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16. Die Hauptstadt Mexiko

Ein ganz eigentümliches, aber unstreitig wohltuendes Gefühl war es, mit dem ich in der Hauptstadt von Mexiko einfuhr. Alle die alten Jugenderinnerungen wurden wach – die Gier, mit der ich damals die Eroberung von Mexiko gelesen, und mit welcher Bewunderung ich die Taten des heldenmütigen Cortez verschlungen und mich über den weichmütigen und doch auch wieder heroischen Montezuma geärgert hatte. Cortez war für mich überhaupt und auf lange Zeit, durch die gedankenlosen Schilderungen der Lehrer dabei unterstützt, das wahre Musterbild eines ritterlichen Helden gewesen, bis ich denn freilich später einsehen lernte, daß er viel eher den Titel eines tollkühnen Flibustiers verdiente, der eben kein Mittel in der Welt scheute, um seinem Ehrgeiz und seiner Goldgier zu dienen.

Cortez und Pizarro! Das Blut von Millionen klebt an ihren Händen, und wir sollten uns wohl hüten, in den Schulen die Charaktere solcher Bravos als Musterbild für die Jugend aufzustellen. Aber es sind einmal geschichtliche Figuren geworden, sie haben in fernen Weltteilen »blinde Heiden« zum Christentum bekehrt. Ihre Taten gehörten also in die Heldengeschichte der Vorzeit, und wie ein Professor der Geschichte augenblicklich einen Menschen als Spitzbuben bei der Polizei verklagen würde, der ihm ein halbes Dutzend silberne Löffel stiehlt, so lehrt er an demselben Morgen im Kolleg, daß Cortez, der den armen Montezuma mißhandelte, um von ihm Schätze zu erpressen, ein hoher, edler Charakter gewesen, zu dessen Ruhm er sich sogar begeistert fühlt.

Mexiko macht heutigen Tages nicht mehr den Eindruck eines alten Aztekenplatzes, sondern weit eher den einer, wenn auch spanischen, doch vollkommen modernen Stadt, gut gepflastert, mit eleganten, oft dreistöckigen Häusern, mit regelmäßiger Straßenbeleuchtung und zahlreichem Fuhrwerk, das einen ziemlich regen Verkehr verrät. Aushängeschilder und Firmen decken fast bei allen Gebäuden den unteren Teil, und geschmackvoll ausgestattete und mit hellerleuchteten Spiegelscheiben versehene Schaufenster verraten nur zu deutlich, daß die Fremden den größten Teil der Geschäfte in Händen haben, wie denn auch in der Tat der Import des ganzen Landes hauptsächlich, ja fast allein von deutschen Häusern betrieben wird.

Nach diesem allerersten Eindruck, aus den Fenstern der Droschke heraus, aus denen man allerdings nichts sieht als die Gebäude, die hellen Ladenfenster und den auf den Straßen herumdrängenden Menschenschwarm, würde man aber kaum je auf Mexiko raten, wenn man gefragt würde, wo man sich jetzt befände. Es ist auch nirgends nur die Spur von dem zu sehen, was man sich früher von diesem Platz gedacht, und man bemerkt nur, daß man sich in einer großen, volkreichen Stadt befindet – auch ein angenehmes Gefühl, noch dazu wenn man bedenkt, daß man, noch vor wenigen Stunden fast, auf der staubigen, rauhen Landstraße und dabei fortwährend von Straßenräubern bedroht, herumgeschüttelt wurde.

Ein Hotel ist aber doch, und trotz aller romantischen Erinnerungen, das erste Bedürfnis, dem man entgegenstrebt. – Der seit vielen Tagen mißhandelte Körper verlangt eine Art von Genugtuung – eine kurze Ruhe nach allen bisher ertragenen Strapazen und caminos reales, und man findet sich sogar angenehm überrascht, wenn man plötzlich ein hellerleuchtetes Gebäude, mit Portier, Kellner, Billardzimmer usw., betritt und in dem angewiesenen, ziemlich freundlichen Zimmer statt eines Klingelzuges sogar einen telegraphischen Knopf – die Erklärung in spanischer und französischer Sprache – findet. Auf diesen Telegraphen komme ich übrigens später wieder zurück.

Natürlich legte ich mich an diesem ersten Abend nicht etwa gleich ins Bett, sondern machte noch erst eine Wanderung durch die Stadt und besuchte zwei der kleineren Theater, die um einen Vierteldollar drei bis vier Stunden lang die Zuschauer durch Lustspiele, Ballett ( eine schauerliche Solotänzerin, die in Lebensgröße draußen an der Bude, auf einem Beine stehend, abgebildet ist) usw. ergötzen.

Diese kleinen Theater existieren übrigens, wie es scheint, nur in der Weihnachtszeit und sind auch traurig genug – ich will den Leser wenigstens nicht mit einer Beschreibung derselben ermüden, da er die äußere Ausstattung derselben ganz ähnlich in jedem sehr schlechten deutschen Sommertheater findet. Übrigens mag es sein, daß mich dieser angemalte Kram vielleicht viel weniger angewidert, wenn ich nicht gerade heute, und zwar erst vor wenigen Stunden, das wunderbar großartige Schauspiel eines Sonnenunterganges an den beiden Vulkanen gesehen hätte. Das alles mit seinen prachtvollen Lichteffekten und dem ganzen Zauber seiner Umgebung war noch frisch und warm in der Erinnerung, und damit hätte ich denn auch freilich kein Theater mehr besuchen sollen.

Am nächsten Morgen war mein erster Weg nach der Post, um dort Briefe von zu Hause zu finden; umsonst, mein Name stand nicht auf den langen Listen, die unter dem Buchstaben G nur fast zahllose Gutierres und Gonzales – die Schmidt und Meier Mexikos, zeigten; ich mußte leer wieder abziehen, und nur der, der in einem fernen Weltteile die Brieflisten zum ersten Male rasch und hoffnungsvoll, dann langsam und enttäuscht durchliest – und wie oft ist es mir so ergangen –, kann begreifen, wie mir etwa zumute war.

Ich ging traurig durch die Straße – ich hatte mich so auf den ersten Tag in Mexiko gefreut, eben der Briefe wegen – umsonst – ich schritt sehr langsam auf dem breiten Trottoir hin; an mir vorbei rauschte eine Dame in einem hellblauen Seidenkleid – arme Frau; ich hatte andere Dinge im Kopf, als die anderthalb Ellen schmutziger Seide, die hinter ihr auf dem Pflaster dreinfegten. Ich mußte ihr mitten auf die hübsche Schleppe getreten haben, und da sie rascher als ich ging, so tat es einen heillosen Riß. Ich mochte das Elend aber nicht mit ansehen, sondern drehte mich ab und schritt langsam die Straße wieder zurück. Umsonst – Schleppen gab es überall, und ich fand meine gute Laune erst wieder, als ich etwa sechs oder sieben von ihnen abgetreten und der Erde gleichgemacht hatte. Das söhnte mich ordentlich wieder mit der Menschheit aus; ich brütete nicht mehr still in mich hinein, sondern bekam wieder Augen für meine Umgebung und fand jetzt, daß die mexikanischen Damen noch etwa zwei Jahre in der Mode zurück seien und genau mit einer solchen Energie für etwa zehn Taler Seidenzeug durch den Dreck schleppten, wie es unsere eigenen lieben Damen, die sich jetzt aus jedem beliebigen Regenschirm das hübscheste Kleid machen können, vor der Zeit genau so gemacht.

Übrigens hatte es das Gute, daß ich, in die Gegenwart zurückgerufen, jetzt auch aufmerksamer auf die Damen selber wurde; aber ich wüßte nichts Besonderes darüber zu sagen. Hübsche und interessante Gesichter hatten viele von ihnen; aber wenn ich erzählen wollte, daß sie hinten an den Köpfen ekelhafte Wulste von falschen Haaren trügen, so wären die deutschen Damen imstande und riefen mir zu: Ei, das tragen, wir ja auch! und da will ich lieber diese mexikanischen Tracht, die sich allerdings wesentlich von den früheren Federschurzen und Kronen unterscheidet, unbeschrieben lassen.

Was sie aber sehr geschmackvoll tragen, und was ihnen ganz vortrefflich steht, das sind die sogenannten Rebozos, die Mantille der Spanierinnen, und ob sie nun aus schwerer Seide oder Spitzen oder gewöhnlichem selbstgefertigten Baumwollenzeug gewoben ist, die jungen und älteren Damen wissen sie so geschickt und dabei immer ein wenig kokett umzuwerfen, daß es eine Lust und Freude ist. Sonst findet man freilich in ihrer Kleidung nichts besonderes Eigentümliches, da sich hier sowohl wie in anderen Ländern, obgleich man hier weit mehr als anderswo die Franzosen haßt, doch alles albernerweise nach französischer Mode richtet. Es ist die nämliche Geschichte – wie damals in Rußland. Die Franzosen wurden aus dem Lande gejagt, aber ihre Schneider und Friseure blieben zurück, und was Bajonette und Kanonen nicht vermocht, erreichten sie nach und nach mit Nadel und Pomade. Sie zivilisierten, wie sie es nannten, das Land, und Mode wie Krankheiten bekamen nach ihnen den Namen.

Der Mexikaner der unteren Klassen, denn die Nationaltracht der Zarape ist aus den höheren Ständen fast gänzlich verbannt, trägt noch immer diese in ganz Südamerika gebräuchliche Decke, um sich damit gegen Kälte oder rauhe Luft zu schützen, übrigens zeigen sich alle, Vornehme sowohl wie Peons oder Diener und gewöhnliche Arbeiter, so ängstlich gegen den gar nicht etwa so scharfen Wind dieser Höhen, daß sie, selbst bei nur anbrechendem Abend, entweder die Zarape oder einen Schal um Kinn und Mund wickeln und sich oft vollständig darin einhüllen. Ich selber habe nie die geringste Unbequemlichkeit von der Luft dort oben gespürt, der Mexikaner aber behauptet, daß sie der Lunge besonders schädlich sei, wie er denn auch ebenso den Satz aufstellt, daß es nichts Schädlicheres für die Haut gebe, als sich zu waschen. Besonders auf Reisen hüten sie sich denn auch auf wahrhaft rührende Weise vor frischem Wasser, und überhaupt findet man zwischen den Mexikanern wie Südamerikanern wenig oder gar keinen Unterschied in ihrem ganzen Leben. Die einen sind so unreinlich wie die anderen.

Mexiko selber ist, wie schon erwähnt, eine sehr schöne und auch im Verhältnis reinliche Stadt, solange man nämlich den Vorstädten und unangebauten Stellen nicht zu nahe kommt. Die Straßen sind mit breiten Trottoirs belegt und im ganzen gut gepflastert, und besonders die Plaza mit der wundervollen Kathedrale, vor der Kaiser Maximilian einen prächtigen Springbrunnen hat anlegen und Bäume wie Blütenbüsche pflanzen lassen, gewährt einen gar hübschen und freundlichen Anblick. Störend freilich steht daran die breite, niedere Weiße Front des Palastes, mehr einer Kaserne als einem Schlosse ähnlich, doch mit enormen Räumlichkeiten versehen. Der verstorbene Kaiser hatte allerdings im Sinne, es umzubauen, und ließ besonders im Innern einen Teil der alten, doch nutzlosen Baulichkeiten niederreißen, um einen großen und schönen Garten dort anzulegen. Der Abzug der Franzosen aber unterbrach das alles. Die Arbeiten blieben liegen, halb eingerissene Mauern wurden sich selber überlassen, bei irgend einer Gelegenheit einmal von selber einzustürzen, von der Anlage eines Gartens war keine Rede mehr – wo hätte die Republik auch Geld, wenn die Republikaner so viel gebrauchen? – und diese, wie alle anderen öffentlichen Arbeiten bleiben natürlich liegen.

Die Mexikaner halten auch nichts davon. Was sie an alten Werken, wie Wasserleitung, Wege, Kirchen usw., haben, benutzen sie, aber es fällt ihnen gar nicht ein, es auch nur instand zu halten, viel weniger denn gar etwas Neues zu schaffen. An der alten Wasserleitung zum Beispiel ist eine Anzahl von Bögen schadhaft geworden, und das aussickernde Wasser verriet die Gefahr des Einsturzes. Das mußte man nun allerdings vermeiden; aber größere Kosten konnte man dadurch ersparen, daß man die schadhaften Bögen durch Holzgerüste stützte. So stehen sie noch und werden noch jahrelang stehen, bis das Holz einmal plötzlich wegfault und die ganze Sache zusammenpoltert.

Zahllose Kirchen stehen so mitten in der Stadt als Ruinen und sind, nach Konfiskation der geistlichen Güter, dem Volk zum Verkauf angeboten worden, aber es finden sich auch hier nur wenige Käufer dafür.

In Mexiko, genau wie in Puebla, stehen noch, und zwar in den besten Stadtteilen, ganze Cuadras, von jetzt unbewohnten Klostermauern bedeckt, unbenutzt, und freilich gehört eine andere Nationalität als die mexikanische dazu, alle ihr dabei entgegentretenden Hindernisse auch mit Energie und Ausdauer zu bewältigen. Beide Eigenschaften liegen aber gar nicht im mexikanischen Charakter, und Gott weiß, wie lange Jahre noch darüber vergehen werden, bis dieses wirklich schöne und unendlich reiche Land die Geltung erlangt, zu der es durch seine Lage und Gaben berechtigt ist.

Was die Kleidung der arbeitenden Klasse betrifft, so trägt diese noch Zarape und Rebozo oder Mantille, und zwischen ihnen herum drängen sich die aus den umliegenden Dörfern hereingekommenen Indianer, die Männer mit ihren kurzen Hosen und der Zarape, die Frauen im Hemd und Unterrock, wie mit einem Kopftuch, merkwürdig und auffallend dem gleichen Volksstamm in Ecuador ähnelnd. Überhaupt ist es eigentümlich, daß die ganze mexikanische Hochebene eine so auffallende Ähnlichkeit mit den gleich hoch liegenden Landesteilen in Ecuador nicht allein in dieser Hinsicht zeigt. Der ganze Charakter der Landschaft und Vegetation ist der nämliche, nur daß ich in Ecuador nicht so viel Mimosen angetroffen habe wie in Mexiko. Sieht man aber einen Trupp Indianer zwischen den Magehs und Kaktus, mit ihrer Last am Kopf hängend, den Weg entlang traben, die Männer voran, die Frauen mit den Kindern an der Hand, oder die kleinsten in dem Rebozo liegend, hinterher, wobei sie noch einen Esel, selten ein Maultier, treiben, so möchte man darauf schwören, daß man sich in der Nähe von Quito befände.

Selbst in der Stadt findet man unter ihnen gleiche Angewohnheiten und Sitten: die Wasserträger schleppen ihre schweren, genau wie in Ecuador geformten Gefäße in derselben Art, und die Fruchtverkäuferinnen sitzen genau so unter ihren viereckigen Sonnenschirmen, wie dort drüben ihre Schwestern, Tausende von Meilen entfernt.

Manches haben aber auch selbst die Indianer von den Fremden gelernt, was sie jetzt noch ausbeuten, zum Beispiel den Blumenverkauf in der Stadt, den sie früher nicht betrieben. Es gibt ja kaum ein Land der Welt, das so reich an Blumen ist wie Mexiko. Wenn sie diese aber auch früher wohl dann und wann in ungeordneten Massen hereinbrachten, so haben sie jetzt, besonders von den Franzosen, es gelernt, die geschmackvollsten Bouketts davon zu binden, die sie nun zu einem so billigen Preis, besonders an Sonntagmorgen, in den Straßen ausbieten, daß ein europäischer Gärtner gar nicht mehr mit ihnen konkurrieren könnte. Sonst sind sie freilich auch in ihrem Schmutz den Indianern Ecuadors nur zu ähnlich und überhaupt eine gedrückte Menschenrasse.

Republik – es ist lächerlich, wenn man diese Bewohner einer Republik betrachtet, und erst das Kaiserreich zeigte den guten Willen, sie zu heben und zu Menschen zu machen. Kaiser Maximilian interessierte sich besonders für die Indianer, und seine Regierung wäre vielleicht ein Segen für sie geworden. Jetzt ist er tot – ehe sie selber nur vielleicht eine Ahnung erhielten, wie gut er es mit ihnen meinte, und kein anderer Mensch bekümmert sich mehr um das arme Volk, als daß man es, wie eben die Zugstiere, zum Arbeiten benutzt. Aber trotzdem liegt mehr Intelligenz in diesem Volksstamm, als man vielleicht vermuten sollte; sie haben zum Beispiel einen Sinn für das Schöne, wie sie es nicht allein im Binden ihrer Bouketts, nein, auch bei einer noch viel schwierigeren Kunst, vielleicht der schwierigsten, zeigen, beim Modellieren!

Man findet da besonders unter der indianischen Bevölkerung nicht allein tüchtige Arbeiter, sondern wirkliche Künstler, die mit den einfachsten Werkzeugen und Mitteln in unglaublich kurzer Zeit die reizendsten Arbeiten, besonders aus Wachs und Zeug, herstellen. Sie modellieren in den kleinen, zirka einen Fuß hohen Figuren auch nicht bloß etwa einen Kopf und ein Paar Hände und stopfen das andere nachher geschickt aus, sondern sie formen aus massivem Wachs oder fast noch kunstfertiger aus Zeug die ganze Figur anatomisch richtig in der Stellung, die sie ihr geben wollen, und bekleiden sie erst nachher in den verschiedenen Landestrachten durch ebenfalls mit Wachs getränktes Zeug, dem sie, wenn es noch weich ist, den schönsten Faltenwurf zu geben wissen. Gar nicht so selten findet man wirkliche Kunstwerke, die um einen erstaunlich billigen Preis verkauft werden und gewöhnlich nicht mehr als anderthalb bis zwei Dollars kosten. Ebenso geschickt formen sie aus Wachs die Früchte des Landes in täuschend ähnlichen Farben.

Einzelne Individuen gibt es dabei, die im Lande herumziehen und für wenige Groschen jeden, der es wünscht, in Wachs als Büste modellieren, und mir wurde von einem Indianer erzählt, dem ein Europäer anbot, ihn mit nach Europa zu nehmen, weil er ein wirkliches Genie in ihm entdeckte. Der Mann wollte aber nicht; er verdiente in Mexiko, was er brauchte, so wenig das auch sein mochte, und verlangte eben nicht mehr.

Aber nicht allein im Modellieren von Wachs zeigen sie große Kunstfertigkeit, sondern in einigen Gegenden hat sich die Industrie auch darauf verlegt, zum Beispiel Totenköpfe und Menschenknochen en miniature aus Alabaster, Stein und selbst Holzkohle auszuschneiden. Besonders häufig findet man kleine Köpfe, die auf der einen Seite den vollen, blühenden Menschenkopf und auf der anderen den Schädel zeigen. In dieser Art sah ich auch einen kleinen, vortrefflich getroffenen Kopf von Garibaldi.

Außerdem machen sie sehr mühsam ausgeführte Arbeiten in Federn, allerdings nicht mit dem Geschmack wie die Brasilianer, aber doch mit großer Kunstfertigkeit angefertigt, zum Beispiel ganze Gemälde von Kolibrifedern, die so geschickt in einander gelegt und festgeklebt werden, daß sie ein wirkliches kleines Bild herstellen. Auch auf Visitenkarten kleben sie aus den Federn der Vögel selber alle die Arten, die im Lande vorkommen, auf, und ebenso formieren sie dieselben en miniature, aber vollständig, auf einem kleinen Draht und verkaufen diese wirklich künstlichen Arbeiten dann um einen Spottpreis.

Spielzeug machen sie ebenfalls und manchmal ganz allerliebst. So fand ich zum Beispiel kleine Kühe, aus einem einzigen Stück rohen Kalbfells ganz geschickt ausgeschnitten und zusammengebogen, die das Stück um einen Claco, also wenige Pfennige, verkauft wurden und bei vollkommener Unzerbrechlichkeit das praktischste sind, was man kleinen Kindern in die Hand geben kann.

Eine sehr große Fertigkeit besitzen sie in der Bereitung von dulces oder Zuckerwerk – besonders in dem Überzuckern von Früchten, und die meisten, ja fast alle solche Arbeiten werden allein von den Indianern geliefert. Die weißen Abkömmlinge der Spanier – jetzt allerdings in der sehr großen Minderheit, laufen indessen nur als »Ebenbilder Gottes« herum, stehlen dem Schöpfer ihre Tage ab und schimpfen dann insgeheim auf das »Glück« der Fremden, die sich durch Fleiß und Sparsamkeit ein Vermögen erworben. Es ist wirklich erstaunlich, was diese spanischen Stämme an Faulheit zu leisten imstande sind, und doch dürfen sie, besonders auf der Hochebene von Mexiko, ein zu heißes Klima nicht zum Vorwand nehmen. Eine bessere und mildere Temperatur kann es nirgends geben; man lebt dort fast wie in einem ewigen Frühling, und den Winter hindurch sind die Nächte so frisch, daß man eine wollene Decke recht gut vertragen kann.

Und was leistet Mexiko an wirklichen Arbeiten? – enorm wenig.

Allerdings werden im Lande selber Zeuge und besonders die wollenen Decken oder sogenannte Zarapes von den ordinärsten bis zu den feinsten angefertigt. Auch alles, was zu Pferdegeschirr und Reitkostüm gehört, wird im Lande gemacht; durchwandert man aber die verschiedenen Läden der Stadt, so findet man nur einzig und allein importierte Artikel, mit vorzüglich einer kaum glaublichen Menge von französischen Galanteriewaren.

Ein Artikel, der jedoch meist auf offenem Markt feilgeboten wird, und oft zwar in den ärmlichsten Ständen, ist echt amerikanisch – und zwar die feinste und schönste Filigran-Arbeit in Silber und noch dazu für einen außerordentlich mäßigen Preis – aber auch diese Filigran-Arbeiter sind Leute von gemischtem Blut.

Auch Hüte sind ein mexikanisches Fabrikat, obgleich meistens von Fremden angefertigt. In einen richtigen und feinen Filzhut setzt aber der Mexikaner seinen ganzen Stolz, und daß der Filz dabei dick und noch außerdem durch reiche Gold- und Silberstickerei fast unerträglich schwer gemacht wird, hat nichts zu sagen. Es ist gar nicht etwa so selten, daß solch ein Hut an 20 bis 50 und mehr Taler kostet, und dabei ist er nicht einmal beim Reiten praktisch, weil der Wind unter den fast fußbreiten Rand drückt. Selbst in der Straße hat man nur ewig oben diesen Rändern und unten den das Unglaubliche leistenden Schleppen auszuweichen. Aber das schadet nichts; es ist einmal die Nationaltracht, und je teurer sie gemacht werden kann, desto besser.

Diesem Fabrikat besonders haben sich in einem kleinen Teil die Franzosen, ganz hauptsächlich aber die Deutschen zugewandt und dabei viel Geld verdient.

Überhaupt spielen die Deutschen in Mexiko eine ziemlich bedeutende Rolle und sind allgemein geachtet und gern gesehen. Freilich hätte die Intervention diesem Verhältnisse fast einen Stoß gegeben, denn der Kaiser brachte leider Gottes eine Menge abenteuerlichen Gelichters mit, das nur nach Mexiko gekommen war, um geschwind reich zu werden, und sich weder des Landes noch des Kaisers wegen Gewissensbisse machte. Viele dieser Herren mißbrauchten den Kredit, den die Deutschen sich durch ihren Fleiß und ihre Redlichkeit in Mexiko erworben, in umfassendster Weise und haben auch dafür gesorgt, daß man sie noch lange nicht im Lande vergessen wird, ja ihre Namen als teure Angedenken aufbewahrt; aber die Zeit ist vorüber, – die Mexikaner fingen auch selber an, einen Unterschied zu machen, und die zu leichten Elemente wurden über Nacht wieder weggefegt.

Allerdings sind noch sehr viele Österreicher im Lande zurückgeblieben, aber fast ausschließlich nur von der besseren Art, meistens Ärzte, da die wirklichen Abenteurer wohl bald einsahen, daß sie sich in ihren Erwartungen und Hoffnungen getäuscht. Unter dem Glanz und Flitter eines Thrones hätten sie mit hochklingenden Namen und Titeln und in brillanten Uniformen Leichtgläubige vielleicht noch eine Zeit lang blenden können, aber im praktischen Leben ließ sich die Sache nicht durchführen, und sie gaben es deshalb auf.

In deutschen Händen befindet sich jetzt fast – hier sowohl als in Vera-Cruz – das ganze Importgeschäft des Landes, und auch in gesellschaftlicher Beziehung scheint das deutsche Element ziemlich wacker zusammenzuhalten. Das »Deutsche Haus«, wie das mit einer Bibliothek, Lesezimmer, Billard usw. versehene Gesellschaftshaus heißt, vereinigt die meisten der hier ansässigen Deutschen, und sogar ein Turnverein hat sich in jüngster Zeit etabliert, dem ich aber keine lange Lebensdauer prophezeie. Mexiko hat allerdings ein herrliches und nicht zu heißes Klima, aber zum Turnen ist es denn doch – selbst im Winter – ein wenig zu heiß, und schon während ich dort war, also noch im neuesten Beginnen, entschuldigten sich die einzelnen Mitglieder sehr häufig mit der allzu drückenden Temperatur.

Merkwürdigerweise haben die Franzosen, die doch sonst von allen Nationen am festesten im Auslande zusammenhalten, kein besonderes Vereinslokal, das sich sogar die Spanier gegründet.

Übrigens bedauerte niemand mehr als gerade die Deutschen oder überhaupt die Fremden, daß dem Kaiserreich ein Ende gemacht wurde, und zwar nicht allein aus persönlichem Interesse an dem liebenswürdigen Charakter des Kaisers selber wie seiner Gemahlin, sondern besonders, weil sie sahen, daß dadurch ein geregelter Zustand in Mexiko eingeführt wurde und auch nur dadurch eingeführt werden konnte. Was sich als Spreu mit unter den Weizen gemischt und in das Land, wahrlich nicht zu seinem Besten, eingeschmuggelt hatte, wäre mit der Zeit doch wieder ausgemerzt worden oder hätte sich selber abgeschliffen; aber es sollte eben nicht sein. Maximilian, so herzensgut er sich immer gezeigt, war zu schwankender, weicher Natur, um ein Volk zu beherrschen, wie die Mexikaner. Das verlangte eine unerbittliche, eiserne Hand, wie sie Garcia damit im Keime erstickt hatte, und die hatte Maximilian nicht.

Zuerst ließ er sich durch Marschall Bazaine und französische Lügen, daß Juarez das Land flüchtig verlassen habe und von jetzt an nur noch Raubbanden existierten, zu dem unglücklichen Dekret vom 6. Oktober 1865 verleiten, nach welchem gegen jedes Mitglied einer bewaffneten Bande die Todesstrafe ausgesprochen wurde. Aber er hätte entweder nie darin willigen oder, wenn er es doch tat, die Maßregel mit der furchtbarsten Strenge durchführen müssen. So wälzte Bazaine nur das Odium des Dekrets auf den armen Kaiser, der begnadigte, wo er nur irgend konnte, während die Franzosen, besonders mit der sogenannten Kontre-Guerilla, zahllose Menschenleben hinschlachteten. Der Fluch des Schriftstücks blieb aber natürlich auf dem Kaiser haften, und der unglückliche Monarch büßte seine Schwachheit mit dem Tode; aber er büßte sie als Mann, und alle, die ihn noch zuletzt gesehen, haben nur die eine Stimme über ihn, daß er seinem Schicksal in heroischer Ruhe und wie ein wackerer Soldat entgegenging.

Und hatte er gar keine Freunde, die ihn warnen, die ihm raten konnten? Doch, er hatte deren; aber wir brauchen nicht nach Mexiko zu gehen, um ähnliche Beispiele zahlreich genug zu finden. Der Kaiser hatte einzelne brave Männer um sich, und er hörte sie auch wohl an, aber andere, die ihr eigenes Interesse dabei verfolgten und kein Mittel scheuten, ihre Zwecke zu erreichen, also auch nicht die Schmeichelei, wußten ihren Worten mehr Nachdruck zu geben.

Maximilian hatte Freunde um sich, aber noch in der letzten Stunde vermochte der Pater Fischer, der in dem schwachen Kaiser das beste Werkzeug seiner eigenen Pläne sah, denselben von seinem Entschlusse, nach Europa zurückzukehren, abzubringen. Allerdings hatte er die feste Absicht, in Mexiko abzudanken, aber auch dort wieder gewann der Einfluß anderer Interessen, mit richtiger Überredung getrieben, die Oberhand. Er ging nach Querétaro und stellte sich an die Spitze der Armee, und selbst von dort aus noch hätte er mit leichter Mühe fliehen können. Wahre Freunde versuchten selbst da seine Rettung, aber der günstige Augenblick verstrich – der Kaiser fiel. Und seine Speichellecker und Hofschranzen? Sie zogen sich mit dem, was sie in der Geschwindigkeit hatten erbeuten können, vom Pater Fischer bald darauf gefolgt, in Sicherheit nach Europa zurück und werden jetzt, aller Wahrscheinlichkeit nach, große Geschichten erzählen, wie sie allein, wenn ihnen der Kaiser nur vertraut, ihn sowohl als das Reich gerettet haben würden; – es ist das ja eben Menschennatur.

Die jetzige Regierung ist nun eifrig bemüht, alle Erinnerungen an die frühere Kaiserzeit zu vernichten und aus dem Gedächtnis des Volkes auszumerzen; aber es ist das doch nicht so leicht, als man vielleicht zu glauben scheint, denn zu viel Verbesserungen wurden in der kurzen Zeit eingeführt, die sich nicht so leicht vertilgen lassen als angebrachte Namenszüge und Kronen.

In Querétaro war man sogar genötigt, den Exekutionsplatz nicht allein der Erde gleich zu machen und alle Büsche und Stauden in der Nachbarschaft wegzuschlagen, ja sogar Schutt aus der Stadt auf die Stelle zu fahren, um den Ovationen und Blumenspenden ein Ende zu machen, konnte aber nicht verhindern, daß viele edle Familien noch jetzt innerlich und selbst äußerlich um den gemordeten Kaiser trauern, daß seine Bilder nach der Natur wie in Apotheosen überall und fast an jedem Schaufenster in der Stadt ausgestellt stehen, daß ein Kalender Maximilians, der die Kaiserzeit in den freundlichsten Farben schildert, bald in zwei Auflagen vergriffen wurde, und jetzt sogar im Süden, in Yucatan, ein Trupp von Revolutionären den Namen der Kaiserin auf ihre Fahne geschrieben, um den dortigen Distrikt von Juarez' Herrschaft loszureißen. Ich will dabei allerdings nicht behaupten, daß jene Landstriche unter den Herren, die das Land, wenn auch namens der Kaiserin, beherrschen möchten, glücklicher sein würden als unter der jetzigen Regierung; ich traue einer so viel und so wenig wie der anderen, aber es zeigt doch immer die Stimmung im Lande und verdient deshalb Erwähnung.

Einen Gewinn hat übrigens die Stadt Mexiko auch für den Fremden durch die Kaiserzeit und durch das damit verbundene Einströmen zahlreicher Fremden gehabt, nämlich die Errichtung vieler und zuweilen recht guter Hotels, an denen früher ein bedeutender Mangel gewesen sein soll. Hotel »Iturbide« (auch eine Erinnerung aus einer früheren Kaiserzeit, die mit der Erschießung des Monarchen endete), Hotel »Bazar«, Hotel »National« sind recht gut und behaglich eingerichtet und bieten besonders alle die nicht hoch genug anzuschlagende Annehmlichkeit, die man in ihnen ein hübsches Zimmer zu verhältnismäßig billigem Preise (10 Dollars für 15 Tage oder 1 Dollar per Tag) bekommen kann, ohne verpflichtet zu sein, auch dort zu essen; man bezahlt eben in der Restauration für das, was man sich geben läßt.

Aufs Äußerste war ich sogar erstaunt, als ich im Hotel »National«, wo ich abstieg, wie im Eingange des Kapitels erwähnt, die Bequemlichkeit eines telegraphischen Klingelzuges vorfand. An dem ersten Abend hatte ich allerdings keine Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen am nächsten Morgen aber, nachdem ich mich gewaschen, drückte ich bescheiden einmal auf den Knopf, um den Kaffee herauf zu zitieren, und zündete mir indessen eine Zigarre an – aber der Kaffee kam nicht. Ich drückte jetzt zweimal und wartete mit echt deutscher Geduld wohl eine Viertelstunde – er kam noch immer nicht, auch niemand sonst, der sich um mich bekümmerte, und ich fing an ungeduldig zu werden. Ich ließ den Telegraphen wie ein Glockenspiel arbeiten, und horchte dann, weil ich glaubte, die Kellner würden jetzt von allen Seiten herbeistürzen, um zu erfahren, wo ein Unglück geschehen sei. Nichts derartiges geschah. Das Haus blieb totenstill, und ich mußte zuletzt selber hinuntergehen, um meinen Kaffee zu bestellen.

Am nächsten Morgen erneute ich allerdings noch einmal den Versuch, aber nur mit dem nämlichen Erfolg, und fand jetzt, daß der Telegraph im Hause eigentlich nur eine scherzhafte Einrichtung sei, um durchreisende Fremde zu dem irrigen Glauben zu veranlassen, daß sie irgend eine Bedienung zu erwarten hätten. Eine Treppe tiefer, unter dem Zahlenbrett, das die Nummer des gezogenen Telegraphen angab, saß allerdings, wie ich später bemerkte, in beschaulicher Ruhe der Portier und drehte jedesmal, wenn die Klingel zum erstenmal ertönte, den Kopf danach um, wahrscheinlich nur um zu sehen, welcher Fremde wieder einmal in die Falle gegangen sei. Das war aber auch alles; er hielt es nicht einmal der Mühe wert, einen der langsam auf den Treppen herumschlendernden Leute nach einem möglichen Kellner auszuschicken, und bei weiteren Ruhestörungen rührte er sich gar nicht. Ertönte dann wieder einmal morgens die Klingel, erst leise, dann laut und gebieterisch, so wußte ich ganz genau, daß ein neuer Fremder in dem Hotel eingezogen sei und eben damit beschäftigt war, Lehrgeld zu bezahlen.

Das Hotel »Iturbide« hat übrigens nicht allein seinen Namen nach dem ebenfalls erschossenen Kaiser bekommen, sondern liegt sogar im Hause Iturbide, in dem alten Kaiserpalast, einem prächtigen Denkmal aus vergangener Zeit, mit riesigem Portal, hoch aufgebauten Etagen und fast großartigen, keck geformten Säulen, welche die Veranden tragen.

Mexiko ist überhaupt ein historisch höchst interessanter Platz, denn jede Straße fast bietet eine andere Erinnerung aus der wunderlichen und verwickelten, aber fast immer blutigen Geschichte des Landes. Da steht das Haus noch mit seinen sonderbaren mit Fliesen Noch bis auf den heutigen Tag existiert das alte mexikanische Sprichwort: »Der wird sich auch kein Haus mit Fliesen bauen« – was heißen soll: er wird nie etwas vor sich bringen, da diese Bauart früher stets außerordentlich teuer war. belegten Wänden und Giebeln, in dem die Familie Cortez wohnte; dort ist die Stelle, wo neben dem früheren Tempel und jetzt der Kathedrale das freilich nun eingerissene oder umgebaute Haus Montezumas stand. Das dort war ein Haus, jetzt leer und verfallen, das sich der reichste Minenbesitzer des reichen Landes erbaute, der, als ihm der erste Sohn geboren wurde, die Straßen bis zur nächsten Kirche – etwa eine Entfernung von 4–500 Schritt – mit massiven Silberbarren belegen ließ, damit auf ihnen sein Sohn in die Kirche getragen würde, während derselbe Sohn auf der Schwelle derselben Kirche, etwa 60 Jahre später, krank und elend saß und Almosen von den Vorübergehenden erbettelte.

Dort, im Hofe eines der öffentlichen Gebäude, neben einer Soldatenwache, die ihr Geschirr auf ihm putzen und ihn verunreinigen, steht der alte Opferstein, auf dem die Kriegsgefangenen der Mexikaner mit einem Fuße angefesselt wurden und gegen drei Krieger des Stammes kämpfen mußten, in welchem Falle, wenn sie den Kampf siegreich bestanden, nicht allein die Freiheit, sondern auch hohe Würden und Ehren ihrer harrten, im anderen Falle aber ihr Blut die innere Höhlung füllte – und welche wunderbar künstliche Arbeit zeigt der Stein – wunderbar in der Tat, wenn wir bedenken, daß die Mexikaner der Zeit noch nicht einmal die Benutzung des Eisens verstanden und alles mit steinernen Instrumenten arbeiteten.

Dort in der Kathedrale, die eine Zierde der ganzen Stadt bildete, wenn sie auch der frühere alte Tempel weit besser schmücken würde, ist noch der alte riesige Kalenderstein Montezumas eingemauert und kündet deutlich an, auf welcher hohen Stufe der Intelligenz die damaligen Priester des Volkes standen; unfern der Stadt steht auch die Zeder, unter der noch derselbe Stein liegt, auf dem Cortez gesessen hat, als er damals aus Mexiko vertrieben und nach dem Verlust zahlreicher Freunde bitterlich weinte. Noch bis auf diesen Tag heißt sie auch el arbol de la noche triste oder der Baum der Trauernacht. – Bei Chapultepek, dem lieblichsten Punkte der Welt und auch dem Lieblingsaufenthalte Maximilians, liegen noch die gut erhaltenen Bäder Montezumas, und überall zeigen sich die Spuren jener vergangenen Zeiten aus dem Leben eines Volkes, das glücklich war, bis die Eroberer in das Land fielen und mit dem scharf geschliffenen Schwert die Heiden belehrten, daß da oben über den Sternen ein Gott der Liebe wohne. Das kostete freilich sehr viel Menschenblut, und äußerlich wurden die blinden Heiden auch wirklich zum Christentum bekehrt – es wäre ihnen auch schlecht ergangen, wenn sie sich nicht hätten überzeugen lassen –, innerlich aber hangen noch bis auf den heutigen Tag Tausende dem alten Glauben an, und es wird sogar als ganz bestimmt behauptet, daß sie in vielen für sie bestimmten Kirchen gewußt haben, hinter dem Altare des neuen Gottes einzelne ihrer alten und allerdings nicht hübschen Götterbilder einzugraben, zu denen sie jetzt ungestört beten können, wenn sie sich vor dem Altar niederwerfen. – Es geht in der Tat wunderlich in der Welt zu; sonderbar nur, daß gerade die Indianer die ehrlichste Menschenklasse unter der mexikanischen Bevölkerung sind und die Banden von Straßenräubern und Dieben meistens aus wirklichen mexikanischen Christen bestehen, die vor jedem Heiligenbilde den Hut ziehen und sich bekreuzen.

Da ich übrigens gerade auf das Kapitel komme, darf ich auch nicht die Kirche der Madonna von Guadalupe unerwähnt lassen, den größten Wallfahrtsort, den Mexiko besitzt. Die heilige Madonna ist, der Erzählung der Geistlichen nach, dort auf dem Berge, gerade über Mexiko, in früherer Zeit einem Schäfer erschienen und hat, wenn ich nicht irre, von ihm verlangt, daß er zum Erzbischof gehe und den Bau einer Kirche von ihm begehre. Der Erzbischof glaubte aber, der Schäfer flunkere ihm etwas vor. Die heilige Jungfrau erschien dem Schäfer aber zum zweiten und dritten Male und befahl ihm zuletzt, auf einen bestimmten Berg zu gehen, dort eine Anzahl von Rosen zu pflücken und diese dann dem Erzbischof zu bringen. Das tat der Schäfer. Obgleich er sonst da oben noch nie Rosen gesehen, jetzt fand er sie und nahm sie in seiner Schürze mit; als er sie aber bei dem Geistlichen ausschütten wollte, war ein neues Wunder geschehen. Rosen hatte er allerdings nicht mehr in der Schürze, aber auf derselben stand das Bild der Mutter Gottes im Himmelsglanz mit langem, gesticktem Mantel und Heiligenschein gemalt, und mußte jetzt den Ungläubigsten überzeugen.

Die Kirche wurde gebaut und überreich mit Silber, Gold und Juwelen ausgestattet, die Schürze mit dem Bild darauf aber in einem kostbaren Rahmen über dem Altar aufgehangen, wo es sich auch noch bis auf den heutigen Tag befindet und schon eine große Anzahl von Wundern getan haben soll.

In der Kirche selber sind in einer Ecke auf einer Masse kleiner, allerdings erbärmlich gemalter Bilder viele von diesen Wundern dargestellt. Menschen werden darauf durch das Anrufen der Heiligen von durchgehenden Pferden, Räubern, aus Wasser- und Feuersnot gerettet, und silberne Arme und Beine, kleine Krücken und andere Symbole hangen darum her, um dadurch nähere Kennzeichen anzugeben. In der Kirche selber ist auch ein kleiner Ladentisch aufgeschlagen, wo bei Philipp und Simon en gros gekaufte Rosenkränze, die nachher geweiht wurden, en detail zu 1 bis 6 Realen das Stück an die Gläubigen verkauft werden. Ebenso kann man dort kleine Bilder der Jungfrau, Stücke Band und kleine Kugeln, die eine wohltätige Wirkung auf den Körper ausüben sollen, und viele andere nützliche Dinge noch erhalten. Ein Pater steht hinter dem Ladentische, verkauft und hat auch gleich Papier vorrätig, um das Gekaufte ordentlich einzuwickeln. Ich erwarb auf diese Weise einige Rosenkränze und Bilder, um sie als Andenken mitzunehmen.

Übrigens glaube ich beinah, daß ich zu viel bezahlt habe, denn mein Begleiter sagte mir, daß sich mit den Herren auch handeln ließe, und daß sie, besonders wenn man mehr zusammen nähme, einen Rabatt gäben.

Neben der Kirche steht ein wie ein Schiff geformter, ziemlich weit sichtbarer Stein, von dem man erzählt, daß ein aus arger Gefahr geretteter Seemann der Jungfrau von Guadalupe in höchster Not gelobt habe, ihr ein Schiff zu bauen. Auf dem festen Lande glücklich angekommen, soll ihm aber die Sache doch ein wenig zu kostspielig gewesen sein, und er hat deshalb dort oben den Stein aufgestellt, der von weitem allerdings die Gestalt eines kleinen Schiffes unter vollen Segeln hat. Dicht bei der Kirche ist der heilige Brunnen mit sehr eisenhaltigem Wasser und fortwährend von Kranken umlagert, die das Wasser trinken und sich damit bespritzen oder darin waschen. Appetitlich sieht es nicht aus, aber das Wasser soll wunderkräftig sein. Übrigens kann man sich darauf verlassen, an der Schwelle der Kirche von einer Masse verkrüppelter Bettler überfallen zu werden, und es gehören starke Nerven dazu, um den Anblick der verstümmelten Glieder zu ertragen, die einem, um Mitleid zu erregen, von den unglücklichen Besitzern entgegengehalten werden. Ich verteilte rasch alles kleine Geld, was ich bei mir hatte, und dankte Gott, als ich von der entsetzlichen Umgebung erlöst wurde.

Die heilige Jungfrau von Guadalupe wird in Mexiko sehr hoch gehalten, und leider kam ich nur ein wenig zu spät zu dem Feste, das jährlich zu ihren Ehren gehalten wird, und zu dem besonders die Indianer in Schwärmen herbeikommen und – viel Geld dort verzehren. Mir wurde versichert, daß die Kirche in der Zeit eher einem Jahrmarkte als einem Heiligtum glich. Übrigens ist sie außerordentlich reich, und ein massiv silbernes Geländer, das die Altäre umgibt, soll nur einen kleinen Teil früher Schätze ausgemacht haben.

Schon von mehreren Seiten war mir gesagt, daß ich den Markt und besonders den Kanal besuchen möchte, auf dem die Indianer mit ihren Gemüsen ankommen. Dorthin ging ich eines Morgens und bereute es wahrlich nicht, denn es kann kaum ein lebendigeres, freundlicheres Bild geben, als diesen höchst eigentümlichen Gemüsemarkt der Hauptstadt.

Morgens mit Sonnenaufgang, also in jetziger Zeit etwas nach sechs Uhr, treffen die kleinen, wie ein längliches Viereck gebauten Fahrzeuge der Indianer ein. Sie sind mit grünen, frischen Gemüsen und zum Teil auch mit Früchten hoch aufgebaut, und dazwischen sitzen und stehen die jungen, drallen Frauen und treiben die Boote vorwärts, und um sie her spielen lachende Kinder, die das Bild allerdings verschönern, den Gemüsen selber aber nicht immer nützlich sind.

Anfangs kommen sie nur einzeln – die am raschesten rudern konnten, sind die ersten und auch imstande, sich den besten Platz auszusuchen –, aber bald folgt der Schwarm nach, so daß es nur kurze Zeit dauert, und der eben nicht sehr breite Kanal liegt so gedrängt voll Boote, daß für die später kommenden kaum eine genügende Fahrstraße bleibt. Und jetzt sind auch von allen Seiten die Fruchthöker gekommen, die, wie bei uns daheim, Kohl und Rüben en gros einkaufen, um sie über Tag nachher wieder mit einem geringen Nutzen zu verkaufen. Aber welch ein Unterschied zwischen hier und daheim; denn wenn man bei uns einmal derartige Szenen erlebt hat, so wird man sich gewiß an den ewigen Skandal erinnern, den das bitterböse Geschlecht der Hökerweiber unterhält und oft damit eine ganze Nachbarschaft zur Verzweiflung treibt.

Hier hört man kein böses, ja selbst lautes Wort, ausgenommen dann und wann einmal ein fröhliches Lachen oder einen harmlosen Scherz; alles wird in Frieden und Freundschaft abgemacht, und die Frauen am Ufer bezeichnen nur die Gegenstände, die sie haben wollen, aber nicht erreichen können, worauf die Verkäufer ihnen das Verlangte zuwerfen, ohne nur die geringste Besorgnis zu verraten, daß ihnen die betreffenden Höker mit dem Betrag durchbrennen könnten. Aber sie wissen auch, daß ihnen bei einem nur versuchten Betrug alle übrigen Käufer augenblicklich beistehen würden.

Herrliches Gemüse kommt da zu Markte, wie es die gemäßigte Zone kaum in einem anderen Land der Welt besser und kräftiger hervorbringt: Kraut, Blumenkohl, Rüben, Zwiebeln, Salat und wie die grünen Herrlichkeiten alle heißen. Dicht am Ufer breiten sich dann die Einzelverkäufer aus, denn sie wissen recht gut, daß der Engroshandel nicht lange andauert, und nun kommen die Leute aus der Stadt mit ihren kleinen Körben und holen, was sie brauchen, während die Indianerinnen in den Booten ihr mitgebrachtes frugales Mahl von einigen Tortillas und etwas getrocknetem Fleisch verzehren und sich dann anschicken, die Heimfahrt anzutreten, um am nächsten Morgen mit einer frischen Ladung zurückzukehren.

Ruhige, harmlose Menschen; die Revolutionen gehen über sie hin und vernichten vielleicht ihre bescheidene, ärmliche Heimat, aber sie sind wie die Halme, die der Sturm wohl niederbeugen, aber nie zerbrechen kann. Er zersplittert die Eiche, aber über sie braust er hin, und wenn die Sonne aufs neue hervorbricht, heben sie sich langsam wieder empor und schaukeln nach wie vor in der Brise.

Und wie entsetzlich ärmlich leben viele von diesen Leuten! Da sind die Salz- und Salpetergruben an den Ufern der verschiedenen Seen, wo sie in Höhlen und Schmutz und Ungeziefer fast wie wilde Tiere hausen – und doch genügt ihnen ihre Existenz, und keine Revolution im ganzen Lande ist je von der Seite ausgegangen, die am meisten Ursache hätte, mit ihrem Geschick zu zürnen.

Übrigens ist es ganz unglaublich, mit welch geringen Kleinigkeiten sich gerade die Indianer begnügen, um irgend ein »Geschäft« zu betreiben. So sieht man oft einzelne von ihnen mit ein paar Stückchen Käse durch die Straßen ziehen, die sie zum Verkauf ausbieten, ja, ich habe an der Plaza Indianer mit einer einzigen weißen Blume sitzen sehen, die irgend eine heilkräftige Wirkung »für das Herz« haben soll, und wenn sie dieselbe für ein paar Clacos verkauften, gingen sie befriedigt nach Hause.

Wie muß einem solchen armen Teufel zumute sein, wenn er an einem der prächtigen Laden vorübergeht und dort einzelne Luxusgegenstände aufgestellt sieht, deren Zweck er natürlich nicht begreift, deren Preis aber hinreichen würde, ihn und seine ganze Familie ein paar Jahre am Leben zu erhalten, und mehr als sein Leben verlangt er ja nicht auf der Gotteswelt! Wenn der zum Kommunismus überträte, wer könnte es ihm verdenken? Aber kaum steigt wohl je ein solcher zivilisierter Gedanke in seinem Herzen auf – er verlangt nicht einmal 40 Millionen vom Staat zu einem Unterstützungsfonds der freien Arbeit. Still und ruhig müht er sich ab, und wird indessen von dem weißen Gesindel unter die Füße und zuletzt in die Erde hineingetreten, um dort den Acker noch nach dem Tode zu düngen, auf dem er sich früher abgemüht. – Hol ihn der Teufel, warum hat er nicht auch gelernt, das Volk zu beschwindeln – er hätte ein großer Mann werden können! Juarez ist ja auch nur ein Indianer.

An einem der schönen Abende – und sie waren alle schön – besuchte ich mit einem Deutschen das alte Schloß Chapultepek, wo Montezuma seinen Sommersitz gehabt, das die Amerikaner mit Sturm genommen, wo Kaiser Maximilians Lieblingsaufenthalt gewesen, und das noch jetzt – was wahrlich viel gesagt ist – den schönsten Punkt Mexikos bildet.

Das Schloß selbst, von starken, hohen Mauern umgeben, bei denen es einem eigentlich unbegreiflich scheint, daß es die Amerikaner damals so rasch mit Sturm nehmen konnten, ist allerdings von keiner außerordentlichen Schönheit, wenn es auch freundliche, luftige Zimmer und einen sehr hübschen Garten hat; die Perle Chapultepeks aber ist der eine Turm, der das ganze Gebäude überragt und die wundervollste Aussicht in vollem, durch nichts eingeschränktem Panorama auf das ganze Tal von Mexiko bietet. –

Ich bin von Gott vor tausend anderen Menschen reich begünstigt worden – ich habe seine Wunder und die Schönheiten seiner Welt aller Orten sehen und darin schwelgen dürfen, aber Schöneres in seiner Art gerade habe ich nie gefunden, und in dem Augenblick hielt ich mich für all die Mühen und Beschwerden, die es mich gekostet, um es zu erreichen, reich und voll belohnt.

O, wie wunderbar schön ist doch dieses Land! Und trotzdem, soweit auch hier der Blick über alle diese herrlichen Gegenden schweift, keine Stelle fast im ganzen Tal, wo sich nicht die Menschen aus Goldgier, Religionshaß oder von blindem Ehrgeiz angetrieben, gemordet und den Boden mit Blut rot gefärbt haben. Von ältester bis zu neuester Zeit reichen diese Greuel, und selbst noch in diesem Augenblick lauern Banden von Straßenräubern in dem Tal wie an den Hängen der es umgebenden Berge auf den friedlichen Wanderer, und die Regierung ist mit all dem Blut, das sie vergossen, nicht imstande, selbst die unmittelbare Nähe ihrer Hauptstadt von diesem Gesindel freizuhalten. – Aber leider finden wir das in der ganzen Welt bestätigt, daß gerade in den Ländern, über welche die Natur mit vollen Händen ihre Gaben ausgeschüttet, das Geschlecht der Menschen den einzigen dunklen Flecken in dem Bilde zeigt, während es harmlos und friedlich und deshalb auch glücklich in den wüstesten Einöden beisammen wohnt.

Ich konnte den Blick kaum losreißen von den wundervollen, prachtvollen Konturen der Berge, von dem eigenen Zauber, der auf der ganzen Landschaft lag. Zu unseren Füßen fast, oder doch nur kurze Strecke entfernt, breitete sich die Hauptstadt mit ihren zahlreichen Kirchen und Klöstern und den regelmäßig eingeteilten Straßen aus; hinter und neben ihr lagen die noch in der Sonne blitzenden Seen, dahinter erhoben sich die beiden großartigen, mit Schnee bedeckten Vulkane, und ringsum, soweit der Blick schweifte, zeigten sich kleine, freundliche Städte und Ortschaften, eingerahmt von dem höher steigenden Lande, das den ganzen Horizont umschloß; unmittelbar unter uns aber lag der kleine, doch freundliche Park von Chapultepek, unter dessen riesigen Zedern schon Montezuma, dann Iturbide und zuletzt Maximilian gewandelt – eine ganze Kette von unglücklichen Fürsten, denen hier das Schönste der Welt als Eigentum geboten wurde, nur um sie desto sicherer zu verderben.

Und jetzt sank die Sonne – das Tal füllte sich mit mattem Dämmerschein und die beiden Kuppen der Vulkane fingen an zu erglühen; rosige Wolken hingen darüber in der Luft und stiegen aus den Schluchten der Gebirge, wohin die Strahlen der untergegangenen Sonne schon nicht mehr dringen konnten, wie bleiche Gespenster der Vorzeit empor.

Ich hätte die ganze Nacht hier oben bleiben mögen, aber der Eisenbahnzug, der uns nach der Stadt zurückbringen sollte, wurde bald erwartet, und wir wollten doch auch noch, ehe wir das Schloß verließen, die riesigen Bäume da unten besuchen, unter denen all die Opfer mexikanischer Kriege und Revolutionen gewandelt und von dem Glanz und Glück ihrer Herrschaft geträumt hatten.

Es sind wirklich prachtvolle Bäume, diese mächtigen Zedern mit ihren Riesenstämmen und fest zusammengedrängten dunklen Wipfeln, wie sie dastehen in stiller Einsamkeit. Der eine, den wir maßen, hat 7-&frac12; Klafter in seinem Umfange, etwa 4 Fuß vom Boden, und seine Zweige beschatteten dabei einen verhältnismäßig kleinen Raum. Nahe dabei liegen außerdem die klaren Quellen, die ihr Wasser der Stadt zuführen, liegt noch das alte Bad Montezumas und all der ermordeten Fürsten, die ihm nachgefolgt – aber dem Publikum ist der Platz jetzt verschlossen. Nur, wer eine besondere Karte erhält, darf ihn besuchen, und ich weiß nicht, ob das eine bleibende Maßregel ist, oder ob sie nur zeitweilig aufrecht erhalten werden soll. Es wurde nämlich im Schlosse selber gerade manches restauriert, da Juarez dort in nächster Zeit zur Feier seines Antritts ein großes Frühstück geben wollte.

Ich würde mir dazu an seiner Stelle ein ganz neues Haus haben bauen lassen, denn in dem Schlosse hätte mir gewiß kein Bissen geschmeckt; aber die Naturen sind eben verschieden. Am Tage vor Weihnachten fuhr ich ebenfalls mit einem Deutschen nach dem berühmten Cortezbaum hinaus, der in dem kleinen Ort Tacuba unmittelbar neben der Kirche steht. El arbol de la noche triste oder der Baum der Trauernacht ist zu merkwürdig – schon seiner selbst und seines ungeheueren Umfangs wegen, um an ihm vorbeizugehen.

Der Baum ist eine riesige Zeder mit allerdings schon altersmorschem Stamm und wenig mehr übriggebliebenen Riesenzweigen, aber der Stamm selber hat 4 Fuß über der Erde reichlich 9 Klaftern im Umfang, und an seinem Fuß liegt noch ein Stein, auf welchem Cortez in jener Nacht, als er aus Mexiko vertrieben worden, gesessen haben soll.

Es war das in jener Zeit, als Diego Velasquez, der Gouverneur von Cuba, eifersüchtig auf den unerwartet günstigen Erfolg von Cortez' Expedition, Pamphilo Narvaez nach Vera-Cruz sandte, um Cortez abzusetzen und den Oberbefehl selber zu übernehmen. Cortez aber war nicht der Mann, sich einer solchen Ungerechtigkeit zu fügen. Narvaez hatte wohl 1300 Mann mit sich, er selber kaum 450. Trotzdem marschierte er gegen Vera-Cruz, schlug Narvaez und nahm ihn gefangen, verstärkte sich dann mit den gegen ihn gesandten Truppen und ging wieder nach Mexiko zurück. Während seiner Abwesenheit hatte aber indessen der als Oberbefehlshaber zurückgelassene Alvarado durch scheußliche Grausamkeiten und Erpressungen die Mexikaner so gereizt, daß sie, zur Verzweiflung getrieben, revoltierten, und Cortez selber sich zuletzt nicht mehr gegen sie halten konnte. Tag und Nacht griffen sie ihn an, und als er aus dem damals vollkommen mit Wasser umgebenen Mexiko flüchten wollte, richteten die Mexikaner eine furchtbare Niederlage unter seinen Truppen an. Er hatte im ganzen etwa 1300 Mann gehabt, aber kaum mehr als 400 entkamen mit ihm und wie wenige von allen unverwundet. Erst in Tacuba, auf einer niederen Anhöhe, hielt er stand und warf dort Schanzen auf, und noch jetzt steht jener alte Baum, unter welchem ihm, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, das Herz verzagte, und er bitterlich weinte.


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