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Sie saßen an der Ostseite der Stadt, Daminophis und Ramon Phtha, und schauten entzückt auf das herrliche Bild. Aus dem Becken im ersten Wall sprudelte das Wasser in goldenen Schleiern nieder, schäumte über die Felsen im zweiten Wall, wurde zur tosenden Masse im dritten und vermengte sich in der Ebene mit den Kanälen zu weitem Strom, der träge dem Meere zuglitt. Von oben bis unten standen die riesigen Silbergestalten, alle durch das schimmernde Gewinde verbunden, wie sich im Aufstieg der Seelen Leben an Leben reiht, dieses licht und sonnig, jenes düster und schwer, doch alle dem Urquell des Seins zustrebend.
Das Morgenlicht verwandelte die fließenden Wasser in Schleier von Perlen und Gold, selbst die Luft war ein einziges Goldgeflimmer, und im grünen Dämmern verschlungener Baumkronen genossen die Freunde die Schönheit des Anblicks. Dennoch nahm der Künstler wahr, daß Ramon Phthas Aufmerksamkeit nicht ungeteilt schien. Seine Gedanken wühlten in irgendeinem Erleben, von dem seine Seele sich nicht zu befreien vermochte.
»Was quält dich, Ramanatu?«
»Ich habe mir schon wieder einen Feind gemacht …«
»Das gelingt dir erstaunlich – man fragt sich, wie, mit deinem sonnigen Wesen und deiner wärmenden Güte. Hast du noch nicht genug? Mir will es scheinen, als hättest du reichlich viele …«, und ein Ton von Besorgnis klang mit. »Vielleicht wäre es weiser – doch da predigt der Lahme dem Blinden – den Menschen mit etwas mehr Ruhe zu begegnen. Ich selbst bin solch ein kühner Springer ins Meer aufwogender Leidenschaft, ich wiederhole hier nur, was Isolanthis mir immer einschärft, nämlich: Behandle deine Feinde, als könnten sie eines Tages deine Freunde, und deine Freunde, als könnten sie eines Tages deine Feinde werden …«
»Das kann ich nicht! Ich bin ganz Freund, oder ganz Feind«, rief der junge Pharao in seiner ungestümen Art. »Ich zeige offen meine Gefühle.«
»Und genießt dafür eine Anzahl heimlicher Feinde«, lachte Daminophis. Wenn Ramon Phtha bei Isolanthis verweilte, starrte er sie unbekümmert um mögliche Beobachter unverwandt an und überlegte nie, ob diese seine Offenheit klug sein mochte. Sah er ein Unrecht geschehen, schlug er mit der Faust drein, und wollte er etwas, so steuerte er darauf los, obwohl ein vorsichtigeres Zielerreichen günstiger zu enden pflegte, aber der Künstler war selbst zu sehr im Banne starker Stimmungen, um sie an einem Freunde verurteilen zu wollen, daher erkundigte er sich auch jetzt nur, mit wem er es sich diesmal verscherzt habe, und der Pharao erwiderte, düster in das lichte Gefunkel um ihn her starrend:
»Ha – er fühlte meine Hand in seinem Gesicht …«
»Wer denn?«
»Der elende, schmutzwühlende Tapir, der seine getrübten Augen zur reinen Tempelblüte erhebt – –«
»Vielleicht hättest du die Güte, von Anfang an klar zu erzählen, wie es geschah, daß deine königliche Hand unzart mit fremder Wange zusammenstieß, wer sich solcher Ehre erfreute und welche Folgen dir daraus erwachsen werden. Ich hoffe«, fügte er plötzlich sehr gedämpft und ernst hinzu, »daß du dich nie dem ersten Thronratgeber gegenüber unbeherrscht zeigen wirst …«
»Ich fürchte ihn nicht …«, doch die Stimme wurde unsicher.
»Wir alle fürchten ihn. Ich vermeide ihn, wo es geht, und bin zurückhaltend und höflich, sobald mich das Geschick unaufhaltsam an ihn herantreibt. Er ist der klügste Mann von ganz Atlantis und unzweifelhaft der mächtigste. Sein Wille gleicht dem Wirbelwind. Er beugt alles tief oder er bricht. Doch zurück zu deinem Fall! Wer erzürnte dich in so hohem Maße?«
»Der versemachende Tapir …«
»Tiritec?! Er ist ein ausgezeichneter Dichter …«
»… aber ein grundschlechter Mensch. Er geht in das Haus des Genusses …«
»Lieber Ramanatu – auch ich gehe dahin. Das ist ein Fehler, den nur drei Männer in unserer Stadt nicht begehen: der König, weil er nicht darf; Sembasa, weil er als Weiser darübersteht – der Glückliche! –, und Arototec, der sich nicht die Zeit dazu nimmt, und bei dessen Anblick die Kummerverscheuchenden gewiß zu leblosen Mumien erstarren würden; die übrigen Männer dagegen …«
»So gehst du dahin?« fragte stirnrunzelnd der Pharao.
»Wo soll ich sonst nackte Frauenleiber sehen und ihre Formen prüfen können? Wo gibt es solchen Farbenrausch? Wo sieht man Gestalten wie die der dunklen Fremden, die man zum Spaß zeichnen möchte, wäre das nicht ein Entheiligen hoher Kunst?«
»Meinetwegen«, räumte der junge König unüberzeugt ein. »All diese Männer lieben nicht, behaupten wenigstens, nicht zu lieben, Tiritec aber, dieser …«, er schüttelte das Haupt, als wollte er ein lästiges Insekt abschütteln, »läuft hinter Isolanthis her, obwohl er genau weiß, daß seine Tapiraugen nie mit einem Hoffnungsschimmer zu ihr ausschauen dürfen. Er winselt ihr vor, er schwört ihr, nie ein anderes Weib anblicken zu wollen, er legt ihr Gedicht auf Gedicht zu Füßen, nimmt ihr Gold und läuft in die – – Höhle des tiefsten Erlebens …«
»Das wird er kaum tun!«
»Ich selbst sah ihn …«
»So warst auch du …?« begann Daminophis.
»Arototecs Diener brachte mich dahin«, erklärte Ramon Phtha und blickte finster vor sich hin, denn er erinnerte sich der häßlichen Täuschung.
»Ich glaube, daß sein Herz …«, begann der Künstler.
»Sein Herz? Sein Gekröse aus Habgier und Niedertracht, meinst du wohl? Herz?! Er wagt es, meiner reinen Tempelblüte …«
»Auch Arototec verachtet ihn, das weiß ich …«, bemerkte Daminophis. »Er durchschaut Menschen schneller und besser, als ich es vermag.«
»Wenn ich seine unbeherrschten Bewegungen anschauen muß, fühle ich mich wie auf schaukelnder See. Es wird mir seltsam um den Gürtel«, sagte Ramon Phtha.
»Eine Palme, wenn ein Sturm bläst, und Tiritec, wenn er aufgeregt ist, schlagen in gleicher Art mit ihren Wedeln«, lachte Daminophis »doch erzähle endlich, wo du den Dichter der Krone trafst.«
»Im Palast. Isolanthis malte, da ließ Rotorù den Dichter eintreten. Ich verweilte im Nebengemach und spähte durch den Vorhang. Er sprach ihr von seiner grenzenlosen Liebe, warf sich ihr zu Füßen, behauptete, nie ein anderes Weib ansehen zu können, überreichte ihr mehrere Tafeln mit seinen neuesten Gedichten, und sie schenkte ihm Gold. Was sonst sollte sie ihm schenken? Er tat ihr leid. Da wurde sie abberufen, und ich betrat das Gemach.«
»Was geschah?«
»Ich warf ihm vor, sich der Erbprinzessin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen genähert zu haben … da wurde er keck. Ich teilte Ihm mit, wo und unter welchen Umständen ich ihn im Haus des Vergessens gesehen hatte, mit dem Golde von Isolanthis herumwerfend, mit ihrem leuchtenden Bild noch vor seinen nun schmutzgetrübten Augen, mit dem Duft ihres Haares …«
Daminophis lachte und seufzte in einem Atem, eine sehr eingehende Beschreibung der Reize der Erbprinzessin erwartend, doch Ramon Phtha besann sich.
»Als ich ihm sein schreiendes Unrecht vorwarf, neigte er sich demütig vor mir, leugnete alles ab, beteuerte wieder, daß seine Huldigungen nur einer Frau gehörten, und da … hatte er meine Hand in seinem Gesicht.«
»Sprich leiser!« warnte ihn der Künstler. »Mir ist es, als spähe jemand hinter jenem Baume hervor …«
»Laß ihn hören und sehen«, rief der Pharao unbekümmert, »dazu verlieh ihm Ra Augen und Ohren …«
»Wenn man so viele Widersacher hat, empfiehlt es sich, in das Ohr des Lauschers Wachs zu schütten – das Wachs des Schweigens …«
»Du bist vorsichtig wie ein schwangeres Weib …«, unterbrach ihn ungeduldig der junge König. »Ein Pharao tut nichts heimlich. Er steht für seine Taten ein …«
»Ich weiß«, und in Daminophis' Stimme lag ein Hauch von Trauer, »nur fürchte ich, daß du einmal …«, er sprach nicht weiter. Menschen glichen Pflanzen. Die eine rankte sich am Gestein empor, die andere wehrte jede Berührung mit scharfen, langen Dornen ab; aus mancher floß ätzender Saft, und jede war, wie sie sein mußte. Das lag im Plane Gottes.
»Ich fürchte nichts.«
Sehr trotzig klang es.
Der junge Künstler seufzte nur.
»Ich fürchte auch diesen Wurm nicht, der sich krümmte und immer demütig tat, sooft wir uns trafen. Nun allerdings loderte sein Haß gegen mich offen aus seinem Blick …«
»Was tat er?«
»Tut Tiritec jemals mehr als Worte hervorsprudeln, glatt oder in Versen? Er sah mich haßerfüllt an, duckte sich wie zum Sprunge und … sank demütig in sich zusammen. Er ist nicht wert, daß man ihn mit dem Fuß zur Seite schiebt …«
»Er wird alles daransetzen, dir zu schaden«, sagte Daminophis mit Bedauern. Er wußte, daß dem Pharao manch ein Blick aus Feindesauge folgte, daß Arototec sein Gegner war, und daß es viele Männer der höchsten Kaste gab, die – eine Heirat zwischen ihm und Isolanthis befürchtend – seinen raschen Weggang wünschten.
»Nie wieder soll er ihre Gemächer betreten, nie wieder seine falschen Tapiraugen zu meiner reinen Tempelblüte erheben …«
»Ich billige deine Ansicht, o Ramanatu, doch rate ich dir, deine Gefühle besser zu verbergen und bei Isolanthis nicht zu stark das Besitzwörtchen zu betonen. Sie ist – bildlich gesprochen – unser aller Eigentum, die Erbprinzessin von Atlantis, und daher machst du dir zwecklos Feinde unter den Großen, wenn du, als Ausländer, mein sagst. Sie sind der Ansicht …«, wieder regte sich etwas hinter den Sträuchern, und Daminophis schwieg. Was nützte auch alles Warnen? Ramon Phtha würde handeln, wie er es für gut hielt, und die Folgen seiner Handlungen …
Diesmal bemerkte auch Ramon Phtha das Rascheln im Gebüsch und sprang wie ein Tiger darauf zu.
Ein Rollen losen Gesteins, das Zuschlägen einer Tür, dann Stille.
»Wer mag es gewesen sein?«
Beide Jünglinge schwiegen. Kein Haus lag an dieser Seite, keine Straße öffnete sich. Vielleicht gab es irgendwo nahebei einen heimlichen Eingang in unterirdische Gänge, aber wie sorgfältig die jungen Leute auch danach suchten, entdeckten sie keinerlei Spur. Hinter den Sträuchern lag nichts als loses Gestein.
»Wir mögen uns geirrt haben«, bemerkte Ramon Phtha, des Suchens rasch müde und von anderen Gedanken erfüllt. »Sag Isolanthis, sie möge den elenden Dichter nicht mehr vorlassen …«
»Sag ihr das nur selbst«, lachte Daminophis, der seine Unruhe nicht verraten wollte, »sie gehört nicht zu den Menschen, denen man Vorschriften macht. Komm, laß uns hinauf in mein lichtes Heim gehen!«
Als sie sich entfernt hatten, raschelte es wieder im Strauchwerk und eine dunkle, vermummte Gestalt schob sich hindurch und eilte in der entgegengesetzten Richtung dem zweiten Wall zu.
Es war der Diener Arototecs.