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Das Krönungsmahl

Ramon Phtha hatte sich vom bunten Strom der Geladenen treiben lassen. Man flutete in den Festsaal, in dem das Krönungsmahl stattfinden sollte, und fand märchenhaften Prunk, gegen den alles verblaßte, was an anderen Höfen geboten werden konnte.

Das kühle Blau oder Grün, das in den meisten Palasträumen vorherrschte, machte hier einem freudigen Rot Platz. An den Wänden, die sich hoch im Dunkel der Wölbung verloren, sah man Riesenfiguren in leuchtendstem Gold, mit ausgestreckten Armen und ausgespannten Flügeln. Diese letzten waren mit Edelsteinen verziert und berührten immer die Flügel der nächsten Figur, und diese funkelnden Schwingen verliehen den Figuren etwas unendlich Warmes und Strahlendes und sollten das Hinübergleiten in die Unwirklichkeit darstellen. Zwischen den Riesenfrauengestalten stand immer eine Palme, deren goldene Wedel aus dämmriger Höhe herabschimmerten und die auf den Palmenwein, der gern getrunken wurde, hinwiesen. Unter den Füßen der Gestalten zogen sich Gewinde aus Früchten und Blumen hin, und rings an den Wänden waren lange schmale Steinblöcke angebracht, die mit Blumen und duftenden Kräutern reich geschmückt waren, und die Räucherschalen trugen, aus denen unaufhörlich ein angenehm riechender feiner Rauch aufwirbelte. Zwischen den überschlanken Frauenfiguren aus Gold hingen von goldenen Stäben riesige künstliche Sonnen, deren Licht sich in den unzähligen Silberschalen auf der Festtafel hundertfach spiegelte.

Die Festtafel selbst war im höchsten Grade eigenartig, denn sie bestand aus einem ungeheuren Block, der in der Mitte ausgehauen war, so daß die Diener in diesem Spalt auf- und abgehen und die Gäste bedienen konnten, die auf verzierten, mit Decken und Kissen bedeckten Ruhelagern dicht um die Tafel herum lagen. Die Palastdiener in ihren blauen Gewändern waren rastlos bemüht, aus großen Schüsseln die schon zerkleinerten Speisen in die Silberschalen zu füllen, die dem Gaste gereicht wurden, und aus denen er sie in den Mund schüttete. Früchte und Palmenwein standen bereit.

Rechts vom König lagen die älteren Herrscher – Amenavit aus Aere neben Keotolta, ferner Tehuan vom Mondreich, und nicht viel weiter unten Ramon Phtha neben Isolanthis, da sein Reich zu den bedeutendsten gehörte. Während er von den gebotenen Speisen spärlich kostete, beobachtete er die Geladenen. Die Fürsten des Südens waren dunkler als er, aßen viel und sprachen lebhaft; auf dem Gesicht Keotoltas, das beinahe schon weiß anmutete, lag ein Zug beherrschter Strenge. Isolanthis aß wenig und schien sich fortzusehnen aus diesem Getriebe. Ihre Gedanken schweiften wohl fernab über dem Pharao unbekannte Gefilde, der wehe Zug um den Mund hatte sich vertieft, und in ihren Augen schimmerte es wie nach erstarrten Tränen.

Ein Diener reichte dem Pharao eine schon kunstvoll zerlegte Pampelmuse, und er kostete sie nach kurzem Zögern, fand sie sauer und beschränkte sich darauf, Gäste und Prinzessin weiter zu betrachten. Selbst der Weise aus dem Turm des Sonnenaufgangs war herabgestiegen und hatte ein gütiges Wort für diesen und jenen. Daminophis schien all die Schönheit sehr zu genießen, die Blumen, die den Raum in einen Garten verwandelten, die glitzernden Schalen, den wirbelnden Rauch, die freudigen Farben der Ruhelager, Decken und Kissen, die Pracht der Gewänder aller Geladenen, mit Ausnahme von Sembasa, der in seinem schlichten Weiß trotzdem sehr vornehm wirkte.

Ach, wovon träumte Isolanthis? Warum schaute sie so weltentrückt in Fernen, die ihm unerreichbar waren? Ihr Blick suchte immer wieder besorgt den König, der – die schwere zehnzackige Krone auf dem Haupt – nach wie vor still dasaß, das Gesicht bleich und unbewegt. Er sprach nur wenig, und das nur wie unter einem Zwang …

Knaben spielten auf herzförmigen Harfen und hielten silberne Zimbeln, die sie nur spärlich benützten. Gesang und Spiel blieben gedämpft.

Tiefer unten an der Festtafel lag Arototec. Seine Blicke schossen oft durchbohrend zu Ataxikitli, der jedesmal wie verwundet zusammenfuhr und eigentümlich erstarrte. An des ersten Thronratgebers Seite lag Torototec, und es war Ramon Phtha, als beobachteten sie ihn sehr scharf und irgendwie mißbilligend. Er ahnte nicht, daß Torototec bemerkt hatte, wie selten seine Hand nach Palmenweinbecher oder Eßschale griff, und wie häufig seine Augen zur Erbprinzessin zurückkehrten.

»Er ist sehr jung, hat ein wohlgefälliges Äußere und trägt eine Krone …«, begann Torototec, als der Pharao eben verträumt ein winziges Schälchen an die Lippen hob und den Inhalt in den Mund schüttete, wie er es die anderen Gäste tun gesehen hatte, »und es steht zu hoffen …«

Arototec, der den Vorgang ebenfalls beobachtet hatte, unterbrach ihn mit den Worten:

»Sorge dich nicht! Er wird bewacht und gewarnt werden. Unser reines Blut darf keine Mischung erfahren. Zum Glück ist Isolanthis …«

»Mehr Seele als Leib. Das mag stimmen, aber dieser junge König der dunklen Erde macht mir ganz den Eindruck, selbst einem geschlechtslosen Luftgeist irdische Liebe einblasen zu können«, entgegnete Torototec.

»Ich würde ihm nicht raten, hier viel herumzublasen, sei es um Liebe, sei es, um andere Gefühle zu erwecken«, und Arototecs ohnedies harte Züge wurden vollends zu Stein. »Die Feierlichkeiten nehmen bald ihr Ende, und es wird sich empfehlen, ihn zurück in sein Land zu schicken.«

» Wenn er sich schicken läßt«, erwiderte Torototec mit leichtem Zweifel im Ton. »Er scheint mir keineswegs einer der Gefügigsten …«

»Ich bin schon mit schwierigeren Menschen fertig geworden.«

»Das weiß ich, doch schau dir einmal unsern Freund Tiritec an! Er stopft seit Beginn des Festmahles alles in sich hinein, was die Diener herbeischleppen können. Er kann gar nicht schnell genug versorgt werden. Er ist deines Pharaos Gegenstück. Ramanatu ißt nichts, um Isolanthis seine ganze Aufmerksamkeit widmen zu können, und unser edler Versedreher weiß nicht, was er ißt, weil er sie ununterbrochen anstarrt. Selbst unser guter dicker Erikikatl betrachtet die Erbprinzessin mit mehr Anteilnahme und Begeisterung als die ihm anvertrauten Kronschätze. Er vergißt darüber sogar seinen geliebten Palmenwein …«

»Auch Hüter von Kronschätzen haben ein Herz, o Torototec, und der Zauber, den Isolanthis ausübt, ist um so gefährlicher, als er die Seele und nicht den Leib gefangennimmt.«

Ein leichter Lärm und gedämpfte Ausrufe ließen die beiden Thronratgeber aufschauen, und sogar über Arototecs tiefernstes Gesicht huschte etwas wie der Schatten eines Lächelns, denn Tiritec, der dem Palmenwein öfter als nötig zugesprochen hatte, wollte sich nun erheben, um eine Rede zu halten. Seine beiden Tischnachbarn hatten ihn jedoch an Armen und Beinen erwischt und hielten ihn nun krampfhaft auf die weichen Kissen gedrückt, wo er sich krümmte und in zwecklosem Widerstand unaufhörlich strampelte. Ramon Phtha betrachtete den zappelnden Dichter mit nicht geringem Vergnügen, denn er hatte wahrgenommen, wie ein belustigtes Lächeln über die Züge der Prinzessin glitt. Nun war es dem Gefesselten gelungen, sich zu befreien, er fuhr hoch und streckte sehnend die Arme nach Isolanthis aus, ehe er neuerdings niedergeworfen und festgehalten wurde.

Arototec, der sich das Spiel kurze Zeit angeschaut hatte, rief Tiritec nun gedämpft, aber mit schneidender Schärfe zu:

»Dichter – das ist ein Krönungsmahl, und es sind fremde Herrscher zugegen. Ich will nicht, daß die Ehre unseres Landes durch dein Gebaren leide. Wenn du Affe sein willst, so klettere im Hof draußen auf die Eiben …«

Im Nu verflüchtigte sich Tiritecs Rausch, das wutverzerrte Gesicht glättete sich rasch, er lächelte untertänig, und höchstens die Blicke, über die er die Lider senkte, verrieten den auflodernden Haß gegen den Thronratgeber.

Das Gelage hatte den Stimmungshöhepunkt erreicht. Sembasa war längst in sein erdfernes Reich zurückgekehrt, Isolanthis verabschiedete sich von den Fürsten, und auch Pharao Ramon Phtha erhob sich.

»Ich führe dich durch den geheimen Gang in das Haus der Fremden«, erklärte Daminophis, und bald stiegen sie vereint die Palasttreppe nieder und kreuzten den riesigen Hof bis zum geheimen Königsgang. Als sie sich ihm näherten, löste sich aus dem Dunkel eine Gestalt in Weiß mit breiter, gelber Schärpe und grüßte.

»He, Tschirito«, lachte der Künstler, »ich glaubte, du müßtest stehen in deinem neuen Amte, das so verantwortungsvoll ist …«

»Eigentlich ja … eigentlich ja«, entgegnete gelassen der Dicke, »mein Geist will auch stehen, aber mein Leib will lieber sitzen …«, er hob den Vorhang und verbeugte sich.

»Weißt du denn nicht, o Tschirito«, neckte ihn Daminophis, »daß wir unseren Leib bezwingen sollen?«

»Gewiß, gewiß … aber ich weiß auch, daß wir in jeder Rasse siebenmal wiedergeboren werden, weil doch jede Hauptrasse sieben Unterrassen hat, und nachdem dies erst die vierte Hauptrasse ist, lasse ich mir noch Zeit. Bis zur letzten Unterrasse der siebenten Hauptrasse werde ich das Stehen auch erlernt haben. Menschen, die sich zu sehr beeilen, straucheln erstens leicht und haben zweitens ein unangenehmes Gemüt. Sie werden ungeduldig …«

»Weil sie schlank werden, wenn sie sich bewegen, und sich ihre Knochen dann aneinanderreiben, nicht wahr? Poseidon schütze deine Ruhe! Wir gehören zur Art, die das Hasten liebt …«, und lachend lief der Künstler hinter dem Pharao her.

»Die meisten Leute sind unglücklich, weil sie nichts erwarten können«, murmelte der Wächter am Vorhang in sich hinein. »Ich kann warten, und deshalb bin ich zufrieden, gesund und immer ruhevoll.«

»Wer ist der kreisförmige Weltweise?« fragte der Pharao, als Daminophis ihn erreicht hatte.

»Tschirito? Das ist ein Mann, der früher ein Häuschen unten dicht am Strand hatte. Ganz kurz vor deinem Eintreffen in diesem Land hatten wir eine mächtige Springflut, wie seit vielen Jahren nicht, und sie riß Tschiritos kleines Wohnhaus mit. Da kam er zu Isolanthis und bat sie um irgendeine Anstellung, wo man sich nicht zu überanstrengen brauchte, und so stellte sie ihn an den Vorhang des Königsganges. Ich habe beinahe den Verdacht«, lachte er, »daß sie ihm den breiten gelben Gürtel zum Spaß umgebunden hat, denn er macht seine Erscheinung nicht zarter.«

»Wie gut ist Isolanthis zu allen, selbst da, wo ich …«, begann der Pharao bewegt.

»Wo du nur das Nutzlose eines Menschen siehst? Ja, wir Poseidonier wissen, wie eng wir Menschen aneinandergebunden sind, und das führt zu Nachsicht. Und auf Isolanthis fällt noch das Licht Sembasas …«

Ramon Phtha schwor sich insgeheim, daß künftighin das Licht seiner Liebe auf sie fallen sollte, doch schwieg er.

Stumm stiegen sie talwärts.

Oben, am Vorhang, dachte Tschirito:

»Der König der dunklen Erde ist sehr hübsch, und seine Krone gefällt mir besser als die Tehuans. Auch scheint er reich und lebensfroh zu sein, doch in der Liebe wird er kein Glück haben. Für so etwas habe ich den richtigen Blick. Die Spannung zwischen Ohr und Nase stimmt nicht. Das ist ein untrügliches Zeichen.«

Er schaukelte auf dem viel zu kleinen Sitz hin und her, den er in die äußerste Ecke geschoben und mit einer Matte bedeckt hatte, zog einen Gerstenkuchen aus dem Gürtelband und seufzte:

»Schade! Er ist wirklich hübsch, und etwas in seinem Gesicht spiegelt sich in dem unserer Prinzessin. Auch nicht schade, wenn man es so ganz zerlegt, denn von unserer Rasse ist er nicht, und übrigens: Liebe ist immer leidvoll, und ein Herz, in das sie geflossen ist, gleicht dem Meer mit seiner Unruhe: Einmal Ebbe, einmal Flut, und ehe man es ahnt, gar Springflut.«

Er hielt den Gerstenkuchen von der Krönungstafel mit beiden Händen hoch und kaute vergnügt mit vollen Backen.

» Mein Herz ist wunschlos!«

Es gab wohl wenige in ganz Poseidonis, die das von sich behaupten konnten, und niemand im Palaste, der eine Krone trug.


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