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Noch atemlos von den vielen, vielen Stufen zog der Pharao den warmblauen Vorhang zurück und stolperte eher, als daß er trat, in das sonnendurchflutete Gemach des Weisen, der in seiner blütenweißen Gewandung selbst wie eine Gestalt des Lichts vor der Wand im Hintergrund auf- und abging, vor dieser tropenhimmelblauen, sternenübersäten Wand, die seinen Berechnungen diente. Von feinem bläulichem Dunst umflossen – seiner Aura –, und auf den ernsten Zügen den Abglanz seiner tiefen und reinen Gedanken, wirkte er unendlich erdfern und ehrfurchtgebietend. Ramon Phtha fühlte all das, aber die Sorge, die ihn ganz beherrschte, ließ ihn hauptsächlich den Schein wärmender Liebe erkennen, die verklärend über dem Weisen lag.
»Ra segne dich«, rief er, nach Atem ringend, in die Helle des Raumes hinein, und gleich darauf mit dem jugendlichen Ungestüm, das ihm sowohl Freunde wie auch Feinde schuf, die Frage: »O Sembasa, liebt Isolanthis Arototec?«
»Eine junge Seele«, dachte der Weise, von väterlicher Rührung erfaßt, »eine Seele, die sich noch nicht an den Kerker des Stoffes gewöhnt und das Gefängnis noch nicht in eine Zelle friedvoller Abgeschlossenheit umzugestalten verstanden hat.« Laut erwiderte er mit unwillkürlichem Lächeln, denn man merkte dem Pharao die Schnelligkeit an, mit der er die keineswegs niederen vierhundertneunzig Stufen heraufgelaufen war:
»Nein, aber sie bewundert seine reichen Geistesgaben und bemüht sich, gegen das Dämonische in seinem Wesen Krieg zu führen, denn sie kennt den Ursprung seines Leids und wünscht, ihm zu helfen … um seinet- und um anderer willen.«
»Es ist mir, als habe er kein Herz, als müsse am Stein seines Wesens alles zerbrechen. Darfst du mir nicht von seinem Leid erzählen?«
»Auch Isolanthis weiß davon. Es mag dir helfen etwas darüber zu erfahren, da es dein Urteil milder stimmen wird«, antwortete der Weise und deutete auf einen weißen Block, der als Sitz diente. Er selbst blieb jedoch gegen den Türstock des Eingangs gelehnt, von wo sein Blick unbehindert über die Stadt der fließenden Wasser schweifen konnte – über die leuchtenden Kuppeln und Türme, die wohldurchwässerte eiförmige Ebene, die mächtigen Pyramiden, Sinnbilder der Wiedergeburt, über das weite Meer, auf das nun ein lichtsprühendes Netz geworfen schien, und über die in feinsten Goldnebel gehüllten Berge.
»lch lernte den jetzigen Thronratgeber vor vielen, vielen Jahren kennen. Ich war damals Priester in einem fernen Land, noch einer von jenen, die an Zeichen, Satzungen und Opferart gebunden sind, das heißt unfrei, noch durch Äußerlichkeiten gehalten. Eines Tages kam ein junger Mann zu uns, der von einer Art Glaubenswut befallen war, unsere Anschauungen über die Wesenheit der Allkraft über die ganze Erde zu verbreiten. Wir nahmen ihn auf, denn er wollte Priester werden, und sein Eifer machte unsern Tempel und unsere Lehrhalle im weitesten Umkreis bekannt. Seine Stimme, nun hart und gebrochen, hatte einen tiefen Wohlklang, der die Zuhörer erschütterte, und seinem Leib entfuhren manchmal Funken. Er schien da wie in Licht getaucht und war in solchen Augenblicken fähig. Kranke zu heilen, Menschen zu seiner Ansicht zu bekehren, Tiere in stumme Werkzeuge zu verwandeln, Pflanzen, die im Absterben waren, neu zu beleben …«
»Unheimlich!« entfuhr es dem Pharao.
»In jedem Falle eine gefährliche Gabe, weil sie große Seelenstärke erfordert, um nie mißbraucht zu werden. Ich warnte ihn zuzeiten, da dieses starke Wirken nach außenhin die Ruhe seines Innersten trüben mußte, wie andauernde Bewegung die Stille und Klarheit eines Weihers trübt. Immerhin wollten wir ihm keinerlei Zwang auferlegen, da seine Forschungen den Kranken zugute kamen. Er ließ sich von den Eingeborenen Kräuter und Wurzeln bringen, er stellte mit allerlei neuen Arzneien günstig verlaufende Versuche an.«
»Daher seine Vorliebe für Leichen …«
»Das mag heute andere Gründe haben«, seufzte der Weise. »In jenen seinen Probetagen bei uns machte er nur Versuche mit Pflanzen und übte seinen Willen. Es erfüllte ihn da noch der flammende Wunsch, unsern Glauben, unsere geheime Weisheit über die ganze Erde zu verbreiten, wie der Wind den Samen in alle Richtungen verweht. Düster, vermutlich von verschwiegenem Ehrgeiz gefoltert, ein Mensch, dem nie wärmende Liebe geworden, das war er schon als angehender Priester im Tempel der geheimen Worte, aber was seinen Willen zum Guten zerstörte, was ihn den dunklen Mächten der Auflehnung und der Zerstörung zutrieb und ihn aus der lichten Entwicklungsbahn in die finsteren und immer verderblicher werdenden Abgründe dunklen Zauberwissens zwang, war folgender Vorfall. Er hatte dem Kinde eines fernen Verwandten das Leben gerettet, und das Knäblein hatte sich von diesem Augenblick an zärtlich an seinen Retter geschlossen. Dadurch war in dem finsteren Manne das Fünkchen opferfreudig reiner Liebe zu heller Flamme entfacht worden. Er nahm den Knaben ganz zu sich, lehrte ihn alles, was er selbst wußte, und band die Seele seines Pflegesohnes ganz an die seine. Auch als er zu uns kam, brachte er den zum Jüngling gereiften Sohn mit und umgab ihn auch hier mit wärmender Liebe. Sein ganzes Herz gehörte diesem Knaben, dessen verträumtes Wesen so stark im Gegensatz zu ihm selbst stand. Mir aber war es oft, wenn ich den Knaben so still dasitzen sah, als umstreife ihn etwas wie ein merkwürdiges Schattengebilde, doch ich wußte zu jener Zeit auch noch nicht so viel von dem Wesen anderer Ströme, um mir dies deuten zu können. So hielt ich es für eine Gedankenform Arototecs zum Zweck des Schutzes für den Sohn geformt. Es mochte seiner übergroßen Furcht um dieses einzige Wesen, an dem er hing, entsprossen sein.
›Warum bist du so betrübt, mein Sohn?‹, fragte ich den Knaben, wenn ich ihn so ganz in sich versunken fand, und immer sagte er, daß er fühle, wie etwas in sein Leben eintreten und ihn von Arototec trennen würde, und zwar nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.
›Verkünder der Weisheit‹, pflegte er mehr als einmal auszurufen, ›eine graue Mauer steigt zwischen uns auf, die bis hoch in die Wolken ragt, und die ich nie, nie durchbrechen kann. Er selbst wird sie bauen, bewußt, und ich werde ihm fernbleiben müssen durch viele schwere Erdenleben!‹
Ich tröstete ihn, denn ich glaubte, daß die große Einsamkeit, in der er aufgewachsen war, ihn furchtsam gemacht hatte, aber eines Tages im Abenddämmern verschwand er spurlos, und ich erinnerte mich seiner wilden Verzweiflung, selbst wenn ich ihm die Gesetze von Ursache und Wirkung erläutert und ihm von der Brücke der Liebe gesprochen hatte, die Seelen zueinanderführt. Nun – als ich Arototecs maßlose Wut, seine unbeherrschte Raserei mit ansah, begriff ich, daß der Wille, der bisher auf das Gute und Lichte gerichtet war, sich wie ein Raubtier auf das Dunkle stürzen würde, und in der Tat setzte er alle Kräfte in Bewegung, den Jüngling zu finden.«
»Fand er ihn?«
»Nein, er war und blieb verschwunden, und Arototec verließ uns, ein gegen alle Gesetze in Auflehnung begriffener Mann. Ich erzählte ihm von der grauen Mauer, alles vergeblich.«
»So wußte niemand, was aus dem Unglücklichen geworden?«
»Später – als meine Kräfte noch gewachsen waren – versank ich in Betrachtung und sah im Weltengedächtnis sein Ende aufgezeichnet. Der Knabe war, als er im Abenddämmern unweit des Tempels lustwandelte, von einigen dunklen Männern jenes Landes überfallen und fortgeschleppt worden. Man hatte ihm ein Tuch übergeworfen, das jeden Kampf und jeden Hilferuf unmöglich machte. Ein Mann meiner eigenen Rasse, den ich erkannte, wartete auf ferner Lichtung. Ach, Pharao, wie arm sind wir, solange wir in der tödlichen Umschlingung unserer Leidenschaften wie in der Gewalt einer Riesenschlange sind! Das Bild konnte ich nie vergessen. Diesem meinem Volksgenossen war ein Wunsch verweigert worden – ach, Ramanatu, wie viele Wünsche werden uns in Weisheit nicht erfüllt, damit unsere Seele besser reife. Andauernder Sonnenschein läßt eine Pflanze verdorren, der kühlende Regen dagegen erfrischt sie, und der Wind stärkt ihre Wurzeln. Dieser Mann in seiner Verblendung wandte sich von unserem Glauben ab und opferte einem Stammesgott der Wilden in Urwaldtiefen. Er wollte erzwingen, was ihm versagt worden war, und als bestes und wirksamstes Opfer dachte er sich den reinen Jüngling …«
»Wie furchtbar!« entfuhr es dem Pharao.
»Irrtum und Unwissen sind immer schrecklich«, seufzte der Weise, »und es dauert lange, sehr lange, ehe wir uns davon befreien.«
»Was geschah mit dem Knaben?«
»Die Männer hielten mit ihrem gefesselten Opfer auf einer Lichtung mitten zwischen düsteren Schraubenpinien. Ein rauher Felsblock bildete den Altar. Fledermäuse umschwirrten die Baumkronen, Aasgeier krächzten schon beuteahnend im Dunkel des Astwerks und bildeten schwarze Umrisse auf dem umliegenden Gestein. Dunkelhäutige Eingeborene knieten herum. Mein Volksgenosse, der wie ein unwissendes Kind mit der Gottheit haderte, weil Großes ihm versagt geblieben, um das er lange gesteht hatte, und der jetzt dem Gotte opferte, der Menschenblut wünschte, trat nun ganz kalt, innerlich tot, an den Stein heran, ließ den geraubten Knaben darauf fesseln und schnitt ihm das Herz aus dem Leibe …«
»Wie entsetzlich! Hat Arototec es jemals erfahren?«
»Ich weiß es nicht. Auch er vermag bis zu einem gewissen Grad im Weltengedächtnis zu lesen. Ich hielt mein Wissen zurück, denn größere Saat von Haß und Rache konnte nur reichere Ernte an Schuld und an Sühne bringen …«
»So blieb er unbestraft?«
»Nicht einmal die kleinste Handlung bleibt unbezahlt, o Ramanatu, denn die Fäden, die verwirrt oder zerrissen werden und den göttlichen Einklang stören, müssen geglättet werden, Der Mann, der in seiner Verblendung gehandelt hatte, kam nach vielen Jahren hierher. Er war ruhiger geworden, hatte geheiratet und besaß ein liebliches kleines Mädchen, Er wohnte im dritten Wall, Seine Liebe zu Moani wuchs und milderte die Gefühle seines Herzens. Das Übel wie der Wunsch lagen in ferner Vergangenheit. Eines Abends ging Moani aus seinem Haus und aus seinem Leben. Er fand sie nicht wieder …«
»O Sembasa …« Ein dunkles Ahnen stieg in Ramon Phtha auf.
Der Weise nickte traurig. Auf seine durchgeistigten Züge, die sonst so hehre Ruhe ausdrückten, senkte sich ein Schatten innigsten Mitgefühls. »Sie lebt – ein gebrochenes Wesen, eine Schale ohne Seele, unten im dritten Wall. Vor zwei Tagen fand er sie. Niemand ahnt, was mit ihr geschehen, denn sie geht durch die Räume ohne aufzuschauen, und wenn sie spricht, so murmelt sie nur ein Wort: ›Das Tier!‹ Sie ist wahnsinnig.«
»Und niemand weiß …? War es Arototec? Nein, ich sah … den Diener …«, stammelte tief erschüttert der junge König.
»Behalte für dich ein Wissen, das niemandem frommt«, riet der Weise. »Isolanthis hat im Traume davon Kenntnis erhalten, doch auch sie war machtlos. Der Saat gleicht die Ernte.«
»Man müßte den Elenden strafen …«, begann ungestüm der Pharao, der kein Unrecht leiden mochte, doch Sembasa erwiderte sanft:
»Nicht wir bestrafen, das Gesetz gleicht aus. Eine böse Handlung ist wie ein Vogel, der ins eigene Nest zurückkehrt. Wir sind weder Richter noch Rächer, wir dürfen nur Ratgeber und Helfer sein. Wir lernen an den Fehlern anderer die eigenen Fehler ausrotten. Nicht Arototec war es. Sein Diener hielt sie mondenlang zu Versuchszwecken in seiner Wohnung gefangen. Der erste Thronratgeber befreite sie – wenn das Befreiung ist …«
Lange schaute Ramon Phtha auf die dunstblauen Berge, das grünliche Meer, den flimmernden Himmel, bis seine aufgewühlte Seele sich einigermaßen beruhigte, dann fragte er leise:
»Was führte dich hierher, o Sembasa?«
»Nach vielen Sonnenwenden, als mein Wissen reif geworden und meine Seele das Licht gesucht, rief man mich in die Stadt der fließenden Wasser und setzte mich hierher, in den Turm des Sonnenaufgangs. Seither vertiefe ich mich in das, was weder an Raum noch an Zeit gebunden ist, und so erschließt sich mein Geist allmählich dem Geiste des Ewigen. Diese Trugwelt der Sinne, die dir so greifbar scheint, o Ramanatu, ist für mich nichts mehr als ein bleicher Schatten. Unter mir verrauschen die Schicksale der Menschen, über mir wandern, ebenso gesetzgebunden, die Sterne, aber hinter all diesem Erschaffenen liegt das noch Ungeformte, in unbegrenzter Leere, jenseits von Kraft und Licht. Da ist das Herz des Himmels, Ausstrom und Rückstrom alles Seins.«
Dem Pharao schwindelte es vor dieser Fassungskraft des Weisen, und ihn fröstelte vor diesem Weitblick in den Weltenraum, der alles irdische Erleben in nichtigen Spuk verwandelte. Sein stark pulsendes Menschenherz riß ihn zurück in die Gebundenheiten des Erdenseins. Sein Pfad war der Pfad der Liebe, nicht jener der Gelöstheit. Schüchtern erkundigte er sich daher nach ehrfürchtiger Pause:
»Wie kam Arototec in diese Stadt?«
»Monde wurden und schwanden, da spülte ihn sein Schicksal an diesen Strand. Sein Sehnen war nun ganz auf Ruhm und Herrschsucht gerichtet, seine Kräfte zu unheimlicher Vollendung gebracht, sein Wissen wie die Kuppel des Palastes mächtig und drückend zugleich, sein Herz kalt und tot, seine Seele schattenbekleidet. Er baute sich sein Haus und schuf sich seine Welt: die Welt der lichtlosen Sterne …«
»Entsetzlich!«
»Sein Glück liegt im Beherrschen, wenn solch finsterer Drang so hohen Namen tragen darf. Niemand widersteht ihm, alle zittern sie vor ihm, der Gedanken zu lesen, sie zu bezwingen, sie durch seine eigenen zu verdrängen vermag.«
»Dieser Dämon! Was plant er?«
»Er will die Macht, die heute noch – wenngleich hinsterbend – in der Hand des Königs liegt, in die Hand der Priester legen. Das Wissen, das heute allen zugänglich ist, die hohe alte Weisheit, will er künftighin auf diese eine Kaste beschränken, die sie als ihr Geheimnis und ihr Vorrecht streng behüten soll. Er will aus den Priestern eine geschlossene Gesellschaft machen, die durch ihr Wissen und durch ihre Verbundenheit über die ganze Welt herrschen soll. Hinter Königen sollen sie als wirkliche Führer und Leiter stehen, und diese Priesterkaste soll von ihm nicht nur in allerlei Beherrschungmöglichkeiten anderer Entwicklungsströme eingeweiht und darin ausgebildet werden, auch das Vertauschen der Seelen, auch das Verdrängen des Willens soll eine der Hauptfähigkeiten dieser kommenden Priesterkaste sein. Schon ist es ihm gelungen, Torototec und andere von diesem Gedanken Durchdrungene zur Mitarbeit zu gewinnen; er verdirbt auch mit seinen Bestrebungen allmählich die übrigen Diener des Ewigen, indem er falsche Grundsätze in die Reinheit unserer hohen Lehre bringt. Er stört mit seinen gefährlichen Forschungen sogar die Erdströmungen, die Luftwirbel, denn die letzte Weisheit, die tiefste Erkenntnis, die im Plansehen Gottes liegt, fehlen ihm …«
»Und vor diesem Herrn der dunklen Mächte beugen sich alle … alle?« rief entrüstet und erschrocken zugleich der junge König.
»Nein …«, der Weise lächelte sein stilles Lächeln, »zwei Menschen in dieser Stadt der goldenen Tore beherrscht er nicht. Isolanthis und mich. Er weiß meinen Geist bei den Sternen, mein Herz im Ewigen verankert, und so störe ich ihn nicht. Vor vielen Jahren waren wir Freunde, und wenn er mich auch meidet, so läßt er mir doch meinen Frieden …«
»Und … Isolanthis?«
»Sie hat die Seele einer Priesterin. Sie ist in sich selbst geschlossen, und er kann nicht an sie heran. Vielleicht will er es nicht einmal, denn in seiner kalten Art hängt er an ihr. Und sie bemüht sich unaufhörlich, ihn den finsteren Mächten zu entreißen, sein Wissen zum Nutzen der Menschheit zu wenden …« Er wurde plötzlich sehr ernst. »Einmal schon, o Ramanatu, kurz nach deiner Ankunft in dieser Stadt der fließenden Wasser, warnte ich dich. Ich tue es heute noch einmal. Du begehrst sie, doch sie gehört ihrem Lande, denn wisse: Was du in dieser Stadt siehst«, er winkte dem jungen Pharao, aus dem Gemach herauszutreten, »all dieses Gleißende und Schimmernde, das ist alles unwahrer Schein, gleicht dem Flaum auf reifender Frucht. Darunter, darüber liegen schwarze Schatten, die du nicht zu sehen vermagst. Es naht ein großes Schicksal dieser Stadt, die ist, wie keine war und keine sein wird …« Er seufzte. »Zwischen diesem heranrollenden Schicksal und der endlichen Erfüllung steht nichts als – Isolanthis. Sie schützt, sie hilft, sie wärmt. Als ragende Mauer steht sie vor Arototecs schlimmsten Plänen und deren Verwirklichung. Unsichtbar liegt auf ihrem Haupt die schwere zehnzackige Krone, die größte und schönste der Welt, die erdrückendste … Ihr Licht, o Ramanatu, ist das einzige in dieser großen Seelenfinsternis, deshalb darf dein Herz wohl Isolanthis lieben und an dieser Liebe wachsen zu späterer Vereinigung, doch müssen alle Wünsche auf Besitz schweigen.«
»Was soll … was muß kommen? Was naht der Stadt und … ihr, o Sembasa?« fragte Ramon Phtha erregt.
»Ich kann und ich darf es dir nicht sagen, doch klagt meine sehende Seele ob des Unabwendbaren. Störe nicht den Gang der Ereignisse um deines irdischen Wunsches willen! Greife nicht in das Rad des Schicksals ein, o Pharao, laß den Strom der Zeiten ungehemmt zu Ende fließen. Wenn du sie mit deiner Seele, nicht nur mit deinen Sinnen liebst, werdet ihr in einem anderen Sein verbunden werden dürfen.«
»O Sembasa … ich habe nicht deine abgeklärte Weisheit, nicht den Frieden deiner Sterne. Du stehst über den Menschen, ich lebe unter ihnen. Bedenke meine Furcht! Dieser Dämon in Menschengestalt versucht alle unter seinen Willen zu zwingen. Grausam ist er und von unerbittlicher Strenge, – er droht mir. Ich kann nicht von Isolanthis gehen, ich kann nicht! Er aber hat Sklaven, die jeden meiner Schritte bewachen. Muß sie und ich in solchem Schatten weiterleben? Soll die Last der Krone sie erdrücken, wenn ich doch ein lichtes Land besitze, das ich ihr zu Füßen legen will? Wenn meine sorgende Liebe sie bewachen, mein Trachten einzig auf ihr Wohl gerichtet sein soll? Meine Krone, mein Herz, meine Seele gehören ihr.«
»O Ramanatu«, sprach der Weise betrübt, denn er wußte, wie schwer es war, sich von der mächtigen Wunschbrandung zu befreien, die so leicht in die Tiefen riß, »ich erfasse das Sehnen deiner Jugend, aber nicht alles, was da blüht, darf Frucht werden. Kehr in dein Land zurück, ehe es zu spät geworden, denn du kannst am Lauf der Zeit nichts ändern. Deine Seele ist jung und hat noch viel zu lernen …«
Ramon Phtha blieb lange schweigend in den Anblick der funkelnden Silberbogen, der gewaltigen Bauten, der schimmernden Kuppeln versunken, dann sagte er ganz leise, sich zum Gehen wendend:
»Ich danke dir, o Sembasa, für deine Ratschläge. Du warst immer gütig gegen mich, doch muß ich meinen Weg gehen. Ich kenne nur den einen, selbst wenn er ins Verderben führen sollte. Nichts mehr bedeutet mir etwas auf dieser Welt, weder Krone noch Land, weder Volk noch Prunk. Meine Seele gehört Isolanthis. Wie sich mein Schicksal auch entwickeln mag, so will ich es mutig hinnehmen.«
»Dein Gott schütze und geleite dich, o Pharao!«
Langsam löste sich der junge König von der Brüstung, um zu den Menschen und zu ihrem Tun hinabzusteigen. Er schaute in das friedvolle Antlitz vor sich und erwiderte bewegt:
»Mögen deine Weisheit und deine Güte den Menschen leuchten wie Ra der Welt! Er segne und belohne dich!«
Dann stieg er gesenkten Hauptes die vielen Stufen des Turms nieder.
Mit einem tiefen Seufzer, der den Schatten stofflicher Trugwelt galt, erhob der Weise seine Augen zum Himmel, wandte sich wieder dem Ewigen zu.