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7

Eine ganze Woche blieb Schwedenklee dem Kaffeehause fern. Theater, Ballhäuser, Bars, sogar in ein Kino führte er die junge Dame mit den turmartig aufgebauten Haaren und den glänzenden Fingernägeln.

Diese kleine Wiedehopf war verlobt, nahezu verlobt, der Auserwählte war zur Zeit auf Reisen – wie oft hatte er das schon gehört! Sie spielte die Dame, ließ sich verwöhnen, lockte an, wehrte ab – sie tat, bei Gott, wie eine Generalstochter ...

Als Schwedenklee nach so langer Abwesenheit wieder das Kaffeehaus aufsuchte, fand er die Spielergesellschaft von einer neuen Spielwut besessen wieder. Man hatte die Karten verlassen und war zum Billard übergegangen.

Man spielte »vom roten«. Jeder Billardspieler kennt dieses Spiel. Die Karambolage wird nur dann gezählt, wenn der rote Ball zuerst getroffen wurde. Es spielten drei bis vier der besten Spieler, und auf sie wurde gesetzt wie auf Pferde.

Die Ärzte, die Rechtsanwälte, die Kaufleute, Spieler und Kiebitze, Kellner saßen und standen in dichten Reihen um das Matchbillard herum, in atemloser Spannung jeden Stoß verfolgend.

Schwedenklee wurde freudig begrüßt.

»Wie gut Sie aussehen, Schwedenklee!« rief der Nervenarzt Wittmann. »Sie waren also doch verreist!«

»Nein, ich war hier, habe gearbeitet und abends ein bißchen Zerstreuung.«

»Sie haben Ihr altes Aussehen wiederbekommen, prächtig!«

»Ah, der Herr Oberbaurat. Nun wird es interessant! Kellner, das Queue des Herrn Oberbaurat!«

Sofort stiegen die Einsätze ums Dreifache.

Einige Abende hintereinander spielte Schwedenklee hier vier, fünf Stunden »vom roten«. Es wurden hohe Summen umgesetzt. Seine Kopfstöße, Rückzieher, Zwei- und Dreibänder riefen lautes Händeklatschen hervor.

Schwedenklee war bei bester Laune. Selbst das graue kreidige Antlitz des alternden Künstlers, der nun häufiger ins Café kam, störte ihn in seinem jetzigen Gemütszustande nicht mehr. Er genoß den Triumph. Nach dem dritten Abend ließ er seinen schwarzseidenen weitärmeligen Billardkittel von Augusta ins Kaffeehaus bringen, und nun konnte man fast meinen, es mit einem Billardchampion zu tun zu haben. Er mußte seinen Gegnern zuerst zwei Points auf zehn vorgeben, sodann drei. Je länger er spielte, desto vollendeter wurde sein Spiel.

»Schwedenklee ist in großer Form!« Man tuschelte.

Es war Schwedenklee äußerst angenehm, für einige Abende Zerstreuung gefunden zu haben: es war gewiß das beste Mittel, den Hochmut der kleinen Wiedehopf zu beugen, wenn er eine Woche lang nichts von sich hören ließ. Diese Methode nannte er die Methode des »Aushungerns«, im Gegensatz zur Methode der »Belagerung«, die darin besteht, ununterbrochen um die geliebte Frau zu werben, so daß sie – wie Schwedenklee sich ausdrückte – überhaupt »nicht mehr zur Besinnung kam«.

In der Tat, die Methode des Aushungerns schien Erfolg zu versprechen. Fräulein Wiedehopf wurde mürbe, schrieb ein violettes Kärtchen: Weshalb hört man nichts mehr von Ihnen? Sind Sie verstimmt?

O nein, nein, gar nicht verstimmt, gnädiges Fräulein Wiedehopf. Ganz im Gegenteil! In vorzüglicher – ich wiederhole: vorzüglicher Laune.

Zwei Tage beantwortete Schwedenklee das Billett gar nicht. Dann schrieb er einige höfliche Zeilen: gesellschaftliche Verpflichtungen – in einigen Tagen aber würde er wieder zur Verfügung sein.

»Sonderbare Wesen sind doch diese Frauen!« dachte Schwedenklee, als er nach dem Billardspiel nach Hause ging und den gleißenden Vollmond über den Dächern betrachtete. »Zeigt man ihnen seine Verliebtheit, so neigen sie augenblicklich dazu, ihre Macht zu mißbrauchen, zeigt man Zurückhaltung, so lassen sie sofort wieder alle ihre Künste spielen. Merken sie, daß man sich zurückziehen will, so entdecken sie plötzlich ihre große Liebe. Ja, wie soll man sich bei ihnen zurechtfinden?«

»Heiratet man sie, so ist man vollkommen verloren! Sieh dich doch um, Schwedenklee – die Ehen all deiner Bekannten und Freunde, mit ganz vereinzelten Ausnahmen? Gleichgültigkeit, Untreue, Kampf bis aufs Messer, Lüge.

Ja, wie soll man es anstellen? Etwas ist hier sicher nicht in Ordnung, das Leben ist zu kompliziert.«

Es war gegen Abend etwas Schnee gefallen – der Vollmond brachte die Kälte mit – Schwedenklee steckte das rasierte Kinn wohlig in den Pelzkragen, während er langsam zwischen den hohen Bäumen am Kanal dahinschlenderte. Die Straße war fast menschenleer, nur hinter ihm, in einiger Entfernung, kroch eine hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die zuweilen scharf hüstelte. Die dünne Schneeschicht war an den Sohlen der Passanten haften geblieben, so daß eine Anzahl geisterhafter schwarzer Fußspuren kreuz und quer über die Straße lief, aus dem Unbekannten kommend, ins Unbekannte verschwindend, verwirrend, wenn man sie lange betrachtete.

Plötzlich blies ein kalter Hauch in Schwedenklees Genick, ja, so schien es ihm wenigstens. Er blieb erschrocken stehen und fröstelte. Kalte Schauer überrieselten seinen Rücken. Weshalb mußte er gerade in diesem Augenblick an die tote Ellen Fröhlich denken? Und weshalb hatte die Erinnerung an diese Frau den Beigeschmack einer leisen, unerklärlichen Scham?

Unergründlich ist das Leben, und auch sein Herz, Schwedenklees Herz, war ein unerforschtes Labyrinth. Weshalb? Weil die Fußspuren schwarz kreuz und quer liefen? Ja, nur aus diesem Grunde! In Paris fällt selten Schnee – aber einmal hatte er Ellen abends nach Hause gebracht, und durch ihre verschneite einsame Straße liefen genau dieselben schwarzen verwirrenden Fußstapfen. Er sah sie in dieser Sekunde, zierlich, in ihren weiten Mantel eingehüllt, klar vor sich, Schneekristalle glitzerten auf ihren Haaren, und aus dem dunklen Gesicht glänzten heiter und lebensfreudig die Augen. Fast zwanzig Jahre lang hatte diese Erinnerung in seinem Kopfe geschlummert.

Fragend, lauschend waren diese Augen gewesen, sie waren bernsteingelb, wenn das Licht voll in sie fiel, dunkel, fast schwarz, wenn sie beschattet waren – Schwedenklee gab sich mit einer gewissen Wehmut der Erinnerung hin, obgleich ihn dieses unerklärliche Schamgefühl im Innersten peinigte. Er hatte sich jedoch nichts vorzuwerfen, o nein, er erinnerte sich sogar, daß er ihr später zwei- oder dreimal noch geholfen hatte, als sie sich an ihn wandte. Sie war damals Anfängerin und hatte noch zu kämpfen.

Plötzlich kroch eisige Kälte an ihm empor. Vielleicht – wer weiß es – schritt ihr Geist in der Tat neben ihm? Schwedenklee war sehr abergläubisch.

»Ellen Fröhlich!« sagte er leise zu sich, etwas betreten. »Ich habe keine Furcht, an dich zu denken!«

Klar bis in die kleinsten und unscheinbarsten Einzelheiten stand vor ihm die erste Begegnung mit Ellen. Er sitzt an einem kleinen Marmortisch auf den großen Boulevards, zwei Damen, Mädchen, nehmen neben ihm Platz. Sie sprechen deutsch, sie sprechen ungeniert und vergessen ganz oder wissen es nicht, daß auf den großen Boulevards in Paris jeder vierte Mensch deutsch versteht. Ihre Ungezwungenheit entzückt Schwedenklee: die jungen Damen sprechen mit einer gewissen Kühnheit von unschuldigen Liebesabenteuern. Eine hat wunderbar warme und weiche Augen, die offenbar die Farben wechseln, von hell zu dunkel leuchten. Zuweilen streifen diese fragenden Augen, lächelnd, voller Übermut, Schwedenklees absichtlich kühl beobachtenden Blicke. Das ist Ellen Fröhlich! Die Freundin ist eine Schwedin, eine Bildhauerin.

Die jungen Damen gehen. Sie wandern zu Fuß durch die wimmelnden Straßen bis zum Boulevard Raspail. Die Schwedin verabschiedet sich von der Freundin, die in ein kleines Hotel verschwindet. Es ist sieben Uhr. Als sie um neun Uhr das Hotel wieder verläßt – wer tritt ihr in den Weg? Schwedenklee.

»Ein Landsmann, der das Vergnügen hatte, Ihr Gespräch heute nachmittag im Café zu belauschen, bittet tausendmal um Entschuldigung –«

Ihr Blick gesteht, daß sie ihn wiedererkennt. Sie ist verwirrt. Er habe also alles gehört? Ja. Sie bricht in Lachen aus.

»Aber,« sagt sie – »wie kommt es, daß Sie hier sind?«

»Ich wartete auf Sie!«

»Es ist nicht schön von Ihnen, so etwas zu sagen, selbst wenn Sie es getan haben sollten. Sie hätten sagen sollen: zufällig!«

»Gut – also zufällig!«

Schwedenklee war ja nicht zwei Stunden auf und ab gegangen, so war es nicht gerade. Gegenüber lag eine kleine Speisewirtschaft, und hier aß er zu Abend; dann trank er Kaffee, und gerade als er gezahlt hatte, war sie wieder aus dem Hotel getreten.

Jedenfalls aber – sie verzieh – sie hatte nichts vor, und er brachte sie in ein Tanzlokal, das er als äußerst anständig kannte.

Museen, Ausstellungen, Ausflüge, Tanzlokale – wie Ellen Fröhlich genoß! Sie saugte die Eindrücke in sich, sie staunte, wunderte sich, bewunderte. Ellen sprühte auf, berauscht, verwandelt, verhundertfacht.

Und Schwedenklee, obgleich weniger schwärmerisch, lebt und atmet leichter und heiterer in ihrer Nähe.

Ja, es war die Jugend, nichts sonst. Die Sonne schien, man fuhr auf dem Dach des Omnibusses, unvergleichlich, herrlich, als sei man nie auf dem Omnibus im Sonnenschein gefahren.

»Die Jugend, nichts anderes!« dachte Schwedenklee. »Wie herrlich! Ein Zauber! Ist die Jugend ein Zauber?«

Ein Ausflug nach St. Cloud. Vorfrühling. Das erste Grün, einige versteckte Blümchen, die Knospen glänzen, die schwarzen Baumstämme schwitzen Feuchtigkeit. Rasch schnellen die hohen Wasser der Seine dahin. Auf dem Dampfer einige Pärchen – er und Ellen unter ihnen, zu den »Pärchen« gehören sie! Ein junger Geck mit einem dünnen Spazierstöckchen amüsiert sämtliche Passagiere. Ellen klemmt zu ihrem Vergnügen ein Monokel ins Auge, der junge Geck macht ihr den Hof, und Ellen mustert ihn durchs Monokel und spielt etwas Theater. Wie sie lachten, die »Pärchen«. Ja, worüber lachten sie so furchtbar? Und damals gehörten sie zu den »Pärchen« und waren jung wie die anderen.

Der frische Wind hat ihre Gesichter gerötet, die reine Luft hat den Glanz in ihren Augen entfacht. Ihre Stimmen sind klar und laut geworden. Ellen wirbelt und tanzt. Sie kriecht in die triefenden Büsche und findet unter dem faulenden Laub Veilchen und gelbe Sternblumen. Sie steht auf einem Stein und spricht voller Inbrunst ein paar wundervolle Verse, die er vergessen hat. Sie essen zu Abend in einer kleinen Wirtschaft mit fleckigen Tischtüchern und feuchter Tapete. Der Kellner bringt eine verstaubte Macon in einem Körbchen.

Sie plaudern. Ellens schöner frischer Mund steht nicht eine Sekunde still. Sie lachen den ganzen Abend. Worüber? Wie herrlich war dieser Tag, wie lang! War es nicht sonderbar, die Tage der Jugend schienen so lang, sie nahmen kein Ende. Was war heute ein Tag? Nichts. Kaum hatte er begonnen, war er schon zu Ende.

»Es ist die Jugend, nichts anderes! Es gibt keine andere Erklärung dafür«, rief Schwedenklee aus. »Sie verleiht dem Unscheinbarsten einen zauberhaften Glanz. Ja, wie lang war dieser Tag doch. Reich an Erlebnissen, an guten Einfällen, an schönen Gefühlen. Und Ellen mit dem Monokel auf dem Dampfer! Ja, die Jugend! Und das da, was dahinten keift und hustet« – Schwedenklee drehte sich um, empört, daß man ihn in seiner Träumerei störte – »das ist das Alter! Das häßliche Alter!«

Die hagere, zusammengekrümmte Gestalt, die den ganzen Weg hinter ihm herkroch, stand wenige Schritte hinter ihm, mit der Hand an einen Baum gestützt, geschüttelt von einem Hustenanfall.

»Das abscheuliche Alter! In zwanzig Jahren wirst du auch so häßlich husten, und die Jüngeren, die nicht gestört werden wollen, werden dich verfluchen. Oh, wie boshaft und grausam ist dieses Leben eingerichtet!«

Aber Schwedenklee schüttelte die düsteren Gedanken ab. Ellen! Wo waren wir doch gleich geblieben?

Ellen klagte über ihr Hotel. Schwedenklee, befreundet mit dem Pförtner, Kellner und der Besitzerin seines Hotels, arrangierte alles aufs vorzüglichste. Er trat Ellen sein großes bequemes Zimmer ab und bezog eine kleine danebenliegende Kammer. Ellen staunte, wie billig ihr schönes Zimmer war! Ja, man mußte nur Freunde und Beziehungen haben!

»Wir werden Ihren Einzug feiern, Ellen, und heute abend zu Hause speisen. Sie sollen sehen. Lassen Sie mich nur machen.«

Schwedenklee besorgt den ganzen Nachmittag lang alles, was Paris an leckeren Dingen zu bieten vermag. Geröstete Hähnchen und Hummer, Vorspeisen und Nachtisch, Früchte. Auch Blumen vergißt er nicht.

»Muß man in Abendtoilette kommen?«

»Es wird gebeten, Ellen!«

Von sieben bis acht ist Schwedenklee fieberhaft tätig. Punkt acht Uhr klopft Ellen – herein! Ellen ist im Abendkleid, er im Frack – und schon lachen sie, daß sie kaum die Tür zu schließen vermögen.

Der Hausknecht, der im Kamin nachlegte – Ellen sollte es recht behaglich haben – wird von der Heiterkeit mit fortgerissen. Der Kellner, der den Wein angeschleppt bringt, wird ebenfalls angesteckt, und so lachen sie alle – weshalb? Gott allein weiß es.

Ellen steht und staunt: »Jetzt sehe ich, daß Sie ein Künstler sind, Schwedenklee!« ruft sie aus. »Mein Gott, wir sind ja Hunderte von Personen!«

»Sie sind in großer Gesellschaft, Ellen!«

Dank Schwedenklees Freundschaft mit dem Pförtner und Hausknecht war es ihm möglich gewesen, einige große Spiegel und Leuchter aus anderen Zimmern des Hotels auszuleihen für den Abend. Die Kerzen blendeten, und infolge der Spiegelung glaubte man in einem langen, sonderbar gebauten Saale voller Lichter und Blumen zu sein. Schwedenklee führte seine Dame zum Sessel – und im gleichen Augenblick geleiteten Dutzende von befrackten Kavalieren ihre Dame in heller Seide zu Tisch. Er sah Ellen gleichzeitig von allen Seiten, und nie kam ihr herrlicher schmaler Nacken mit dem braunroten Haarknoten reizvoller zur Geltung ... Ellens Augen richteten sich blitzend im Schein der Kerzen auf ihn, und augenblicklich funkelten Dutzende von gleichen Augen von allen Seiten ihm entgegen.

»Das Diner kann beginnen, Ellen – aber ich habe vergessen« – und er erhebt sich und küßt Ellen auf den Mund.

»Willkommen!«

Sie errötet. Auch ihr Busen wird behaucht von flüchtigem Rot.

»Das Diner kann beginnen«, wiederholt sie mit einem verwirrten Lächeln, mit etwas matter Stimme.


Schwedenklee war bei seinem Hause angelangt. Automatisch stieg er die Treppe empor, automatisch schloß er auf.

So tief war er in die Erinnerung dieses Diners versunken, daß die Kerzen ihn in der Tat blendeten und Ellens zarter wunderbarer Nacken aus all den blitzenden und flammenden Spiegeln ihm entgegenleuchtete.

»Und zu denken, daß ich zwanzig Jahre lang nicht an diesen Abend dachte!« sagte er seufzend, als er in das kalte finstere Haus trat, und begann zu pfeifen, um seine melancholische Anwandlung zu überwinden.

In diesem Augenblick glaubte er das hastige, ungeduldige Scharren eines raschen Schrittes draußen auf der Treppe zu vernehmen. Irgend jemand, der die Gelegenheit benutzen wollte, ins Haus zu kommen.

Aber auch das ist nicht völlig sicher. Jedenfalls wußte Schwedenklee nie zu erklären, was in dieser Sekunde vorgegangen war. Hatte er diesen hastig scharrenden Schritt gehört oder nicht? Es schien ihm später, als ob er in der Tat gar nichts gehört habe, aber ein gänzlich unverständlicher, ja mysteriöser Zwang ihn veranlaßt habe, das Haustor nochmals zu öffnen.

Jedenfalls, Schwedenklee ging, ohne viel zu denken, zur Türe, öffnete sie ...

Kaum aber hatte Schwedenklee das Tor geöffnet, da erschrak er so heftig, daß er zurückprallte und am ganzen Körper entlang einen Schlag verspürte, wie von einem schweren Eisenstab. Später erinnerte er sich deutlich, daß sich ihm die Haare im Nacken gesträubt hatten, eine Erscheinung, die er bisher nur für eine leere Redensart gehalten hatte.

Dicht vor ihm war ein Gesicht erschienen, eine gespenstische Erscheinung, etwas größer als er, die offenbar in diesem Augenblick ausholte, um zu pochen. Gerade diese Geste hatte etwas ungeheuer Drohendes und Erschreckendes an sich gehabt.

Die Erscheinung prallte ebenfalls erschrocken zurück und tastete sich hastig rückwärts die Stufen hinab. Das unter einem weichen, flachen Filzhut verborgene Gesicht der Erscheinung glitt durch den Lichtschein der Straßenlaterne, und in diesem Augenblick erkannte Schwedenklee das Gesicht: es war das bleiche, vergrämte Antlitz jenes alternden, verbrauchten Künstlers, das ihm zuweilen unangenehm und störend im Billardsaal des Cafés aufgefallen war.

Am Fuße der Treppe blieb die hagere, etwas zusammengekrümmte Gestalt stehen und griff hastig nach dem flachen Hut. Es sah aus, als wollte sie den Hut im Winde festhalten.

Im Augenblick, da Schwedenklee das Gesicht erkannte, ließ das tödliche Erschrecken nach. Er öffnete das Tor völlig und machte einen entschlossenen Schritt vorwärts, obgleich der Schrecken noch in all seinen Gliedern zitterte.

»Was wünschen Sie?« fragte er, unnötig laut, und seine Stimme bebte noch vor Erregung.

Der Hagere wich noch einen kleinen unsicheren Schritt zurück, die Hand aufs Herz gepreßt. Es schien Schwedenklee, als ob er heftig zittere. Deutlich hörte er seinen hastig keuchenden Atem.

»Was wollen Sie von mir?« wiederholte Schwedenklee, weniger laut, aber härter im Ton. Er erkannte die völlige Gefahrlosigkeit der Situation.

Der Hagere nahm den Filzhut ab und verbeugte sich, den Hut gegen die Brust pressend. Sein graues wirres Haar bewegte sich im Winde.

»Ich heiße Blank!« stammelte er, ganz Demut. Seine Stimme klang leise, kaum vernehmbar, heiser dazu. Aber Schwedenklee verstand den Namen augenblicklich!


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