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Die Frage

So rasch wie windgescheuchte Wolken entflohen die Tage.

Pharao Ramon Phtha gehörte nicht zu den Menschen, die warten können. Wenn er im Land der dunklen Erde einen Befehl erlassen hatte, war alles davongestürzt, ihn auszuführen; wenn er im Haus der Fremden sein Gold verschwenderisch ausstreute, erwartete und fand er augenblickliches Gehorchen, und das einfache Volk wich halb scheu, halb feindlich beiseite, wenn er – unsehend und unhörend – durch die Straßen raste.

Um so unerträglicher fand er es, im Palast oft wie ein Gnadensuchender endlos auf das Erscheinen der Erbprinzessin warten zu müssen, weil zufällig wichtigere Pflichten sich vordrängten: Empfänge, Bittsteller, eine Beratung mit dem König und dem ersten Thronratgeber, irgend etwas Trennendes, an dem sein Ungestüm die Flügel zerbrechen fühlte.

An diesem Abend durchmaß er doppelt ruhelos die Empfangshalle vor ihren Gemächern, da er sich entschlossen hatte, Isolanthis zu bestimmen, ihn zum Gatten zu nehmen und ihn – ohne schwerwiegende Bedenken von Pflicht und Volk und Rasse – in sein lichtes Land zu begleiten. Er fühlte dumpf, daß seinem Bleiben eine Grenze gesetzt worden war, doch wenn er gehen sollte, gehen mußte, durfte es nur mit Isolanthis an seiner Seite sein.

Alles in ihm brannte, und sie kam nicht.

Er raste durch die weite Halle, glaubte ihre Schritte zu vernehmen, stolperte im Eifer blindlings in die Richtung, aus der die trügerischen Laute erklangen, und stieß dabei eine der hohen mit Mondblumen gefüllten Ziervasen um.

Wozu nur stellte man solch zwecklose Dinge in einer Halle auf! Und sie kam nicht! Wo sie nur verweilte? Am Ende wieder bei Arototec im Haus der lichtlosen Sterne?

Wie wollte er ihr von der Schönheit des heiligen Flusses vorschwärmen, von der lichten Ebene ringsumher, die dem Blick Spielraum ließ und die Seele weitete; von seinem prunkvollen Palast …

Nun vernahm er ganz deutlich den verhaltenen Ton ihrer Schritte. Sie hatte gewiß bei Ataxikitli geweilt, der mehr und mehr in stumpfes Dahinbrüten zu versinken schien. In seinem glühenden Verlangen, ihr sein lichtes Land in den herrlichsten Farben zu schildern, trat er von der Steinplatte hinweg, gegen die er einige Augenblicke lang atemholend und gedankensammelnd gelehnt hatte, und riß dabei eine der mit Kräuterwerk gefüllten Silberschalen zu Boden. Der Krach drang bis in die innersten Gemächer der Erbprinzessin, die Bittsteller um sich stehen hatte, und die nun Roxa heranwinkte, um ihr zuzuflüstern:

»Geleite den König der dunklen Erde hinab zum Herrscherweg und melde ihm, daß ich sobald als möglich kommen werde. Wenn er noch lange allein in der Halle bleibt …«, und ein belustigtes Lächeln begleitete die Weisung. Hierauf wurden ihre Züge wieder ernst, denn viele Klagen flossen in ihr Ohr, und oft war es schwer zu helfen, schwerer noch zu raten.

In der Halle betrachtete Roxa mit der Freiheit einer Lieblingssklavin die angerichtete Verwüstung.

Der Pharao flog auf sie zu und fragte erregt:

»Was macht Isolanthis?«

»Sie empfängt die Bittenden, sie tröstet die Unglücklichen …«

»Immer das Volk …«, entfuhr es ihm ungeduldig.

»Dazu sind wir Erbprinzessin«, erwiderte Roxa mit Würde.

»Sie lebt für viele … andere«, seufzte er, und da er eben auf die Scherben der Vase trat, reichte er der Sklavin ein Goldstück, deutete auf den Schaden und zuckte mit den Achseln, denn was bedeutete ein zerbrochenes Ding, wenn sein Glück auf dem Spiele stand?

Etwas später lief er den Herrscherweg auf und ab, überlegte, was er der Prinzessin alles sagen wollte, und sah weder Eiben noch Standbilder.

Roxa schaute ihm lange zu.

»Die Dinge dort sind alle zu groß zum Umwerfen«, dachte sie befriedigt und nickte Tschirito zu, der eben aus der Küche kam, und der ihr einen Trunk Gerstenbier anbot. Er war auf dem Rückweg zum Königsgang.

Auch Isolanthis, die nach Erfüllung ihrer Pflichten die Freitreppe vom Palast hinabschritt, beobachtete den jungen Pharao mit einem Gemisch von Freude und Kummer. An allen andern Bindungen war es ihr leicht geworden vorbeizugehen, alles übrige Verzichten hatte nicht so tief an die Wurzeln ihres Herzens gegriffen, und überdies sah sie Gefahren voraus, von denen er nichts ahnte …

Da lief er den Herrscherweg hinab, ohne nach rechts oder nach links zu schauen, und wenn er sie sehen würde, käme wieder das begeisterte »Isolanthis!« von seinen Lippen, das alles übrige ausschloß. Er war wie ein Pfeil, der auf das Ziel zuflog. Tschirito pflegte viel schneller als sonst aufzuspringen und den Vorhang zurückzuziehen, um die Füße in Sicherheit zu bringen, ehe der König vorbeihastete, und selbst Arototec hatte dem jungen Pharao in seiner harten Art zugerufen:

»Die Blicke eines Königs müssen auf allem ruhen«, denn die pharaonischen Sandalen waren seinen Zehen wohl gefährlich nahe gekommen.

Isolanthis' Warnungen lauschte er nicht. Wie sollte sie ihn retten, vor sich selber retten?

Der Mond stieg hinter dem Tempel empor und warf sein Silber auf die hohen Eiben. Er tauchte auch die Prinzessin in seinen Glanz, und in diesem Augenblick erblickte sie Ramon Phtha. Er lief wie ein Kind auf sie zu:

»Isolanthis!«

Seinem klaren Wesen, das Umschweife haßte, widerstrebte ängstliches Erwägen, zögerndes Prüfen. Während sie vereint unter den Eiben dahinschritten und der Vollmond höher stieg, sagte Ramon Phtha eindringlich:

»Du mußt mit mir in mein Land ziehen! Näher als mein eigener Schatten bist du mir, teurer als mein eigenes Herz, lieber als Volk und Land und Leben! Du bist das Licht. Wie eine lodernde Flamme wird meine Liebe dich umgeben; du sollst über mein Herz, meine Seele, mein ganzes Land herrschen. Jeder deiner Wünsche wird Erfüllung finden, und auf jeden deiner Schritte wird sorgende Liebe lauschen. Du wirst über Blüten schreiten und deine Füße werden gehüllt sein in die Küsse meiner Lippen. Deine kühlen Hände will ich, weißen Blüten gleich, an meinem Herzen wärmen, das nur für dich schlägt, o Isolanthis! Herrscherin sollst du sein meines ganzen Ichs. Du bist meines Daseins Sonne und Freude, komm nun mit mir in mein lichtes Land! Ich kann ohne dich nicht sein. Ohne dich ist meine Krone mir nur Last, bleibt meine Seele vereinsamt. Begleite mich in mein Reich, in dem ich dein erster Untertan sein will. Ich lege dir alles zu Füßen, o du Licht meines Lebens …«

Isolanthis begriff mit tiefem Herzweh, daß sich ihr nun der Weg öffnete, von der die Wahrsagerin einmal gesprochen hatte: der wunderbare Weg, der in das Land der Seligkeiten führte, dem entlang die Zauberblüten irdischer Freuden standen, über dem gleich einer strahlenden Wolke das Rot dieser grenzenlosen Liebe schwebte. Nie würden die Schatten des Kummers und der Einsamkeit ihn verdüstern. Nur die Sterne zum Wegweiser, war sie bisher tapfer den Weg des Entsagens gegangen, losgelöst von Menschen und von Dingen, das Herz nur an Ewiges gebunden, doch nun ging es wie ein Schwert durch sie, denn das Weibtum in ihr sehnte sich nach wärmender Liebe, trug Verlangen nach dem Geborgensein, und ihre Jugend sprach laut und dringlich zu seiner Jugend …

»Meine Taten werden um dich einen Tempel bauen …«, begann der Pharao, und in seinen dunklen Augen las sie die Seligkeiten vollster Wunscherfüllung. An seiner Seite wandelnd würden alle Bürden abfallen, würde von ihren gramgebeugten Schultern die Last einer zu schweren Verantwortung sinken. In seinem lichten Land, an seinem lichten Herzen ruhend …

»Du schweigst, Isolanthis?«

Er liebte sie, wie sie es sich in der Zeit gewünscht hatte, als auch sie die Traumflügel getragen hatte, und nun war er wirklich gekommen, er, den sie ersehnt, als ihr die Traumlandkönigin die Blüte des Begehrens geschenkt hatte.

»Wenn ein König kommt aus dunklem Land …«

Nein, dunkel war weder er noch sein Land, obgleich die Haut des Königs und die Erde des Landes dunkel schienen, und ach … er liebte sie …

»Wenn die Krone liegt in Frauenhand …«

Die Krone, die zehnzackige Krone!

Nein, für sie gab es nur den Pfad der Entsagung, den Sternenweg. Sie brach eine Mondblume und blickte in den gelben Kelch. Gelb war die Farbe höchster Weisheit. Wie furchtbar schwer war es, dem Entwicklungsstrom der Menschen zu folgen, der von Leid zu Leid trieb …

Ein Stern brach durch das Tiefblau und behielt seinen Schimmer sogar im Vollglanz des Mondes. Ihr war es, als winke er.

»Warum schweigst du, o Isolanthis?«

Sie blickte nur auf die Tempelblüte nieder und wagte es nicht, zu sprechen, weil ihre Stimme zitterte. Sie sah nicht zu ihm auf, denn in ihren Augen standen Tränen. Ihre Pflicht lag bei ihrem Volke in der bitteren Stunde seiner Schicksalserfüllung, denn Sembasa hatte ihr gesagt, daß zwischen dem drohenden Schatten und seiner Verwirklichung nur noch sie stehe. Ihr Licht mußte leuchten, wenn alle andern erloschen waren. Kein selbstsüchtiges Sehnen durfte es verdunkeln, kein menschliches Begehren ihre Schritte hemmen …

»Isolanthis …?« fragte Ramon Phtha nochmals in jäher Angst.

Zu sprechen lag jenseits ihrer Kraft; jedes Wort, jeder Blick würde ihm ihr Weh verraten haben, und er durfte nie wissen, wie bitter der Verzicht gewesen war. Nur so konnte sie ihm die Heimkehr erleichtern. Ganz still und schweigend ging sie weiter und entfernte sich von ihm, den Blick scheinbar auf der Blume, und nur der Mond hüllte sie in seinen schimmernden Mantel.

Nur er, der ewig Formende und Umbauende, wußte, daß der Geist, der sich durch den Abstieg in den Stoff zu eitlem, leidvollem Sonderdasein in Sonderform verurteilt hatte, nie leidfrei wurde und nie Frieden fand, ehe er nicht von neuem mit der göttlichen Einheit verbunden war, deshalb segnete er die Trauernde, die solcher Vereinigung entgegenging, selbst wenn das Vergängliche an ihr darüber bitter klagen und trauern mußte.

Pharao Ramon Phtha wagte ihr nicht zu folgen. Sie schritt von ihm hinweg ins Licht und verschwand darin.

Er verblieb herzwund im Schatten der hohen Eiben und dachte voll Sehnen und Kummer:

»Sie geht durch mein Leben wie ein Lichtstrahl, doch sie entgleitet mir wie ein solcher, wenn ich die Hände ausstrecke, um sie zu halten.«


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