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»Was treibst du?« fragte eine helle Stimme und erschreckte den in Gedanken an Isolanthis ganz versunkenen Pharao so sehr, daß ihm das Ölfläschchen aus der Hand fiel und der Inhalt als großer grünlicher Fleck die Fliesen färbte.
»Ich … ich öle mich«, entgegnete er aufblickend und lächelte erleichtert, als er Daminophis erkannte.
»Du ölst dich? Wozu? Bist du etwa ein Rad, das nicht mehr laufen will? Und mit so vielen Ölen?« rief der Künstler und schlug in gespieltem Entsetzen die Hände zusammen.
»Was tut denn ihr?« erkundigte sich der Pharao, sichtlich erstaunt.
»Wir baden …«
»Ich auch …«
Daminophis war näher getreten und musterte neugierig die Büchsen, Fläschchen, Dosen, Krüge und Pudersäckchen, und rief endlich lebhaft:
»Zur Strafe sollst du mir nun alles erklären!«
Ramon Phtha griff gehorsam nach dem großen, reich verzierten Krug.
»Das ist Palmenöl, in das die Drüse eines Tieres gelegt wird, wodurch es gar lieblich duftet. Damit reibe ich mich nach dem Bade ein. Es macht die Haut geschmeidig, die von unserem heißen Sand daheim und von der Glut unserer Sonne wie Leder trocknet. Mit diesem Öl dagegen«, er deutete auf ein kleines Fläschchen, »dem zwölf verschiedene Kräutersäfte beigemengt sind, bürste ich mein Haar, auf daß es gut wachse, recht glänze und geschmeidig bleibe. In jenem Döschen ist eine Salbe, die das Schimmern der Nägel hebt, und mit dem Pulver in dem gestickten Beutel bestaube ich Armreifen und Ringe, auf daß sie nicht an der Haut kleben.«
»Was hast du in jenem Töpfchen aus blauem Stein?«
»Tropfen, sehr wohlriechende Tropfen«, gestand Ramon Phtha zögernd, denn Daminophis' Augen blitzten gar schelmisch auf.
»Wozu?«
»O … ich tauche zuzeiten den Finger hinein und fahre damit über die Augenbrauen, die sich dadurch besser vom Braun des Gesichtes abheben. Ich bestreiche das Gesicht übrigens oft mit einer Flüssigkeit, die einem Harz entstammt und kühlend wirkt. Sie ist allerdings kostspielig. Man bezahlt jeden Tropfen mit Gold.«
»Deshalb duftest du immer nach zehntausend Süßigkeiten …«
»Ob das alle finden?« fragte der junge König, doch dachte er nur an Isolanthis. Mit rührender Kindlichkeit sah er den Künstler an.
Daminophis wollte ihn gerne necken. Ungeachtet seiner seelisch-geistigen Vertiefung und seines echten Künstlertums schlummerte ein Körnchen menschlicher Ungezogenheit in ihm, deshalb tat er, als begriffe er nichts, und sagte, während er mit einem kugelartigen Gefäß spielte:
»Hm … alle … das weiß ich nicht. Arototec hat dir den Namen ›gewürzter König‹ gegeben, weil er meint, du röchest wie eine wandelnde Kräuterküche.«
»Der Unverschämte! Was wagt er? Einem Pharao …!«
Er war ungestüm aufgesprungen, und die rasche Bewegung hatte das schwankende Brett mit seiner Last zu Fall gebracht. Nach allen Richtungen rollten Fläschchen, Töpflein und Krüge, einzelne in Scherben, andere unversehrt.
Daminophis half ihm reumütig retten, was noch zu retten war, und, um den noch immer entrüsteten Pharao abzulenken, fragte er, was in der Tonkugel sei, die er unverletzt in Händen hielt.
»Pulver …«, brummte der König der dunklen Erde unmutig, und las die letzten Gegenstände vom Steinboden auf.
»Ist der Gebrauch ein Geheimnis?«
Verdächtig bescheiden klang es.
»Ich pflege mir mit diesem Pulver an warmen Tagen den Körper einzureiben, besonders Hüften und Schenkel zu pudern, damit ich den Druck des breiten Gürtels und der Sandalenriemen nicht unangenehm empfinde …«
»Nun laß es genug sein!« und Daminophis zog ihn kräftig dem Ausgang zu. »Das ist ja schrecklich! Vor lauter Ölen und Salben, Pudern und Reiben kommst du nicht zum Leben. Höre! Gib deine Krone den Sklaven zur Aufbewahrung und wirf dieses dunkle Tuch um, das ich mitgebracht habe. Wir gehen heute hinab auf die Ebene und schauen uns das Jahrmarkttreiben an. Das gibt es nur einmal jährlich und ich liebe es, sieht man da doch Menschen aus allen Teilen des Reiches und der fernsten Ansiedlungen. Da kann ich in Farben und in Formen schwelgen, doch ist es besser, wenn wir unerkannt bleiben.«
»Nun siehst du wie ein Mann aus dem Volke aus!« lachte Ramon Phtha schon wieder vergnügt, als er Daminophis so verwandelt vor sich stehen sah.
»Das ist mir lieber, als daß jeder Mensch sich zuflüstert, ›da geht der fürstliche Wandbekleckser und Steinbehauer aus dem zweiten Wall‹.« Er warf dem Pharao ein ähnliches Tuch über das Haupt und befestigte es mit einem dunklen Band, an Stelle eines Stirnreifens. »So, nun komm! Du kannst ruhig auch einmal nichts als ein ganz gewöhnlicher Mensch sein«, erklärte er lachend.
Ramon Phtha erteilte die nötigen Befehle, besah sich nochmals stirnrunzelnd den Schaden, und folgte dem Künstler, der unreumütig sagte:
»Danke Ra, daß ich dich beim Ölen fand, und nicht Isolanthis. Sie würde gewiß die Ansicht geäußert haben, wie unbeschreiblich wichtiger sie es fände, dich mit der Erlernung von Rmoahal oder Tlavitli beschäftigt zu wissen. In dieser Beziehung gleicht sie deinem alten Freunde Arototec. Wenn ihnen die Augen nicht zwangsläufig zuklappten, würden sie wohl keine Ahnung haben, warum Menschen im Grunde zeitvergeudend schliefen.«
Nun hatten sie die Ebene jenseits des dritten Walles erreicht und Ramon Phtha hielt betroffen inne. Daminophis hatte nicht zu viel versprochen, hier war eine neue wundersame Stadt entstanden. Ein ganzes Meer von Zelten überflutete die weite Ebene, jedes einzelne Zelt spitzzulaufend wie eine winzige Pyramide, doch alle in gleicher Art hochstrebend, alle mit Matten oder Fellen bedeckt, alle einen kleinen Platz vor dem Zelt ihr eigen nennend, auf dem die Waren ausgebreitet lagen, in deren Mitte der Händler saß. Durch diese neue Zeltstadt führte eine breite Straße, auf der die bekannten zweirädrigen Wagen auf- und abfuhren, während die Fußgänger die Seitenpfade für sich hatten.
»Im Wagen sitzen die Vornehmen, doch wir wollen uns lieber unter das Volk mischen«, erklärte Daminophis und führte den Pharao den Eibenweg entlang und an der hohen Mauer des Gartens der Toten dahin. Der junge König verfiel auf kurze Zeit in schwermütiges Schweigen, denn hier war er mit Isolanthis gegangen. Vor dem Tore hielt ihn Daminophis an.
»Diese Figuren sind von mir entworfen«, sagte er.
Rechts und links vom Eingang stieg aus einer Flamme eine Gestalt empor, deren Gesicht und Hände wie in Sehnen nach Licht aufwärtsgerichtet waren.
»Die Verkörperung der Seele, die zurück möchte zum Licht …« erklärte der Künstler ernst, doch dann siegte wieder die Freude am Gegenwärtigen, an der Pracht der Farben, dem Wechsel der Formen, und ließ ihn froh untertauchen im lärmenden Treiben des Marktes, der nur einmal jährlich stattfand und auf dem man alles besorgen mußte, wessen man bedurfte, da es in der Stadt der fließenden Wasser keinerlei Geschäfte gab. Was da angefertigt wurde, kam nur an diesem Tage zum Verkauf.
»Ist es nicht herrlich?« rief der Künstler begeistert, und auch Ramon Phtha fühlte seine brausende Jugend in sich.
Alles war unzweifelhaft bezaubernd für die Augen eines Künstlers, dieses dunkle Volk mit seinen Mengen wertlosen Schmuckes behängen, diese Zelte und Waren, aber diese Berührung mit anderen Menschen, die nicht seiner Kaste angehörten, verletzte den Pharao, war ihm unangenehm, während sich Daminophis darüber freute.
»Ich glaube, du kannst dich nie so ganz losgelöst als nichts außer Mensch fühlen?« fragte Daminophis und zog den jungen Freund durch das wachsende Getriebe.
»Es verletzt dieses enge Beisammensein mit diesen Leuten seltsamer Gerüche, unbeherrschter Bewegungen, dieses kreischende Lachen etwas in mir, das tief wurzelt …«
Jedenfalls war er froh, als der Künstler den Weg zum Meere einschlug, wo getrocknete Fische verkauft wurden und die frische Seebrise die Luft reinigte.
Die Männer aus dem Volke trugen über dem kniekurzen Rock noch einen Umhang über die Schultern geworfen, die Frauen hatten bis zu den Knöcheln reichende Gewänder, doch für beide Geschlechter waren die Farben gedämpft: Braunrot, Dunkelblau, Tiefgrün oder Graublau herrschten vor. Kinder wurden einfach in ein Tuch gebunden auf dem Rücken getragen oder saßen oben auf einer Schulter und bejauchzten von da aus die Welt.
Unter den vielen Zelten gab es auch einige, in denen gespielt wurde, bald inländische, bald ausländische Musik, und das dunkle Gerstenbier floß in Strömen; flaches, über Glut gebackenes Brot wurde angeboten, und grüne Kräuterkugeln voll scharfer Gewürze galten als besondere Leckerbissen. Die Leute, die aus dem Innern des Landes kamen, trugen noch Lederstückchen als Geld, doch die Bewohner der Stadt der goldenen Tore hatten Silber- und Goldmünzen, und ganz niederwertiges, viereckiges Geld aus Orichalcum.
In verschnörkelten Räucherbecken brannten Kräuter und verbreiteten einen scharfen, aufreizenden Geruch. Daminophis stürzte sich begeistert in Zeltstraße auf Zeltstraße, denn überall sah man Neues. Ramon Phtha betrachtete lieber den tiefblauen Himmel und das noch tiefblauere Meer. Jenseits der Zeltstadt erhob sich die Stadt der fließenden Wasser im strahlendsten Sonnenlicht, ein Bild blendender Pracht, ein unbeschreibliches gleißendes Wunder von Gold und Silber …
»Schau dir diesen Kopfschmuck an, Ramanatu«, unterbrach der Künstler des Pharaos Sinnen, »alles aus schillernden Federn und wie eine Krone wirkend. Und dazu gehört noch dieser Umwurf von gleicher Pracht. Diese Arbeiten stammen aus den Sumpfgebieten des Orikatls.«
Im Zelt daneben verkaufte man Farben, doch nur reine Grundfarben: Blau, Gelb, Rot und ein einziges Grün, das sich durch Mischung nicht erzielen ließ. Auch allerlei Schreibwaren wie Palmenblätter, Wachstafeln, Lederstücke, glattes Holz und etwas, das Papier glich, doch ziemlich rauh war.
Zwischen Menschen und Zelten liefen braune und gelbliche Hunde mit steifen Ohren und dünnen Beinen herum und spitzschnauzige graubraune Tapire, die alles auffraßen, was weggeworfen wurde.
»Hier werden Stirnreifen verkauft«, sagte Daminophis stehenbleibend. »Sieh, diese Schnüre werden vom einfachen Volk getragen. Krieger und Palastdiener dürfen sich glatte Reifen aus Orichalcum kaufen, die Stirnreifen aus Gold sind für die Männer und Frauen der höchsten Kaste, und nur Fürstlichkeiten tragen vorn den Dreizack. Die Priester tragen einen hellblauen Dreizack, wie du schon gesehen hast.«
Im Nebenzelt wurden Teppiche und Matten verkauft, auch eigenartige Ketten, teils aus Samen und Muscheln, teils aus Halbedelsteinen.
»Das Waffenzelt!«
Die beiden jungen Leute traten ein und besahen sich Speere, Lanzen, einfache Pfeile, wie sie die ungezähmten Völker noch benützten, und Keulen aus dem Südreiche. Es gab indessen auch prachtvolle Dolche und Messer, und Ramon Phtha freute sich, zu sehen, daß aus seinem eigenen Lande sehr schöne Waren ausgelegt wurden, nach denen viel Nachfrage zu sein schien.
Allmählich wuchsen Lärm und Hitze bis ins Unerträgliche.
Die weißen, braunen und schwarzen Felle, mit denen die Zelte bedeckt waren, begannen stark zu riechen. Mehr und mehr Leute aller Rassen sammelten sich um die Eßzelte, die verschiedensten Düfte erfüllten die Luft, Gerstenbier roch mehr als wünschenswert aus Krügen und Schalen, unbekannte Früchte gingen teilweise in Fäulnis über.
»Laß uns heimgehen und ausruhen«, schlug Daminophis vor. »Am Abend geht das Treiben noch einmal los und da können wir, so wir Lust haben, wieder heruntersteigen. Du hast gar manches noch nicht gesehen.«
Ramon Phtha war mit dem Vorschlag sehr einverstanden, doch schwieg er, denn er faßte plötzlich den Entschluß, nach Einbruch der Dunkelheit in den Palast zu eilen und Isolanthis zu bewegen, den Markt mit ihm zu besuchen. Er fand das Treiben der Leute auf einmal höchst sehenswert.
»Ist der Mond im Wachsen oder Schwinden?« erkundigte er sich.
»Die Scheibe ist voll«, erwiderte der Künstler.
Vor dem Haus der Fremden trennten sie sich.