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30. Durch die Llanos

Die Gegend selber, durch welche ich von jetzt ab wanderte, war noch auf eine lange Strecke hinaus – wenigstens teilweis – der Kultur gewonnen. Man sah dann und wann Felder am Wege, fand einzelne Häuser und erreichte in nicht zu großen Entfernungen kleine Städtchen mit leidlichen Posaden (Hotels), aber überall zeigten sich Spuren dieser verderblichen Revolution in den geschlossenen Läden der Städtchen, in den verlassenen Hütten, die am Wege standen. Rinder und Kühe waren ebensowenig unterwegs mehr zu finden. Milch gehörte zu den alten lieben Erinnerungen vergangener Zeiten, und von Zug- und Reittieren waren nur noch ein paar armselige Esel mit übermäßig wundgescheuertem Rücken übriggeblieben, die sich jetzt vergebens bemühten, unter den ihrer Blätter beraubten Bäumen einen schattigen Platz zum Nachdenken – und Heilung zu finden.

Da ich mich aber nicht gleich am ersten Tage zu sehr anstrengen wollte, übernachtete ich schon in einem kleinen, allerliebsten Städtchen: Villa de Cura, das wir etwa um zwei Uhr nachmittags und ziemlich in der größten Hitze erreichten, wo ich noch eine ganz vortreffliche Posada fand.

An dem Tag hatte ich auch noch meine europäischen Stiefel getragen, fand sie aber zu heiß, und da ich mir von Caracas zur Vorsorge die Sandalen des Landes, die sogenannten Alpargates mitgenommen, beschloß ich am nächsten Lag einen Versuch mit diesen zu machen.

Die Alpargates – eine Ledersohle mit gewirktem Fußhalt, der aber überall offen ist, sind allerdings sehr leicht und sitzen außerordentlich bequem am Fuß, aber sie haben den großen Nachteil, daß man gleich beim ersten Schritt kleine Steine und grobkörnigen Sand hineinbekommt. Die Eingeborenen scheint das nun gar nicht zu genieren, und sie haben sich einen Gang angewöhnt, bei dem sie auch bei jedem Schritt das eben Eingenommene wieder ausschütteln, für den Europäer ist es aber eine mißliche Tracht auf solcher Bahn, und ich kehrte denn auch schon am nächsten Tage wieder zu meinen, wenn auch heißeren, doch dichteren Schuhen zurück.

Von hier ab veränderte sich auch der Charakter des Landes ganz entschieden und wurde mehr bergig und steinig.

Es war wirklich schmählich heiß. Die Regenzeit schien noch nicht einsetzen zu wollen. Der Himmel blieb klar und die Sonne brannte auf das ausgetrocknete Gestein derartig nieder, daß mir die zu durchwandernden Leguas manchmal entsetzlich lang vorkamen. Aber es half nichts. Morgens in aller Frühe brach ich mit meinem Führer auf, um elf Uhr etwa, wenn die Sonne zu heiß wurde, rasteten wir einige Stunden und setzten dann unseren Marsch um halb drei oder drei Uhr, in der kühleren Zeit, wieder fort.

In dem kleinen Städtchen Ortiz, wo wieder Regierungstruppen lagen, und fast alle Läden geschlossen waren, machte ich einen Rasttag. Die Hitze hatte mich zu sehr erschöpft. Ich fing doch an, meine zweiundfünfzig Jahre zu fühlen, mit denen auf dem Rücken ich das nicht mehr leisten konnte, was mir vor dreißig Jahren Kinderspiel gewesen.

In Ortiz herrschte aber an dem Tage wirklich eine Art von Aufregung, denn bis jetzt hatte der Ort fast allein von den Leuten existiert, die aus dem Inneren ihre Herden hindurch nach Caracas trieben und nun natürlich, unter den gegenwärtigen unsicheren Verhältnissen, ausblieben wie Röhrwasser. Heute nun war zum erstenmal wieder seit langer Zeit ein solcher Transport eingetroffen, und das erregte wirkliches Aufsehen. Der Eigentümer wurde aber auch von allen Seiten gewarnt, nicht weiter damit zu gehen, denn bis Caracas brächte er sie doch nie im Leben. – Ein solches Vertrauen hatte man zu den Regierungstruppen!

Von Ortiz aus war das Land durchaus gebrochen und zerklüftet, rechts und links auch von höheren Gebirgszügen eingeschlossen, die aber augenscheinlich niederer wurden, je weiter wir nach Süden vorrückten. Einen ganz eigentümlichen Charakter nahmen aber die Konturen der Berge an, als wir das kleine Städtchen San Juan erreichten und den Morro oder Berg, el rnorro de San Juan genannt, selber schon von weitem in seiner wunderlichen Form erkennen konnten.

Noch Leguas entfernt, sah er aus wie ein langer Rücken, aus dem man einige Stücke mit einem scharfen Messer herausgeschnitten hatte; als wir uns aber darunter befanden, konnte man deutlich sehen, wie diese sonderbare Form entstanden. Es war früher einmal ein fester, solider Berg mit ziemlich spitz zulaufender Kuppe gewesen, als ihn ein Erdbeben aus allen Fugen brach. Die furchtbare Gewalt muß ihn gerade an der Wurzel und im Mittelpunkt gefaßt und emporgehoben haben, und wenn auch das alte Gestein fest zusammenhielt, so konnte es doch ein solches Gewicht nicht binden. Wie ein kleiner zugespitzter Haufen nassen Sandes auseinanderbrechen würde, wenn man ihn gerade in seinem Mittelpunkt empordrücken wollte, so spaltete sich der riesige Berg in drei Teile, die dann auseinanderklafften, aber doch noch deutlich genug erkennen lassen, wie sie früher einmal zusammengehört.

Es soll sich auch eine höchst merkwürdige Höhle hier im Berge befinden, die ich gern besucht haben würde, aber es hätte mich wenigstens um zwei, vielleicht drei Tage aufgehalten, und die konnte und wollte ich nicht daran wenden.

Wie heiß die Sonne auf dem Boden lag, von dem sie ihre Glut wiederstrahlte, und wie Weh das den Augen tat! Welch ein Unterschied zwischen einer Fußtour hier und einem Frühlingsmarsch durch den wundervollen deutschen Wald. Auch wenig Tierleben zeigte sich. Nur wo sich ein kleiner Bergbach aus der nassen Jahreszeit noch ein paar Eimer Wasser aufgehoben, sah ich ein paar Vögel oder hörte sie in den Zweigen zwitschern – bis zum Singen schienen sie es in der Hitze nicht zu bringen. Einmal fand ich einen Hirsch links vom Wege am Wasser stehen und hatte böse Absichten. Visier und Korn flimmerte mir aber in der vom Boden aufsteigenden Glut vor Augen, und ehe ich beides zusammenbrachte, bekam das Wild unsere Witterung und war mit einem Satz im Dickicht drin. Ich hatte auch wirklich keine rechte Lust zum Schießen gehabt, es lag eine gar zu dumpfe, stille Schwüle auf der ganzen Natur.

Und dort fingen die Berge an, kleiner und niedriger zu werden. Wenige Leguas hinter der kleinen Stadt Ortiz öffneten sich schon ihre Ausläufer dem Blick und zeigten den freien Horizont, der sich meeresgleich im Süden ausdehnte.

Dort breiteten sich die Llanos – streckten sich jene Ebenen vor mir aus, nach denen ich mich so lange gesehnt, und die ich nun zum erstenmal in meinem Leben betreten sollte, wie eine neue, fremde Welt.

Und das war es auch in der Tat, denn als wir den letzten Berghang hinabstiegen, der uns allmählich in die Ebene führte, fanden wir nicht allein die verschiedene Szenerie, nein auch eine andere Vegetation, andere Tiere, ja ich möchte sagen andere Luft. Es war hier allerdings ebenso heiß, ja vielleicht noch heißer als oben in den Bergen, aber es kam mir fast so vor, als ob man hier freier atmen könne, weil eben der Blick so frei und unbewegt in die Weite schweifen konnte.

Das Gras da unten sah freilich gelb aus, und das frische Grün fehlte der Landschaft; hatte es doch so lange nicht geregnet, daß der Boden keine Feuchtigkeit bewahrt haben konnte. Aber dort unten lag gleich eine Lagune, und Palmen, von denen ich keine mehr gesehen, seit ich das Aragua-Tal verlassen, standen darum her, aber meist in Vertiefungen des Bodens, die ihnen doch mehr Nahrung boten als die Höhen.

Es ist dies die sogenannte Palma sombrero, eine Mauritia, mit jenen breiten, ausgefiederten Blättern, wie sie von den Chinesen zu ihren ordinären Fächern benutzt werden. Sie wachsen übrigens nicht sehr hoch und standen dabei noch ziemlich vereinzelt über die Ebene zerstreut. In der Lagune badete sich ein kleiner Trupp Pferde, und eine Menge verschiedener Wasservögel, von Bekassinen bis zum Löffelreiher und außerdem eine ziemlich große Reiherart, standen überall am Rande.

Die Nacht blieben wir in einem einzelnen Hato, in früherer Zeit eine Art Milchwirtschaft, jetzt aber ohne Kühe. Es gab aber auch wenig Wasser dicht an den Häusern, und für unser Maultier mußten wir das, was es brauchte, aus einer brunnenartigen Grube in einer großen Kalabasse herauftragen. Und Bequemlichkeiten für die Nacht? Wer die nicht mit sich führt, ist verloren; es fällt aber auch keinem Reisenden in Venezuela ein, selbst nur die kleinste Tour zu unternehmen, ohne sein eigenes Bett, d. h. seine Hängematte, mit sich zu führen; und Lebensmittel? Du lieber Gott, das Herz tut einem ordentlich weh, wenn man sieht, wie und von was die Leute hier, die mit der leichtesten Mühe in jedem Überfluß schwelgen könnten, leben, seit die Revolutionen das Land und auch ihren Wohlstand ruiniert haben.

Häuser habe ich betreten, die auch nicht das geringste in ihren vier gelben Lehmmauern umschlossen, als ein altes irdenes Gefäß mit etwas schmutziggelbem Trinkwasser und einer kleinen Kalabasse darin zum Ausschöpfen. Ob sie das übrige aus Furcht, daß man ihnen das Letzte nehmen könnte, versteckt, ob das schon geschehen war? – Ich weiß es nicht; aber etwas Traurigeres läßt sich auf der Welt nicht denken, als eine solche armselige Hütte in den von der Sonne verdorrten und ausgetrockneten Llanos.

Am nächsten Tage erreichte ich, wie ich glaubte, die Palmengrenze. Diese hochstämmigen und immerhin hübschen Bäume verschwanden, und dafür trat eine kleine verkrüppelte Baumart auf, die, besonders in der Ferne, täuschende Ähnlichkeit mit unseren Apfelbäumen hatte. Es sind die sogenannten Chaparros, mit trotz der Dürre hell und lebendig grünen, wenn auch sehr trockenen Blättern, und dabei so rauh-scharf, daß sie in den südlicher gelegenen Städten von den Tischlern wie Chagrin zum Abreiben von Hölzern benutzt werden. Der Baum hat übrigens eine ganz reizende kleine Samenkapsel, die ich später, denn jetzt war sie noch nicht gereift, weiter südlich fand.

Wir machten Mittag in einer einzeln stehenden Hütte, neben der sich aber auch etwas Feld und ein kleiner Wald fand. Unter den Bäumen wuchs der Drachenblutbaum besonders häufig, schien aber hier noch nie angezapft zu sein. Was für Schätze in jeder Hinsicht birgt überhaupt Venezuela – von solchen Kleinigkeiten gar nicht zu reden, die man bis jetzt kaum dem Namen nach kennt, weil sie hier doch nicht zur Geltung kommen können! Wer soll hier etwas unternehmen und Geld in ein Experiment stecken, da es ihm selbst auch im günstigsten Falle des Gelingens doch keinen Nutzen bringen würde? Irgend eine neue Revolution fegt es hinweg, und die Bewohner eines solchen Landes lassen endlich lieber alles zugrunde gehen, ehe sie sich wieder und wieder der Früchte ihrer Arbeit beraubt sehen wollen.

Während ich noch in der Hängematte lag, um die ärgste Tageshitze vorübergehen zu lassen, wurde plötzlich draußen Pferdegetrappel laut. Wir befanden uns dort nur eine kurze Strecke von der Llanosstadt Calabozo, in der viel Regierungsmilitär lag, und ich glaubte nicht anders, als daß eine Truppe der Amarillos dort vorbeikäme: es waren aber im Gegenteil die Blauen.

Draußen vor der Hütte warfen sie sich von ihren Tieren, ein Offizier, an der blauen Kokarde und an dem Säbel und Revolver kenntlich, die Soldaten mit nichts bewaffnet als einem alten Karabiner, für den bei uns der Eisenhändler wahrlich nicht mehr als den Wert des Eisengewichts bezahlt haben würde. Nur noch Messer trugen sie an der Seite, und zwar zwei von ihnen statt des eigentlichen Messers eine zweischneidige, scharfgeschliffene Lanzenspitze, die in einer Scheide stak und dann leicht an einer kurzen Stange befestigt werden konnte. Die Burschen sahen aber prächtig aus; sie waren freilich nicht uniformiert und unterschieden sich in nichts als dem blauen Band um den Hut von den übrigen Llaneros, aber es stak Mark und Leben in ihnen. Man sah es ihnen an, daß sie sich auf einer etwas gefährlichen Tour befanden, und daß sie Freude daran hatten; das läßt dann schon kein schläfrig Wesen zu.

Mit welcher Freude wurden aber die »blauen« Gäste von der jungen Wirtin und einigen Hausleuten empfangen, und wieviel hatte man anfangs zusammenzuflüstern, was der Fremde gar nicht zu hören brauchte; aber hungrig waren sie auch, und was das Haus noch bot – es war freilich wenig genug – wurde aufgetragen. Der Offizier setzte sich dabei mit dreien seiner Leute zu Tisch, die übrigens auch ihre kurzen Gewehre zwischen den Knieen behielten, während der jüngste an der Tür stehen blieb und Wache hielt. Nach Süden und Norden, wie der Weg lief, konnte man die Llanos auf eine weite Strecke überschauen, und es war deshalb keine Gefahr vorhanden, daß sie so leicht überrascht werden konnten.

Erst als die Ersten abgesessen hatten und einer von ihnen an die Tür trat, setzte sich der Letzte ebenfalls und aß die landesübliche Sancoche, eine Suppe mit Fleisch, Kartoffeln und Kürbis.

Meine Doppelbüchse lehnte an der Wand, und der Offizier betrachtete sie sich genau; sie schien ihm ungemein zu gefallen, und seine Soldaten hätten wahrlich solche Gewehre gebrauchen können; aber er setzte sie ruhig wieder fort, erkundigte sich nicht mehr, wohin ich wolle, wie es jeder andere Reisende auch getan haben würde, und gab dann das Zeichen zum Aufsitzen.

»Morgen früh kommen wir zum Kaffee wieder,« nickte er der Wirtin zu, als er sich im Sattel zurechtrückte – das war die ganze Bezahlung, die er bot, oder die sie forderte, und über die Ebene sprengte der kleine Trupp mit verhängten Zügeln.

Es war eine Rekognoszierung gewesen, die der Offizier gegen das feindliche Lager zu unternommen, und leicht konnte er das, denn jeder Llanero, den er unterwegs fand, war sein Freund. Zwei Tage später rückte denn auch richtig ein Korps von etwa 1000 Mann gegen Calabozo vor, wo die Amarillos standen, und lagerte, etwa eine halbe Legua von der Stadt entfernt, auf einer Mission.

Allerdings hatte ich in Caracas, als ich dort meinen Reiseplan machte, gehört, daß der Fluß bei Calabozo, der Huarico, schiffbar sei, und deshalb geglaubt, ich würde mir nachher ein Kanoe kaufen und den Strom darin bis in den Apure hinabgehen können, also bis Calabozo selber meine Fußtour beendet haben. Hier hörte ich aber, daß dem keineswegs so sei – der Huarico hatte nicht Wasser genug selbst für ein Kanoe, und ich fing an, das Marschieren in der furchtbaren Hitze satt zu bekommen. Ich hätte auch keinen Genuß von der Reise gehabt, wenn ich mich so übermäßig anstrengte, und da ich zufällig einen alten Sattel fand, der feil war, kaufte ich mir einen Esel dazu, lud auf diesen mein weniges Gepäck, setzte mich selber auf das Maultier und konnte nun die übrige Strecke mit mehr Bequemlichkeit zurücklegen.

Man darf sich übrigens die Llanos keineswegs als eine vollkommen baumlose, kahle Ebene denken, wie z. B. die Prärieen in Nordamerika oder die Pampas in der Argentinischen Republik häufig solche Flächen zeigen. Es gibt allerdings Stellen, wo auf Leguas Entfernung kein Baum oder Strauch steht und der Blick weit, wie über den Ozean schweift, aber diese können nicht für die Regel in den Llanos gelten, ja sind sogar nicht einmal häufig. Fast immer sind Palmen oder, nach der Gegend, Laubbäume in Sicht, und an kleinen, jetzt allerdings vertrockneten Wasserkursen stehen auch starke Dickichte, die Wäldern gleichen und durch die man sich nur mühsam eine Bahn erzwingen könnte.

Die Chaparrobüsche, die hier ziemlich dicht standen, wachsen etwa 18, ja hier und da bis 20 Fuß hoch, und bilden fast kleine Wälder – mit Lichtung jedoch genug dazwischen, um überall durchzukommen, wie denn auch schon eine breite Straße durch die früheren Viehherden gebrochen und freigehalten war. Nur dann und wann wichen sie einmal auseinander und zeigten eine weite, parkähnliche Fläche.

Jetzt aber wurde das Gebüsch dichter – der Boden, mit dicken Kieseln überstreut, zeigte, daß der Huarico in der Nähe sein müsse und welche enorme Breite er in der Regenzeit beanspruche.

»Da sind wir am Fluß!« sagte mein Führer, und als wir eine kleine Erhöhung überritten, mußte ich laut auflachen, denn ich sah plötzlich den Huarico – oder vielmehr sein Bett zu meinen Füßen, das auch nicht einen einzigen Tropfen Wasser enthielt.

Und auf dem Fluß hatte ich in meinem Kanoe meine Reise fortsetzen wollen? – Es lag Humor in der Sache.

Daß ich mich wirklich am richtigen Fluß befand, darüber konnte ich nicht im Zweifel bleiben, denn erstens zeigten das die hohen Uferbänke, und dann schimmerten auch schon an der anderen Seite die Häuser von Calabozo durch die Büsche.

Unmittelbar an unserem Ufer stand ein kleines Haus – eine der gewöhnlichen Pulperieen, mit der verhängnisvollen Inschrift: Peage– Wegegeld.

Eine Anzahl von Arrieros, von denen wir übrigens nur wenige unterwegs angetroffen, hielten vor dem Haus, und ich mußte hier in der Tat fünf Real Wegegeld erlegen. Für was, weiß ich freilich bis auf den heutigen Tag nicht, denn von einem Pfad durch die Llanos hatte ich wohl die bald hier-, bald dahin führenden Spuren gesehen, aber von einem Weg wahrhaftig nichts. – Aber was konnte es helfen? Der Staat erhob hier mit demselben Recht etwa, wie wir bei uns daheim zuweilen Pflastergeld bezahlen, sein Wegegeld, und ein »armer Reisender« mußte sich dem natürlich fügen.

Die Pulperia hatte übrigens das Gute, daß wir dort einige vortreffliche Wassermelonen fanden und uns daran erfrischen konnten. Es war das erste Labsal wieder nach langer Zeit und nach einem bitter heißen Marsch.

Und jetzt ritten wir durch den Huarico und mußten wenigstens hundert Schritt in dem Strombett hinabgehen, um nur zu einem kleinen Wasserloch zu kommen, wo wir unsere Tiere tränken konnten. Das Flußbett war total ausgetrocknet, und nur noch an den tiefsten Stellen hatte sich etwas Wasser gehalten, das aber kaum dem Esel schmeckte. Das Maultier roch nur daran und drehte sich dann wieder ab.

Calabozo, der alte Handelsplatz der Llanos, ist eine nicht unbedeutende Stadt, durchgängig aber mit niederen Häusern und – wie alle Ortschaften des Innern – Ziegeldächern. In guten alten Zeiten herrschte auch hier ein bedeutender Verkehr, denn die Bewohner von Calabozo gerade trieben einen starken Vieh- und Pferdehandel mit dem Süden und schafften die Tiere dann nach Caracas, um von dort, für den Erlös, wieder europäische Waren in die Llanos zu bringen und zu verwerten.

Das alles war jetzt unterbrochen. Die Viehzüchter südlich vom Apure, wohin der Bürgerkrieg noch nicht gedrungen war, hüteten sich wohl, ihre Tiere dem Feind – oder hier der Regierung, was gleichbedeutend war, in die Hände zu liefern, sondern blieben zu Hause, und ebensowenig konnte man in jetziger Zeit Waren von Caracas herunterbringen, wo man unterwegs jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt war, mit Waren sowohl wie Packtieren einem der verschiedenen Streifkorps in die Hände zu fallen.

Außerdem sollte in dem kurz vorher von dem Negergeneral genommenen Calabozo der Zustand so unerträglich geworden sein, daß fast alle reichen oder der Regierung etwas verdächtigen Leute die Stadt verlassen hatten, um nicht den ewigen Kontributionen ausgesetzt zu sein.

Wie öde und leer sah aber die Stadt aus, als ich am 24. April, mittags zwei Uhr, durch die vollkommen menschenleeren, sonngebrannten Straßen ritt; denn wenn man auch in dieser Tageszeit in den Tropen nicht gern sein Haus verläßt, so bleiben doch, in ruhigen Jahren, wenigstens die Läden offen, und man sieht Menschen in diesen und an den Fenstern der Schattenseite. Hier aber traf ich niemanden, ja, ich sah keine Seele – keinen Laden geöffnet, selbst die Pulperieen verschlossen, und wenn mein Bursche nicht die Posada gewußt hätte, in der Straße trafen wir niemanden, um ihn danach zu fragen. – Und selbst die Posada lag verödet da.

Sonst schwärmte sie von Gästen, wie mir später der Wirt sagte – jetzt war ich der einzige Gast in dem ganzen weiten Raum.

Kaum war ich übrigens aus dem Sattel gestiegen und glücklich genug gewesen, ein wirkliches Waschbecken zu bekommen, um mich nach dem. heißen und staubigen Ritt zu reinigen, als ein Soldat der Amarillos – ein großer, derbknochiger, brauner Bursche, seine Muskete in der Hand, zu mir ins Zimmer trat und mich aufforderte, ihm in das Gouvernementsgebäude zu folgen. Ich wusch mich gerade und bat ihn deshalb, einen Augenblick zu warten und sich zu setzen. Natürlich war kein einziger Stuhl in dem ganzen öden Zimmer, nur ein dreibeiniger Tisch und eine venezuelanische Bettstelle – d. h. in jeder Wand ein eiserner Haken, wo dann der Reisende seine Hängematte oder Chinchorra aufhängen kann.

Er sah sich etwas mißtrauisch im Zimmer um, blieb aber dann, bis ich fertig war, geduldig an der Tür stehen und lud mich darauf sehr freundlich ein, ihm zu folgen. Unterwegs trafen wir auf eine Anzahl Straßenjungen, und da diese wohl glauben mochten, daß ich jetzt abgeführt würde, um wahrscheinlich erschossen zu werden, folgten sie uns natürlich, um sich den Spaß mit anzusehen, und zogen dadurch andere Menschen nach. Glücklicherweise war das Gouvernementsgebäude nicht sehr weit entfernt, aber dort davor blieben sie auch stehen, der Dinge wartend, die da kommen sollten.

Der Gouverneur, oder welchen Posten der Herr auch bekleidete, empfing mich übrigens sehr artig, erkundigte sich, ob ich unterwegs nicht belästigt worden wäre – von Revolutionstruppen natürlich, und fragte dann nach dem Stand der Verhältnisse auf der Straße, von der er gar nichts zu wissen schien, da sich seine Soldaten ja nicht einzeln hinauswagen durften. Ich sagte ihm auch ganz offen, das die »Blauen« überall umherschwärmten, sich aber sehr anständig betrugen und ich nirgends Klagen über sie gehört hätte.

»Ob ich keine Zeitungen mit aus Caracas brächte?«

»Nein; nur zwei alte, den Federalista vom 8. und 11. April (in welchen Nummern die Ernennung der damalig neuen Minister stand). Er würde aber jedenfalls schon neuere Nachrichten haben.« – Es war ja auch der 24. des Monats.

»Nein,« erwiderte der Beamte, »wir haben lange nichts von Caracas gehört; kann ich die Zeitungen zu sehen bekommen?«

»Mit Vergnügen, aber ich habe sie nicht bei mir, sie sind in der Posada.«

»Der Mann kann mit Ihnen gehen und sie holen.«

Es war fast unglaublich, aber wahr, daß die Beamten hier mit einer Truppe Soldaten mitten im Lande saßen und so ohne jede Nachricht von der Zentralregierung in Caracas gelassen wurden, daß ihnen die erst ein Fußwanderer mitbringen mußte.

Als mich jetzt übrigens der Soldat mit seinem Gewehr wieder zurückbegleitete, fühlten sich die draußen harrenden Straßenjungen fest überzeugt, daß alles in Richtigkeit sei. Jetzt war ich abgeurteilt worden, und nun mußte ich erschossen werden. Ich war jedenfalls als Spion aufgegriffen und hatte deshalb bald bis zur Posada einen ganzen Menschenschwarm hinter mir. Dort fanden sich die guten Leute aber leider getäuscht, und als die bewaffnete Macht mit den Zeitungen fortging und mich allein zurückließ, unterhielten sie sich wohl noch eine Zeitlang auf der Straße, zerstreuten sich dann aber ebenfalls.

Die Posada war ein trauriges, ödes Gebäude und schien mir völlig leer – ich sah wenigstens keinen Menschen als den Wirt, der aus einer Seitentür – wenn der Tisch gedeckt war, erschien, um mir Gesellschaft zu leisten, um dann ebenso geheimnisvoll wieder dahinter zu verschwinden. Eine junge Mulattin, die ein allerliebstes Kind bei sich hatte, besorgte die Küche, und ein Eseljunge, der Wasser holte – woher er es holte, weiß ich nicht – und dann auch Futter für seinen eigenen Esel brachte, waren die einzigen lebenden Personen außer dem Wirt.

Das Haus selbst nahm einen Flächenraum ein, auf dem in Wien z. B. wenigstens tausend Personen – und vielleicht noch mehr gewohnt hätten. Vorn lagen weite öde Zimmer, mit geschlossenen Läden und vollkommen leer – rechts hin lief eine Galerie, die sich in drei oder vier dumpfige und fensterlose Kammern öffnete – eine von diesen bildete mein Quartier, aber ich konnte natürlich die Nacht nicht darin schlafen und zog mir mein Feldbett, das ich dort vorfand, auf den offenen Hof hinaus. Gereinigt war das Zimmer aber wahrscheinlich nicht seit der Zeit, als der Maurer, der es gebaut und inwendig weiß getüncht, den Schutt hinausgefegt hatte. Aber ich benutzte es ja doch zu weiter nichts, als eben mein weniges Gepäck und meinen Sattel unterzubringen, und da ich schon am nächsten Nachmittag wieder aufbrechen wollte, genügte es vollkommen.

Zu Mittag fragte mich mein Wirt, ob ich keine Zeitung mitgebracht hätte, und als ich ihm sagte, daß ich alles, was ich bei mir führte, dem Gouverneur oder Bürgermeister oder wer es sonst sei, gegeben, war er außer sich und bat mich auch, sie augenblicklich wiederzuholen. Ich dachte aber gar nicht daran, mich deshalb zu bemühen, und sagte ihm einfach, wenn ihm so viel daran läge, möchte er es selber tun – ich hätte nichts dagegen, und gegen Abend hatte er sie sich denn auch richtig erbeutet, und er und ein anderer ältlicher Herr, den er mitbrachte, und der etwas schwer hörte, studierten und debattierten nachher auf das eifrigste darüber.

Als ich meine Siesta hielt, amüsierte ich mich über ein Freskowandgemälde höchst eigentümlicher Art. In der einen Hofwand lief nämlich eine dünne Röhre nach dem Hof hinaus, die wahrscheinlich einen kleinen Teil des Regenwassers in den Hof selber leiten sollte. Um diese herum nun hatte irgend ein Künstler der Llanos einen schauerlichen Mulattenkopf gemalt, dem diese Röhre, wie eine Zigarre, etwas schräg im Mund steckte. Das war ihm aber immer noch nicht schön genug gewesen, und er hatte deshalb dem Mulattenkopf – nach Art der Engel auf den Raffaelschen Bildern – aber nicht ganz so gut ausgeführt – ein Paar Flügel gegeben, die rechts und links hinausstanden. Ich konnte mich wirklich nicht satt daran sehen.

Als es endlich kühl wurde, beschloß ich einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, und eben, als ich fort wollte, kam die Kleine der Köchin und guckte halb scheu, halb schelmisch zu mir in die Stube. Es war ein gar niedliches Kind, und da ich eine Anzahl von Glasperlen mit mir führte, um hier und da ein kleines Geschenk machen zu können, gab ich ihr eine Schnur blauer Perlen, mit der sie jubelnd zu ihrer Mutter lief.

Ich wanderte jetzt hinaus ins Freie und vor allen Dingen der nicht fernen Plaza zu, die stets von dem Militär dieser südamerikanischen Republiken bei irgend einer Revolution innegehalten und verteidigt wird. Ist die Plaza von einem angreifenden Trupp genommen, so betrachtet man den Ort als nicht mehr haltbar, und zieht ab.

Eine solche Plaza hat gewöhnlich nur vier Ecken, denn selten kommt es vor, daß noch in der Mitte der vier Häuserfronten eine Straße einmündet. An diesen vier Ecken standen jetzt sogar am hellen Tage Posten, und überhaupt waren die Soldaten fast alle unter Waffen und mußten jedenfalls durch ihre Kundschafter erfahren haben, daß ihnen die Blauen wieder näher gerückt seien. Ebenso wußte ja auch kein Mensch, ob der vor kurzer Zeit mit den Revolutionären abgeschlossene und gerade jetzt abgelaufene Waffenstillstand wieder verlängert sei oder nicht. Falcon regierte eben in Caracas und kümmerte sich den Henker um die kleinen Truppenteile, die zerstreut im Land umherlagen. Die mochten sehen, wie sie selber fertig wurden.

Und was für eine Bande von Soldaten lag hier in Garnison! Wie sahen die Burschen aus. Nur uniform zerlumpt waren sie, weiter nichts und mit allen Schattierungen der Hautfarbe – weiß aber fast gar nicht – vertreten, und dann sehr schmutzig. Mit allen Farben von Kleidern, die sie selber aber gar nicht abgetragen haben konnten, liefen sie auf das äußerste abgerissen umher und hatten nicht einmal gleiche Waffen.

Vor dem einen Gebäude an der Plaza, das früher einmal ganz stattlich ausgesehen haben mochte, jetzt aber wie eine Art Ruine dastand und wohinein das Hauptquartier verlegt war, hatte sich ein Haupttrupp gesammelt und stand dort aufmarschiert, und rechts und links flankten die übrigen aus. Von diesen aber lagerten die meisten auf dem Pflaster oder saßen und kauerten zerstreut umher, während eine ebenso ruppige Trompeterbande in der Mitte des Halbkreises soviel Lärm als möglich mit ihren Instrumenten machte.

Schon mit der Abenddämmerung wurden übrigens die verschiedenen Ecken der Plaza durch Pikets besetzt, und ebensolche, als es vollständig dunkelte, bis an die zweite Ecke vorgeschoben. Es war augenscheinlich, daß sie sich nicht sicher vor einem Angriff fühlten, und sie wußten dabei, daß sie die ganze Stadt selber gegen sich hatten.

Und was konnten nun solche vorgeschobene Truppenkörper von vielleicht 300 oder 400 Mann der Regierung in Caracas nützen, denn vollständig von jeder Verbindung mit der Hauptmacht abgeschnitten, sogar ohne die geringste Nachricht von draußen, und während die revolutionären Schwärme mit jedem Tag wuchsen, konnten sie auf der Gottes Welt nichts tun, als da, wo sie gerade lagen, das Land aussaugen. So wie aber der Kampf begann, waren sie von allen Seiten eingeschlossen und mußten sich entweder ergeben – worauf übrigens auch die meisten warteten, oder sich einzeln totschlagen lassen.

Als ich wieder nach Hause zurückkam – denn in den Straßen wurde man schon von den Soldaten angeschrieen, stand der Wirt in der Tür und schien mich erwartet zu haben. Er fragte mich auch etwas verlegen, ob ich noch vielleicht von den blauen Perlen hätte, von denen ich dem Kind heute eine Schnur gegeben.

»Ja – weshalb? –«

»Ob ich ihm wohl einige davon verkaufen möchte?«

»Lieber Herr,« sagte ich, »derlei Dinge führe ich nur zum Verschenken bei mir; verkaufen tue ich nichts davon – aber was wollen Sie damit? –«

»Ach,« sagte er – und wurde noch verlegener – »meine Töchter haben die Perlen gesehen und mich so gequält, ich möchte ihnen doch einige verschaffen – und sie sind hier in der Stadt gar nicht zu haben.«

»Sind Sie denn verheiratet? –«

»Gewiß – ich wohne hier gleich nebenan.«

»Du lieber Gott,« lachte ich, »wenn ich Ihren Töchtern damit eine solche Freude machen kann, so steht ihnen ein Teil von dem, was ich noch habe, gern zu Diensten.«

»Also Sie wollen mir welche verkaufen.«

»Nein, aber ich werde mir erlauben, ihnen ein Geschenk damit zu machen.«

Der kleine Mann schien darüber doppelt erfreut, und so sorgfältig er bis jetzt seine Tür verschlossen gehalten, so bat er mich doch jetzt, zu den Damen mit hinüber zu kommen.

Nun hatte ich schon vorher in Caracas und später auch in Victoria gehört, daß Calabozo in der ganzen Republik seiner hübschen Mädchen und Frauen wegen berühmt wäre, an dem ganzen Tag aber auch noch nicht eine einzige von ihnen zu Gesicht bekommen, denn die Damen hielten sich bei dieser Militärwirtschaft und der Bande natürlich fest in ihren Häusern verschlossen und ließen sich noch weniger auf der Straße – nicht einmal an ihren Fenstern sehen. Ich war aber hier wirklich überrascht, denn zwei so bildhübsche Mädchen hatte ich sicher nicht erwartet zu finden, als sie der alte Bursche hier wohlweislich hinter verschlossenen Türen hielt. Aber ein Schmuck hat schon manche Tür geöffnet, ob das nun Diamanten oder Glasperlen sind – die Sache bleibt sich gleich – es kommt nur auf die Gegend an.

Ich hatte noch etwa drei oder vier Pfund der verschiedensten Perlen bei mir, und es war wirklich ein Vergnügen, zu sehen, mit welchem augenscheinlichen Entzücken die jungen Damen, von denen die jüngste höchstens sechzehn, die andere vielleicht ein oder zwei Jahr mehr zählen mochte, den Schatz von bunten Perlen vor sich ausgebreitet fanden – denn da kein Tisch im Zimmer war, setzten wir uns alle – die Mutter ebenfalls – ganz behaglich auf die Matte nieder.

Die beiden jungen Damen hatten, wie fast alle Südamerikanerinnen, prachtvolles schwarzes Haar und große dunkle Augen, wie ebenfalls einen prachtvollen Teint – und wie die Augen jetzt vor Vergnügen blitzten! Es war wohl ein paar Händevoll Glasperlen wert, das wirklich wunderhübsche Bild zu beobachten.

Zuerst griffen sie übrigens nach den blauen Perlen, und als ich ihnen bemerkte, daß das ja die Farbe der Revolution sei, betrachteten sie mich so schelmisch von der Seite, als ob sie hätten sagen wollen – und ihre Augen sagten das auch – »ja eben deshalb.«

Im Anfang suchten sie aber nur sehr schüchtern aus. Jede eine oder zwei Schnuren, und als ich ihnen sagte, daß sie nur mehr wählen möchten, sahen sie ihre Mutter fragend an, und diese erkundigte sich vor allen Dingen nach dem Preis. Als ich ihnen aber wiederholte, daß die Perlen überhaupt keinen Wert hätten, und sie davon nehmen möchten, was sie freue, blitzte es über die lieben Gesichter, und sie griffen jetzt herzhaft zu – aber immer. noch bescheiden, bis ich denn ausfand, welche ihnen am besten gefielen, und dann reichlich selber gab.

Ich habe wenigstens das Bewußtsein, die beiden jungen Wesen an dem Tage glücklich gemacht zu haben – und es ist ja schon ein Glück, sich nur über eine solche Kleinigkeit freuen zu können.

Ich verbrachte wohl eine Stunde in der Familie und bekam bald heraus, daß sie vollkommen revolutionär gesinnt und mit einem Wort echtblau seien. Die Mutter versicherte mir sogar, daß ich durch die ganze Stadt gehen und in jedem Haus das nämliche finden könne.

Am nächsten Morgen sah ich ein Exerzitium der Soldaten, die langsam durch die Stadt marschierten, und ich muß gestehen, daß mir eine zerlumptere Bande solcher armen Teufel noch im ganzen Leben nicht vorgekommen. Keiner von allen hatte Schuhe an, Jacken ebensowenig Einigen schien es selbst an einem Hemd zu fehlen, denn sie trugen ihre alten, zerlumpten Cobijas, trotz der Wärme, über die Schultern geworfen. – Und wie waren sie bewaffnet! Unter der ganzen Truppe sah ich nur zwei Musketen, die ich aber nicht um alles Geld der Welt hätte abfeuern mögen. Drei andere trugen noch Karabiner, und die übrigen führten allein Lanzen – jedenfalls eine bessere Wehr als die Karabiner, die höchstens zum Dreinschlagen dienen und dann hinten losgehen konnten.

Alle diese Leute waren zu Soldaten gepreßt worden. Keiner von allen bekam den versprochenen Sold, und zu essen? – wenn sie selber etwas fanden, ja, sonst aber waren in Calabozo schon alle Tiere aufgezehrt und die Fouragiertrupps von der Umgegend ebenfalls abgeschnitten. Und diese Leute sollten ein ganzes, im Aufstand begriffenes Land bekämpfen? Wer sie nur sah, konnte über das Resultat auch keinen Moment im Zweifel sein.

Als ich diese traurige Truppe – und die Leute sahen außerdem niedergeschlagen genug aus – hatte an mir vorbeidefilieren lassen, machte ich mit einem jungen Deutschen, der ebenfalls von Caracas erst kürzlich nach Calabozo gekommen war, um hier Gelder einzukassieren, aber total unverrichteter Sache wieder zurückkehren mußte, – denn wer besaß in der jetzigen Zeit Geld – einen Spaziergang vor die Stadt und hatte wahrlich nicht erwartet, eine so reizende Szenerie zu finden.

Dies Calabozo muß in friedlichen Zeiten ein wirklich reizender Ort sein und hat auch in dem südlichen Teile Venezuelas, schon seiner Bäder wegen, einen Namen. Wenn es aber in den Llanos überhaupt einen schönen Fernblick geben kann, so darf ihn dieses Städtchen beanspruchen.

Dicht am Huarico und auf dem hohen Ufer desselben gebaut, überschaut es die weite, durch nichts unterbrochene Ebene nach allen Seiten, und da dieselbe dort ziemlich dicht mit grünen Büschen und einzelnen zerstreuten Palmen bedeckt ist, bietet sie auch einen freundlichen Anblick. Ganz prachtvoll aber liegt die Stelle, an welcher sich die Bäder – kalte wie warme – befinden. Dort ist überhaupt Wasser genug, und prachtvolle Mangobäume ragen mit ihren dichtbelaubten und riesigen Wipfeln selbst über die Hügel hinauf und beschatten die unten angebrachten und ausgemauerten Badeplätze. Aber das nichtsnutzige Soldatenvolk hat auch diese friedliche Einsamkeit gestört und für den Augenblick sogar zerstört. Dort unten hinein haben sie nicht allein ihre Tiere getrieben und den Platz vollkommen abweiden lassen – das möchte noch seine Entschuldigung finden – nein, auch in die Bäder selbst trieben sie Pferde und Maultiere, bis die Eigentümer die kleinen Schleusen öffneten und das Wasser total ausströmen ließen. Den Damen von Calabozo wurden alle die schönen Bäder entzogen, und es hätte dessen in der Tat nicht bedurft, um sie noch gegen die Regierung und ihre Truppen zu erbittern. –

Aber meines Bleibens war nicht länger in Calabozo, und nachdem ich an dem Tage noch die größte Hitze abgewartet und im Schatten des Hauses verbracht, sattelte ich mir, etwa drei Uhr nachmittags, wieder mein Maultier, um meine Reise fortzusetzen und nun in den eigentlichen wilden und selten besuchten Distrikt der Llanos einzutauchen.

Ehe ich aber aus dem Hof hinausritt, wurde mir noch eine Überraschung. Die beiden jungen Damen, die ich heute gar nicht gesehen, und denen ich mich nur durch ihren Papa hatte empfehlen lassen, kamen heraus, um mir noch zum Abschied die Hand zu reichen – aus Dankbarkeit für die Glasperlen Gott segne ihre lieben Gesichter – sie sahen wieder bildhübsch heute morgen aus.

Von Calabozo aus hielten wir allerdings noch anfangs die bisherigen Chaparrobüsche, welche die Gegend ein wenig monoton machen; bald aber traten die kleinen eigentümlichen Palmen wieder auf, und zwar immer häufiger, bis sie zuletzt einen einzigen, wirklich malerisch schönen Wald bildeten, der uns auch einigen so sehr herbeigesehnten Schatten gab.

Weit ab vom Wege sahen wir einzelne Hirsche, aber sie gingen flüchtig fort. Sie waren jedenfalls durch irgend etwas verscheucht worden, und als wir bald darauf eine etwas größere Waldblöße erreichten, die sich nach Osten zu öffnete, entdeckten wir eine kleine Gruppe von Soldaten, die dort ihre Tiere weiden ließen. Sobald sie uns übrigens bemerkten, sprang einer von ihnen in den Sattel, griff seine im Boden steckende Lanze auf und sprengte auf uns zu, um sich zu vergewissern, wer wir wären. Nur an meinen Peon richtete er aber ein paar Fragen – dem gelben Band nach gehörte er zu den Regierungstruppen – und schloß sich dann gleich darauf wieder den übrigen an.

Etwa eine Stunde später überholten sie uns, galoppierten aber vorüber, ohne sich aufzuhalten. Wie wir an dem Abend noch erfuhren, waren sie ausgeritten, um eine Schar der ihrigen anzutreffen, die vom Apure her erwartet wurde.

Die Szenerie war hier wirklich wunderbar hübsch, ein vollkommener Palmenwald, und etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang erreichten wir auch eine kleine Hacienda mit einem Zuckerfeld, aber es gab kein Wasser für unsere Tiere, und wir durften deshalb hier nicht übernachten. Unmittelbar fast hinter der Hacienda aber und kaum eine halbe Legua davon entfernt, mit einbrechendem Abend, trafen wir ein Rudel Rotwild – denselben virginischen Hirsch, der im Norden bis zu der kalten Zone hinaufreicht, nur hier mit vielleicht durchschnittlich etwas geringerem Geweih – und ich schoß einen davon, um wenigstens ein gutes Stück Wildbret für unser Abendessen zu haben.

Gerade als ich noch damit beschäftigt war, ihn aufzubrechen, sahen wir eine Staubwolke uns entgegenkommen, und bald darauf unterschieden wir auch den ankommenden Soldatentrupp, dem sich unsere Bekannten von heute morgen angeschlossen hatten. Nur die Offiziere waren natürlich zu Pferde, die Soldaten waren aber den ganzen Tag in der bösen Hitze marschiert. Sie sahen auch erschöpft genug aus, ohne übrigens durch das geringste Gepäck belästigt zu sein – einzelne nur hatten ein Stück frisches Kuhfleisch auf ihr Bajonett gespießt – dabei lachten und plauderten sie aber lustig zusammen und wollten mit einem Gruß vorüber, als ich den Offizier anrief und ihn fragte, ob er nicht seinen Soldaten wolle das Wildbret mitnehmen lassen, da ich und mein Peon natürlich sehr wenig davon brauchten. Das wurde denn auch mit Dank angenommen; an Lebensmitteln fehlte es den armen Teufeln ja immer. Übrigens ging ihnen das Zerwirken trefflich von der Hand, und in wenigen Minuten war mein Hirsch derartig beseitigt, daß die Aasgeier für den nächsten Morgen kaum noch ein dürftiges Frühstück an den Eingeweiden übrigbehielten.

Die Nacht trafen wir kein Haus mehr, sondern mußten, da kein Mondschein war, unter einer kleinen Palmengruppe lagern, ohne daß wir oder unsere Tiere auch nur einen Tropfen Wasser gehabt hätten. Mein Führer versicherte mir übrigens, daß wir nicht mehr weit von einer kleinen Lagune entfernt wären, wo wir wenigstens die beiden Tiere ganz früh am Morgen tränken könnten.

Wasser! Es ist das ein böses Hindernis für die Kultur dieser Strecken, und wie muß man sich behelfen, wenn man wirklich einmal zu einem Brunnen kommt. Wir sollten das am nächsten Tag erfahren.

Morgens erreichten wir nach kaum einstündigem Ritt die kleine Lagune, von da ab ritten wir aber den ganzen Tag bis nachmittags drei Uhr, ohne auch nur noch einen einzigen Tropfen zu begegnen, und wie entsetzlich trostlos lag das Land!

Es war ein verzweifelter Marsch, die Sonne brannte mit einer wahren Glut auf die dürre, in der Trockenheit überall aufgesprungene Ebene nieder – und doch wuchsen noch Blumen in den verschiedensten Farben darauf, besonders viele sensitive Pflanzen, die noli me tangeres, die sich hier auf dem trocknen Boden vollkommen wohl zu befinden schienen.

Das war auch Wildnis, wie man sie sich nicht öder denken kann, und doch hatten es Menschen, jedenfalls Viehzüchter, früher einmal versucht, sich hier niederzulassen, aber in dieser Dürre mit ihrem Vieh flüchten müssen, um den Portugesestrom oder Apure aufzusuchen. Das erste Haus, was wir anritten, lag auf einer kleinen Erhöhung, und dicht daneben befand sich ein früher gegrabener Brunnen – aber ein Brunnen, wie ihn diese Art Leute gewöhnlich graben – kaum mehr als eine weite, etwa 12 Fuß tiefe Kuhle, zu der man bequem hinabsteigen konnte, die aber jetzt auch natürlich nicht die Spur einer Feuchtigkeit mehr zeigte.

Und immer heißer brannte die Sonne, und die Zunge klebte uns am Gaumen. Da endlich sahen wir links vom Wege ab wieder eine Wohnung liegen. Ich traute freilich nicht mehr und wollte vorbeireiten, mein Führer aber bat, ich möchte doch einmal zusehen – es wäre ja möglich, daß wir dort einen Becher voll Wasser fänden, um uns wenigstens einen Schluck Kaffee zu machen.

Ich trabte hinüber, und als ich die niedergebrochene Umzäunung erreichte, rief ich das Haus an – niemand antwortete, aber im Innern hörte ich eine Katze miauen – dort mußten also doch Menschen sein, und wo wir Menschen fanden, fanden wir auch Wasser.

Ich ritt an die Tür hinan und sah in das Haus. Es war vollkommen leer, eine kleine gelbe Katze ausgenommen, die auf einer Art von Lehmbank lag und kläglich miaute, als sie meiner ansichtig wurde. Das arme Tier war hier jedenfalls halb verdurstet und halb verhungert und mußte da elend krepieren – aber wie konnten wir ihr helfen? Wieder hielten wir hinaus in die Llanos, und mein Maultier schien so erschöpft, daß es kaum von der Stelle wollte. Es konnte nichts helfen;, hier gab es keine Rast für uns, und in die senkrecht niederbrennende Sonne drängten wir aufs neue hinein.

Als wir endlich, etwa um drei Uhr nachmittags, einen Brunnen erreichten, war es ein Brunnen in der Wüste, von der gewöhnlichen Tiefe, nicht zum Heraufziehen des Wassers, sondern zum Hinabsteigen eingerichtet, und mit eben genug fließendem Wasser darin, um vielleicht jede Minute einen Trinkbecher zu füllen. Dort wuschen Frauen, die sich das Trinkwasser in einer Kalabasse (hier Totuma genannt) heraufholten. Dort stand eine andere Frau mit einem Esel und zwei kleinen Fässern darauf, die sie hier ebenfalls füllen wollte. Dorthin kam ein Bursche mit zwei Zugstieren, die er zu tränken gedachte, aber die Waschfrauen ließen es nicht zu, und er mußte wieder abziehen. Dort langten wir ebenfalls an zu demselben durstigen Zweck, und so trostlos der Platz aussah, da nicht einmal ein Schattenbaum, sondern nur eine dürftige Akazie an dem Brunnen stand, hielten wir doch eine kurze Rast, gaben den Tieren etwas zu saufen und marschierten dann noch eine kurze Strecke weiter, um dort zu übernachten.

Ein wunderbarer Unterschied muß hier aber in der Tat zwischen der nassen und trockenen Jahreszeit herrschen, denn während jetzt die ganze Natur wie ausgetrocknet und verdorrt schien, zeigte mir mein Führer unterwegs Stellen, wo wenigstens 12 Fuß über dem Boden, von einer höheren Stelle bis zu einer anderen, eine Art von Steg aus Holzstämmen gemacht war, damit dort oben die Arrieros mit den Ladungen trocken überpassieren konnten, während die Tiere hier unten durchschwammen. Die ganze Llano soll in der Zeit unter Wasser stehen, und viele von diesen Plätzen sind dann wirklich nur mit Lebensgefahr zu passieren. Wo waren aber jetzt die Fluten, die sonst hier hindurchströmten, und welchen Segen würde nur ein kleiner, unbedeutender Teil derselben dem Boden gebracht haben! Dieses von einem Extrem zum anderen Übergehen herrscht aber in vielen tropischen Himmelsstrichen, und während in einem Teile des Jahres das Land fast ersäuft, reißt es in dem anderen die furchtbare Dürre so voneinander, daß man sogar das Maultier vorsichtig zwischen diesen Rissen hindurchleiten muß. Und wie soll es hier regnen, wenn es einmal beginnt – so daß sich ganze Lagunen in wenigen Stunden anfüllen und der Wanderer sich hüten muß, an einer tiefgelegenen Stelle Halt zu machen.

Wieder ein langer, öder Tagesmarsch mit nur hier und da einem Rudel Wild, die entsetzliche Einsamkeit zu unterbrechen. Frisches Wildbret hatten wir wenigstens die Zeit über. Merkwürdig war übrigens die Gier, ja Frechheit der Aasgeier, wenn ich ein Stück geschossen hatte. Man wußte manchmal wahrlich nicht, wo sie so plötzlich herkamen, wenn sie nicht versteckt in den Palmenwipfeln gesessen hatten. Wie eine schwarze Wolke bedeckten sie auch schon, nach kaum einer Viertelstunde, die Llano neben dem erlegten Stück, und wenn ich nur Miene machte, davon zurückzutreten, warfen sie sich mit dem unheimlichen Rauschen der Flügel und mit heiserem Krächzen darüber her. Warf man aber ein Stück zwischen sie hinein, so ballte sich auch in dem nämlichen Moment die ganze Masse zu einem widerlichen Knäuel zusammen, und mit Krächzen und Kreischen und Flügelschlagen rissen sie es in Stücke.

Der Palmenwald hatte hier schon lange aufgehört, Palmen kamen noch immer im einzelnen vor, und merkwürdigerweise gerade in dieser Gegend fast immer mit einem Laubbaum, der aber nur aus einer Schlingpflanze entstand, eng verwachsen.

Diese Sombreropalme, eine kleine Fächerpalme, aber unähnlich den in Afrika wachsenden Fächerbäumen mit Ästen, da sie nur allein palmenartig wächst, trägt kleine schwarze Früchte, die, wenn reif (und gerade in dieser Zeit fanden wir schon einige gereifte), schwarz aussehen, von der Größe eines kleinen Taubeneies sind und fast wie Johannisbrot, aber ziemlich trocken schmecken. Der Wipfel derselben bildet sich rasch aus, und auch der Stamm bekommt fast gleich im Anfang seine spätere Stärke und wächst nur mit den Jahren höher, wobei der Wipfel dann die unteren Blätter, wie der Stamm emporsteigt, fallen läßt. Die Stumpfen dieser Blätter bleiben aber noch lange stehen, und wie sie in ihren Höhlungen Feuchtigkeit halten, weht auch dort der Same einer besonderen Schlingpflanze hinein, die darin wächst, nach und nach den ganzen Stamm umspannt und zuletzt die Form eines Baumes annimmt, ohne je die umschlossene Palme zu schädigen oder zu erdrücken.

Nur eine einzige Palme fand ich in einer solchen Umarmung abgestorben – aber auch der Baum war tot, der sie umschlossen hielt.

Gegen Abend erreichten wir endlich das nicht gerade kleine Städtchen Kamahua, das an dem Portugesefluß liegt und einen sehr bedeutenden Stromhandel mit dem Apure und selbst dem Orinoco treibt. Außerdem ist der Ort auch noch ziemlich bedeutend in der Fabrikation von Hängematten.

Von hier aus hätte ich nun in der Tat meine Reise zu Wasser beenden können, aber San Fernando sollte, wie mir mein Führer sagte, ein viel besserer Platz sein, um mich einzuschiffen, und da ich diese Stadt von da aus in einem Tage bequem erreichen konnte, beschloß ich, mich hier nicht aufzuhalten. Aber wieder lag unsere Bahn durch eine furchtbar trockene Wüste, die, nur hier und da mit Palmen bestanden, die Augen schmerzte, während sie ihnen nicht die geringste Abwechselung bot. Kein Tropfen Wasser war auf dem ganzen Weg zu finden, bis Licht vor San Fernando selber und schon unmittelbar an dem Waldstreifen, der den Apurestrom begleitete.

Nicht weit von einer dort stehenden kleinen Hütte entfernt und reichlich noch eine halbe Legua in gerader Richtung von dem Fluß selber, trafen wir einen Kaiman oder Alligator, der auf vollkommen trockenem, ja ausgedörrtem Boden in der Sonne briet und uns, ohne auch nur eine Bewegung zu machen, dicht an sich vorbeireiten ließ. Wir belästigten ihn auch nicht weiter. Es war dort viel zu heiß, um sich mit dem faulen Burschen einzulassen.

Übrigens bekam ich dadurch Gelegenheit, ihn ziemlich genau zu beobachten. Er mochte etwa neun oder zehn Fuß lang sein, hatte einen viel kürzeren Schwanz als die nordamerikanischen Alligatoren, und auch eine grünliche, ins Graue spielende Färbung – sonst aber dasselbe nichtswürdige, malitiöse Gesicht und die nämliche, nichts weniger als schöne Gestalt.

Jetzt hatten wir die Bäume erreicht, aber Schatten gab es deshalb noch immer nicht, denn der Weg führte breit hindurch, und die Sonne brannte wie Feuer auf den gedörrten Boden nieder. Weiter und weiter! Wenn ich glaubte, jetzt müsse sich der Wald lichten und uns die heißerstrebte Stadt zeigen, war es nur immer wieder eine Waldblöße, die wir erreichten, bis wir am Ende plötzlich vor dem Apure selber standen und jetzt auch, am anderen Ufer, San Fernando de Apure in seiner ganzen Breite vor uns sahen.

Aber alle Wetter! welch ein Strom! So groß und breit hatte ich mir den Apure wahrlich nicht gedacht, der dort, wo die Stadt lag, dem Mississippi selber wenig nachgab. Und wie frisch der Wind über seine Fläche strich, aber was für tüchtige Wellen er dabei auch aufwühlte! Und das war dabei erst der Apure, der sich in den noch weit größeren Orinoco ergoß! Aber ich machte mir jetzt wahrlich keine Sorgen, wie ich diese ziemlich hochgehenden Wellen mit einem schwankenden Kanoe befahren sollte. Hier endlich hatte ich das Wasser, nach dem ich mich so lange gesehnt, erreicht – da, zu meinen Füßen, lag der Strom, dort drüben das Ziel einer langen, mühseligen Wanderung, und damit war ja auch der weiteste Punkt gewonnen, der mich noch von der Heimat abzog. Von hier konnte ich rechnen, daß ich mich auf dem Heimweg befand, und alles andere schwand in dem einen Gedanken zu nichts zusammen.


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