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Der menschliche Edelstein

Im Haus der Fremden, vor dem zehn hohe Lavasäulen standen, wimmelte es von Gästen.

Die Gemächer des gelben Lichts waren Keotolta, dem Herrscher von Aere, und Amenavit, seinem Begleiter, angewiesen worden; unter blauem Licht schlummerte der König von Akozetatl, Tehuan, der Großneffe Siotatls; unter grünem Licht lagen die Oberhäupter oder Vertretungsfürsten der ausgedehnten Länderabteilungen von Poseidonis selbst; das violette Licht gehörte dem schwarzen Fürsten des südöstlichen Reiches, der als Geschenke Neger und Elefanten mitgebracht hatte, und das rote Licht wartete auf Ramon Phtha, den König der dunklen Erde, dessen Eintreffen sich durch heftig blasende Nordwinde sehr verzögerte.

Durch die Straßen des dritten Walls trieben die Sklaven stolz die grauweißen Elefanten König Tehuans und die Elefanten der Krone, von Colotli geführt, der sich in der Rolle eines Verwalters der königlichen Stallungen außerordentlich wichtig schien, und der seine Tiere hinter denen des Gastes traben ließ. So kräftig sie aber auch sein mochten, zwischen diesen bergartigen Riesenbauten wirkten sie immer noch unbedeutend.

Isolanthis, die kraftsuchend in den Garten der Toten gegangen war, trug, um unerkannt zu bleiben, das einfache graublaue Gewand, das sie vor ihrer Erhöhung anzulegen pflegte, und das nach den Krönungsfeierlichkeiten wohl auf immer verschwinden würde, wie so vieles, woran ihr Herz gehangen hatte. Unauffällig schritt sie wie ein Weib aus dem Volke, das Tuch tief in die Stirn gezogen, im Schatten der Häuser dahin und stolperte im rasch wachsenden Dämmern beinahe über einen fremden Krieger, der gefesselt auf der Erde unweit des Hauses der Fremden lag. Bei ihrer Berührung unterdrückte er gewaltsam ein Stöhnen, denn die Fesseln schnitten ihm ins Fleisch, Durst quälte ihn, und er sehnte sich nach lang entbehrtem reinigendem Bade.

»Was tut er hier?« erkundigte sich Isolanthis bei den einfachen Poseidoniern, die gaffend herumstanden.

»Er gehört zum Gefolge Tehuans und soll ein gefangener Krieger sein, den es gelüstete, sich seine Freiheit selbst zu nehmen. Gefesselt brachte man ihn hierher, und nun liegt er auf der Straße, bis jemand Zeit hat, an ihn zu denken. Die anderen suchen Speise und Nachtlager.«

»Das mag noch lange dauern …«

Der Mann aus dem Volke machte eine gleichgültige Handbewegung.

»Das ist die Art der fremden Barbaren. Da er gefesselt ist, kann er ihnen nicht entkommen.« Dies sagend, ging er seines Weges, denn es gab viel zu schauen, zu hören und zu bewundern.

»Wo ist deine Heimat, Krieger?« fragte Isolanthis und neigte sich über den Gefesselten.

»Fern … sehr fern«, erwiderte er sehr undeutlich in gebrochenem Toltec, »da, wo die Berge weiße Häupter haben und der Saum ihrer Gewänder braun ist …«

»Wo die Luft scharf wie ein Messer schneidet?«

»Ach – – da – – da – –«, seufzte er.

Mit Llamas bespannte zweiräderige Wagen rollten vom Hafen her ununterbrochen dem Haus der Fremden zu, die Tore der Häuser erstrahlten im Glanz künstlicher Sonnen, und über die hohen Silberbogen des zweiten Walls strich der Mond schon mit weichem Finger. Es war spät.

»Ich werde dein gedenken«, raunte das junge Mädchen, sich fester in das dunkle Tuch hüllend, dem Gefesselten zu und eilte durch den geheimen Gang hinauf in den Palast und in die ihr bestimmten prunkvollen Gemächer, in denen Roxa zähneklappernd ihrer harrte.

»Wo bleibst du doch, o Herrin?« rief sie der Eintretenden vorwurfsvoll entgegen. »Wie magst du auch heute noch, seitdem wir Erbprinzessin geworden sind, einem Bergpuma gleich herumstreichen, wenn Tag und Nacht wechseln? Dreimal schon sandte der König nach dir, denn die Fürsten nahen. Man erzählt sich, daß König Tehuan mit zehn Elefanten eingezogen …«

»Wo sind die Prunksandalen?« unterbrach sie Isolanthis, mit den Füßen im warmen, kräuterdurchdufteten Wasser plätschernd.

»Hier! Und das weiße Festgewand mit dem goldbestickten Tuch liegt auf dem Ruhebett bereit. Noch gleichst du einem Nachtvogel und die Fürsten harren deiner …«

»So schnell«, entgegnete Isolanthis gut gelaunt, »reitet ein König nicht mit zehn Elefanten den steilen Berg herauf, und aus der Eule werde ich im Handumdrehen zur Möwe werden.« Sie schlüpfte in die bunten, sehr kostbar verzierten Sandalen, warf das weiße Gewand über, befestigte den breiten, goldenen Stirnreifen mit dem Dreizack über das bis zur Mitte niederfallende gestickte Tuch und zog zwei der dicken Haarflechten vorn über die Brust nieder. Tiefer Ernst beherrschte plötzlich ihre Züge. Sie mußte künftighin an König, Volk und Land denken; durfte nie vergessen, daß jede ihrer Handlungen für jemanden von Nutzen oder Schaden werden konnte und daß eine ungeheure Verantwortung auf ihr lastete.

*

Ataxikitli, weil noch nicht gekrönt, nur den goldenen Stirnreifen mit dem Dreizack tragend, ging dem Herrscher des Mondreiches bis an die Freitreppe entgegen, zu seiner Rechten die Erbprinzessin, zu seiner Linken Arototec, der erste Thronratgeber des Landes. Eine merkwürdige Starre lag auf Ataxikitlis Zügen, denn unsichtbar folgte Haparu. Er war immer da. Er blieb in den Teppich gewickelt, aus dem seine verwesende Nase und die toten Augen hervorschauten, aber er hatte keinen Namen mehr. Wie Springflut schlug der Name im Gehirn hoch und zerbarst sogleich zu Schaum. Er vermochte ihn nie mehr klar auszudenken, weit weniger, ihn auszusprechen, er schwamm nur tief, tief unten auf den Wassern seiner Seele und vergiftete sie.

König Tehuan hatte Isolanthis am Hofe Siotatls gesehen, doch hatte sie keinerlei Eindruck hinterlassen. Sie hatte da nach Landessitte ein enganliegendes rotes Gewand und das Haar offen getragen, und hatte ihm, auf Wunsch seines Oheims, sehr sachlich die Sinnbilder in der großen Festhalle erklärt und mit leuchtenden Augen von der hohen Entwicklungsstufe ihrer Heimatinsel gesprochen. Es hatte ihn all das kalt gelassen, denn er schätzte Gelehrsamkeit wenig am Manne und gar nicht am Weibe. Frauen gehörten ins Sein, um die Jahre des Mannes zu vergolden, um Söhne zu gebären und um geduldig zu dienen; alt und redselig geworden, sollten sie rasch ins Totenreich und zu neuer Wiedergeburt. Auf Erden erfreuten sie niemanden mehr und drüben wuchsen sie ja dem Frühling und der Wiederkehr entgegen.

Als er nun jedoch das zarte Mädchen in weißer Gewandung mit dem Dreizack über der Stirn und dem priesterlich-ernsten Ausdruck vor sich sah, glomm tiefe Bewunderung in ihm auf. Es lag eine wunderbare Weihe über dieser Prinzessin, die anders als alle Frauen war, die bisher seinen Pfad gekreuzt hatten, ob in der Stille der Bettkammer oder im geschäftigen Treiben eines Herrscherhofes.

»Wie schön du bist, o Isolanthis!« rief er entzückt.

Sie lächelte kaum. Männer sagten das immer, wenn sie nichts Klügeres wußten, genau als ob sie einer Tempelblüte zuriefen: »Ach, wie duftest du süß!« Es war nichts als müßiger Lärm im Weltall.

In der ungeheuren Thronhalle, in der ein Meer von Licht von Decke und Wänden rieselte, wurde dem hohen Gast in silberner Festschale Palmenwein gereicht. Palastdiener in kurzen, tiefblauen Gewändern schossen hin und her und brachten Früchte. In ihren Stirnreifen aus Orichalcum brach sich das Licht in hundert bläulichen Funken. An den Wänden stiegen duftende Rauchwolken deckenwärts.

Die Hofsklaven Tehuans schleppten kostbare Gaben herbei, Ihr schillernder Kopfschmuck aus vielfarbigen Federn erhöhte den Farbenreichtum ringsumher. Vor dem Throne Ataxikitlis häuften sich bunte Teppiche, Fächer aus kostbaren Federn, Räuchergefäße mit flatternden Vögeln bemalt, lange Ketten aus fremdem Gestein, Pumafelle, seltene Heilkräuter und Früchte aus fernen Zonen.

Zuletzt, als die Begrüßungs- und Dankesreden beendet waren, wobei Arototec nie von der Seite Ataxikitlis wich, der von Zeit zu Zeit den Blick wie gebannt zu ihm hob, reichte König Tehuan einige Steine von auffallender Größe und starkem Glanz der überraschten Erbprinzessin.

»Gib mir nicht kalte Steine, so schön sie auch seien, o König! Schmücke die schönsten deiner Frauen am eigenen Hofe damit, ich jedoch habe eine andere Bitte an dich, möchte wünschen, daß du mir eine Gunst gewährst …«

»Sprich …!«

»In deinem Gefolge, als dein Gefangener, ist ein alter Krieger. Schenke ihn mir …«

»Du meinst Rotorù?« fragte Tehuan, sichtlich betreten. »Er hat sich am Aufstand gegen mich beteiligt, und als ich ihn schon gefangen und lange mitgeführt hatte, wagte er auf der Fahrt hierher eine tollkühne Flucht, Er liegt in Fesseln, seiner Strafe harrend. Erhöhe deinen jungfräulichen Liebreiz mit diesen Steinen, die zu den schönsten meines Landes gehören, und vergiß den alten Mann in seinen übelriechenden Fellen …«

»König«, sagte sie leise, »was soll mir flimmernder Staub? Staub, den der Wind der Zeit verweht? Schenk mir, so du mir wohl willst – den kostbaren Stein des Unvergänglichen: ein Menschenherz!«

Tehuan wollte nicht, schon um des abschreckenden Beispiels willen, das er den Anhängern Rotorùs zu geben hoffte, aber aufschauend, um seine Absage zu sprechen, leuchteten ihm die strahlenden Augen der Prinzessin sonderbar zwingend entgegen, viel heller als der Schein seiner kostbaren Gaben, und bestimmten ihn.

»Es … sei«, erklärte er zögernd, und befahl zweien Sklaven, den Gefangenen zu holen. Erstaunt entfernten sie sich.

Etwas verärgert fragte König Tehuan:

»Ziehst du immer schmutzige und zerzauste alte Krieger glitzerndem Geschmeide vor, o Isolanthis?«

»Wenn ihre Herzen rein sind – ja, o König!«

Um Arototecs harten Mund spielte der Schatten eines Lächelns.

Sie würde sich gut behaupten, sie, die in Wirklichkeit die Krone von Atlantis trug.

Als Rotorù in die Thronhalle geführt wurde, betrachtete ihn Tehuan mit offenem Spott. Das wirre schwarze Kraushaar und der schwarze Vollbart verschmolzen zu einer Masse. Die sehnigen braunen Glieder waren notdürftig von zottigem Fell verhüllt, und um die Arme trug er – als letzten Rest verlorener Macht und Herrlichkeit – zwei breite glatte Goldreifen. Um die behaarten Beine waren die letzten Bandenden zerfallender Sandalen unordentlich gewickelt, die Haut war an vielen Stellen zerschunden, und unter buschigen Brauen schoß ein trotzig-finsterer Blick hervor. Die scharfgebogene Nase im dunkelbraunen, abgezehrten Gesicht und das Verwahrloste der gefesselten Erscheinung ergaben in der Tat ein abschreckendes Gesamtbild.

»Ich schenke dir diesen Edelstein!« erklärte König Tehuan mit spöttischem Nachdruck.

Sie dankte ihm mit entwaffnender Herzlichkeit und stieg rasch die Thronstufen zu ihrem jüngsten Besitz hinab.

»Löst seine Fesseln!« befahl sie kurz.

Der alte Krieger erkannte in der Erbprinzessin das schlichte Weib, das ihn angesprochen hatte, und erriet die Zusammenhänge.

»Ich schenke dir deine Freiheit«, sagte sie sehr langsam, erst im landesüblichen Toltec und hierauf in der Sprache seines Landes, die sie während ihres Aufenthaltes in Akozetatl teilweise erlernt hatte, weil ihre dortige Sklavin aus den Bergen um den Schneegoldsee stammte.

»Soll ich dich dahin zurückbringen lassen oder willst du in der Stadt der fließenden Wasser bleiben? Es lebt sich gut im Glanz der Silberbogen«, fügte sie lächelnd hinzu.

Rotorù fand mühsam Worte. Er war gewandter mit den Waffen als mit der Zunge und nun, zerlumpt, zerschunden, erschöpft und hungrig, fiel es ihm doppelt schwer, all das in Worte zu kleiden, was ihn so tief bewegte, daher stammelte er nur undeutlich, der Prinzessin zu Füßen sinkend:

»Laß mich dein Sklave sein …«

»Lockt dich nicht der Glanz …«

Er unterbrach sie ungestüm:

»Laß mich im Glanz deines Wesens leben, o Fürstin, als dein Eigentum …«

»Werden die Berge mit den weißen Häuptern nicht im Traum dir lockend winken und die scharfe Kühle deiner Höhen dich …?«

»Bist du nicht selbst wie ein Schneehaupt, so licht und so rein?« entgegnete er, zu ihr aufblickend, »und sind deine Augen nicht klarer und stiller, als die Seen dicht unter dem Dach der Welt?«

»So bleibe …«, sagte sie leise.

»Ich schwöre dir Treue für alle Zeiten, bis Mond und Sonne versinken und es weder ein Oben noch ein Unten gibt …«

Da wußte sie mit Erschauern, daß er seine Seele an die ihre gebunden hatte und ihr getreulich folgen würde durch Abstieg und Wiederkehr im Kreislauf des Seins, bis der Strom sich zurück in den Urquell ergoß.

Sie winkte den eigenen Dienern und flüsterte ihnen zu, Rotorù in das Bad zu führen, ihm die Gewänder der Palastdiener zu geben und ihn mit allem zu versehen an Speise, Trank und Lager, dessen er bedurfte. Als sie sich schon entfernen wollten, rief sie den obersten Diener an sich heran:

»Nimm ihm auch das Haar von Kinn und Wangen«, raunte sie ihm zu, »damit man weiß, was Antlitz und was Kopf ist!«

Als sie langsam und sinnend die Thronstufen emporstieg, vernahm sie über sich Tehuans spöttische Frage:

»Nun, wie gefällt dir dein Edelstein, o Fürstin? Etwas roh und ungeschliffen, nicht?«

»Besser als alle deine toten Steine«, und vor ihrem strahlenden Blick senkte der König beschämt den seinen …

Wieder lächelte Arototec kaum merklich.


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