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Erstes Buch
Die Wurzel


In der Höhle der dunklen Mächte

Hinter den beiden, kalt und drohend, schlug die Finsternis zusammen.

»Um die Biegung bei … jenem … Fels«, lallte Colotli, der Skorpion, dessen sonst kecke Zunge nun aufbrandendes Entsetzen lähmte, denn es war ihm plötzlich, als schärften Riesenraubtiere ihre Krallen am harten Gestein, »da … ist's. Ich aber … kehre zurück.«

»Laß deine Zähne ein festes Gitter vor deiner Zunge sein, sonst wird das Unheil, das mich vernichtet, auch dich hinwegfegen«, erwiderte Ataxikitli, doch verklangen seine Worte im Rascheln des Laubwerks, im Surren der Palmen, im Knarren und Krachen der Felsen; der Skorpion aber flog furchtgegeißelt dahin wie noch nie in seinem Leben, weder um Lohn noch um Liebe.

Ataxikitli, der sein hellgelbes Gesicht mit dunkelfärbendem Öl eingerieben hatte, hüllte sich fester in den schwarzgrauen Umwurf und tastete sich, auf weichen Sandalen gehend, um den bezeichneten Fels. In seinen Adern rollte das Blut der höchsten Kaste, aus seinem Geschlecht allein wurden die Könige von Poseidonis gewählt, deren Macht sich mittelbar oder unmittelbar über alle atlantischen Reiche erstreckte, und nur sieben Leben trennten ihn vom mächtigsten Throne der Erde, dennoch mußte er hier heimlich den gefährlichen Spuren eines Mächtigeren folgen. So mutig er auch war, empfand er doch ein unüberwindliches Grauen vor diesem Ort, der Höhle der dunklen Mächte, um die nur wenige wußten und deren Lage zu erforschen ihm erst heute, nach langen Bemühungen, endlich gelungen war.

Nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit ringsumher, und er entdeckte auch den Spalt im Felsen, durch den man angeblich in das Innere des Berges gelangen sollte, aber als er seinen Leib durch die schmale Öffnung schob, war es ihm, als risse ihn ein eisiger Wind zurück, als klammerten sich nasse Hände an ihn, Hände, die zu unstofflich waren, um von Menschen herrühren zu können, und nur mit dem Aufgebot aller Willenskraft kämpfte er gegen die Welle von Furcht und Abscheu an, die ihn zu bezwingen drohte.

Schon nach wenigen Schritten im niederen, engen Stollen klafften die Felsen plötzlich auseinander, und er stand in einer hohen, sehr geräumigen Höhle, in der ein violettes Dämmern herrschte. An ihrem äußersten Ende waren schwarze, behauene Steine als Sitze eng aneinandergeschoben, und Ataxikitli entschloß sich nach bangem Zögern, unweit davon hinter einem Riesenfelsen Deckung zu suchen. Mehrere solcher Felsen verdunkelten den ohnehin schon finsteren Raum noch mehr. Sie mochten bei einem Erdbeben niedergestürzt sein und boten ihm nun ein Versteck, von dem aus er die Vorgänge zu beobachten hoffte. Während er im Tiefschatten die Stellung einnahm, die es ihm ermöglichen sollte, lange Zeit regungslos zu verharren, ging ein Frösteln durch seine Glieder, weil alles um ihn her – durchbrechendes Wurzelwerk, tropfendes Wasser, zerbröckelndes Gestein – seltsam belebt schien.

Plötzlich verstummte das Zischen und Lispeln um ihn her, und das unerklärliche Kratzen an den Felswänden nahm ein Ende. Die Beschwörer, etwa zwanzig an der Zahl, schwebten eher, als daß sie gingen, auf ihre Sitze zu; der jüngste befestigte Schalen mit Räucherwerk an den Wänden. Ein übelriechender Qualm verbreitete sich, und das dunkelviolette Dämmern erfüllte nun die ganze große Höhle. Die Männer selbst trugen düsterviolette Gewänder, und sogar die Stirnreifen waren vom gleichen Farbton. Die blaßgelben Gesichter schimmerten wächsern wie Leichen aus der Umhüllung.

Ataxikitli bemühte sich, die Anwesenden, die einen sehr geschlossenen Halbkreis bildeten – der Oberarm des einen immer dicht am Oberarm des anderen liegend – einigermaßen zu erkennen. In der Mitte saß, ganz wie er es vermutet hatte, Arototec, der Mann, der Stadt und Land und König zu beherrschen wünschte und von dem die schaurigsten Geschichten im Umlauf waren. An seiner Seite, weniger lebensabgewandt und daher auch weniger graueneinflößend, saß Torototec, der einmal Priester gewesen und der, wohl vermöge Arototecs Einfluß, vor kurzem einer der zweiundvierzig Thronratgeber geworden war. Von den übrigen Männern erkannte Ataxikitli infolge der schattenhaften Beleuchtung nur noch Eritol, Mariku und Tschiropec.

So still war es in der Höhle geworden, daß der Lauscher das Pochen seines Herzens störend empfand und, wie um es zu mildern, beide Hände darüber breitete. Die dunkelvioletten Gestalten verblieben reglos wie Mumien, nur die Augen glühten, und von der Stirne perlte kalter Schweiß. Ihre Gedanken verschmolzen zu einer Kraft, einem Willen; der Strom, der wachsend durch ihre starren Leiber fuhr, war nur ein Strom …

Langsam, wie unter furchtbarem Zwang, lösten sich die dichten Schleier des Räucherwerks; auf dem Boden tanzten bläuliche Funken wie Augen tückischer Kobolde; die Nebel zerrannen mehr und mehr, und es zeigte sich eine weiße Gestalt mit dem Gesicht einer Leiche.

Ataxikitli krallte die Finger in den Leib, um nicht entsetzt aufzuschreien, denn er fühlte, wie sich hinter ihm Unsichtbares von den Felswänden löste und der rauchgeborenen Erscheinung zuschwirrte. Sein Haar, vom Wind einer fremden Welt umweht, sträubte sich, und Angstschweiß brach aus all seinen Poren.

Der jüngste der Zauberer war nicht inbegriffen in der Kette. Gegen die Wand gelehnt, hielt er in Händen eine Schale, die mit Blut gefüllt war, und Ataxikitli erinnerte sich, daß König Naxitli jüngst Arototec einen zum Tode verurteilten Verbrecher zu Forschungszwecken überlassen hatte. Die Vermutung lag daher nahe, daß dieses Gefäß das noch warme Herzblut des Unglücklichen enthalten mochte. In der kühlen Höhle stieg ein feiner Dunst aus der Schale empor …

Während Ataxikitli sich bemühte, seiner Bestürzung und Betrübnis Herr zu werden, trat der Zauberjünger auf die Erscheinung zu und goß das frische Blut so dicht vor ihr auf den Erdboden, daß die Füße darin standen und der Saum des Gewandes sich rot färbte.

»Blut«, dachte Ataxikitli erschauernd, »Blut! Das Sinnbild des Körpers, des stofflichen Lebens.«

Arototec machte ein Zeichen, der Kreis schloß sich wieder, langsam kam Bewegung in die Erscheinung, die toten Augen schauten plötzlich unter halb geschlossenen Lidern hervor, und eine hohle, sonderbar klanglose Stimme sprach eine Warnung. Von den Felswänden dröhnte dumpf ein Echo.

»Greift nicht zu tief in das Sein des Unfaßlichen! Ihr mißbraucht die hohen Mächte. Verliert nicht den lichten Weg, hütet euch vor den letzten Geheimnissen! Ihr geht nicht mehr den Lichtpfad, ihr seid zur tiefsten Erkenntnis noch nicht reif genug …«

Nichts bewegte sich in den Gesichtern der Beschwörer, obschon kalter Schweiß von den finster gerunzelten Stirnen tropfte, nur das Glühen der Augen verstärkte sich. Die hohle Stimme erlosch wie eine Fackel im Dunkel des Raumes. Noch einmal, schattenhaft erkennbar, streckte die weiße Gestalt die Hände aus – ob in Abwehr, Beschwörung oder als letzte Warnung, vermochte Ataxikitli später nie zu sagen – und wollte zerrinnen. Wieder machte Arototec gebieterisch ein Zeichen, die Kette schloß sich von neuem, Funken tanzten über den Boden hin, die Erscheinung verdichtete sich, hob einen ungeheuren Felsblock, den fünfzig Männer nicht zu bewegen vermocht hätten, und stülpte ihn mühelos auf einen anderen hohen Felsblock. Im violetten Dämmern sah sich der Lauscher beinahe entdeckt und kroch grauengeschüttelt hinter den nächsten Felsen.

Da erscholl ein so grausiges unmenschliches Hohnlachen durch den Raum, daß sich Ataxikitli mit dem Gesicht auf die kalte Erde warf, denn eisige Luft schlug aus der Tiefe, die Nebel verdichteten sich von neuem, und es begann ein Kratzen und Scharren am Gestein ringsumher wie von vielen nach Befreiung ringenden Händen. Das Herz des Lauschers krampfte sich vor Grauen und bitterstem Weh zusammen, denn seine schlimmsten Befürchtungen waren übertroffen worden. Nichts war hier mehr vom Lichte der großen Entwicklung, nichts von den hellen Strahlen reiner Weisheit mehr …

Hier walteten die dunklen Mächte, von den Magiern beschworen, um ihnen zu helfen Dinge, Menschen, kurz die ganze Welt zu unterjochen und zu beherrschen.

Diese traurige Gewißheit, verbunden mit den erschütternden Vorgängen, deren Augenzeuge er geworden war, raubte ihm das Bewußtsein.


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