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Wenn der Schweigsame spricht …

In jedem Menschen schlägt die Brandung der Wünsche wenigstens einmal im Leben erschütternd gegen den starren Fels seiner Entschlüsse. Arototec hatte es bisher immer genügt, seinen Widersacher zu entwaffnen oder ihn aus dem Wege zu räumen, doch in seine Beziehungen zum König der dunklen Erde, der als Sinnbild kraftvollster Jugend und reinherziger Männlichkeit am Hofe erschienen war, hatte sich von allem Anfang an etwas gemischt, was sonst noch nie seine kühle Beurteilung beeinflußt hatte: ein Hauch von Eifersucht.

Frauen – gar wenige Frauen, weil sie seiner Kraftentfaltung nur hinderlich sein konnten – waren in sein Leben getreten und später von ihm achtlos beiseitegeschoben worden, wenn sie ihren Urzweck als Weib erfüllt hatten, doch bei der Erbprinzessin war es anders gewesen. Sie stand abseits von den Menschen, war ihm weder Mann noch Frau, war keines und doch beides. Ein Mann war das Antriebgebende und Selbstkräftige im Sein, das Weib das Auslösende und Erlösende, und in ihr vereinigten sich beide Wesensarten, weil sie zutiefst die Eigenart großer Künstler hatte: sie formte und vollendete als Mann, sie empfing ihre Eindrücke gefühlsmäßig als Weib. Sie erfaßte aus dem Seelenschauen heraus die Dinge, wie ein Weib sie schaut, und wußte manngleich das Ergründete in vergeistigte Form umzusetzen. Daminophis war ein großer Künstler, der bewundertste seines Landes, doch in ihm überwog das Weibliche, und das wurde ihm zum Lebenshindernis. Er versank völlig im Meer der Gefühle, ihn trieben die Wellen plötzlichen Begehrens.

Isolanthis war Mann und Weib, dieses im Fühlen, jenes im Wollen, Geist und Seele. Sie war auch Körper, überlegte Arototec mit einem Seufzer, seine eigene Schwäche bespöttelnd, denn er hatte sie – genau wie der leidenschaftliche junge König – tiefinnerst im Herzen die »Mondblume« genannt.

Und obschon er seine Gedanken und sein Wollen auf Dinge gerichtet hatte, die Weltmacht und sogar Überweltmacht bedeuteten, ließ er sich nun von der Vorstellung peinigen, es habe jemand da, wo er selbst gezögert hatte, kühn gewagt, die Blüte von Poseidonis zu brechen.

Strafen wollte er, grausam strafen, zu seinen furchtbaren Versuchen alle die gebrauchen, die es gewagt hatten, den jungen Pharao aus dem Turm der toten Nächte zu befreien. Unter dem Gefolge des Königs, das eben heimkehrte, hatte er einen Mörder gedungen, dem er vertrauen konnte, und dennoch brannte dieses Feuer des Hasses und der Vernichtung in ihm fort.

Drei Tage war er abwesend von der Stadt der fließenden Wasser gewesen, und schon als er sich ihr näherte, hatte er gefühlt: Hier ist etwas vorgegangen. Dann, beim Landen, hatte ihm sein Diener die Nachricht zugeraunt, und sofort hatte er unter dem Gefolge des Königs den künftigen Mörder geworben. Er mußte nun das Land der dunklen Erde erreicht haben …

Seither saß der erste Thronratgeber hier allein, in seiner Welt der lichtlosen Sterne, und machte Versuch um Versuch. Wenn Ramanatu durch einen Zufall, einen plötzlichen Wind, einen unerwarteten Regenguß zurückgehalten worden war, konnte er ihn noch vernichten, noch brechen. Sonst … ja sonst mußten wohl gedungene Hände …

Finster trat er an die große schwarze Tischplatte heran und stellte die beiden Dreiecke aufeinander, wovon das absteigende das Wasser, daher Erde oder Körper versinnbildlichte, das aufsteigende Feuer und Geist.

»Licht und Finsternis«, murmelte er.

Er zog einen weiten Kreis um den Tisch, stellte das Doppeldreieck auf eine runde Scheibe aus eigener Metallverschmelzung und steckte sieben dunkelviolette Lichter an. Selbst ganz in Dunkelviolett gekleidet, versuchte er seine Gedanken zu sammeln und den gefestigten Strom in eine bestimmte Richtung laufen zu lassen. Langsam unter seinen ausgestreckten Händen drehte sich der lichtlose Stern auf der glänzenden Scheibe, funkelten unruhig die Lichter, tanzten glühende bläuliche Augen über den Boden außerhalb des Kreises hin, bewegten sich die Riesengerippe und Urzeitskelette, war es, als huschten seltsame Gebilde durch den Raum. Kalter Schweiß stand auf Arototecs Stirn, die Züge verzerrten sich ob der ungeheuren Anstrengung, denn er fürchtete immer noch Mißlingen. Da war es, als wirbelten kleine Staubsäulen, seltsame Formen annehmend, sich zu wirbelnden Wolken ballend, durch den düsteren Raum. Ein Pfeifen, Zischen, Hohnlachen, aber unendlich fein und gedämpft, erfüllte allmählich die unheimliche Halle.

Er senkte nicht die Arme, er ließ von dem Strom der Gedanken nicht ab. Sie sollten fassen, schleudern, wirbeln, tragen; sie mußten rütteln und stoßen, heben und senken. Vernichtung, Vernichtung, Vernichtung …

Er sah das Flugzeug, vom Sturmwind erfaßt, weit über das Meer hinausgefegt, gehoben, gesenkt, versunken. Er hielt den Gedanken fest, er zwang die Geister der Lüfte, ihm zu gehorchen. Ein Funkentanz um den Kreis erfüllte alles mit merkwürdig bläulichem Schein.

»Alle Geister der Lüfte, der Erde, der Wasser, des Feuers …«

Ein Wahnsinn war über ihn gekommen, er war beherrscht von fremder Macht. Die Arme verblieben ausgestreckt, die Lippen murmelten Befehle, der Blick wurde härter und starrer. Über das gelbe Gesicht herab tropfte der Schweiß, und durch den Raum wirbelten stärker und stärker die feinen Staubsäulen, sich zu furchtbaren Gebilden schließend und sich neuerdings auflösend. Im Gestein der Wände knarrte es, und die Gerippe schienen, wie von unsichtbarer Riesenhand gerüttelt, sich klappernd zu bewegen.

Da war es Arototec, als erzittere das Haus in seinen Grundfesten, als ertöne von weither etwas wie dumpfer unterirdischer Donner; als werde die immer schwere Luft in diesem Raum noch dumpfer und noch schwerer.

»Vernichtet ihn, erstickt ihn im Sand seines Reiches, wenn er schon auf fester Erde steht, treibt ihn in die Wellen, laßt ihn …«

Er mußte innehalten, seine Kräfte waren verbraucht. Mit Aufbietung alles Willens löschte er die sieben Lichter, nahm das Doppeldreieck auseinander, sprach die lösenden Worte und trat aus dem Kreis heraus. Völlig erschöpft sank er auf den blockartigen Sitz und trocknete sich den herabrinnenden Schweiß. Dennoch erfüllte ein stolzes Machtempfinden sein Herz. Diesmal, das wußte er, war es ihm gelungen, den Geistern fremder Ströme zu gebieten …

Wieder zitterte alles, ein sonderbares Brausen dröhnte um ihn her, vor seinen Augen wirbelten grelle Lichter, Staubsäulen schwangen wie drohend auf ihn zu und zogen sich wie schwere Rauchschwaden bis an die Wände zurück.

»Meine Müdigkeit täuscht mir all dies vor«, sagte er sich und schloß die Augen. Seine Diener hatten den strengen Befehl, niemanden vorzulassen und auch selbst nicht seine Ruhe zu stören. Als er daher nach kurzer Zeit aufschaute und wahrnahm, daß sich der Vorhang bewegte, fuhr er entrüstet auf.

Der dunkle Vorhang rauschte hinter der Eintretenden nieder. Vor dem ersten Thronratgeber stand … Isolanthis.

»Kühn bist du«, rief Arototec ihr entgegen, »die Schwelle des Hauses der lichtlosen Sterne nach all dem Vorgefallenen zu betreten.«

»Wann flößtest du oder ein anderer Mensch mir Furcht ein?« fragte sie ruhig.

»Ich las Angst in deinen Augen und Furcht in deinem Herzen, als Ramanatu vor den Richtern stand …«, höhnte er.

Sie nickte versonnen.

»Ich zitterte um ein Leben, das nicht mein Leben war. Er glich Ra, seinem Gott, und man sieht nicht gern ein Licht erlöschen, das so hell leuchtet.« Als er finster schwieg, fügte sie hinzu: »Ich habe der Welt dieses Licht erhalten. Ich hätte auch gewünscht, in dir den erloschenen Schein zu wecken.«

»Wer hat ihn befreit?«

»Ich … nur ich allein«, erwiderte sie stolz. »Deshalb kreuzte ich noch einmal deine Schwelle, deshalb blicke ich nun, zum letztenmal, in deine glanztoten Augen …«

»Du bist in meiner Macht …« Wie schon früher, während der Beschwörung, verzerrten sich seine Züge, und es war ihm, als schwände der Wille, über den er sonst immer Herr gewesen, und zwänge ihn zu fremdem Tun.

Furchtlos entgegnete die Erbprinzessin:

»Gewiß, du kannst mich töten oder meine Seele zwingen, diesen Leib zu verlassen, weil er mir entehrt scheint. In deiner Macht liegt es, ein Leben zu vernichten, das mir längst entwertet ist, doch an das Heiligste in mir kannst du nicht heran. Der Rest? Er ist wie eine welke Blume, gleicht deinen übelriechenden Kräutern, ist Teil alles Vergänglichen …«

Sie schwiegen beide.

»Ich kann mehr«, sagte Arototec endlich finster. »Ich kann ihn zurückwirbeln lassen … deinen jungen, schönen Pharao. Mir sind die Mächte der andern Ströme untertan. Da oder dort, in der Luft oder auf Erden, sterben muß er.«

»Sterben«, die Stimme der Prinzessin klang weich, »müssen wir alle. Das ist der Kreislauf des Seins, aber hast du jemals erwogen, o Arototec, was es bedeuten könnte, aus dem jeweiligen Entwicklungsstrom seines eigenen Sterns ausgestoßen zu werden, zu Auflösung und zu Weltallseinsamkeit verdammt zu sein? An das Nichts gebunden?«

»Mein Wollen …«

»… ist zerbrechlich wie alles«, unterbrach sie ihn ruhig.

»Ich werde ihn dir zu Füßen wirbeln, zum Zeichen meiner Macht …«, drohte er, »den Mann, den du liebst?« Und seine Blicke ruhten durchbohrend auf ihrem Gesicht, das völlig ruhig blieb.

»Was nennst du Liebe? Nur Zwang? Oder Besitz?«

Er schwieg.

»Ich habe Pharao Ramon Phtha geliebt, wie ich mein Volk liebe: mit der Kraft des Verzichtens. Ich habe meinem Volke mein Glück geopfert und den jungen König meinem Volke. Auf meinem Haupte liegt erdrückend die zehnzackige Krone von Atlantis. Mein Herz und meine Wünsche schweigen.«

»Ich weiß«, entgegnete er dumpf.

Von weither ertönte wieder das unerklärliche Dröhnen wie von berstendem Gestein.

Stumm standen sie einander gegenüber.

Da tauchte er seinen Blick forschend in den ihren und sah nur Licht. Er trat näher an sie heran.

»Frauen sind durch mein Leben gelaufen wie Perlen, die schimmern und brechen. Du warst …«, er zögerte, »an meinem lichtlosen Himmel der einzige Stern, der noch funkelte. Nun … ist auch dieser Stern erloschen …«

»Ich habe mit den dunklen Mächten lange um deine Seele gekämpft und … verloren«, erwiderte sie traurig. »Auch das war Liebe, o Arototec! In der Nacht, die ich nicht länger aufzuhalten vermag, gedenke dessen! Möge mein schwaches Licht dir leuchten, wenn das Ende naht …«

Ehe er es verhindern konnte, war der Vorhang hinter ihr gefallen …

Ein furchtbares Krachen erfüllte die Luft.

Sein Diener stürzte herbei und sank ihm zu Füßen.

»Was gibt es?« herrschte er ihn finster an.

»Der Schweigsame spricht …«

Da wußte Arototec, daß alles zu Ende ging.


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