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Mit so vielen deutschen Schiffskapitänen ich auch früher zusammentraf, sobald das Gespräch auf Reisen kam, blieb ihre stete Frage:
»Waren Sie schon in Bolivar? Nein? – Ja, da müssen Sie hin, Bolivar müssen Sie sehen,« – und nun ergingen sich die Seeleute, die selten oder nie vom Land erzählen, weil sie nur so wenig Zeit an Land verbringen, in den lebendigsten Beschreibungen dieser eigentümlichen und fast noch wilden Region.
Sie hatten dazu auch vollen Grund, denn Segelschiffe sind in der Regenzeit und bei angeschwollenem Strom oft gezwungen, wochenlang in dem engen Fahrwasser der Deltakanäle aufzukreuzen – besonders wenn sie noch dazu von Windstille befallen werden. Sie befinden sich dann gerade an einem einigermaßen trockenen Platz, so kennen die Seeleute natürlich keinen höheren Genuß, als im Wald umherzukriechen und auf alles zu schießen, was nur Leben hat – unterbricht es doch in pikanter Weise die Monotonie der langen Fahrt. – Das Wort Bolivar hatte deshalb auch schon immer einen eigentümlichen Reiz für mich, und außerdem mit allem, was ich darüber gelesen, würde ich den Staat Venezuela schon sicher auf einer meiner früheren Reisen besucht haben, wenn es sich eben hätte machen lassen. Jetzt endlich erreichte ich das längst ersehnte Ziel, und eigentümlich genug sah der Platz in der Tat aus.
Wenn man nach langer mühseliger Fahrt in einem Kanoe den Orinoco herunterschwimmt und sich schon fast daran gewöhnt hat, an beiden Ufern nichts als undurchdringlichen Wald – eine Wildnis zu sehen, die fast ausschließlich vom Tapir und Tiger oder Hirsch begangen und von Schlangen und Eidechsen durchkrochen wird, bemerkt man plötzlich in der Ferne auf einem niederen, offenen und allmählich abdachenden Hügel dicht zusammengedrängt, helle Häusermassen mit dunklen, rätselhaften Punkten dazwischen. Das ist Bolivar, die Hauptstadt von Guayana, früher auch Angostura oder die Enge genannt, weil der gewaltige Strom sich hier in der Tat verengt, aber trotzdem doch noch immer eine ganz ansehnliche Breite zeigt. – Es ist überhaupt schwer, den Namen einer Stadt, wenn sie einmal den alten lange geführt hat, umzuändern, und manchmal ganz unmöglich. So wollte man New York wieder, wie früher, Manhattan nennen, und machte dazu die verzweifeltsten Versuche – aber es ging eben nicht und mußte wieder aufgegeben werden.
Bolivar selber macht von weitem keinen besonders freundlichen Eindruck, denn es fehlt das Grüne zwischen den Häusern, es fehlen Bäume oder Palmen, um selbst nur eine südliche Stadt anzuzeigen. Kahl und in der Sonne röstend liegen die Gebäude, und zwischen ihnen bemerkt man, wenn man näher kommt, wild zerstreut eine Menge braunfarbiger Granitblöcke, die nach einem sonnigen Tag noch mitten in der Nacht eine wirkliche Gluthitze ausströmen. So felsig aber ist der ganze Boden, auf dem die Stadt steht, daß einzelne Häuser ordentlich in die Steine hineingemeißelt werden mußten.
Übrigens finden sich hier wieder, trotz der häufig fallenden und schweren Regen, die platten Dächer, wie weiter südlich in Buenos-Ayres und Montevideo – was den ganzen Ort vor den übrigen Städten Venezuelas auszeichnet.
In dem Kanoe aber, mit der mächtigen Strömung und bei dem herrlichsten Wetter näher und näher treibend, vergißt man bald alles andere in dem höchst interessanten und eigentümlichen Anblick, den das Ufer bietet. Das ist auch der belebteste Platz der ganzen Stadt, und gleich oberhalb wird man davon gefesselt, und hat dann für all das andere kein Auge mehr.
Dort nämlich, unter riesigen und rund gewaschenen Felsmassen, die aber unten etwas schräg und flach auslaufen und von der Flut bespült werden, haben sich die Waschfrauen Bolivars versammelt und sind bei ihrer Arbeit. Aber man muß wirklich Waschfrauen in Venezuela selber gesehen haben, um sich einen richtigen Begriff von ihnen zu machen. Es ist ein wahrer Genuß.
Dies nützlichen Wesen haben sich nämlich eine höchst praktische Tracht geschaffen, die man aber eigentlich mehr malerisch als schön, auf keinen Fall frauenhaft nennen könnte. Sie müssen fortwährend mit Füßen und Armen im Wasser sein, möchten sich aber auch nicht gern die Kleider naß machen und haben deshalb etwas erfunden, was sie nicht zwingt, ohne Kleider zu erscheinen, aber auch zu gleicher Zeit alles entfernt, was ihnen im Weg ist. Ihre Röcke stecken sie so zusammen, daß sie wie weitbauschige, oft sehr kurze Schwimmhosen aussehen, die Arme sind vollständig entblößt, und Halstücher fehlen gänzlich; so kommt es denn, daß man, wenn man sie von weitem sieht, gar nicht recht weiß, ob es Männer oder Frauen sind, und nähert man sich ihnen und hört ihre Baßstimmen, so wird man erst recht irre. Man sieht oft zwanzig oder dreißig von ihnen auf den großen braunen Steinplatten unmittelbar am Wasserrand wirtschaften. Die Wäsche malträtieren sie freilich auf das grausamste; die feinsten Hemden werden auf eine Weise geschlagen und auf den Steinen abgerieben, daß es nur als ein Wunder erscheint, wenn sie eine einmalige derartige Behandlung aushalten, aber jedenfalls amüsieren sie sich vortrefflich dabei, denn das Lachen und Schwatzen, Schreien und Jubeln während ihrer Arbeit läßt sich kaum beschreiben.
Bunt genug sieht der Platz dabei ebenfalls aus, denn der braune, dunkle Stein bildet einen vortrefflichen Hintergrund zu dem lebendigen Bild, auf dem sich die ausgebreitete und hier und da aufgeschichtete Wäsche ganz hübsch macht. Dazwischen sieht man auch eine Anzahl badender Kinder und junger Mädchen, die sich vor einem vorbeitreibenden Kanoe, in dem sie keinen Fremden, sondern nur Eingeborene vermuten, nicht im mindesten genieren.
Ein kleines Stück weiter unten hat ein großer indianischer Bungo (ein großes Kanoe) angelegt, der Casave, Hängematten und Schildkröteneier den Strom herabgebracht. Es sind Kariben, und zwischen den Steinen, unmittelbar am Flusse, haben sie sich ihr Zelt aufgeschlagen, das heißt, nur eine Decke zwischen Stöcken schräg ausgespannt. Merkwürdigerweise sind aber bei diesen die Männer weit mehr bekleidet als die Frauen, und die jungen Mädchen besonders tragen nur eine Art von sehr kleinem Schurz und ein buntes Stück Zeug um die Taille, während die Indianer selber fast immer eine Art Poncho überhängen haben. Während diese aber ihre langen, dünnen Zigarren rauchen, kochen die Frauen vorn, dicht am Wasserrand, und hetzen sich die kleinen Kinder in und außer dem Wasser herum. Die Furcht vor Kaimans scheint hier lange nicht so groß zu sein als weiter oben im Apure.
Noch weiter unterhalb liegt eine Menge von Kanoes, die eine Ladung stromab gebracht haben, oder sich eben wieder fertig machen, in ihre Heimat aufzubrechen. Andere halten über den Strom hinüber, einem dort angelegten kleinen, sehr unbedeutenden Städtchen zu, das in der Provinz Barcelona liegt. Nur die Felsenmasse ist ihnen dabei etwas im Wege, die, Bolivar gerade gegenüber, mitten aus der Flut emporragt und sonderbarerweise einen einzigen Baum auf ihrem Rücken trägt. Bei sehr hohem Wasserstande sollen jene jetzt ziemlich bedeutenden Felsmassen fast ganz von der Flut bedeckt sein und dann eine furchtbare Strömung an ihnen vorbeirauschen. Jetzt fing die Regenzeit erst an, und der Fluß konnte kaum 4 bis 5 Fuß gewachsen sein.
Dort, gleich unter den Indianern, wo sich schon eine Masse von anderen Kanoes gesammelt hatte, glitten wir zwischen die übrigen hinein, und eine mühselige Fahrt war beendet. Ja, ich glaubte damals, daß hier meine ganze Reise beendet sei, und ich nur auf den Dampfer zu warten und heimzufahren brauche. – Wie oft irrt sich der Mensch!
In dem Augenblick der Landung durfte ich übrigens nicht an weitere Pläne denken, denn die Gegenwart nahm meine Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch – und zwar nicht infolge der neuen und fremdartigen Eindrücke, sondern in mehr prosaischer Weise – der landesüblichen Münzsorte wegen.
Als ich nach San Fernando kam, war meine Kasse nämlich so weit erschöpft, daß ich den hohen Passagepreis für das Kanoe nicht dort gleich mehr vorausbezahlen konnte. Ich machte nur eine Anzahlung von 12 Pesos an meinen alten Don Pedro und versprach, ihm das andere in Bolivar zu entrichten.
Womit? – Ich hatte weder Geld dort zu ziehen noch Briefe dahin, außer der Tasche voll, die mir die Kaufleute in San Fernando als Postboten mitgegeben, aber ich verließ mich auf mein gutes Glück und meine Landsleute, die mich bis jetzt noch nie im Stich gelassen, so daß ich Geld bekommen konnte, wo ich es brauchte, und dadurch nicht genötigt war, so viel mit mir herumzuschleppen.
Das Blohm-Krohnsche Geschäft – eins der bedeutendsten in Bolivar, lag unserem Landungsplatz gerade gegenüber und oben auf dem Hügel, und dort hinauf hinkte ich jetzt, denn von neulich abends her hatte ich noch meine sehr fatale Brandblase am Fuß und mußte auch deshalb Alpargates tragen. – Ich sah überhaupt liebenswürdig aus nach meinem Marsch und Ritt durch die heißen Llanos und dieser letzten zehntägigen Fahrt in dem schmutzigen Kanoe, während meine Kleider durch das Durchkriechen der dornigen und verwachsenen Waldungen ebenfalls kaum noch zusammenhielten; meinen alten, schmutzigen Panamahut dabei auf, die weißen Alpargates an den bloßen Füßen – in Deutschland hätte mich die Polizei augenblicklich aufgegriffen, hier aber, am Ufer des Orinoco, fiel das nicht besonders auf, während ich selber so daran gewöhnt war, mich immer dann und wann einmal in einem derartigen Zustand anzutreffen, daß ich gar nichts Außerordentliches darin fand.
Die jungen Leute in Herrn Krohns Geschäft sahen mich allerdings ein wenig erstaunt an, als ich nach Herrn Krohn fragte und ihn selber zu sprechen verlangte, riefen ihn aber doch herbei, und Herr Krohn lachte, als ich ihm einfach sagte, ich hieße so und so und bäte ihn, mich vorderhand nur mit 58 Pesos bei meinem Don Pedro, der mir auf Schritt und Tritt gefolgt war – auszulösen.
Don Pedro bekam sein Geld augenblicklich, und ich selber wurde jetzt von den guten Menschen dort auf so herzliche und liebenswürdige Weise aufgenommen, als ob ich ihnen seit Jahren bekannt und befreundet gewesen wäre, und wohl hätte ich eine kurze Ruhezeit gebraucht, denn ich war wirklich wandermüde – ein Gefühl, das den Menschen nach großen und anstrengenden Touren gewöhnlich erfaßt, aber selten länger als drei oder vier Tage dauert.
Bolivar selber ist regelmäßig gebaut, so viel es nämlich der mit Steinen und Felsblöcken übersäete Hügel, auf dem die Stadt liegt, erlaubt. Nur insofern hat sie eine ungünstige Lage, als dicht unter ihr eine Lagune in den Strom einmündet, die in der trockenen Jahreszeit ihr Wasser verdunstet und dadurch zuweilen Fieber erzeugt, wie zahlreichen Insektenschwärmen Vorschub leistet.
Der Platz hat übrigens einen bedeutenden Handel und Verkehr – wenn derselbe auch jetzt durch die Revolution nicht allein gestört, ja, fast total sistiert wurde – aber ganz absterben konnte er doch nicht, und die in der Nachbarschaft entdeckten reichen Goldminen fingen sogar an, ihm wieder einen Aufschwung zu geben. Jedenfalls bildet es den Zentral- oder Ausgangspunkt für alle in Guayana selber, wie für die im ganzen Westen und auch teilweis im Norden gewonnenen Rohprodukte, bei denen besonders die Häute eine große Rolle spielen. Hirschhäute besonders, die in Schiffsladungen aus dem Apure und selbst den Meta herunterkommen, werden oft im Jahr an die Hunderttausend verschifft. Außerdem bilden Balsam Copahu, Tongabohnen wie Kakao nicht unbedeutende Ausfuhrartikel.
In jetziger Zeit freilich kamen diese Gegenstände nur in sehr geringer Menge den Orinoco herunter, denn die durch das Innere streifenden Soldatenbanden haben die sonstigen Händler zurückgeschreckt, und selbst in Bolivar lagen ja Regierungstruppen.
Die Provinz oder der Staat Guayana oder vielmehr Bolivar, das sie repräsentierte, befand sich aber gerade damals in einer höchst eigentümlichen Lage, und wartete mit der größten Spannung auf neuere Nachrichten von Caracas, die der nächste Dampfer mitbringen mußte.
Diese einzelnen Staaten sind allerdings dem Namen nach unabhängig und nennen sich Estados Soberanos; die Regierung in Caracas behält sich aber doch immer gewisse Vorrechte vor, und so lag auch in Guayana eine fremde Militärmacht, d.h. anderen Staaten angehörige Soldaten, und zwar unter dem speziellen Befehl eines getreuen Anhängers Falcons, dem General Bricenno. Außerdem hatte Caracas (die Hauptsache in allen diesen Ländern, weil es gewöhnlich die einzigen Bargeld-Einnahmen sind) das Zollamt in Händen und seine eigenen Zollbeamten dort.
Von den Soldaten war nun allerdings schon eine ziemliche Anzahl desertiert, das ganze Verhältnis aber zwischen den Offizieren und den Bewohnern von Bolivar ein sehr gespanntes geworden, da es jenen kein Geheimnis bleiben konnte, daß Guayana sich entschieden der Partei der Blauen zuneigte. Das Osterfest hätte denn auch beinahe die Sache zum Ausbruch gebracht, der allerdings von seiten der Caracas-Beamten provoziert wurde und einige Menschenleben kostete, ohne jedoch das gewünschte Resultat herbeizuführen. Es ist nämlich kaum mehr einem Zweifel unterworfen, daß man bei der Gelegenheit Dalla Costa los zu werden hoffte, aber die Rechnung war diesmal ohne den Wirt gemacht.
In Venezuela wird am ersten Osterfeiertage – wie es ähnlich in anderen amerikanischen Ländern ebenfalls geschieht – der Judas Ischarioth verbrannt, d. h. eine angekleidete Puppe in Lebensgröße mit Feuerwerk angefüllt und dann abends mit Dunkelwerden unter dem Jubel der Bevölkerung abgebrannt. Derartige Puppen, die das verächtlichste vorstellen sollen, was man in der Christenheit kennt – den Verräter, der seinen Lehrer und Freund um elendes Geld verkauft – werden aber auch sehr häufig zu Demonstrationen benutzt, um irgend eine mißliebige Persönlichkeit gewissermaßen an den Pranger zu stellen, indem man ihre Eigentümlichkeiten an solchen Judasbildern nachahmt. Einer der Regierungsbeamten von Caracas nun gab an dem ersten Osterfeiertage dieser Puppe die blauen Bänder der Reconquistadores wie die Kokarde der Offiziere, und hätte das nie wagen können, wenn er sich nicht des Schutzes der Soldaten sicher geglaubt.
Sollte diese Demonstration ein Fühler sein, wie man überhaupt in Guayana dachte, so erreichte sie vollkommen ihren Zweck. Kaum war nämlich die Puppe, wie das gewöhnlich geschieht, noch am hellen Tage, in die Straße hinausgehangen, als sich auch das Volk darum sammelte. Man erkannte augenblicklich die blauen Bänder, verstand den Sinn und drängte gegen die Puppe an, worauf übrigens der betreffende Herr vorbereitet sein mußte, denn er sprang mit einem Revolver auf die Straße und bestritt jedem das Recht, sich um seine Puppe zu bekümmern, da er heraushängen könne, was er wolle; aber er kam damit nicht durch. Der Tumult wuchs, das Militär trat unter Gewehr, Schüsse fielen – wie man sich erzählt, zwei nach der Richtung hin, wo sich Dalla Costa zeigte –, aber es half alles nichts. Der übereifrige Regierungsbeamte bekam Prügel, die Puppe wurde abgerissen und durfte nicht verbrannt werden, und nur der Ruhe des Präsidenten gelang es, einer wirklichen Revolution gegen die Caracas-Soldaten vorzubeugen, so erbittert zeigte sich die allgemeine Stimmung gegen sie.
Dieser Zustand bestand jetzt eigentlich noch fort, und man schien nur eben gegenseitig abzuwarten, welche Partei in Caracas siegen würde.
Aller Augen sahen aber dabei auf den Präsidenten, und man hatte das größte Vertrauen zu ihm – ja von den verschiedensten Seiten des Staates liefen schon Adressen ein, die ihre Zustimmung zu irgend einem Schritt, den er tun würde, erklärten – etwas Außerordentliches in einem südamerikanischen Reich.
Juan Bautista Dalla Costa (Sohn), ist aber auch ein außerordentlicher Mann – in Nordamerika und Deutschland erzogen und herangebildet, spricht er nicht allein seine Muttersprache, Spanisch, sondern auch noch Italienisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Er ist ein tüchtiger Diplomat, aber dabei – wiederum eine außergewöhnliche Eigenschaft – ehrlich – und hat besonders für seinen Staat Guayana, dem er sich mit Vorliebe gewidmet, so viel getan, daß er dort allgemein verehrt und geliebt wird.
Allerdings wünscht man in ganz Venezuela nichts sehnlicher, als ihn gerade an Falcons Stelle zum Präsidenten über die ganze Republik zu haben, und wohin ich auch kam, wurde mir nur der Name genannt. Wollte er sich an die Spitze der Revolution stellen, die in diesem Augenblick keineswegs unterdrückt ist, sondern gerade jetzt das ganze Land erfaßt hat, und der es nur an einem richtigen Kopf fehlt, die ganze Sache wäre im Handumdrehen beseitigt. Aber Dalla Costa selber hatte keine Lust dazu – und verdenken kann es ihm wahrlich kein Mensch, der die Verhältnisse in Venezuela kennt. In diesem Augenblick möchte ich ebenso gern Finanzminister von Griechenland oder Österreich als Präsident in Venezuela sein.
Trotzdem versuchte die Revolution alles, um ihn in die Bewegung hineinzuziehen, und Depeschen auf Depeschen wurden ihm zu diesem Zweck nicht allein von den Blauen, nein, auch von der Regierung in Caracas selber gesandt, die ihn aufforderte, zu ihr zu stehen.
Welche Antworten er darauf gab, weiß ich nicht, aber Tatsache ist, daß er sich ganz entschieden neutral verhielt und weder der einen noch der anderen Partei einen Halt an sich gab. Dies war jedenfalls sowohl für sein Volk als für sein Land das beste, was er tun konnte. Was sollte er sich – weit ab wie er von allem lag – in die Streitigkeiten und Kämpfe mischen, bei denen er mit der schwachen Bevölkerung seines Staates doch keinen Ausschlag geben konnte.
Der Handel von Bolivar ist zum großen – ja vielleicht sogar zum größten Teil in den Händen von deutschen Kaufleuten. Diese importieren jedenfalls die meisten Waren, und selbst deutsche Handwerker, wenn auch noch in geringem Maße, haben sich dort niedergelassen. Früher besuchten auch sehr viel deutsche, besonders Bremer Schiffe Bolivar, was aber jetzt nachgelassen hat – teils wohl des durch die Revolutionen gestörten Handels wegen, teils auch, weil der Orinoco selber ein bösartiger Strom ist und in der Regenzeit, bei angeschwollenen Fluten, Segelschiffe oft zwanzig bis dreißig Tage gebraucht haben, um die gewaltige Strömung zu durchfahren. Kauffahrteischiffe müssen da schon eine sehr gute Ladung fest in Aussicht haben, wenn sie sich zu einer so langen Reise verstehen sollen, und gegenwärtig ist wenig oder gar keine Fracht zu bekommen.
Unter den Deutschen in Bolivar herrscht aber auch ein reges geselliges Leben, sie haben ein freundliches Klublokal mit vielen deutschen Zeitungen, und manche von ihnen hübsche Sommersitze in der Nähe der Stadt, um dort unter den fächerblättrigen Morichepalmen und prachtvollen Mangobäumen die Sonntage zu verbringen. Ich selber werde Bolivar immer als eine liebe Erinnerung im Herzen tragen, denn die guten Menschen dort haben mir die kurze Zeit meines Aufenthalts zu einem Festtag gemacht und mich von allen Seiten mit Liebe überschüttet. Ich war ihnen kein Fremder, den der Zufall an ihre Küste geweht, und die Tage vergingen mir nur zu rasch.
Aber auch Präsident Dalla Costa nahm mich mit wahrer Herzlichkeit auf und war eigentlich die Veranlassung, daß ich Bolivar früher wieder verließ, als ich anfangs beabsichtigt hatte. Schon seit dem Jahre 1848 waren nämlich in Guayana, und etwa 60 Leguas von Bolivar entfernt, südlich vom Orinoco reiche Goldlager entdeckt und auch mit Erfolg bearbeitet worden, ohne daß aber bis jetzt ein wirklicher Zug in die Sache gekommen wäre. Einesteils nahm Kalifornien die Aufmerksamkeit der Goldsucher zu sehr in Anspruch, und dann, bald danach, tauchte Australien mit seinen Schätzen auf, während das ebenso reiche, wenn nicht reichere Venezuela unbeachtet blieb.
Die Reise dorthin war und ist auch etwas schwierig und kostspielig, und die reichen Quarzadern des Landes lockten ebenfalls nicht so an, als das Alluvialgold, das man gleich fix und fertig aus dem Boden waschen konnte.
Jetzt aber hatten die Amerikaner angefangen, die Sache in die Hand zu nehmen. Eine Kompagnie mit bedeutenden Geldmitteln schaffte Maschinen dorthin, um den Quarz zu zerstampfen, und legte zugleich eine Farm wie andere nötige Einrichtungen an. Von deren Erfolg hing es auch ab, wie sich die Bearbeitung der Minen gestalten würde, und der Präsident, der an allem das lebhafteste Interesse nahm, was Guayana betraf – wünschte sehr, daß ich meine Reise noch bis dahin ausdehnen möge, um die Minen selber an Ort und Stelle zu sehen.
Allerdings lag für mich insofern eine Schwierigkeit vor, da ich nur ungefähr sechzehn Tage Zeit hatte, bis der Dampfer, der indessen nach Bolivar, und zwar nur einmal im Monat kam, von dort wieder zurück nach Trinidad ging, und den ich jedenfalls benutzen mußte. Ich hatte dabei eine Landreise von 50 Leguas hin und 50 zurück vor mir, und wußte nur zu gut, wie schwierig es manchmal in diesen Ländern ist, Reittiere auf dem Fleck zu bekommen, wenn man sie gerade haben muß. Aber gerade über diese Schwierigkeit half mir der Präsident hinüber, indem er mir an alle Präfekten und Subpräfekten des Staates Briefe mitgab und es ihnen zur Pflicht machte, mir überall die nötigen Reittiere zu verschaffen und mich »als Gast des Staates« zu betrachten.
Jetzt konnte ich kein Bedenken weiter haben, denn genügend ausgeruht hatte ich mich schon indessen, und die alte Reiselust erwachte auch im Augenblick wieder, wo mir Gelegenheit geboten wurde, noch mehr und so Wichtiges von dem wunderbar schönen Land zu sehen.
In den letzten Nächten waren überdies starke Regenschauer gefallen; ich durfte erwarten, daß dies noch mehr in den südlicher liegenden Gebirgen der Fall gewesen, ich bekam also das bis dahin fast vertrocknete Land in frischem Grün zu sehen, und ohne mich lange zu besinnen, nahm ich dankbar das Erbieten an.
Nun durfte ich aber auch keinen Tag länger als nötig in Bolivar mehr versäumen, wenn ich in den Minen noch Zeit behalten wollte, mich umzusehen. Um aber dahin zu gelangen, mußte ich mit einer sogenannten Balandra, einem kutterähnlichen Fahrzeug, den Strom eine Strecke hinabgehen, um dort den kleinen Hafen oder Anlegeplatz Puerto de las tablas zu erreichen. Von dort aus schnitt ich dann auf einem Maultier quer durch das Land und konnte in etwa vier Tagen recht gut in den Minen sein.
Ich darf aber Bolivar nicht verlassen, ohne eines Deutschen zu erwähnen, der so lange in Venezuela lebte, daß er dort nicht allein Kinder und Enkel, nein, sogar fünf Urenkel gezogen und außerdem jetzt den Namen Angostura in der ganzen Welt verbreitet hat. Ich meine den alten Herrn Doktor Siegert, einen der geachtetsten Leute in der Stadt und den Verfertiger des berühmten Angostura-Bittern, ohne den jetzt schon weder Dampfer noch Segelschiff mehr die See befährt. Er ist mit einer Dame aus Venezuela verheiratet, und diese soll eigentlich – wie denn die dortigen Frauen überhaupt die meiste Kenntnis von einheimischen Pflanzen und Kräutern besitzen – das Geheimnis der Zusammenstellung entdeckt haben. Im Anfang wurde der bald beliebte Bitter denn auch nur im kleinen fabriziert. Als er aber mehr und mehr bekannt wurde, stieg der Bedarf mit der Nachfrage derartig, daß Herr Doktor Siegert seine beiden Söhne mit in das Geschäft nehmen mußte und jetzt die ganze Fabrikation wie den Versand großartig betreibt. Die venezuelanische Regierung wollte den Namen Angostura verwischen und den von Bolivar an seine Stelle bringen, aber unser deutscher Landsmann gab es nicht zu, sondern setzt dem alten, durch seinen Angosturabittern, ein wenn auch flüssiges, doch bleibendes Monument.