckt Ihnen die Marke. He, Kutscher, lieber Freund, halten Sie einen Augenblick!« Und Blank bot mit fliegender Hand Feuer. »Und nun, lassen Sie das Pferdchen wieder laufen!«
Wohlig stieß Blank die Rauchwolken in die durchsonnte Luft, indem er fortfuhr:
»Weitaus amüsanter ist der andere Film, den wir in acht Tagen drehen werden. Er wird Sie erheitern, mein verehrter Freund. Ich bin also ein heruntergekommener Graf und sitze an der Straße als Bettler! Eine Dame, die mich in meinem früheren Leben kannte, eine Tänzerin, reicht mir – sie ist eben im Begriff, in ihr Auto einzusteigen – ein Goldstück. Aber siehe da, schon erkennt sie mich. Sie nimmt mich in ihren Wagen. Die Menge der Neugierigen, die sich ansammelte, spendet ihrem mitleidigen Herzen Beifall. Ich werde gefüttert, gepflegt – und schon bin ich wieder ein Graf, ein hochfeudaler, etwas hinfälliger Greis. Die Tänzerin unterbreitet mir einen Ehekontrakt. Sie will meinen Adel heiraten, und ich soll nach der Trauung, laut Kontrakt, verschwinden für immer. Aber was glauben Sie? Ich tue es nicht, ich bin nun wieder an das gute Leben gewöhnt, drohe, verteidige meine Ehre, werfe die Liebhaber die Treppe hinunter, sperre meine schöne Gattin in die Bügelkammer. Hahaha! Ist es nicht lustig? Ja, auch Sie müssen lachen. Ich sehe sogar, daß Sie gespannt sind, wie es endet, aber Sie schämen sich zu fragen. Habe ich recht?«
»Ja, Sie haben recht.«
»Nun, so sollen Sie hören. Meine Gemahlin ist schlauer als ich. Sie lädt eine Nichte ein, ein süßes Geschöpf – ich bin töricht genug, mich zu verlieben, werde bei einem zärtlichen Tete-a-tete ertappt – Scheidung! Meine Aktien stehen schlecht, ich bin genötigt, mich zu verabschieden, stecke die Abfindungssumme ein, und in der Schlußszene sehen Sie mich als alten Gecken flanieren. Ich mache Bekanntschaft, Sekt, meine Dame stiehlt mir die Abfindungssumme und die Kellner werfen mich auf die Straße – hahaha!«
»Aber Kutscher,« unterbrach Blank plötzlich seinen Redeschwall und berührte, erschrocken aufspringend, die Schulter des Kutschers, »ist es denn nötig, daß Sie uns mitten in den See hineinfahren?« Augenblicklich aber sah Blank seine Täuschung ein. »Verzeihung – ja, es war eine Sinnestäuschung. Ich sehe ja, es ist der Himmel, der sich im Asphalt spiegelt, es war nur eine vorübergehende – wie soll ich sagen –?«
»Ich glaube,« fuhr Blank nach einer Pause mit der gleichen Lebhaftigkeit fort, »mein Glück hat mich schwindlig gemacht! Ich fiebere in diesen Tagen sehr stark, aber ich fiebere, weil ich wieder hoffe. Ich empfinde dieses Fieber geradezu angenehm! Ja, merkwürdig und geheimnisvoll ist dieses Leben! Ist es nicht sonderbar, daß schon früher einmal Sie, ja gerade Sie, verehrter Freund, Sie und kein anderer es waren, der in einem Augenblick der größten Verlegenheit entscheidend in mein Leben eingriff? Soll man da nicht an Mysterien, an wunderbare, geheime Zusammenhänge glauben?«
Schwedenklee war äußerst erstaunt. »Ich sollte schon früher einmal –?«
»Ja!« Blank rückte vertraulich näher und lachte. »Ja! Ein Geständnis. Ich habe Ihnen erzählt, daß ich Rosa in Nürnberg kennenlernte. Mein Engagement in dieser Stadt war geradezu kläglich, und ich war ziemlich abgerissen. Nun schrieb mir ein Kollege aus Köln, daß dort eine Vakanz sei. Köln! Aber wie nach Köln kommen, ohne Geld, in diesem Aufzuge – zum Verzweifeln. Ich sprach mit Rosa, und Rosa sagte, ich werde an Schwedenklee schreiben.«
»Ja. Sie flunkerte ein bißchen, daß sie notwendige Garderobe brauche. Und Sie sandten postwendend tausend Franken.
Tausend Franken! Reise, Anzug, Hotel, oh, wie wichtig ist das – Sie ahnen es nicht, da Sie das Theater nicht kennen. Alles war plötzlich ermöglicht! Übrigens haben wir Ihnen die tausend Franken nach zwei Monaten zurückgeschickt«, sagte Blank voller Genugtuung.
»Ja – was für merkwürdige Zusammenhänge! Und nun wieder! Fühlen Sie, wie wunderbar die Luft ist!« schwärmte Blank, während sie in den Grunewald hineinrollten. »Und die Sonne wärmt schon ordentlich! Sie ahnen nicht, wie glücklich ich bin ...«
Blank lehnte sich behaglich in den Wagen zurück. Er nahm den Hut ab und ließ die heiße Stirn im Luftzuge kühlen.