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Dein Weg …

Etwas weckte Ramon Phtha.

Sich langsam aufrichtend, sammelte er nach und nach seine Gedanken. Der goldene Sockel bot ihm eine willkommene Stütze. Über sich fühlte er das Tier mit den bannenden Augen, und obwohl er sich hütete aufzuschauen, verspürte er die davon ausstrahlende zwingende Macht.

Da bewegte sich der Vorhang unter dem Sternenhimmel wie von zitternder Hand erfaßt. Eine Gestalt in Weiß verblieb unbeweglich auf der Schwelle.

»Isolanthis!«

Er traute seinen Augen nicht, schwankte auf sie zu und murmelte entzückt –

»So schön! Daminophis soll sie malen …«

Ihr Blick, einen Herzschlag hindurch befangen und getrübt, begegnete nun dem seinen ohne Vorwurf und ohne Scheu, nur vertieften Ernst zeigend, und die Züge – bei aller Beherrschung leidverdunkelt – trugen den Stempel jener Entrücktheit, die ihm das Feierliche der Erscheinung erneut zum Bewußtsein brachte. Er wollte sie um Vergebung bitten und fand keine Worte. Zu viel hatte ihn erschüttert seit jenem Tage in der Höhle der müden Herzen. Damals schien ihm die Welt ein Garten im Morgenlicht; heute eine Schlucht in mondloser Nacht.

Auch die Erbprinzessin sah, daß sie einem Verwandelten gegenüberstand. Ein Jüngling hatte dieses Land betreten, ein Mann, der auf dem Grunde der eigenen Seele gelesen, würde es verlassen.

»Ramon Phtha«, begann sie leise, »erinnerst du dich an all das, was ich dir über den grünen Stein mitteilte? Weißt du, wie man an seinem Licht die Herzen der Umwelt liest?«

Sie hob den Stein in ihrer Linken und er sah noch schattenhaft das Hellrot feiner verebbenden Leidenschaft. Beschämt blickte er nieder, doch gleichzeitig entsann er sich, im letzten Nebelbild eine Hand mit tiefroter Opferschale erspäht zu haben. In Zukunft würde er nicht mehr fordern, sondern geben. War das Bild ein Vorzeichen gewesen?

»Weißt du es noch?« wiederholte die Erbprinzessin sanft.

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte er, ohne aufzuschauen. »Grün bedeutet das Geistige, Blau das Seelische im Sein, Hellrot ist Leidenschaft, doch wärmende, selbstlose Liebe ist tiefdunkel wie das Licht im Raum der hohen Seelen …« Seine Stimme brach. Was hatten sie alles gemeinsam erlebt, und nun dieses Ende!

»Vergiß nichts von all dem, was ich dir gezeigt und dich gelehrt habe«, sagte sie beschwörend, und ihm war es, als glitte ihre Hand segnend über ihn, der vor ihr kniete. Weich setzte sie fort: »Ich habe endlich einen Weg gefunden, dich zu retten. Du sollst in dein Land zurückkehren. Folge mir!«

Während sie durch lange Gänge und viele Treppen hinaufschritten, sammelte er die Kräfte des Leibes und der Seele zur bitteren Frage:

»Ohne dich?«

Sie schwieg.

Der weite Palasthof lag vor ihnen. Der erste rötliche Schein verglutenden Tages färbte schon die Riesenquadern.

»O Ra, ich sehe dich wieder! Ich dachte mich verloren in ewiger Finsternis. In deinem Purpur sei mir gegrüßt, o König des Westens!«

Nirgends ein Mensch, nichts als blendendes Licht und die große feierliche Stille, die für ihn immer etwas Herzbeklemmendes hatte.

»Wo sind … alle?«

Isolanthis war ihm näher als der eigene Arm, wertvoller als sein Leben, und dennoch fand er keine Worte, sprach Alltägliches in die warme Luft hinein, die ihn umkoste. Es war ihm, als stünden sie beide auf getrennten Sternen und daß Gedanken auf dem Wege zueinander verflackern mußten.

»Man feiert das Fest der Frühlingsgleiche, und alles Volk ist um die Pyramiden versammelt. Gerstenbier umnebelt die Gehirne, trübt den Blick, und ich hoffe, daß es mir sogar gelungen ist, Arototecs Verdacht abzulenken. Er ist für kurze Zeit abwesend von hier. Ich selbst wohnte bis vor kurzem dem Feste bei, um keinen Argwohn zu erwecken.«

Sie kreuzten den weiten Hof und erreichten den Eingang zum Poseidontempel. Vor den sternartigen Stufen blieb Isolanthis stehen. Der Duft der Tempelblüten umwob sie. Sie legte warnend den Finger an die Lippen und winkte ihm sich zu nähern. Dann hob sie den Vorhang ein wenig. Er sah die bis zur Decke ansteigende Goldfigur Poseidons, die Seejungfrauen aus Silber, auf Delphinen reitend, und teils mit den Schuppen der Fische spielend, teils mit dem eigenen Haar, das ein Strom von Türkisen war. Räucherwolken wirbelten zur Decke empor, in den Nischen waren die Standbilder berühmter Männer, grünliches Dämmern erfüllte den ungeheuren Raum, in dem Priester in Andacht versunken knieten. Aus der Tiefe des Tempels erscholl eine seltsame Melodie, das Sehnen nach dem Unerreichbaren, das im Menschenherzen schlummert, ein Ahnen vom Lied des Lebens, das von aller Schöpfung gesungen wird …

Das Licht der Fackeln verschmolz mit dem Schein bläulicher Sonnen, der Duft der Tempelblüten ging in den von Räucherwerk über, das Aufflimmern der Goldgestalt in der Mitte des Tempels blendete den an die Finsternis im Turm der toten Nächte gewöhnten Pharao.

Der Gesang der Priesterinnen verklang mehr und mehr, die knienden Priester erhoben sich mit gekreuzten Armen und standen in Andacht versunken da. Auf dem mit den kostbarsten Edelsteinen ausgelegten Fußboden standen rechts und links vom Eingang sieben hohe Silbervasen mit je sieben Tempelblüten gefüllt. Die gemessenen Bewegungen der Priester, vom Rauch der Opferschalen und der Fackeln umweht, wirkten geisterhaft im Verschmelzen vom blauen und grünen Licht. Die Zeichen an den Wänden, eher geahnt als klar geschaut, schienen sich zu bewegen …

Isolanthis ließ das schwere Gewebe fallen und trat mit dem König bis an die Stufen zurück.

»Nimm auch dieses Bild unserer hohen Entwicklung mit dir in dein Land, o Ramon Phtha, und erhalte in den Kunstwerken, die du schaffen, den Bauten, die du errichten wirst, den Büchern, die du schreiben läßt, so viel als möglich von all dem Geschauten! Es ist meine Gabe an dich. Nie wieder, solange diese Erde Form behält, wird solches Wissen einem Geschlechte werden. Manches Staunenswerte an Erfindungen ist kommenden Rassen vorbehalten, aber das Geistige wird erlöschen …« Sie hielt inne und erschrak, das Entfliehen kostbarer Augenblicke erkennend, daher schloß sie mit der eindringlichen Mahnung: »Bewahre dieses erworbene Wissen als heiligstes Seelengut, denn nur in dieser Form kann es dir nie verlorengehen, und nun komm, denn der Tag ist im Vergluten.«

Er stand unbeweglich auf der Stufe unter ihr.

»Laß mich bei dir bleiben, o Isolanthis! Ich will auf meine Krone und mein Land verzichten, um in deiner Nähe bleiben zu dürfen. Mein Volk haßt mich, zu lange habe ich es vergessen … Es wird einen anderen Herrscher wählen, würdiger des hohen Amtes. Ich aber will dein erster Diener sein …«

»Hier mußt du sterben, Ramon Phtha! Selbst wenn einer jener Priester herausträte, könnte ich dich kaum noch retten.«

»Begleite mich in mein lichtes Land …«

Sie schüttelte traurig das Haupt.

»Meine Pflicht bindet mich an mein Volk. Unter dem Gleißen und Funkeln verbergen sich finsterste Schatten. Nur ich vermag sie noch einigermaßen zurückzudämmen. Dies zu tun soll meines Lebens Aufgabe sein bis …«

»Bis …«?!

»… der Schläfer erwacht …«, flüsterte sie.

»Ach, lieber den Tod erleiden als von dir scheiden müssen«, rief Ramon Phtha. »Selbst im Turm der toten Nächte weiß ich, daß die Luft, die durch den engen Spalt ins Freie dringt, sich mit der Luft vermengt, die du einatmest …«

Er sank zu ihren Füßen nieder und zog den Saum ihres Gewandes an seine Lippen.

»Hast du mir vergeben, daß ich dich beherrscht habe, o Isolanthis?«

Da neigte sie sich stumm über ihn und küßte ihn auf den Mund.

»Leb wohl, Ramon Phtha! Der Ewige und Eine segne dich …«

»Ich kann nicht von dir gehen … lieber sterben …«

»Du mußt es«, sprach sie ernst, »es ist dein Weg …«

Wie früher vor dem Tier auf goldenem Sockel verspürte er fremden Zwang und wandte sich um.

Im Glanz des hinsterbenden Tages sah er die zehn Riesenstandbilder der Könige von Atlantis, – der sagenhaften Gottkönige, – und die säulenartigen dunklen Bäume, die ins klare Blau strebten. Isolanthis erfaßte ihn an der Hand und führte ihn langsam den Herrscherweg entlang. Ihre Stimme glich dem Klagen der Mondharfen und brach allmählich den Widerstand in seinem Innern, nur eine tiefe Trauer zurücklassend.

»Jede Figur tausend Jahre, jeder Baum hundert Jahre … so ist es bestimmt.«

Er sah sie fragend an, doch sie schaute nur in die Ferne, auf jenen Punkt, wo der Herrscherweg plötzlich anstieg, Standbilder und Eiben endeten, der Blick unbehindert über die blauschimmernden Hügel und tief in das Gluten des Westhimmels tauchte und die Welt wie zu einem Ende zu kommen schien.

»Dein Weg …« sagte sie leise. »Bewahre mein Bild durch die verwüstenden Zeiten, bis wir uns wiederfinden …«

»Wann? Ach, Isolanthis, wann?«

»Wenn der Weg kurz und licht geworden …«

Sie stiegen rasch die Stufen zum Turm des Sonnenaufgangs empor, und die Anstrengung des Steigens ließ keine ruhige Aussprache zu. Als sie ins Freie traten, war die Sonne eben im Verschwinden, das Meer wie flüssiges Gold, der Himmel grünblau, die Berge dunstumwoben. Über dem Haupte des Schweigsamen funkelte die Wolke wie eine Krone …

»Mein Land …«, rief Isolanthis, und es klang wie Schluchzen. Unter ihnen schimmerten und gleißten Kuppeln, Türme und Silberbogen, glitzerten die fließenden Wasser, schob sich als helles Band der Strom dem Meere zu. In allen Gärten der Ostseite sprühten die Wasserbogen in kunstvolle Becken, ergoß sich im Farbjubel die Flut vielartiger Blumen, standen feierlich ernst die Eiben, rauschte im Laubwerk der Wind.

Ramon Phtha blickte noch einmal auf all diese unbeschreibliche Pracht und Schönheit und fragte hierauf leise, gebrochen:

»Wann?«

Die Frage glich einem Hauch, war wie das knisternde Niederwirbeln toten Laubes.

»Merk dir: Tausend Jahre für jedes Standbild, hundert Jahre für jeden Baum … so ist es bestimmt. Dann ist der Weg, unser Weg, licht und kurz geworden, und dann dürfen wir uns wiederfinden …«

»Ich werde dich suchen, Leben auf Leben suchen, durch alle Weltenräume, wenn es nötig ist, durch alle Schatten des Totenreichs, durch alle Sphären des Lichtes. Kein Weib soll mein Lager teilen, kein Zauber dein Bild verwischen. Sag noch einmal, wann ich dich wiederfinden werde!«

Sie schaute in die aufglühenden Sterne und erwiderte leise, mit seltsamem Singen, als klänge fremde Botschaft weich durch sie:

»Wenn der Weg licht und kurz geworden, Ramon Phtha! Wenn der Mond umgekehrt am Himmel steht und die Sonne dieser Welt schon matt leuchtet; wenn ich deine und du meine Sprache sprichst und wir von gleicher Rasse sind; wenn du schon warmrote Strahlen entwickelt hast und dein Herz zum Tempel geworden ist, dann, o Pharao, wirst du dein eigenes Land verlassen und alle, die du liebst, und alle, die dich lieben, und wirst zu mir kommen, um mir zu dienen …«

»Wie werde ich dich erkennen?«

»An meinen Ausstrahlungen. Auch wird deine Seele es wissen …, und dann, Ramanatu …, werde ich meine Seele an die deine binden.«

Ein tiefer Schatten fiel auf sie beide, und als der Pharao erschrocken aufschaute, schwebte ihm zu Häupten ein Riesenvogel, wie er noch nie einen gesehen hatte. Ein merkwürdiges Geräusch begleitete den Flug dieses Vogels, dessen Augen rot glühten und dessen Gefieder braun wirkte.

»Was ist das?«

»Ein Flugzeug älterer Art, das aus besonderem Holze, besonders bearbeitet, hergestellt wurde, doch von neueren Formen verdrängt worden ist. Es stand in einer Halle unweit des heiligen Hains. Es wird dich zurückbringen in dein Land.«

Nun schwebte der Vogel in immer engeren Kreisen um den Turm, flog endlich dicht an die höchste Plattform heran.

»Laß mich bleiben«, flehte Ramon Phtha, »mein Leben ist tot, meine Seele gehört dir. Mit deinem Kusse hast du sie auf ewig an die deine gebunden …«

»Wenn der Weg kurz und licht geworden«, seufzte sie, »früher ist es nicht gestattet …«

Der Vogel machte die letzte Runde vor dem Stillhalten.

»Isolanthis … liebst du Arototec?«

»Nein.«

»Liebst du mich?«

Sie schwieg. Nur seine große Schwäche konnte den Widerstand in ihm brechen, den sie fürchtete. Er mußte gehen.

Und ihr Herz mußte schweigen um ihres Volkes willen.

Nichts um die beiden als das Sausen des Flugzeugs, das Raunen des Abendwindes.

Nun hielt der »Vogel« dicht an der Brüstung, eine dunkle, ganz vermummte Gestalt neigte sich vor. Isolanthis drückte ihr etwas in die Hand, murmelte einen Gruß, eine Weisung.

»Wer ist es?« fragte der Pharao.

»Meine letzte Gabe an dich …«

Sie ergriff seine Hand, wie so oft auf ihren Wanderungen, und half ihm, der nicht recht wußte, wie ihm geschah, das Flugzeug besteigen. Jeder Augenblick war kostbar, denn man konnte ungeachtet der sinkenden Nacht das Flugzeug von der Ebene aus sehen, und wenn Arototec zu früh von seiner Reise wiederkehrte, wenn er auch nur ihr Tun ahnte, würde er den künstlichen Vogel zum Sturz bringen, alle Luftgeister zu diesem Zweck sich dienstbar machen. Seit ihrer letzten Unterredung war er ganz und gar zu den dunklen Mächten übergegangen …

Kaum saß der junge König der dunklen Erde im engen, kastenartigen Bau, so strich sie zärtlich über das Haupt, das die Krone mit dem Löwen trug, und lächelte tapfer.

Das tapferste Lächeln, weil es – um anderer willen – Leid verbirgt.

Der Vogel setzte sich neuerdings in schwingende Bewegung. Der Abglanz der feurigen Wolke über dem Schweigsamen fiel auf die Kuppeln und Türme von Palast und Tempel, streifte den offenen Gang um den Turm des Sonnenaufgangs und verwandelte die weiße Gestalt, die rasch kleiner wurde, in eine mattschimmernde Mondblüte.

»Isolanthis …«

Noch funkelte durch das wachsende Dämmern die goldene Kuppel des Palastes.

»Kehr um, kehr um, ich muß zu ihr zurück …«, befahl der junge Pharao streng.

Da antwortete ihm eine liebe vertraute Stimme:

»Wir haben sie beide verloren, du und ich. Wir müssen uns von nun ab Freund und Helfer sein in allen Wechselfällen des Lebens.«

»So bist du es, o Daminophis?«

»Ja, sie hat mich bei Sirito verborgen gehalten, sie hat das alte Flugzeug benutzbar gemacht und mir aufgetragen, dir Führer zu sein …«

Nun erloschen hinter ihnen die letzten matten Lichter der Stadt der fließenden Wasser, und nur die goldene Kuppel des Palastes funkelte noch einmal auf.

Dann umfing tiefe Dunkelheit die beiden Flieger über dem Meere …

Finsternis von innen und von außen.

»Mein Leben ist tot …«, flüsterte Ramon Phtha und wußte, daß er in Leid wandeln würde, bis der Weg kurz und licht geworden war und er sie wiedergefunden hatte …

Isolanthis.


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