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Mondschein zu dritt

»Wie spät ist es?« fragte Ramon Phtha schlaftrunken.

»Eben hat Ra sein Angesicht von uns gewendet …«, erwiderte der Sklave, der zu Füßen des Ruhelagers kniete.

Noch ehe der letzte grünliche Schein vom Himmel verschwunden war, raste der Pharao schon den Königsgang hinauf, und Tschirito hatte gerade noch Zeit, den Vorhang zu heben und sich dabei in den äußersten Winkel zu drücken, um einem Zusammenstoß mit dem jungen König zu entgehen.

»Prinzessin Isolanthis …«

»Oben … oben …«, erwiderte der Wächter mit Ruhe und sah kopfschüttelnd hinter dem Fürsten her. Wozu solches Hasten? Es schob sich alles von selbst heran – die Eß- und die Schlafstunden, Liebe, Leid und Tod.

In der Empfangshalle schritt der Pharao in wachsender Ungeduld auf und ab. Wenn sie nun wieder beim königlichen Vater bleiben müßte? Wenn der Thronratgeber angemeldet wäre? Wenn … wenn … wenn …?

So – da lag sie! Was stellten die Leute auch Vasen so auf, daß man sie nicht vermeiden konnte? Und das Wasser lief als kleiner See tiefer und tiefer in den Raum hinein. Nun würde sie wieder lachen und behaupten, daß er jung, sehr jung sei …

Roxa, die Sklavin, trat ein. Der Lärm der stürzenden Vase hatte sie herbeigebracht. Er eilte auf sie zu und drückte ihr ein Goldstück in die Hand, deutete auf die sich vergrößernde Pfütze und fragte aufgeregt:

»Isolanthis?«

Gleichzeitig vernahm er ihren Schritt und flog ihr entgegen. Seine Augen strahlten. Ob sie mit ihm hinabgehen wollte? Im Mondschein …

Sie willigte ein und entsandte Roxa um dunkle Umhüllungen. Während die Krone und aller Schmuck des jungen Königs abgenommen und sorgsam verwahrt wurden, stieg wieder jemand den geheimen Gang empor. Feste, entschlossene Schritte, die den armen Tschirito seufzend an den Vorhang brachten und ihn denken ließen:

»Warum Menschen nicht lieber behaglich sitzen, anstatt fünfhundert Fuß heraufzukeuchen? Dabei gibt es so schöne Ruhelager – –«

Als er den Vorhang hob, erkannte er Arototec.

»Ist jemand im Palast?«

»Nicht, daß ich mich erinnere …«

»König Ataxikitli ruht?«

»Ich vermute es …«

»Und die Erbprinzessin?«

»Ruht wohl auch …«

»Narr, hast du Isolanthis schon einmal ruhen, die kostbare Zeit vergeuden sehen?« herrschte der verärgerte Thronratgeber den Wächter an.

»Ich wollte andeuten: sie denkt nur …«

»Ganz recht! Was dir Arbeit scheint, gilt ihr schon Ruhe. Hast du überhaupt schon einmal etwas gearbeitet, in deinem Leben richtig gearbeitet, Tschirito?«

»Ich arbeite immer«, entgegnete der Gefragte ganz gekränkt und berührte den Vorhang als Zeichen seiner Wächtertätigkeit. »Geplagt habe ich mich allerdings nur, wenn es unvermeidlich war. Warum auch? Heute lebt man, und morgen ist man tot …«

»Wenn du den Tod schon so nahe fühlst«, sagte Arototec höhnend, »so stelle alle Nahrungsaufnahme ein, sonst tropft dein Fett noch mondenlang aus deiner Mumie und verpestet die Luft weit und breit …«

Er eilte weiter, und Tschirito sah ihm gedankenvoll nach.

»Anheimelnd wie ein Haifischmaul und ebenso beliebt! Dem Pharao wird er willkommen sein wie eine Stachelbirne im Bett. Noch als Mumie soll ich stinken, weil ich zufällig nicht solch ein klapperndes Knochengerüst bin wie du selber? Bei Poseidon, du stinkst den Menschen schon bei Lebzeiten …«

Der erste Thronratgeber stieg in unrosigster Laune die Freitreppe des Palastes empor. Er hatte mitten in seinen fesselndsten Versuchen durch einen winzigen Spalt den Mond erspäht und hatte wie aus weiter Ferne den Lärm des Jahrmarkts vernommen. Der lästige Ausländer würde sich all das anschauen wollen, und wer war geeigneter als Isolanthis? Musik, Duft, flutendes Volk, die tiefe Abgeschiedenheit inmitten einer Menge, Meer und Mond – das zeitigte Liebe, und Liebe war eine besonders gefährliche Form von Trug; war im Stofflichen nichts als eine Gehirnerkrankung, die überdies hochgradig ansteckend wirkte. Diese Gefahr würde sein Kommen beseitigen.

Seufzend hatte er daher seine Töpfe geschlossen, das Licht in den Tierköpfen ausgeblasen und war heraufgestiegen. Und nun sollte die Erbprinzessin allein und seine Zeitvergeudung zwecklos sein?

Da traten der Pharao und seine Begleiterin heraus in das silberne Flimmern des Mondes, und Ramon Phtha wünschte nichts so sehnlich, als den Thronratgeber auf eine Zacke der Silberbogen hängen zu dürfen, doch gleichzeitig fühlte er auch die unheimliche Macht, die von dieser Gestalt in Weiß ausging, merkte, wie sich sein Denken zu verwirren drohte, und bedurfte all seiner Kraft, dem fremden Einfluß zu widerstehen.

»Ich war der Ansicht, Prinz Daminophis habe …«, begann Arototec, doch der junge König unterbrach ihn rasch mit dem Bemerken, daß es ihm unmöglich gewesen war, auch nur die Hälfte der ausgestellten Waren in Augenschein zu nehmen, denn er hatte der Prinzessin verschwiegen, schon am Morgen im Tal gewesen zu sein.

»Ja, Künstler erklären nicht immer alles«, entgegnete der Thronratgeber. » Wir«, er legte Nachdruck auf das Wort, »werden dir alles zeigen, was von tieferer Bedeutung ist.«

Er ließ sich einen dunklen Umwurf bringen, verhüllte sehr sorgfältig sein Gesicht, um nicht erkannt zu werden, doch genau beobachten zu können, und folgte den beiden durch den Königsgang. Als er an Tschirito vorbeischritt, fragte er gedämpft, doch Drohung in Blick und Ton:

»Ist der König der dunklen Erde so klein, daß du ihn nicht vorbeikommen sahst?!«

»Nein«, erwiderte Tschirito, sich so tief verbeugend, als seine erhebliche Rundung es gestattete, »nur bist du so groß, daß alles andere in deinem Schatten verschwindet …«, und selbst der gefürchtete Berater der Krone wußte nicht genau, wie es der Wächter gemeint hatte.

Es blieb ihm auch keine Zeit zu augenblicklichem Ergründen, deshalb eilte er, ohne Tschiritos Gruß zu erwidern, seinen beiden königlichen Schützlingen nach …

»Wenn du stirbst«, murmelte der Wächter, sich behaglich zurechtsetzend, »braucht man die Leichen lange Zeit hindurch nicht mehr einzubalsamieren. Sie trocknen in deiner Gegenwart ganz von selbst zur Mumie ein …«

*

In der milden Kühle der Nacht wirkte die Zeltstadt zauberumhaucht. Fackeln erhellten die breite Mittelstraße, doch vor den einzelnen Zelten glühten kleine Sonnen, noch wie in alter Zeit nur mit Öl gefüllt; sie blinzelten bald schläfrig, bald flackerten sie jäh auf.

Felle, Matten, Eßwaren, Krüge wurden von Händlern angepriesen, hochgehoben, stolz vorgezeigt. Die Ebene war von bunter Menge überschwemmt, Zelt auf Zelt lag im ungewissen Lichterschein.

Der erste Thronratgeber führte seine Gefährten durch eine bestimmte Zeltreihe, und plötzlich strömte den dreien lieblicher Duft entgegen. Hier wurden ausgepreßte Blumensäfte, allerlei Harze und Öle verkauft, und auf den Gestellen sah man sehr schöne, zugeklebte Gefäße.

»Darin ist der für die Leichen nötige Balsam«, erklärte Arototec. »Der grüne Krug mit dem Sinnbild des gewundenen Bandes ist für die Leichen der Männer bestimmt, der blaue, herzförmige für die der Frauen, denn die Frau verkörpert Herz, Gefühl, Seele, der Mann Geist, Kraft und Wille. Die kleinen Krüglein, die einer Flamme gleichen, sind für Kinder bestimmt. Ihre gelbe Farbe deutet an, daß die jungen Seelen aus dem Licht kommen, das Rot in der Mitte erinnert an das Leben, das nun erloschen ist.«

»Das Leben dieser Menschen«, dachte der Pharao, »ist wie ein Gebet oder eine unaufhörliche Betrachtung, denn alles spricht vom Sinn hinter den Dingen.«

Obschon ganz in nüchternes Graublau gekleidet, konnte die auffallend zarte Gestalt der Erbprinzessin nicht lange unbeobachtet bleiben, und mehr als einmal glitt ein verstohlen prüfender Blick hinter den dreien her. Um die vielen Eßbuden balgten sich die Menschen, lachten, kreischten, genossen das Leben; fremde Gerüche erfüllten die Luft, ausgelassene Scherze flogen hin und her, allerdings öfter unter den Völkern andrer Länder als unter eingeborenen Poseidoniern.

»Das Essen ist ihre Hauptfreude«, sagte Ramon Phtha, und seine Lippen kräuselten sich verächtlich. Auch der Thronratgeber sah mit Unwillen auf die unbeherrscht Genießenden nieder, nur Isolanthis dachte halb belustigt, halb wehmütig:

»Noch ist die Last ihrer Verantwortung klein und ihre Freude tief im Stofflichen wurzelnd. Sie sind noch Kinder, die sich kindlicher Dinge freuen und die noch lange lernen müssen …«

Dunkle Rauchschwaden zogen über die riesige Zeltstadt dahin, das Geschrei, die fremde Musik, der Gesang verschiedenster Gruppen gellte in den Ohren. Arototec war vor einem Zelte stehen geblieben, und das Licht der Öllampe fiel auf das strenge Gesicht. Sofort entstand ein ängstliches Raunen, die Leute wichen scheu auseinander, ein Schatten legte sich auf die Gemüter, denn der erste Thronratgeber, um den so viele unheimliche Gerüchte kreisten, war sowohl gehaßt wie gefürchtet. Um die Menschen zu beruhigen, deren Festfreude gestört worden war, trat Isolanthis vor, und sofort war sie umringt, man reichte ihr Blumen, küßte den Saum ihres Gewandes, rief ihr Segensworte zu. Um sie alle zu beruhigen, sprach sie freundlich zu den Versammelten, hieß sie fröhlich sein und bog hierauf rasch in eine dunkle Zeltstraße ab, durch die ihre Begleiter schon gegangen waren und die zum Strand hinabführte.

In das Meer wurden eben Fackeln geworfen, um alles Übel und alle Krankheiten zu entfernen, und der Geruch der trocknenden Fische ließ sie weiterwandern, bis Arototec eine kleine Erhebung wählte, von der aus man die ganze Zeltflut und dahinter die Stadt der goldenen Tore klar überblicken konnte.

Es war ein Anblick, den Pharao Ramon Phtha nie wieder vergaß. Hierher drang der wüste Lärm nur noch gedämpft, erstarb im Rollen der Wogen und im Windesrauschen im steifen Laubwerk der Bäume. Das Meer glich einer silbernen Opferschale. Die Barken und Segelschiffe mit ihren ausgespannten Freudentüchern, die unzähligen Lichter, der goldene Riesendreizack auf den Felsen des Hafens, der zauberhafte Glanz der Kuppeln, Brücken und Silberbogen, die glutrote Wolke über dem Schweigsamen, die Zelte mit ihrem Gefunkel, dies alles ergab ein märchenhaftes Bild.

»Ist sie nicht wunderschön, unsere Stadt?« fragte Isolanthis mit verklärtem Blick.

»Wie ein Traum von Glanz und Schönheit, der wahr geworden«, entgegnete Ramon Phtha, doch sein Blick lag auf der Erbprinzessin, nicht auf den funkelnden Kuppeln und Türmen.

»Schade um die verlorene Zeit, die ich wichtigen Forschungen entziehen mußte«, überlegte Arototec, »aber ein notwendiges Opfer. Ohne meine Anwesenheit würde dieser junge König der dunklen Erde den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit verwechselt haben …«

Einsilbig stiegen sie hügelan. Fest und Markt verrauschten hinter ihnen.


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