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Vor den Richtern

»Ra steigt durch das Tor des Morgens«, dachte Pharao Ramon Phtha, das wachsende Licht durch den engen Spalt seines Kerkers beobachtend. Gedämpftes Wasserrauschen, wie das Gemurmel vieler Beter, drang an sein Ohr, der Schrei eines Aasvogels, dann Schritte …

Man geleitete ihn stumm durch viele Gänge, treppauf, treppab bis zu einem blauen Vorhang. Ein Wink, und er betrat den kleinen Raum, auf dessen tiefdunklen Wänden Frauengestalten, wie in Leid zusammengesunken, in Gold eingezeichnet waren, während um die Decke sich jagende Drachen liefen. Da und dort war das Blaugrün auch durch ein Auge unterbrochen, das gesenkt und von vielen Strahlen überragt war. Über dem Eingang sah der Pharao das Zeichen der gefiederten Schlange: das Sinnbild der Weisheit.

Hinter dem sattblauen Vorhang anschwellendes Geraune.

Zwei Diener in kurzen blauen Röcken, auf der Brust das strahlenüberragte Auge, das Sinnbild der Gerechtigkeit, in Gold eingestickt und um die Stirn den Stirnreifen aus Orichalcum, vorn einen hohen Dreizack bildend, betraten den Raum und hoben den Vorhang zum großen Saal, dem jungen König bedeutend, die Schwelle zu überschreiten.

Der ungeheure Raum, in den er trat, war menschengefüllt. Aus dem Throne saß unbeweglich König Ataxikitli, die zehnzackige Krone auf dem Haupte, auf den Thronstufen stand, als naher Verwandter, Daminophis in seiner hellblauen Tracht, das Gesicht von erstaunlicher Blässe, und davor, wie zu Stein geworden, saßen die Thronratgeber mit dem goldenen Stab und dem Dreizack in der Hand. Auf tiefblauem Stuhle vor der tiefblauen schimmernden Wand, unter dem Riesenauge der Gerechtigkeit in leuchtendem Gold, saß Arototec, die Augen unter finster gerunzelten, zusammengewachsenen Brauen, noch härter und kälter als sonst, das gelbe Gesicht einer Maske aus Stein ähnelnd. Die lautlose Stille, die sich auf alle Anwesenden senkte, verriet die Spannung.

Ramon Phtha blickte stolz und furchtlos um sich. Im Licht der künstlichen Sonnen funkelte der Löwe in seiner Krone. Die umherstreifenden Augen nahmen an der ihm gegenüberliegenden Wand zwei Frauen in Schuppenpanzern wahr, die einen Dreizack hielten und gleichsam den Eingang bewachten. Darüber schwebten sieben Vögel, die sieben Wandelsterne andeutend, die am Schicksal der Menschen teil hatten, sowie die sieben Seelenteile im Menschen selbst, das Sinnbild, wie üblich, vom Dreistrahlenzeichen überragt.

Nun wurde dieser Vorhang bewegt, die Stille wurde zu schwüler Wolke und, von ihren Sklaven und Sklavinnen begleitet, erschien Isolanthis. Ihr Gesicht war bleich, die Augen noch ernster als sonst, ihre Haltung noch feierlicher, aber ohne Scheu und Furcht. Sie erstieg die Thronstufen und nahm an der Seite ihres königlichen Vaters Platz.

»Wie entsetzlich muß ihr das alles sein«, dachte Ramon Phtha, ohne Gedanken an das eigene Schicksal. Nicht jeder Kampf endete in Sieg, doch tapfere Männer trugen tapfer auch die Niederlagen.

Arototec durchbohrte die Erbprinzessin mit seinen Blicken, entschlossen, zu erkennen, wieviel sie an Frauenwert verloren hatte, und sah doch hinter dem Schleier ihrer Trauer nichts als die Seele der Priesterin. Entweder war sie nicht durch das gefürchtete Erfahren gegangen, oder es hatte in ihr nichts zu zerstören vermocht.

Er würde fragen müssen, ihn … und sie.

Sich erhebend und sich dem königlichen Gefangenen zuwendend, rief er laut:

»Pharao Ramon Phtha, König der dunklen Erde …«

»Ich höre …«

»Wir wissen um deine Schuld und sind gekommen, um dich zu richten …«

»Ich höre.«

»Du hast Erikikatl, den Hüter der Kronschätze des Palastes, überfallen, getötet und des Schlüssels zum geheimen Palastgang beraubt.«

»So war es.«

»Du bist in die verbotenen Frauengemächer seines Hauses eingedrungen und hast zweien Frauen die braunen Gewänder entrissen, deren du zu deiner frevlen Tat bedurftest.«

»Es ist geschehen, wie du sagst.«

»Kurz vor dem geheimen Gang stellte sich dir ein Sklave entgegen, den du schwer verletztest?«

»Er war ein Hindernis auf meinem Weg, das fortgefegt werden mußte.«

»Du drangst, den geraubten Schlüssel benützend, in den Geheimgang ein, der zu den Frauengemächern des Palastes führt, und«, die Stimme wurde drohender, »du betratest das Schlafgemach der Erbprinzessin Isolanthis.«

»Ich tat es.«

»Auf den Stufen des Lagers«, wie ferner Donner klang es, »lag Tlactlac, der Hüter des Palastes, der Hund vom heiligen Berg. Du erstachest ihn.«

»Ja.«

»Du wolltest Isolanthis – die Erbprinzessin dieses Landes – gewaltsam entführen?«

»Ich wollte es!«

Furchtlos blickten die Augen des Pharao in die des ersten Thronratgebers.

»Auf alle diese Vergehen steht der Tod.«

»Ich höre.«

»Du bist für deine vielen Vergehen, für Mord und Raub, für Verletzung und Tötung zum Verluste deines Lebens verurteilt. Sprecht eure Meinung«, wandte er sich an die einundvierzig Thronratgeber, die unbeweglich vor ihm saßen. Sie hoben drei Finger der rechten Hand als Zeichen der Zustimmung und riefen einstimmig: »Zum Tode verurteilt!«

Wieder sprach Arototec:

»Über diese deine Vergehen hinaus bist du möglicherweise eines noch ärgeren Verbrechens schuldig geworden. Du hast Prinz Daminophis zu bestimmen versucht, dir zu helfen. Ein Schiff, von ihm bereitgehalten, lag im Hafen, und Colotli …«

»Ramanatu ist unschuldig«, rief Daminophis durch den Saal. »Ich selbst wollte Isolanthis entführen. Das Schiff war von mir gekauft, ich selbst wartete auf die Erbprinzessin im Hafen …«

»Warum?«

»Weil auch ich Isolanthis liebe …«

»Er ist mein Freund«, und diesmal zeigte der Pharao starke Erregung, »und will sich für mich opfern. Ihn trifft keine Schuld. In seiner Selbstlosigkeit und Güte will er meine Vergehen auf sich nehmen. Das darf nie geschehen. Ein Pharao steht für seine Taten ein.«

»Er hat dir geholfen oder war dir doch bei der Ausübung deines Verbrechens zu helfen bereit, deshalb muß er gleich dir verurteilt werden. Ehe die Sonne dreimal gesunken ist, muß er die Stadt der fließenden Wasser und unser Land verlassen haben oder … sterben.«

»Oder sterben!« riefen einstimmig die einundvierzig Thronratgeber.

»Er gehe …«, sagte Arototec, und das Volk wiederholte dumpf:

»Er gehe …«

»Auch das erschöpft noch nicht die Zahl deiner Vergehen«, fuhr Arototec unerbittlich fort. »Du hast das ärgste Verbrechen begangen, das wir kennen: Du hast die geheiligte Person der Erbprinzessin berührt. Gestehe, hast du sie verletzt?«

Lautlose Stille im Saal, die Blicke des ersten Thronratgebers wie gebannt auf den Zügen des Pharao, dann ein klingendes »Nein!«

Hart befahl Arototec:

»Tritt selbst vor, o Isolanthis, und rede, dein Auge auf dem allsehenden Auge der Gerechtigkeit, im Hören der sieben Wandelsterne, vor den Drachen göttlicher Kraft, im Licht der sieben Sonnen, vor den Schlangen ewiger Weisheit, Angesicht zu Angesicht mit den zweiundvierzig Ratgebern der Krone von Poseidonis und im Beisein deines Volkes – hat Ramanatu dein Gemach betreten?«

»Er tat es.«

»Und die Stufen deines Lagers?«

Hart, unerbittlich, kalt dieses Forschen in ihrem schamzerwühlten Frauenherzen.

»Er tötete Tlactlac – den Hund vom heiligen Berg«, entgegnete sie tonlos.

»Hat er dich verletzt? Vor diesem Auge der Gerechtigkeit, hat er dich verletzt?«

Sie sah über Arototec hinweg in die stillen Augen des Weisen, die ihr zeigten, daß hier nicht der Wunsch nach Wahrheit um der Gerechtigkeit willen war, sondern aus selbstsüchtigen Gründen, daher erwiderte sie ruhig:

»Er sah mich … im grünen Schleier.«

Und Roxa seufzte durch das Schweigen im Saale hörbar nach:

»Er sah sie im grünen Schleier …«

»Er stand auf den Stufen des Lagers …«, begann Arototec wieder, »und seine Hand konnte dich berühren …«

»Zwischen mir und ihm lag der tote Hund …«

»Möge er durch die zeugenden Jahrhunderte zwischen dir und ihm stehen«, und mit dem Aufgebot seines ganzen Willens schloß er sie in seinen zwingenden Gedankenstrom ein, ehe er fragte:

»Nur du weißt es, weil nur er und du zugegen: Hat er dich verletzt, o Isolanthis?«

Ihre Seele hatte sich in den bitteren Tagen aus aller Bedrängnis des Zeitlichen befreit und stand im schützenden Licht des Guten, von Sembasa gestärkt, vom selbstlosen Wunsche den jungen König zu retten erfüllt, daher tauchten ihre Blicke klar und streng in die des Thronratgebers, der die seinen senkte, und durch den Saal, durch den kein Atem zitterte, tönte hell ihr festes:

»Nein!«

Ehe Arototec wieder das Wort ergriff, sagte der älteste der Thronratgeber:

»Der weise Sembasa wird sprechen.«

Über der schlichten Gestalt in Weiß mit den halb geschlossenen Lidern lag die wundersame Abgeklärtheit des Wunschlosen, und die Ruhe seines Sternenhimmels umfing ihn als bläuliche Wolke. Seine Worte waren wie Tempelmusik, das unsterbliche Feuer in den Herzen der Lauscher entfachend:

»O ihr Ratgeber der Krone, ihr Höchsten von Poseidonis, hier versammelt um zu urteilen, nicht zu verurteilen, da wir Menschen ja alle im Schuldbann unserer Handlungen stehen, und du, o erster Berater der Krone, zieht die große Jugend des Angeklagten in Betracht! Wenn schuldig, gebt ihm Zeit zur Sühne, auf daß er sich noch in diesem Leben von den Folgen seiner Irrtümer befreie; wenn nicht schuldig oder nicht so tief schuldig, wie Arototec es zu beweisen wünscht, so laßt ihn zurückkehren in sein Land. Darin liegt für ihn Strafe genug. Schickt ihn auf einem unserer Schiffe bis in das Land der dunklen Erde. Die strengen Pflichten eines Herrschers werden aus jugendlicher Unbesonnenheit Güte und Verstehen reifen lassen. Schuldig oder nicht schuldig, schickt ihn zurück! Unterbrechet nicht, von falscher Strenge bewogen, den Lauf seines kurzen Seins.«

Sembasa trat zurück, und nun erhob sich die Erbprinzessin. Alle Gefühle – Liebe, Angst, Bitterkeit – mußten schweigen. Nichts galt als ihn zu retten, dem ein schrecklicheres Los als schneller Tod drohte. In die tiefe Stille hinein sprach sie:

»O Poseidonier, als Gast kam Pharao Ramon Phtha in dieses Land und an unseren Hof, weder unsere Sprache sprechend, noch unsere Sitten und Gesetze kennend. Der weise Sembasa hat seine Jugend betont, ich aber möchte Nachdruck auf unsere Pflicht gegen die Fremden legen, die unsere Scholle betreten. Er trägt eine Krone – schickt ihn zurück in das Land, dessen Herrscher er ist, und laßt ihn da seine Tat sühnen. Wir wissen, daß jedes Unrecht ausgeglichen werden muß. Das ewige Gesetz steht über irdischen Gesetzen. Wird ein Mensch nicht am bittersten durch die Qual des eigenen Herzens bestraft? Die Saat, die er gesät, muß reifen. Begnügt euch damit zu wissen, daß er unfehlbar ernten wird. Schließet an mein Vergeben auch das eure, Er ist unser aller Gast gewesen …«

Das Volk im Hintergründe rief laut: »Sei gesegnet, Isolanthis!« Doch Arototec gebot augenblicklich Schweigen.

»Seine Saat wie seine Ernte sind sein Schicksal. Wollte man das berücksichtigen, so müßten alle Schuldigen der Strafe überlassen werden, die ihnen auf ihrem Weg durch die Reihe der Geburten nicht erlassen bleibt. Wir aber sind hier, um zu urteilen, weil wir die Gesetze des Landes verkörpern und weil jeder Übertritt geahndet werden muß. Er hat Erikikatl getötet, er hat den Sklaven schwer verletzt, er hat den Hüter des Palastes, den Hund vom heiligen Berg, erstochen – darauf steht der Tod, und weder die Fürsprache Sembasas noch die unserer Erbprinzessin können das Urteil rückgängig machen. Er sterbe!«

»Er sterbe!« wiederholten die Thronratgeber und stießen mit dem Goldstab auf den Boden.

»Über diese Strafe hinaus geht jedoch das Vergehen, die Gemächer der Prinzessin betreten zu haben, der Plan, sie entführen zu wollen. Nur zwei Menschen«, sagte er bedeutungsvoll, »wissen den genauen Grad seiner Schuld. Uns genügt, daß er Isolanthis im grünen Schleier gesehen hat und daß der Hund vom heiligen Berg tot auf den Stufen ihres Lagers gelegen, als wir eindrangen. Ein Fremdling, ein Mann einer anderen Rasse, hat die Hand nach unserem heiligsten Krongut ausgestreckt. Ich verhänge deshalb die schwerste Strafe über ihn, die verhängt werden kann: Er soll im Turm der toten Nächte lebendig begraben werden …«

Ein Stöhnen von Furcht und Grauen ging durch die Zuhörer, nur die Thronratgeber saßen wie aus Stein gemeißelt, den Dreizack in der Hand, das Licht der Sonnen auf den breiten goldenen Stirnreifen.

»Ramanatu«, wandte sich Arototec an den Gefangenen, »du hast dein Leben verwirkt. Hast du noch Wünsche, ehe du in die Nacht des Grabes hinabsteigst?«

»Du hast jeden meiner Schritte in deinem Lande bewacht, du hast immer in mein Tun hindernd eingegriffen und hast mich nun aus persönlichem Hasse, nicht aus dem Wunsche nach Gerechtigkeit, verurteilt. Ich hege kein Begehren, außer von Isolanthis Abschied nehmen zu dürfen.«

»Es kann dir nicht gestattet werden«, erwiderte der Thronratgeber hart.

»So tue ich es hier öffentlich«, erklärte der Pharao mit unvermindertem Stolze. Und sich an Isolanthis wendend, sagte er weich:

»Ra webe sein Strahlenkleid um dich, daß alle Schatten dieses Lebens dir nur Trug scheinen. Alle guten Geister mögen dich beschützen und möge deine Seele voll Friede sein! Du warst das Licht in meinem Leben und du wirst es auch im Tode sein, denn mein letzter Gedanke bist du. Sei gesegnet, Isolanthis, wir sehen uns wieder. Ich werde dich suchen …«

Die unglückliche Erbprinzessin wankte, und Daminophis legte zärtlich den Arm um sie. Ohne jemals den Mund geöffnet zu haben, saß der König auf seinem Thron, eine von Arototec in eine Puppe verwandelte Gestalt, zwischen zwei Wunschströmungen gefangen.

Die Thronratgeber erhoben sich. Die goldenen Stäbe in ihren Händen funkelten auf. Reihen von sieben und sieben bildend, wie damals bei Ramon Phthas Empfang, schritten sie langsam an ihm vorüber, und sooft eine Reihe dicht an ihm vorbeikam, sagten alle sieben Ratgeber dumpf, das Urteil Arototecs bekräftigend:

»Lebendig begraben!«

Daminophis, selbst sehr ergriffen und betrübt, führte Isolanthis in ein Nebengemach, während König und Volk den Ratsaal verließen. Ramon Phtha blieb mit seinem Feinde allein.

»Nun könnte ich ihn töten«, fuhr es dem Pharao durch den Sinn, »aber ich will nicht neue Schuld auf mich laden.«

Der erste Thronratgeber näherte sich ihm.

»Pharao Ramanatu, du steigst in Kürze in den Turm der toten Nächte in Grauen und Finsternis, zu endlicher Vernichtung. Beantworte mir, ehe du aus dieser Welt gehst, die Frage: War Isolanthis dein Eigentum?«

Stolz erwiderte der König der dunklen Erde:

»Du hast mich immer mit deinem Haß verfolgt, seit du um meine Liebe wußtest. Du hast deine geheimen Kräfte mißbraucht, um meine Pläne zu entdecken: du hast, dank deinem höchsten Richteramt, den Deckel zu meinem Sarge gehoben und freust dich nun, da er sich auf immer senken soll. All das war innerhalb deiner Macht, doch nach dem, was ich in meinem Herzen hege und mit mir in die Nacht des Todes hinabnehme, hast du kein Recht zu forschen oder zu fragen. Bis in das Morgendämmern eines neuen Tages, ja bis zur Wende der Zeiten werde ich Isolanthis suchen und lieben.«

Er wandte sich stolz ab und kreuzte die Arme.

»So steig denn hinab in den Turm der toten Nächte und vergeh in Grauen und in Wahnsinn!«

Die beiden Diener kamen und führten den Pharao wieder durch Gänge und über Treppen in ein kleines, düsteres Gemach. Ein Vorhang, der nicht ganz herabgefallen war, ließ einen schwachen Durchblick in den Nebenraum. Nun bewegte er sich wie von Zugluft gestreift, und gleich darauf erkannte Ramon Phtha den ersten Thronratgeber, der ungeduldig auf und ab schritt.

Wieder schien eine Zugluft den Nebenraum zu durchfahren, und Ramon Phtha ahnte, daß jemand eingetreten war. Er versuchte durch den schmalen Spalt in das Nebengemach zu spähen und fuhr mit Herzklopfen zurück. Die Eingetretene war … Isolanthis!

Sie stand kalt und ablehnend vor Arototec und sprach seltsam tonlos:

»Ich verdanke dir viel, Arototec, und ich wollte dir zum Dank für so reiches Wissen immerdar Freund und Helfer sein. Das Leid deiner Seele war mir offenbar, und ich trachtete, dich den dunklen Mächten zu entreißen, deren unheilvolle Schlingen sich immer fester um dich winden. Nun hat dein Haß selbst alle Brücken zwischen uns zerbrochen. Du hast einen jungen Menschen, eine noch ungereifte Seele, zu furchtbarem Leiden verurteilt. Der König der dunklen Erde war unser Gast; auch besitzt er weder unser tiefes Wissen, noch hat er unsere innere Entfaltung schon erreicht. Eine junge Seele ist er, eine Menschpflanze, die gepflegt werden will. Die starken Schwingungen um ihn her mögen ihn zu Fall gebracht haben, doch wird dein Einfluß mit Schuld an seinem Vergehen tragen. Ich habe dich gebeten, ihn zu schonen, ihn zurückzusenden in sein fernes lichtes Land, du jedoch ließest dich von deinem Rachegefühl hinreißen und mißbrauchtest dein hohes Amt …«

»Findest du so leicht verzeihlich seine große Schuld«, unterbrach er sie heftig, »und so unvergebbar die meine? Auch ich … habe dich … geliebt …«

Sehr ernst sah sie zu ihm auf.

»Nennst du das Gefühl, das dich meine Nähe suchen ließ, wirklich Liebe? Manche Worte werden durch allzu häufigen Gebrauch stumpf und abgeschliffen wie Münzen, die zu lange im Umlauf gewesen. Du hast Etelku dir unterworfen, Ataxikitli, mein Vater, steht in deiner Macht, Daminophis, dieses Landes größten Künstler, verbannst du. Durch mich hofftest du zu herrschen. Nichts als Ehrgeiz war es, was dich zu mir trieb …«

»Nichts anderes?« fragte er, auf sie zutretend.

»Nichts«, entgegnete sie kalt. »Was du für mich empfandest, über die Sucht hinaus mich zu deinem Werkzeug zu machen, war …« ihre Stimme wurde einen Augenblick lang weicher, »das Wissen, daß ich dich verstand, daß ich die lichten und hohen deiner Pläne und Träume teilte. Was sonst dich bewegt haben mag, war Leidenschaft … wenn überhaupt ein wärmeres Gefühl bei dir aufkommen kann.« Sie hob den grünen Stein. »Sieh selbst sein trübes dunkelviolettes Licht, vom Rot der Leidenschaft durchkreuzt, nur selten zum reinen Strahl wärmenden Wissens aufleuchtend. O Arototec«, rief sie klagend, »du bist der erste Mann in diesem Land.«

»Und du dieses Landes erste Frau. Ich durfte dich nicht gehen lassen. Dein Volk, deine Rasse …«

Sie schüttelte traurig das Haupt, das die schwere Krone trug.

»Du dachtest an dich, nicht an Volk oder Land …«, sagte sie müde. »Liebe? Ramon Phtha liebte mich. Er war bereit, Krone und Volk zu vergessen … um meinetwillen. Wärest du eines Opfers fähig? Er aber ist bereit, für mich zu sterben … lebendig begraben … im Turm der toten Nächte …«

»Wenn ich wüßte …«, begann Arototec zögernd.

»Was begehrst du zu erfahren?«

»Ob …?« er wagte es nicht, an diese ernsten Augen die Frage zu richten, die ihn folterte, die zermürbend an seinem totgeglaubten Herzen nagte wie ein Wurm an morschem Holz, »ob deine Seele an ihn gebunden ist?«

»Nein«, sagte sie leise, »meine Seele hängt an dem, wovon du hinweggeglitten. Es ist wohl das Heimweh nach dem Ewigen, und wenn es dir gleich gelingen sollte Macht über alles zu gewinnen, was der niederen Welt angehört, wirst du dieses Heimweh nie verlieren, nie! Es liegt in dem schwarzen Weiher deiner glanzlosen Augen und hüllt deine Seele in das Bahrtuch des Leids. Ich hoffte, ich wünschte, ich trachtete dich zu erlösen, denn ich bewunderte und ich allein … verstand dich. Nun aber hat dein Haß das Band unserer Freundschaft durchgeschnitten. Wenn du mit dem König sprichst, werde ich zugegen sein; zwischen deinen düstersten Plänen und meinem Volke werde ich felsgleich stehen. Über mich, o Arototec, hast du keine Macht! Kreuze von heute ab nie wieder die Schwelle meiner Gemächer, wie auch ich nie wieder die des Hauses der lichtlosen Sterne kreuzen werde. Lebe in deiner entlichteten Welt! Zwischen uns steht künftighin ein Toter und … dein Gewissen.«

Sie hob den Vorhang und ließ ihn hinter sich niederrauschen.

Ganz langsam, das Haupt gesenkt, ging der oberste Thronratgeber dem entgegengesetzten Ausgang zu. –

»Ach, ich durfte keinen Abschied von ihr nehmen und kein Verzeihen meiner Schuld von ihr erflehen«, seufzte Ramon Phtha. »Nun ist sie doppelt einsam, da sie den letzten Freund verloren hat. Nun wird seine Feindschaft sie umgeben, und ihr Leben, das ich in Licht zu tauchen gewünscht, nur eine Kette schwerer Sorgen und Kämpfe sein. Daminophis, der sonnige Künstler, mein selbstloser Freund, hat durch mich seine schöne Heimat, seine Güter, sein Arbeitsfeld verloren …«

Die beiden Diener kamen, schweigsam wie immer, und holten ihn zum letzten Gang. Wieder ging es treppauf, durch lange Gänge und weitere Treppen. Nun wurde ihm ein Tuch übergeworfen, und die Hände der Diener ergriffen seine königlichen Arme, von denen der Schmuck abgestreift war. Ein kalter Lufthauch, selbst durch das dichte Tuch hindurch fühlbar, schlug ihm entgegen. Etwas Schnarrendes und Knarrendes wie Eisengerippe krachte auseinander, ein Stoß … und er rollte einige Stufen hinab in die Tiefe. Hinter ihm schloß sich mit lautem Gekrächze das Tor seines Kerkers und Grabes.

Er riß das verhüllende Tuch vom Haupte und starrte in das Dunkel ringsumher.

In den Augenhöhlen ungeheurer Fratzen glühte ein fahles grünliches Licht. Noch vom Sturz etwas betäubt, schloß er die Augen und murmelte:

»Ich bin bereit zu sterben. Ich weiß, daß ich sie nur liebe und daß sie mir Licht im Leben wie im Tode ist:

Isolanthis …«


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