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38. Heimfahrt und Schluß

Die Räder fangen an zu arbeiten; das Wasser rauscht unter ihnen und vor dem Bug, der sich den Strom abwärts wendet. Fort! – die Ufer verschwinden schon in den dunklen Schatten der Nacht, oder liegen nur wie niedere schwarze Streifen auf dem Wasser, und »zu Tal« keucht das wackere Boot seine Bahn – zu Tal über den heute abend ruhenden und still dahingleitenden Spiegel des Stromes, und wir an Bord gekommenen Passagiere wurden, bei der Beleuchtung einer miserablen Öllampe, indessen »untergebracht«, d. h. man wies uns in einem hohen dunklen Raum – der ersten Kajüte des Fahrzeuges, die etwa dem der dritten Kajüte auf einem anderen Dampfer gleich stand, unsere verschiedenen Kojen oder Schlafstellen an, denn mehr als eine Schlafstelle war es nicht. Für die zwei Tage Fahrt durften wir dann 30 Pesos Passagegeld zahlen. Dagegen ließ sich indessen nichts sagen. Es war der einzige Dampfer, der gegenwärtig den Orinoco befuhr, und wir hätten 60 Pesos bezahlen müssen, wenn es der Kapitän für gut befunden, sie uns abzufordern. Die Kost war jedoch leidlich – oder ich selber auch vielleicht zu sehr entwöhnt, um irgend etwas Auffälliges darin zu finden. Die Passagiere bestanden teils aus Venezuelanern, die von Bolivar nach der Nordküste zurückkehrten, teils aus Italienern, die in den Minen gearbeitet hatten und mit dem ersparten Gelde wieder nach Hause gingen.

Angenehme Begleiter sind die Italiener übrigens nicht – sie spucken wie die Amerikaner und lassen überhaupt an Reinlichkeit alles zu wünschen übrig; doch auf Reisen muß man sich ja so vielem fügen.

Desto wundervoller war die Fahrt selber, und sobald nur erst der Tag dämmerte, saß ich vorn am Bug, denn an Schreiben in dem dunklen Loch war doch kein Gedanke, und schaute auf die herrliche Szenerie hinaus, zwischen der wir mit ziemlich rascher Fahrt hinliefen.

Sobald wir nämlich den eigentlichen Hauptstrom – der zu breit ist, um Einzelheiten an seinen Ufern zu erkennen – verlassen und das Delta des Orinoco erreicht hatten, liefen wir in den schmalen Nordarm ein, und etwas Herrlicheres von Vegetation läßt sich kaum auf der Welt denken, als es die nahen Ufer hier an beiden Seiten boten.

Weiter oben hatten wir noch hier und da Ansiedelungen gefunden mit Kokospalmen sowohl, als ausgedehnten, aber immer von der Waldung dicht umschlossenen Plantagen. Hier hörte das alles auf – das niedere sumpfige Land duldete keine Menschen in der Heimat der Kaimans und Ochsenfrösche aber desto mächtiger wucherte die Pflanzenwelt empor, desto bunter wiegten sich in den Wipfeln der gewaltigen Bäume die buntgefiederten Schreier (Sänger kann man nicht gut sagen) des Waldes, und desto lauter rauschte das breitblättrige Rohr in der frischen Brise.

Ich glaube nicht, daß es auf der Welt eine schönere Fahrt für einen Dampfer geben kann, und ich war gar nicht imstande, mich von dem Anblick loszureißen.

Manchmal sah es so aus, als ob es hinter dem niederen Ufer oder vielmehr der Wand von Lianen, Rohr und ineinander verwachsenen Büschen, denn eigentliches Ufer konnte man nirgends erkennen, höheren Boden geben müsse, aber es war eine Täuschung. Nur die Sumpfbäume wuchsen dort höher und bildeten gewissermaßen den Hintergrund zu den etwas niederen Gruppen von jungen Palmen und wilden Bananen. Wahrhaft zauberisch aber wurde der Anblick, wenn irgend eine kleine Bucht, vielleicht die Mündung eines dort in den Strom laufenden Sumpfwassers, einen geringen Einschnitt in das Ufer machte. Dort lag es dann wie ein riesiges Theater, eine, wie man glauben sollte, unmögliche Waldgegend vorstellen. Rechts und links standen die Kulissen, und nicht etwa einzelne Bäume mit auszweigenden Ästen, sondern wie bei den wirklichen Theatern auf die Leinwand gemalt, mit vollkommen gerade abgeschnittenen und undurchsichtigen Massen, wie mit der Schere beschnittene grüne Wände bildend, Kulissen wie von Menschenhand dahingestellt, aber weit über von Menschen zu erschaffende Form und Schönheit hinaus mit dem samtartigen Grün und den goldenen Sonnenstrahlen, die schräg hindurchfielen, während der Hintergrund mit helleren Palmenwipfeln, dazwischen das tief dunkelgrüne, noch nie von dem Werkzeug eines Menschen berührte Laubmeer einen festen, undurchdringlichen Wall bildete.

Darunter lag freilich der düstere, schleimige Sumpf, von Gewürm belebt, von eklen Schlangen und Kaimans, von giftigen Insekten angefüllt, und verloren wäre der Unglückliche gewesen, der dort hinein seine Bahn gesucht. Aber das alles verschwand in der Ferne – selbst die Schatten dieses Bildes waren entzückend schön, und ich hätte bedauert, so rasch an solchen Szenen vorbeizufahren, wenn uns nicht das Boot ohne Unterbrechung immer neuen, immer noch wieder fast schöneren Bildern entgegengeführt hätte.

Und in dem Gewirr der Wipfel, die oft durch zahllose Schmarotzerpflanzen eine ganz barocke Form annahmen, wiegten sich Schwärme von Arras und Papageien und kreischten und flatterten und schienen ungemein geschäftig. Große Raubvögel zogen vorüber, einzelne setzten sich manchmal auf die Spitze eines Baumes und schauten verwundert nach dem Dampfer hinüber, ließen ihn vorbei und eilten ihm dann nach und voraus, um ihn noch einmal passieren zu lassen. Prachtvolle blaue und weiße Reiher saßen ebenfalls auf den Büschen oder fuhren auch eine kleine Strecke auf kleinen schwimmenden Inseln von einander geflochtenem Schilf.

Im Flusse selber tauchte dann und wann eine Schildkröte auf, hob den klugen Kopf, sah den Dampfer und verschwand wieder in der gelblichen Flut. Hier und da konnten wir auch die breite Nase und die tückisch blitzenden Augen eines Kaimans an der Oberfläche erkennen, der uns wahrscheinlich mißtrauisch betrachtete, aber sich nicht weiter stören ließ, als er sah, daß wir vorübertrieben.

Reges Leben, wohin der Blick fiel, und wunderbar fast wechselte die Szenerie, als die Nacht endlich anbrach und zuerst mit ihrer bleigrauen Dämmerung den Strom deckte, während bald darauf der Mond über dem dunklen, aber jetzt viel niedriger erscheinenden Waldrand emporstieg und sein mattes Licht über diese »fremde Welt« goß.

Übrigens hätten wir noch über Tag fast ein Unglück mit dem Dampfer gehabt denn gerade während ich neben dem nach vorn zu angebrachten Steuerrad stand und unser Boot mit großer Schnelle am rechten Ufer hinabschoß, brach die Kette, die das Rad mit dem Steuerruder in Verbindung setzte, und damit war dem Steuernden jede Möglichkeit genommen, das im vollen Gang befindliche Fahrzeug zu regieren. Anstatt aber augenblicklich das Boot anzuhalten und mit der Maschine zurückarbeiten zu lassen, um die Kraft zu brechen, verlor der Mann den Kopf und schickte erst jemanden ab, um zu sehen, was gerissen wäre und wo. Und als er zuletzt doch das einzige tat, was zu tun war, befanden wir uns schon fast mit dem Bug vor dem Ufer und vor einem recht häßlichen, aus der Flut aufragenden Baumstamm, der uns ernstlich hätte beschädigen können.

Es war ein eigentümlicher und eben nicht sehr tröstlicher Anblick, wie das scharfgebaute Boot mit einer Schnelligkeit, die allerdings gefährlich aussah, direkt in das Ufer hineinlief. Die Maschine hielt jetzt, aber konnte noch nicht zurückarbeiten, und schon im nächsten Moment mußte der Stoß erfolgen. Glücklicherweise mied das Boot selber, als ob es sich der Gefahr bewußt gewesen wäre, den im Wasser stehenden Baumstumpf. Es bog rechts davon ab – wahrscheinlich stand das Ruder noch etwas schräg – und jetzt rauschten und brachen wir in Schilf und Buschwerk mit furchtbarer Gewalt hinein. Aber kein heftiger Stoß erfolgte; die üppige Vegetation hier war so elastisch und der Boden unten wohl auch nur Schlamm, daß wir allerdings auf und fest saßen, aber nicht den geringsten Schaden litten, ja sogar ganz sicher dort vor Anker lagen, bis die Steuerkette wieder repariert war. Dann wurde hinten ein Tau ausgebracht und an einem der Uferbäume befestigt, was nur den Leuten Mühe kostete, sich zu dem Baume durchzuarbeiten, und als das geschehen, zogen wir uns mit dem Gangspill leicht wieder aus dem Schlamm hinaus.

Dieser Arm des Delta war hier so eng, daß der Dampfer als er herumschwang, nur mit großen Umständen wieder gedreht werden konnte und wir wohl eine halbe englische Meile rückwärts den Fluß hinabtrieben.

Und wie wunderbar, fast beängstigend, war der Anblick, als die Nacht endlich einbrach und ihre Schatten über den Wald legte, der hier so eng zusammengepreßt erschien, als ob man von Bord aus, nach beiden Seiten hin, einen Stein hätte an Land werfen können. – Und wie totenstill lag es dort drüben – die Grillen zirpten fast allein, und als der Mond über die Bäume stieg, hörte ich manchmal das dumpfe Krächzen eines Reihers, der, von dem dicht am Ufer hinfahrenden Dampfer aufgescheucht, einen ruhigeren Schlafplatz suchte.

Gegen Morgen, wo der Strom wieder eine mächtige Breite, nahe der Mündung, einnahm, passierten wir die Barre, die an diesem Arme allerdings nur 12 Fuß Wasser halten soll. Wir fanden aber nicht einmal diese tiefste Stelle, sondern passierten sie bei 10 Fuß und berührten auch einmal den Grund, kamen aber glücklich darüber hinweg und schon mit Tagesanbruch in Sicht der herrlichen Insel Trinidad, die an Naturschönheit und Fruchtbarkeit wohl sicher keiner anderen der Antillen nachsteht. So groß ist sie dabei, daß wir, ihre westliche Bucht passierend, fast wieder aus Sicht des Landes kamen. Zwischen zehn und elf Uhr erreichten wir ihre nordwestliche Spitze, und der prächtige Hafenplatz Port of Spain lag vor uns ausgebreitet.

Und der französische Dampfer – lag nicht dort im Hafen. Konnte er schon wieder fort sein? denn daß er noch gar nicht angekommen, ließ sich kaum denken, da wir selber zwei Tage nach unserer Zeit eintrafen. Das war aber trotzdem der Fall, und ich bekam dadurch den ganzen noch übrigen Tag wenigstens Zeit und Gelegenheit, doch wenigstens etwas von der schönen Insel, der ich gern eine ganze Woche geschenkt hätte, zu sehen.

Trinidad bietet unendlich viel des Interessanten, aber mich zog es nach der Heimat zurück. Ich hatte so viel, so unendlich viel des Schönen und Wunderbaren gesehen, ich durfte auch nicht unverschämt sein und mußte mich mit dem begnügen, was mir die kurze Frist noch erlaubte. Trinidad war für mich aber auch insofern ein ersehnter Punkt, als ich hier wieder meine vorausgeschickten,. Sachen – meinen alten Koffer fand, der mich nun schon seit vielen Jahren auf meinen Reisen begleitet. Durch die Llanos hindurch und den Orinoco hinab war ich so furchtbar abgerissen, daß ich mir schon in Bolivar hatte Wäsche und einige Kleidungsstücke kaufen müssen, um wenigstens das Notdürftigste zu haben.

Herr Wuppermann, an dessen Haus meine Sachen von La Guayra aus adressiert waren, empfing mich auf das freundlichste und tat wirklich alles mögliche, damit ich in der doch jedenfalls sehr kurzen Zeit meines dortigen Aufenthalts wenigstens etwas von der Insel sah. Der französische Dampfer war in der Tat über seine Zeit ausgeblieben, wurde aber jeden Augenblick erwartet und hielt sich dann nur, wenn er kam, noch sechs Stunden auf, um Fracht und Passagiere an Bord zu nehmen.

Und was für ein herrliches Land ist Trinidad! Wir machten eine Spazierfahrt in der Nähe der Stadt, und ich konnte mich kaum satt sehen an den grünen bewaldeten Hängen, den üppigen Feldern und wirklich pittoresken Tälern, die sich in die Berge hineinzogen. Schon die Stadt selber zeichnet sich vor allen übrigen, die ich bis dahin auf den Antillen gesehen – wie St. Thomas und Kingston auf Jamaica – auf das vorteilhafteste aus. Große, elegante, allerdings nur zweistöckige Häuser sieht man überall, die Straßen sind breit und reinlich gehalten, mit guten Trottoirs. Die Hauptstraßen, mit freundlichen Rasenplätzen und prachtvollen alten Bäumen bewachsen, zu parkähnlichen Spaziergängen umgewandelt. Hübsche Brunnen verzieren zugleich dieselben, und überall sieht man den behäbigen Reichtum der Insel, ein doppelt wohltuendes Gefühl, wenn man den Platz, erst frisch von Venezuela kommend, betritt.

Unsere Fahrt war reizend, denn sie führte uns gleich anfangs, noch in Sicht der See, am Ufer hinauf zwischen jung angelegten Kokospalmanpflanzungen zu den von den eingeführten Kulis besiedelten Plätzen, und diese boten allerdings einen höchst interessanten Anblick.

Die ganze Straße entlang, auf der wir schon vielen der von Indien eingeführten Arbeiter begegneten, stehen kleine freundliche Häuser, jedes mit einem bald kleineren, bald größeren Garten, dabei ziemlich reinlich gehalten und genau abgegrenzt, als eigenes Besitztum. Die Kulis werden auf Trinidad gut behandelt und scheinen sich auch vollkommen wohl zu befinden. Sie bekommen einen festen Lohn, um den sie sieben Jahre dienen müssen. Nach dieser Zeit gibt man ihnen, wenn sie es wünschen, kostenfreie Passage, um in ihre Heimat zurückzukehren, wohin allemal nach Ablauf dieser Zeit ein nur für sie bestimmtes Schiff abgeht. Die meisten ziehen es aber vor, noch eine Zeitlang auf Trinidad zu bleiben, um mit dem kleinen, bis dahin gewonnenen Kapital zu spekulieren und etwas dazu zu verdienen, und haben sie das erreicht und 400 oder 600 Pfd. St. im Vermögen, dann schiffen sie sich wieder nach Indien ein und gelten dort unter ihren Landsleuten für Rentiers.

Merkwürdig ist, wie sie dabei zusammenhalten und besonders gar nicht daran denken, ihre Familien mit Negerblut zu mischen. Davor bewahrt sie noch der alte Kastengeist, und sie heiraten entweder unter sich selber oder gar nicht. Hübsche, ja schöne und edle Gestalten sieht man auch unter ihnen, schlank gewachsen, mit der dunklen, bronzefarbenen Haut und den fast kaukasischen Gesichtszügen – eine Rasse, die Blumenbach mit unter die Malayen warf, die aber jedenfalls einen Urstamm unseres Menschengeschlechts in ihrer besonderen Zentralstelle einnehmen, während gerade der Malaye eine Mischlingsrasse von allen Volksstämmen des indischen Ozeans und seiner Buchten ist, und auch ihnen mit seine Abstammung verdankt.

Die Kulis hier gehen alle in ihrer ursprünglichen oder vielmehr heimischen Tracht. Besonders malerisch machen sich die bunten Kopftücher über den dunklen, ausdrucksvollen, aber meist ernsten Physiognomieen. –

Wundervolle Partieen mit großen Kokospalmanpflanzungen sollen noch an der anderen Seite liegen, und weiter entfernt, wohin zweimal wöchentlich ein Dampfer abgeht, befindet sich auch der berühmte Erdpechsee, der gegenwärtig ausgebeutet wird und wohl einen Besuch verdient hätte – aber meine Zeit war leider abgelaufen. Nur noch den botanischen Garten betraten wir, der höchst interessante Pflanzen liefert und vorzugsweise das meiste zieht, was in Venezuela, dieser botanischen Schatzkammer, wild auftritt, und als wir dann, schon mit einbrechender Dunkelheit, die Stadt wieder erreichten, hörten wir, daß der französische Dampfer indessen richtig eingetroffen sei, jetzt Kohlen und Fracht einnehme und etwa zwei Uhr morgens in See gehen würde.

Ich kam also in Trinidad nicht einmal in ein ordentliches Bett und hatte doch, seit ich Caracas verlassen, noch in keinem wieder geschlafen. Aber was tat das; ich befand mich wenigstens wieder einmal auf dem Heimwege, alle Beschwerden, alle Entbehrungen lagen hinter mir, und in wenigen Wochen konnte ich sicher darauf rechnen, deutschen Boden zu betreten.

Dieser Dampfer ging aber noch nicht direkt nach Frankreich, sondern unterhielt nur die Verbindung zwischen Trinidad und Martinique, während ihm ein anderer von der Ostküste Südamerikas, von Surinam, Demarara und Cayenne die für Europa bestimmten Passagiere zuführte. In Martinique nahm uns dann der große atlantische Dampfer auf, wie ebenso die Passagiere von Guadeloupe und den nördlich gelegenen Inseln, und machte nun keine Zwischenstation mehr bis St. Nazaire.

Die Fahrt mit dem kleinen Dampfer war insofern ganz interessant, als wir viele andere Inseln, wie Grenada, St. Vincent und Santa Lucia, anliefen. Alles hohes, bergiges Land mit tropischer Vegetation und von dem warmen blauen Meere umflossen. Über das Wetter hatten wir uns ebenfalls nicht zu beklagen; es war mild und ruhig, und wir trafen noch rechtzeitig in Martinique ein, um am bestimmten Tage – leider freilich schon an dem nämlichen Morgen – wieder abzufahren.

In Martinique besuchte ich die Stadt Fort de France. Es ist ein trauriges Nest, ähnlich wie Kingston in Jamaica, und mag für jemanden, der frisch von Europa kommt, vielleicht manches Anziehende haben. Hat man aber erst kurze Zeit vorher Trinidad und dessen reizende Hauptstadt gesehen, dann macht dieser französische Hafenort einen nichts weniger als günstigen Eindruck. Ich ging an dem Morgen noch auf den Markt, um womöglich Früchte für Europa zum Mitnehmen einzukaufen, aber einige Ananas ausgenommen, war auch dort fast gar nichts zu haben, als Tomaten, Zwiebeln und derartige Vegetabilien. Die Fleischstände sahen dabei unappetitlich aus, und das Ganze trug einen höchst dürftigen Charakter.

In Fort de France war gerade Viehausstellung und der große dazu genommene Platz mit Fahnen geschmückt. Das Vieh sah sehr klein und dürftig aus, und die Bewohner der Stadt schienen sich selber nur wenig für die Sache zu interessieren. Ich war froh, als ich mich wieder an Bord befand, und kaum eine halbe Stunde später wurde denn auch schon das Zeichen mit der Glocke gegeben. Was sich nur als Besuch an Bord aufhielt, mußte den mächtigen Dampfer – »Le Nouveau Monde« – verlassen, und gleich darauf setzte er sich in Bewegung, und schwerfällig, mit sehr tiefer Ladung, gingen wir in See.

Der Dampfer hatte in der Tat eingenommen, was er nur Fracht laden konnte, und doch noch, ich weiß nicht wieviel Säcke Kakao und andere Güter zurücklassen müssen, aber auch den Bauch voll Kohlen; denn wir verbrauchten täglich 84 Tons (à 2000 Pfund) Heizungsmaterial, und da die Reise jedenfalls vierzehn Tage dauerte, aber ein viel größerer Bedarf, der Sicherheit wegen, mitgenommen werden mußte, läßt es sich denken, daß er schwer geladen ging.

»Le Nouveau Monde« war überhaupt kein Schnellläufer, und selbst später erleichtert und mit der besten Brise, brachte er nicht mehr als 11 Meilen und einen Bruchteil zuwege.

Die Passagiere boten die wunderlichste Mischung aller Nationen, die man sich nur auf der Welt denken kann. Von Surinam hatten wir eine Anzahl holländischer Offiziere und Beamten, meist mit ihren Familien, an Bord, von Cayenne Franzosen, von Demarara zwei Engländer, dann Amerikaner, eine Anzahl Deutsche und außerdem Venezuelaner, Neugranadenser, Peruaner und Bewohner der westindischen Inseln, wie eine wahre Unzahl von Italienern. Das war denn auch ein ewiges Sprachgewirr, und man wußte zuletzt manchmal selber nicht, was man eigentlich sprechen sollte. Ich bin übrigens stets viel lieber an Bord eines französischen als englischen Dampfers, und nach den deutschen sind sie mir die liebsten. Unter den Offizieren findet man gewöhnlich prächtige und auch umgängliche Menschen – unser Arzt besonders war ein liebenswürdiger und dabei tüchtiger Mann. Nur mit der französischen Küche kann ich mich nicht befreunden.

Kein Dampfboot der Welt kann besseres Fleisch mitnehmen, als wir an Bord hatten, und zwar in reichlicher Quantität junge, fette Rinder, Hammel und Schweine, wie Geflügel in Masse. Das wird aber alles so lange geklopft, zerschnitten und zerhackt und mit den verschiedensten Saucen ungenießbar gemacht, bis man zuletzt gar nicht mehr weiß, was man ißt, und es noch viel weniger schmeckt – und dann erst die Speisezettel und das lange Beitischsitzen, wo jedes Gemüse einzeln herumgegeben wurde und hierauf, eine halbe Stunde später, der Braten kam.

Diners spielen übrigens bei mir eine sehr untergeordnete Rolle. Da es viel gab, fand ich aber immer zwei oder drei Schüsseln, die mir schmeckten, und an diese hielt ich mich mit einem auf See erst wiedergefundenen, ganz vortrefflichen Appetit.

Wir machten durchschnittlich etwa 260-264 Meilen den Tag, nur in den letzten Tagen 268 und ein einzigesmal 270. Eine sehr angenehme Unterbrechung der etwas monotonen Fahrt lieferten uns übrigens die Azoren, durch die wir am Tage kamen und deshalb den schmalen, aber nächsten Kanal benutzen konnten.

Die Inseln boten einen reizenden Anblick, besonders das bis zu seinen Höhen kultivierte Fayal, dessen Hauptstadt sich uns mit einem wirklich szenischen Effekt erschloß.

»Das ist gerade wie eine Dekoration in der Komischen Oper zu Paris!« rief ein Franzose aus, als wir um Fayals Spitze herumbogen und hinter einem riesigen Felsblock vor uns die Stadt plötzlich wie aus dem Meer emportauchte. Es war in der Tat prachtvoll, aber der Franzose hatte wahrhaftig recht, es glich mehr einer Dekoration, als einer wirklichen Stadt, da sämtliche Gebäude und Kirchen, mit dem gleichförmigen grünen Hintergrund, genau so aussahen, als ob sie frisch geweißt und eben erst fertig geworden wären.

Den Pico der Azoren – wir gingen zwischen Fayal und Pico durch – bekamen wir nur zweimal und dann auch nur auf Momente zu sehen, da wie gewöhnlich Wolken darüber lagen.

Am 14. Tage, mit ziemlicher Pünktlichkeit, kamen wir endlich in Sicht von Land, nachdem wir das Biscayische Meer lammfromm gefunden und gekreuzt hatten. Es war die Insel Belle Isle vor dem Hafen St. Nazaire und drei Stunden später rollte, auf europäischem Boden, der Anker wieder in die Tiefe.

 

Ende.


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