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27. Carácas

So oft ich auch in meinem Leben ein fremdes Land oder eine fremde Stadt erreichte, machte ich mir immer – wenn das nicht schon früher geschehen war, im Geist ein Bild davon, um zu sehen, ob es dem in Wirklichkeit Wohl nahekommen würde; ich muß aber gestehen, daß es sich auch nicht ein einziges Mal völlig bewährte – es war immer anders, als ich es mir gedacht. Ich fand mich entweder enttäuscht oder auch meine Erwartungen weit übertroffen, jedesmal aber sicher eine ganz andere Szenerie, als ich sie erwartet und mir ausgemalt.

Caracas, als alte spanische Stadt, hatte ich mir mit breiten Straßen, niederen, flachen Häusern und von reicher Vegetation umgeben gedacht. In der Vegetation hätte ich mich nun auch, soweit es die benachbarten Täler betraf, vielleicht nicht geirrt, aber davon war in der Stadt selber natürlich nichts zu sehen, und hier warf das erste Betreten derselben augenblicklich alle früheren Ideen über den Haufen. – Gasbeleuchtung! – Wo hätte ich an Gasbeleuchtung gedacht, wenn ich mich in Gedanken mit Caracas beschäftigte – die Häuser waren allerdings niedrig, aber nicht mit flachen azoteas wie in den spanischen Städten, sondern mit schrägen, ziegelgedeckten Dächern – und die Straßen kamen mir so schmal und doch wieder bekannt vor, als ob ich schon einmal in meiner Kindheit hier gewesen wäre, wo uns der Raum ja überall viel größer scheint, und ich nun die früher erhaltenen Eindrücke noch im Gedächtnis hätte.

Die Stadt hat aber in der Tat eine ungemeine Ausdehnung, denn lange, lange Zeit ritten wir, die geraden Straßen entlang, über das Pflaster, bis wir endlich – meine Reisegefährten waren schon vorher an einem Hotel abgestiegen – die freundliche Wohnung Herrn Rothes, der hier mit seiner jungen deutschen Frau und einem kleinen allerliebsten Jungen hauste, erreichten.

Wunderliches Leben, das ich so führe und fast ein Menschenalter hindurch geführt habe – abwechselnd genug aber, das muß wahr sein! Aus dem traurigen Schiffsleben heraus zuerst in jede nur mögliche Bequemlichkeit hinein, und hier wieder in dem traulichen Familienkreis guter Menschen, um nach wenigen Tagen aufs neue in die Wildnis einzutauchen. Aber ich bleibe wenigstens meinem Grundsatz treu: ich genieße, was sich bietet, und mache mir wegen des Kommenden keine Sorge, und dadurch habe ich besonders den Vorteil, daß ich mir nie eine fröhliche Stunde durch höchst nutzloses Grübeln oder Plänemachen verderbe.

Übrigens hatte ich wirklich nicht geglaubt, daß ich in Caracas so viele Deutsche finden würde, als sich wirklich in den nächsten Tagen herausstellte, denn eine prächtige Gesellschaft aus allen Klassen und Geschäftszweigen stellte sich zusammen, und die kurze Zeit, die ich da oben in der freundlichen Stadt verlebte, verging mir wirklich wie im Fluge. Hier in Caracas fand ich aber das nämliche, was mir schon in La Guayra aufgefallen, daß sich nämlich so viele Deutsche mit Kreolinnen, d. h. von spanischen Eltern oder Großeltern dort im Lande geborenen Damen, verheiraten, die glücklichsten Ehen führen und eine Anzahl von reizenden Kindern um sich her aufziehen. Ich habe wirklich in keinem Lande so viel hübsche Kinder gefunden wie gerade in Venezuela – und trotzdem bleiben unsere Landsleute dabei Deutsche. Das ist aber in allen südamerikanischen Republiken der Fall, denn im nordamerikanischen Element geht der Deutsche auf. Die Kinder wenigstens verschmelzen mit demselben und haben das Wort dutchman so oft im Munde wie irgend ein Yankee. Im spanischen aber erhält sich das deutsche Element und gewinnt sogar nicht selten das Übergewicht.

Die gebildeten Familien Venezuelas stehen übrigens auch Europa viel näher als irgend ein anderer Teil des südlichen amerikanischen Kontinents, wie sie ihm ja auch schon durch ihre Lage näher gerückt sind. Sehr alte Venezuelaner haben – und sogar mit ihren Frauen – »das alte Land« besucht, sprechen Französisch oder Englisch, ja selbst Deutsch, und neigten sich überhaupt mehr den Fremden zu, wie sie auch gern mit ihnen verkehren.

Häufig findet man in Gesellschaften der Venezuelaner fast alle Nationen vertreten, und die Kinder aus solchen gemischten Ehen, wenn sie auch natürlich schon durch die Schule lieber Spanisch als eine andere Sprache reden, schämen sich doch nie, von fremden Eltern abzustammen, und geben sich, wenn herangewachsen, sogar Mühe, die Sprache derselben nicht zu verlernen.

Caracas selber hat nicht allein sehr viele deutsche Kaufleute, und unter ihnen mit die angesehensten des Landes, ebenso wie La Guayra und Puerto Cabello, sondern auch viele deutsche Handwerker gibt es dort. Merkwürdigerweise aber nicht einen einzigen deutschen Arzt, und selbst nur einen einzigen in La Guayra, der aber kaum noch zu den Deutschen gerechnet werden kann, wie er auch sehr wenig mit ihnen verkehrt. Deutsche Apotheken sind mehrere dort.

Ebenso hörte ich die Klage, besonders in Caracas, nach guten deutschen Schustern und Schneidern, die dort, wenn sie ihre Arbeit aus dem Grunde verständen, gewiß ihr gutes Brot verdienen würden.

Die Umgebung von Caracas ist wirklich wunderbar schön, wenn auch nicht gerade echt tropisch, denn Palmen kommen nur in einzelnen Exemplaren vor, und die Kokospalmen tragen dort auf 3000 Fuß über der Meeresfläche nur sehr selten Früchte. Kaffee, Zucker und Bananen gedeihen aber doch – nur keinen Bambus sah ich, und ihn auch nirgends auf irgend einer Hacienda verwandt. Möglich, daß das Land zu hoch und trocken dafür liegt. Leider fand ich Venezuela jetzt nicht in seinem frischen und prächtigen Grün, wie es schon wenige Wochen nach der Regenzeit herausbricht. Die lange Dürre hatte sogar von vielen Bäumen die Blätter so total herabgeworfen, daß sie so kahl dastanden, wie bei uns im Winter. Auch der Boden zeigte nirgends junges Gras und sah an den Hängen gelb und welk aus. Überblickt man aber das weite Tal, durch welches die Guayra aus den Bergen plätschert, dann kann man leicht erkennen, wie üppig das alles hier aufblühen muß, wenn erst einmal die Wolken ihre Schleusen öffnen.

Aber ich genoß auch die Gegend, und zwar machte ich mit den dort gewonnenen deutschen Freunden ganz prächtige Spazierritte in die Umgegend, die nach allen Richtungen hin und selbst in dieser Jahreszeit, wunderhübsche Punkte bietet. Bald ging es an Kaffeepflanzen und reichen Hacienden mit wahrhaft prachtvollen alten Bäumen hin, bald zu alten Ruinen hinaus, aus der spanischen Zeit – verfallen und verlassen, wie sie von ihren früheren Herren und den Herren des Landes geräumt wurden, bald an dem kleinen Strom Guayra hinauf bis zu dessen Ursprung, d. h. bis zu der Stelle, wo er von zwei anderen kleinen Bächen gebildet wird und mit diesen ein überaus fruchtbares Tal durchfließt. – Gerade dort draußen lag aber auch der Negergeneral Colina, die Geißel der Provinz und von dem Volk El Colera, genannt, mit seinen Regierungstruppen, und das Herz mußte selbst einem bluten, wenn man sah, wie dies schöne Land Lurch eine erbärmliche und gewissenlose Regierung mißhandelt, ausgesogen und zertreten wurde. – Die Gegend war ja wunderschön – überall hoben sich die malerisch geschnittenen Bergkuppen empor, überall spannte sich der blaue, klare Himmel. Hier blitzte der kleine, muntere Strom durch ein Dickicht von wildem Rohr und Weiden, dort im Tal lagen die fruchtbaren Hacienden, mit ihren hellgrünen Zuckerfeldern und lichten Wohngebäuden – aber dicht an der Straße war alles Verwüstung, als ob ein Heuschreckenschwarm über ein Maisfeld geraten wäre – und wohl hatten die Herren hier auch wie die Heuschrecken gewirtschaftet.

Überall am Wege trafen wir Soldatentrupps von drei oder vier Mann, die bald kleine Herden von Rindern, bald einzelne – und natürlich gestohlene – Stück Vieh vor sich hertrieben. Den armen Leuten hatten sie es weggenommen, wo sie es bekommen konnten, und verwünscht wenig fragend, ob die Familie vielleicht nur die eine Kuh hatte und davon lebte, oder ob sie es aus einer großen Herde nahmen. – Es gab wohl eine Konstitution im Lande, aber kein Gesetz; der Negergeneral Colina regierte dort, wo er gerade mit seinen Banden lagerte, und von ihm gab es keine Apellation an ein höheres Gericht. – Auch die am Wege liegenden Felder waren total verwüstet worden, und Mais und Zuckerrohr durch Pferde oder Lasttiere abgetrieben. Ja, schon in die entfernteren Hacienden machten die Soldaten jetzt Exkursionen und brachten Eselladungen von Futter – und Futter wie Esel waren gestohlen – aus dem Tal herauf.

Den traurigsten Anblick boten aber – wenn die Burschen auch selber pittoresk genug aussahen – die kleinen Ortschaften, die wir auf unserem Ritt passierten, denn von vier Häusern waren immer drei verschlossen und verlassen. Wer hätte auch zwischen dem Gesindel hausen mögen, wenn er überhaupt fortkommen konnte! In den übrigen Wohnungen hatten sich aber die Soldaten selber eingerichtet, lagerten vor den Türen, ihre Gewehre neben sich lehnend, oder amüsierten sich mit Kartenspiel, bettelten uns aber auch gewissenhaft an, wo sie nur irgend Gelegenheit dazu bekamen. – Unterwegs begegneten wir dem General Colina zu Pferde. Er selber, ein richtiger Neger, kam mit einem braunen und einem gelben Adjutanten, beide auf Maultieren und eine hübsche Gesellschaft zusammen, aus der Stadt zurück – und sah unzufrieden und mürrisch genug aus. Er hatte wahrscheinlich für seine Offiziere – denn die Soldaten bekamen überhaupt nichts – Geld haben wollen und dafür, wie gewöhnlich, eine Anweisung auf das Zollamt erhalten.

Es war das eine Eigentümlichkeit jenes Präsidenten Falcon, daß er eben alles für sich selber gebrauchte, denn nicht einmal die Soldaten, die ihn doch noch für eine kurze Zeit in seiner Stellung behielten, konnten den ihnen schuldigen Sold bekommen und mußten sich, was sie zum Leben nun einmal notwendig brauchten, auch persönlich stehlen. – Der Präsident stahl nur für sich selber.

Ganz ähnliche Zustände herrschten in der Hauptstadt, und es war eine Heidenwirtschaft, die aber wahrhaft komisch wurde, wenn ein Ministerium abtrat und ein neues, auch mit einem neuen Beamtenschwarm, wieder anzog. – So – nur um ein Beispiel anzuführen, nahmen die Sekretäre im Ministerium, wenn sie ausgetrieben wurden, nicht allein sämtliches – doch auf Kosten oder Kredit des Staates angeschaffte Papier, Kuverts und Federn, sondern auch die Tintenfässer, ja, in einzelnen Fällen sogar die Tischdecken und ihre Stühle mit, und die neuen Beamten, mit keinem Centavo in der Kasse und ebensowenig Kredit, mußten zusehen, wie sie sich nach und nach wieder neues Material beschafften. – Das klingt in der Tat unglaublich, ist aber nichtsdestoweniger wahr und mag ein Bild von dem Zustande geben, der in allen diesen Republiken, bei ihrem steten Regierungswechsel, herrscht.

Einer der freundlichsten Spazierritte war, aus Caracas hinaus, durch die Kaffeeplantagen, die schon unmittelbar an der Stadt beginnen und in jetziger Zeit allerdings ein wenig eingetrocknet aussahen. Der Kaffee wird hier ebenfalls unter Schattenbäumen angepflanzt, was einer solchen Plantage fast etwas Europäisches gibt, da sie einem angelegten Walde gleicht; die niederen Kaffeebäume bilden dann darin das Unterholz. – Hier draußen war denn auch der Versuch gemacht – kühn genug, wenn man die Verhältnisse in Venezuela bedenkt, eine Eisenbahn nach einem nicht sehr entfernten Punkt anzulegen und sie dann, wenn sich das Geschäft rentieren sollte oder ruhige Zeiten blieben, weiter fortzuführen. – Ruhige Zeiten in Venezuela!

Ich war in der Tat erstaunt, als ich von weitem schon eine Lokomotive erkannte und die Personenwagen droben auf einem erhöhten Perron halten sah – die Bahn lief auch von dort aus ab – aber der Zug nicht mehr, und als wir näher hinankamen, entdeckte ich etwas, was ich in meinem ganzen Leben nicht für möglich gehalten hätte – einen mit roten Ziegeln gedeckten Personenwagen.

Ich hatte gelacht, als ich in Arkansas mit Schindeln gedeckte Waggons fand – und hier waren es Ziegel. Es sah in der Tat zu komisch aus, und aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieser Waggon auch ein Unikum in der ganzen Welt, und Barnum in New York sollte ihn sich nicht entgehen lassen. Der Anblick war wirklich zu kostbar – ein Waggon mit Ziegeln, so daß er aussieht wie ein Stall oder Waschhaus, übrigens wird er ja auch jetzt nicht mehr gebraucht und – wie mir gesagt wurde – nur manchmal von Nachtwächtern zur Schlafstelle benutzt. – Die Eisenbahn selber, die früher weiter nichts als eine Probefahrt auf einige Leguas gemacht, war nie ausgebaut worden. – Eine Kasse befand sich in dem Bahnhofsgebäude ebenso gut wie im Finanzministerium in Caracas, aber ebenso leer wie dort. – Es war kein Geld dagewesen – das schon Hergestellte zerfiel wieder, das Material verfaulte oder verrostete, und auch diese Arbeit, wie alles übrige, sollte den Nachkommen aufgehoben werden, damit sie doch etwas zu tun vorfänden.

Schon in La Guayra war mir von den dortigen Freunden geraten worden, jedenfalls die stille oder Karwoche in Caracas zuzubringen, da ich dann die Stadt in vollem Glanze sehen würde. Das hatte ich denn auch nicht versäumt und durfte es später nicht bereuen, wenn mir auch von allen Seiten versichert wurde, daß gerade in diesem Jahr, der gedrückten politischen Verhältnisse wegen, das Fest verhältnismäßig still vorüberginge. Es war das erstemal, daß ich eine ›heilige Woche‹, semana santa, in einer südamerikanischen Stadt zubrachte. Nur einmal hatte ich sie auf der Mission Dolores bei San Francisco verlebt, sonst war ich jedesmal, wenn gerade auf Reisen, in der Zeit auf See herumgeschwommen.

Schon am Montag beginnen unter Glockengeläute, was aber am Donnerstag und stillen Freitag schweigt, die Feierlichkeiten. Man sah überall auf den Straßen Damen im höchsten Staat, die nach den verschiedenen Kirchen, besonders nach der Kathedrale, strömten, und nachmittags um fünf Uhr begann die erste Prozession, die vor dem Palast des Erzbischofs vorbeizog und sich dann auf ihrem festbestimmten Weg durch einzelne Straßen bewegte, bis sie abends wieder in die Kirche, von wo sie ausgegangen, zurückkehrte.

Mir waren diese Prozessionen etwas Neues, und ich muß gestehen, daß ich sie mit großem Interesse, wenn auch vielleicht nicht mit der nötigen Andacht, beobachtete. Jeder dient seinem Gott auf verschiedene Weise, und ich wäre gewiß der letzte, der über die Form eines anders Denkenden die Nase rümpfte. Lasse man jedem Menschen seinen Glauben, wenn er dem nur treu und mit offenem Herzen angehört. – Haben diese Prozessionen aber wirklich viel mit dem wahren Glauben zu tun, wenn der äußere Prunk nur die Hauptsache zu sein scheint? – Es ist Sitte in Caracas, daß die Damen in dieser Woche an jedem Tag ein anderes und neues Kleid tragen; der höchstmögliche Staat wird dabei entfaltet, die größte Pracht an Tagen zur Schau getragen, die den wirklichen Christen in der Erinnerung an das Geschehene nur mit tiefer Trauer erfüllen sollten – und wie schminken sich die bildhübschen Gestalten, und was für entsetzlich lange Schleppen ziehen sie durch den Staub!

Doch was nützen die Reflexionen; sie ändern die Welt nicht, und mag die Form so wunderbar sein, wie sie will, wenn man nur, was man zu glauben vorgibt, auch wirklich glaubt und nicht nur allein den äußeren, leeren Schein beobachtet, so denke ich, daß sich dann doch wohl später ein jeder mit seinem Gott und seinem eigenen Gewissen abfinden wird.

In Mexiko sind sämtliche Prozessionen außerhalb der Kirche untersagt, wie auch die Priester dort in ihrem Ordensgewand oder in ihrer geistlichen Tracht nicht über die Straße gehen dürfen. Hier in Venezuela blühen sie noch in voller Pracht, und die ganze Umgegend strömt in der heiligen Woche nach der Hauptstadt, um das Schauspiel mit anzusehen.

Ich hatte mich mit einigen Freunden an einer Ecks postiert, wo der Zug vorbeikommen mußte, und wir sahen schon, gar nicht weit entfernt, die vorgetragene Fahne und dichtgedrängte Menschenscharen. Auch die vergitterten Fenster dort waren überall mit geputzten Damen und reizenden Kindern gefüllt. Trotzdem dauerte es eine sehr lange Zeit, bis der Zug herankam, der sich nur entsetzlich langsam fortbewegte. Die Prozession geht Schritt für Schritt und braucht zu einer Cuadra, also einer Entfernung von etwa 900 Fuß, reichlich eine halbe Stunde; es blieb uns deshalb genügend Zeit, uns in der Nachbarschaft ein wenig umzuschauen, und ich muß wirklich gestehen, daß ich lange nichts Interessanteres gesehen habe.

Caracas ist eigentümlich gebaut, wie ich schon vorhin erwähnt habe – allerdings im ganzen wohl nach altspanischer Art, aber doch auch wieder mit manchen Neuerungen, die dem Charakter der Bewohner mehr entsprechen. Die Häuser selber liegen fast alle – wenigstens die besseren, in einem Quadrat, das einen kleinen freundlichen, mit Blumen bepflanzten Hofraum einschließt. Allerdings ist dieser entweder mit viereckigen Backziegeln oder auch gar mit Marmorplatten gepflastert, aber für Blumen hat man an bestimmten Stellen Öffnungen gelassen, denn der Venezuelaner liebt das Grüne – und an den Seiten, im Hofraum, sind ebenfalls eiserne Ringe befestigt, um die stets gebrauchten Pferde daran anzubinden.

Hinten liegen gewöhnlich die Schlaf- und Wirtschaftsräume, die ersteren auch wohl an den Seiten, vorn aber sind die Wohn- und Gesellschaftszimmer – hoch und luftig gebaut, da sie die ganze Höhe des Hauses einnehmen, und die Fenster, da man im Parterre doch nicht gut einen Balkon haben kann, mit nach vorn wohl einen Fuß auslaufenden und oft sehr elegant gearbeiteten eisernen Gittern versehen. – Es gibt freilich auch zweistöckige Häuser in Caracas, aber sie sind selten.

Diese vorgeschobenen Gitterfenster haben nun allerdings etwas ungemein Bequemes für die Inwohnenden, denn sie können darin wie in einem Balkon sitzen und die Straße hinab oder hinauf sehen. Für die ohnedies schmalen Trottoirs sind sie aber nichts weniger als angenehm, denn wenn nur zwei Menschen nebeneinander gehen, muß der an der äußeren Seite bei jedem Fenster mit einem Fuß auf die Straße treten. An diesem Tage aber war ich den Gittern gut, wenn ich mich auch vorher manchmal über sie geärgert haben mochte, denn da man genau vorher wußte, welchen Weg die Prozession nahm, so hatte sich in den dafür bestimmten Straßen die ganze schöne Welt Venezuelas – die darin wirklich Außerordentliches leistet – an den Fenstern versammelt, und Gruppen habe ich da gesehen, so schön, wie sie die reichste Phantasie des Malers nicht schöner auf die Leinwand zaubern könnte. – Besonders die Kindergruppen an manchen Fenstern waren zu lieb – manchmal sechs oder sieben der kleinen reizenden Wesen, mit den schwarzen Locken und Augen und dem blendend weißen Teint, hinter einem Gitter, und dazwischen die Mütter, denen man die Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, daß sie manchmal noch hübscher oder doch ebenso hübsch aussahen wie ihre Kinder.

Allerdings traf man auch wohl dann und wann, wenn man die Straße hinabschlenderte, auf ein solches Gitterfenster, hinter dem ein paar alte Megären mit ihrer Zigarre im Munde saßen, so daß das ganze Haus einer Menagerie glich, in der ein paar gefährliche Bestien sicher hinter Eisenstäben gehalten und verwahrt wurden; aber die Lichtseiten waren viel häufiger als die Schattenseiten und überstrahlten sie vollkommen.

Es wurde jetzt Zeit, daß wir unsere Plätze einnahmen, denn die Prozession kam näher und näher, und die Zuschauer, unter denen sich aber auch die geputztesten Damen befanden, sammelten sich schon an den nächsten Ecken. – Dem Zug voran kam Musik, die einen Trauermarsch spielte, und hoch über dem Volk empor ragte dabei eine Art von Tisch, auf dem, von Menschen getragen und von hohen Glasvasen und Windlichtern umgeben, eine lebensgroße Gruppe von drei Figuren stand, die prachtvoll gekleidet und mit Goldstickereien bedeckt waren. Sie stellten Christus vor, dem der Engel den Leidenskelch reicht, während neben ihm eine andere Gestalt, wahrscheinlich Johannes, stand. Über den Tisch, den Figuren als Teppich dienend, hing eine schwersamtne, reichgestickte Decke, die nur vorn von einzelnen Leuten emporgehoben wurde, damit die darunter befindlichen Träger hinlänglich Luft und Licht bekamen.

Über den Geschmack läßt sich nicht streiten, auf mich machte aber die ganze Gruppe keinen erhebenden Eindruck. Die Gestalten waren gut ausgeführt, aber nicht in der Tracht jenes Zeitalters, und überladen mit langen goldgestickten Gewändern. Eine solche Unmasse von Glasvasen und Buketts und Silber- und künstlichen Blumen umgab dabei die Gruppe, daß das Ganze eher einer wandelnden Glashandlung als einer zur Verehrung bestimmten bildlichen Darstellung glich. An den Vasen hingen außerdem eine Unzahl geschliffener Glasstücke, die fortwährend klingelnd zusammenstießen, und schwankend bewegte sich das Ganze auf den Köpfen der Träger, wie sie den rechten oder linken Fuß niedersetzten. Neben dieser wie den nachfolgenden Gruppen gingen einzelne Soldaten mit aufgestecktem Bajonett – zu welchem Zweck, weiß ich nicht, denn zur Verzierung sehen die Soldaten von Venezuela nicht hübsch genug aus, und zum Schutz der Prozession sind sie auch nicht nötig, denn es würde sicherlich niemand wagen oder auch nur daran denken, sie zu stören.

Dieser ersten Gruppe folgte eine zweite Figur – der Apostel, aber ich konnte nicht bestimmen welcher, da er keine Insignien trug. Dann kam die heilige Veronika, in einem schweren, goldgestickten Samtkleid und langer Schleppe, ein feingesticktes Taschentuch in der einen, ein silbernes Blumenbukett in der anderen Hand haltend.

Hinter dieser kam eine Gruppe von drei Aposteln, Petrus, Paulus und ein dritter, den ich nicht erkennen konnte. Petrus hatte als Abzeichen den Hahn vor sich und ein Schwert in der Hand.

Die letzte Figur war die Jungfrau Maria in schwerem Lila-Samt, reich mit Gold gestickt und mit hinten herunterhängender Schleppe gekleidet, in der Brust einen Dolch, um ihr Herzeleid anzudeuten. – Den Zug schloß ein kleines Pikett Soldaten, bei dem leisen Anschlag der Trommeln, als ob sie einen Kameraden zu Grabe geleiteten.

Bis dahin hatten wir Tageslicht gehabt; jetzt wurde es zu dunkel, um die Figuren der Prozession noch deutlich erkennen zu können, und der Zug hielt, wie er uns eben passiert hatte, damit vorher die Windlichter angezündet wurden. – Ob das nicht besser gleich in der Kirche geschehen wäre, weiß ich nicht, mir aber kam es fast wie Blasphemie vor und machte eher einen komischen als ernsten Eindruck, daß jetzt ein gewöhnlicher Peon oder Arbeiter in Hemdsärmeln hinter der Jungfrau Maria auf den Tisch kletterte, ihr natürlich auf der Schleppe herumtrat und sich Streichhölzchen, die der Luftzug immer wieder auswehte, an den verschiedensten Stellen in Feuer brachte – bis es ihm endlich gelang, die sämtlichen Windlichter anzuzünden. Dann setzte sich der Zug aufs neue in Bewegung.

Am Dienstag war eine ähnliche Prozession, aber, weiter in der Leidensgeschichte fortgehend, die durch diese Figuren die Woche hindurch zur Anschauung gebracht werden soll, nur daß man mit allem einen Tag früher erscheint, weil am Karfreitag Christus schon im Sarge liegt und damit das Ganze abschließt. Am Donnerstag wird er deshalb am Kreuz herumgetragen.

Am Dienstag erschien die heilige Magdalena, die ich mir aber, nach den alten Ölgemälden, anders gedacht. Sie war ebenso prachtvoll und mit Stickereien bedeckt gekleidet wie die übrigen Gestalten.

Einer der Haupttage ist der Mittwoch, wo Christus das Kreuz trägt.

Die Gestalt, die den Heiland vorstellen sollte, trug einen richtigen Schlafrock aus dunkelrotem Samt, mit Gold fast überladen und mit schweren, goldenen Troddeln an dem Gurt um die Hüften. Hinter ihm stand eine andere Figur, etwas bunt, mit einem kurzen spanischen Mantel, aber ebenfalls vollständig neugekleidet, und hob das untere Ende des Kreuzes. Noch mehrere Gestalten folgten nach, die letzte war aber wieder die Jungfrau Maria in aller Pracht, die Dornenkrone in der Hand, und heute sieben Dolche in der Brust.

Allgebräuchlich ist es, daß, wo die Jungfrau vorübergetragen wird, die Damen, selbst hinter den Fenstern, von ihrem Sitz auf die Kniee niedergleiten und dort liegen bleiben, bis ihnen das Bild den Rücken wendet. Daß die Männer, sowie sie die Prozession erreicht, den Hut ab- und die Zigarre aus dem Mund nehmen, versteht sich von selbst. Ich habe aber keinen von ihnen niederknieen sehen, und bei der übrigen Prozession wird ruhig fortgeraucht.

Eigentümlich bei dieser Prozession ist ein Trupp von verkleideten Männern und Knaben, die dem Zug voraus eine Fahne mit den römischen Buchstaben S. P. Q. R. tragen. Sie haben ein Gewand ähnlich den Mönchkutten, aber aus Steifleinwand, und scheinen sich vortrefflich dabei zu amüsieren. Der Volkswitz, der sich wenig um das S. P. Q. R. der alten Römer kümmert, behauptet, die vier Buchstaben bedeuteten: San Pedro quiere Reales, d. i. St. Petrus wünscht kleines Geld. Am Donnerstag, ganz mit den bisherigen Feierlichkeiten, wird Jesus am Kreuz herumgetragen, und der Tag ist ziemlich dasselbe wie bei uns der Karfreitag. Keine Glocke darf dann mehr geläutet werden, und am stillen Freitag hat die Prozession ihren Höhepunkt erreicht. Alle Damen erscheinen dabei in schwarzer Kleidung, und schon von Mittag zwölf Uhr an bewegt sich die Prozession, die heute den Sarg des Heilandes mit sich führt, durch die Straßen. Am Sonnabend dagegen, und man sieht, daß die ganze Feier eigentlich einen Tag der wirklich angenommenen Zeit voraus ist, feiern alle Glocken die Auferstehung des Herrn, und die schöne Welt zieht dann das prächtigste Gewand an, das sie besitzt.

In diesen drei letzten Tagen sind die Kirchen morgens mit Andächtigen gefüllt, obgleich ich selber auch nicht die Spur von Andacht darin entdecken konnte. Dis kirchlichen Formen gehen allerdings ihren gewöhnlichen Gang oder werden auch vielleicht noch mit größerer Feierlichkeit verrichtet, aber die Menschen – scheinen aus einem ganz anderen Grund in die Kirche gegangen zu sein, als um darin zu beten.

Das Schiff der Kirche und den ganzen inneren Raum der verschiedenen Abteilungen füllen allein die Damen aus, die – den Freitag ausgenommen – in ihrem höchsten Staat, und oft ganz unnatürlich geschminkt, nicht dort auf den Knieen liegen, denn das würden sie auf die Länge der Zeit nicht aushalten können, sondern in Reihen und kleinen Gruppen auf den Steinen, die Füße dabei untergeschlagen, sitzen und die in den Gängen herumgehenden Herren mustern oder auch Begrüßungen mit ihnen wechseln, sich aber dabei fortwährend Bemerkungen über den Staat ihrer Nachbarinnen mitteilen.

Dort mit dem Rücken an den einen Altar gelehnt, sitzen ein paar alte Damen, die sich augenscheinlich über das alte Kleid einer vor ihnen kauernden jungen Dame unterhalten und höchst entrüstet darüber scheinen. Sie zeigen sogar dann und wann mit den Fingern auf einzelne Teile desselben und bekreuzigen sich dazwischen bei dem Ton einer kleinen Glocke oder anderen Perioden des Gottesdienstes.

Auch die Jugend dringt in die Kirche. Ein paar ziemlich abgerissene Jungen der untersten Klassen machen sich das Vergnügen, mit den nackten, schmutzigen Füßen zwischen den Damen herumzugehen, die mit ihren langen Kleidern zwischen sich einen ununterbrochenen Teppich bilden. Die jungen Damen werfen ihnen freilich zornige Blicke zu und suchen ihre Kleider fortzuziehen, aber es ist, des reichhaltigen Stoffes wegen, unmöglich, und Lärm dürfen sie natürlich nicht machen, während die unverschämten Jungen nicht die geringste Notiz von ihnen nehmen. Alle Farben und Rassen sieht man dabei in der Kirche vertreten, und ein Unterschied zwischen Schwarz und Weiß wird natürlich im Hause Gottes nicht gemacht. Übrigens kleiden sich die schwarzen Damen weit einfacher als die Weißen, was aber wohl schwerlich aus Neigung und Frömmigkeit, sondern nur deshalb geschieht, weil es – die Mittel nicht erlauben.

Den Karfreitag verbrachte ich nicht in Caracas, sondern in La Guayra, weil ich meinen Reiseplan geändert hatte und gern am Ostersonntag wieder in der Hauptstadt sein wollte. Man hatte mir nämlich in Caracas von den verschiedensten Seiten abgeraten, die Tour nach dem Orinoco durch Barcelona und die dortigen Llanos direkt nach Bolivar zu machen, sondern viel lieber von hier aus die allerdings wohl weitere, aber auch lohnendere Reise nach dem Apure und diesen hinab in den Orinoco hinein zu versuchen. Ich durchschnitt dabei die besten Jagdgründe Venezuelas und bekam auch viel mehr und Wichtigeres von dem Lande zu sehen.

Am Karfreitag morgen fuhr ich deshalb wieder, diesmal mit der Diligence, wozu sie etwa drei Stunden gebraucht, zu Tal, um dort mein Gepäck zu ordnen, meinen alten Koffer wieder einmal voraus nach der Insel Trinidad zu senden und dann zuzusehen, wie ich auf einem kleinen Umweg von einigen hundert Leguas hinter ihm herkäme.

Der Weg da hinab ist allerdings in dieser Jahreszeit außerordentlich staubig, aber auch wunderhübsch – die Kutscher fahren dabei wie toll an dem durch kein Geländer geschützten Abgrund hin, und Unglücksfälle sollen auch schon vorgekommen sein – aber wer denkt an so etwas! Entzückend wurde der Anblick, als wir den letzten Hang umfuhren und nun La Guayra, mit dem blauen Meer, in aller Pracht, die eine tropische Sonne nur darüber ausgießen konnte, vor uns liegen sahen.

In Herrn Schröders gastlichem Hause wurde ich wieder ebenso herzlich aufgenommen, wie das letzte Mal, und verbrachte noch ein paar recht freundliche Tage unter den guten Menschen. La Guayra war freilich gerade jetzt, im Verhältnis gegen Caracas, wohin sich in dieser Zeit alles drängt, still, und selbst eine Menge Besuch von der Hafenstadt fort- und hinaufgezogen. Nichtsdestoweniger wurde das Fest auch in den hiesigen Kirchen gefeiert. In demselben sind ähnliche Figuren ausgestellt, und abends wurde sogar eine, aber sehr kleine und kurze Prozession gehalten. Die ganze Stadt eignet sich aber auch nicht dazu. Die Straßen sind zu eng und laufen zu steil an dem Hang empor, und dann – ist auch Caracas reicher und kann das Fest schöner ausstatten.

Nachmittags besuchte ich die nächste Kirche, wo eine Menge von Menschen, aber in Alltagskleidern aus und einströmte, weil ich neugierig war, zu sehen, was dort vorging. Es war in der Tat der Mühe wert. In der Kirche wurden nämlich die Vorbereitungen zu der heutigen Aufführung getroffen, und das Ganze erinnerte mich augenblicklich an ein Theater hinter dem Vorhang kurz vor Beginn der Vorstellung. Auf ihren Gerüsten standen schon der Apostel Johannes und die heilige Veronika – auch hier mit dem unvermeidlich gestickten Taschentuche – einander gegenüber. Arbeiter brachten gerade den Sargdeckel des Heilandes, ein kostbares Stück aus Schildpatt, Perlmutter und Silber und mit einer Unzahl silberner Blumen verziert – ein anderer Arbeiter, seine Zigarre im Mund, trug ein paar riesige Blumensträuße, die hier mit schwerem Geld bezahlt werden, herbei – Kinder setzten sich um die Pfeiler herum – einzelne Leute brachten die Kandelaber in Ordnung, andere waren mit dem Sarge beschäftigt, auf welchem die Figur des Heilandes – nicht ganz in Lebensgröße, um die Hüften mit einem gestickten Tuch bedeckt, ausgestreckt lag. Sie war sonst ganz nackt, aber gewissenhaft mit allen den entsetzlichen Blutspuren bemalt und machte einen schauerlichen Eindruck.

Junge Damen kamen und brachten ebenfalls Geschenke – die eine einen prachtvollen Blumenstrauß aus Porzellan –, andere frische Blumen und Bänder, und das schwatzte, lachte und lärmte in dem Gotteshause herum, als ob es sich auf einem wirklichen Theaterboden befände.

Oben wurde indessen der aus großen Glasscheiben bestehende Sarg zusammengeschraubt. Andere zimmerten das etwas beschädigte Kreuz wieder zurecht und stellten es dann auf, und wohin man blickte, lagen »Requisiten« zu der abendlichen Andacht – alle die Marterwerkzeuge: Lanzen, Nägel, Bohrer, Schwamm, aus Holz gedrechselt und teils mit Goldpapier beklebt, bunte und gestickte Tücher und andere ähnliche Dinge.

Hinten in der Kirche stand die Mutter Maria auf ihrem Gestell, und ich bekam dadurch Gelegenheit, sie ganz in der Nähe zu betrachten. Sie trug ein prachtvolles, schweres Samtkleid, nicht allein reich, überreich mit Gold gestickt, sondern auch mit eingesetzten Brillanten, die im Lichte funkelten. Ein schwerer goldener Gürtel, an dem ein Kreuz von demselben Metall prachtvoll gearbeitet hing, umgab ihren Leib, und ein reicher Mantel floß ihr von den Schultern nieder. Niemand bekümmerte sich aber um sie; der Neger mit den beiden Blumensträußen und der Zigarre im Munde ging an ihr vorüber, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und ein paar Stunden später? – Dann liegen die geschminkten Damen vor ihr auf den Knieen, die Herren gehen zwischen ihnen plaudernd und grüßend herum, und die Geistlichkeit feiert den Tod des Herrn, der für uns gestorben.

Es ist ein wunderliches Leben und Treiben in dieser bunten Welt, und wenn man das so alles mit ansieht, wird man manchmal an sich selber irre. Die Natur aber geht ihren alten ruhigen Gang, Sonne und Mond scheinen fort, Tau und Regen fallen, und ein blauer Himmel lacht, Gottes Huld verkündend, gleichmäßig über Sündern und Gerechten.

Sonnabend abend kehrte ich wieder nach Caracas zurück, und meine Rastzeit war jetzt vorüber. Wie wohl hätte ich mich noch eine Zeit lang in Caracas fühlen können, wie freundlich, ja herzlich wurde ich von allen Deutschen dort aufgenommen, aber für mich gab es ja keine Ruhe. Ich war nicht hierher gekommen, um mich wohl zu befinden – was mir so leicht geworden wäre, sondern um das Land kennen zu lernen und meine Vorbereitungen zu dem neuen Marsch zu treffen – und so herzlich die Einladung meines lieben Gastfreundes wie seiner liebenswürdigen Gattin war, noch wenigstens eine Woche oder einen Monat dort zu bleiben, ich durfte keinen Tag länger säumen, denn auch die gewöhnliche Regenzeit rückte scharf heran, und ehe diese eintrat, wollte ich doch noch gern wenigstens die Llanos passieren, die in der Regenzeit oft ganz unpassierbar werden sollen.

Vorbei: Am zweiten Osterfeiertag, der hier aber nicht mehr gefeiert wird, denn mit dem ersten ist das ganze Fest vorbei, benutzte ich eine Gelegenheit – und zwar eine Diligence, die sonst regelmäßig jeden Tag nach der kleinen Stadt Victoria abging, jetzt aber nur zu unregelmäßigen Zeiten, und wenn sich gerade Passagiere fanden, lief, und womit ich wenigstens eine Strecke weit in das Land und auch so ziemlich an die Grenze der Zivilisation kam. Von dort aus wollte ich dann meinen Weg zu Fuß fortsetzen.

Die zweckmäßigste Tour war es jedenfalls für mich, denn ich durchwanderte zuerst das ganze Gebirgsland von diesem Teil Venezuelas bis zur Grenze der Llanos, dann die weiten Ebenen und zuletzt die beiden Stromgebiete des Apure und Orinoco und bekam dadurch jedenfalls den Charakter des ganzen Reiches zu sehen.


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