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23. Von Panama nach St. Thomas

Die Isthmus-Bahn hat sich, seit ich sie zuletzt gesehen, und das sind jetzt über sieben Jahre her, außerordentlich verbessert, und es muß gewaltige Arbeit daran geschehen sein. Aber das ist auch notwendig, denn wenn die hier nur zu üppige Vegetation die Macht gewänne, wie sie auch überall den guten Willen und die Kraft hat, so wäre in wenigen Monaten die Bahn auch wieder vollständig überwachsen und in kaum einem Jahre undurchdringliches Gestrüpp. Es mag sein, daß der Unterschied, den ich hier fand, auch großenteils mit in der Jahreszeit lag; denn damals, im Juni, regnete es unaufhörlich, während jetzt, im Februar, die trockene Jahreszeit sein soll; aber dort, wo ich früher nur Sumpf gefunden, in dem die Schienen lagen, war jetzt trockener und mit kleinen Chausseesteinen überworfener Boden, und breite, tiefe Gräben zogen sich an den meisten Strecken neben der Bahn hin und dienten ebenfalls dazu, sie trocken zu halten. Sie muß auch jedenfalls erhöht sein, wenn ich auch nicht begreife, wie das geschehen sein kann, ohne sämtliche Fahrten zu unterbrechen. Erde ist jedenfalls in ungeheuren Massen aufgefahren, und ganze Hügel in der Nähe der Bahn hat man geebnet und dazu verwandt.

Die Vegetation durch diese Sümpfe ist aber immer noch so mächtig, wie sie je gewesen. Man sieht allerdings keine jener riesigen Laubholzbäume, wie in den bergigen Distrikten der Tropen, und die wenigen, die wirklich hier stehen, haben wohl dann und wann starke Stämme, aber dabei ganz unansehnliche, dürftige Wipfel, die ihnen weit eher ein komisches als großartiges Aussehen geben. Um so üppiger aber wachsen dagegen Palmen und Bananen, wildes Rohr, Bambus, Fächerpalmen und ähnliche Gewächse, und man passiert nicht selten Stellen, wo die Vegetation eine wirkliche und entschiedene Mauer bildet, und sich der Mensch erst, wenn er diese Wildnis durchdringen wollte, mit Messer oder Machete seine Bahn hauen müßte.

Die Stationen an der Bahn sind außerordentlich freundlich angelegt, mit hübschen, weiß gemalten Häusern und niedlichen, gut gehaltenen Gärten. In gar nichts dagegen haben sich die Hütten der dicht danebenliegenden Indianer verändert, obgleich die Indianer selber einen anderen Charakter angenommen.

Die elenden Hütten stehen noch immer dort mit ihren hohen, bis fast zur Erde niederreichenden Palmblattdächern, ohne Garten, ohne jede Bequemlichkeit, dicht an den schmutzigen Boden angeschmiegt. Die Häuser müssen von Ungeziefer, besonders von Centipeden und Skorpionen, wimmeln, und man begreift gar nicht, weshalb sie dieselben nicht ebenfalls, wie z. B. in Ecuador, auf kurze Pfähle setzen, was sie jedenfalls luftiger und reinlicher halten würde. Aber es ist einmal die Sitte so, und wie der Vater sie vor ihm gebaut hat, baut sie auch nach ihm der Sohn.

Sonst aber haben sich die Indianer, freilich durch die Umstände auch wohl mit dazu genötigt, um so mehr hier verändert, und dabei nur teilweise zu ihrem Besseren. Früher gingen sie, das läßt sich nicht leugnen, ganz nackt und wurden erst von den Amerikanern, nachdem die Bahn hindurchging und viele Damen den Weg passierten, dazu genötigt, ein Hemd anzuziehen – das wenigste, was man von einem Menschen verlangen kann. Nach und nach kamen sie auch dazu, sich allerdings sehr leicht, aber doch ordentlich zu kleiden; aber wo sind überhaupt die Indianer geblieben, die hier noch vor kaum zwanzig Jahren vollkommen unvermischt lebten? Fährt man jetzt hier durch, so sieht man wohl noch einzelne jener schlanken braunen Gestalten, aber zwischen ihnen herum spielen schwarzbraune, wollköpfige Kinder, und fast in allen Türen stehen breite, klotzige Negergestalten und kündigen sich als Herren des Hauses an. Noch zwanzig Jahre, ja vielleicht nur zehn, und es gibt auf dem Isthmus von Darien keine Indianer mehr, denn die Neger haben sie verdrängt. So überzieht dieser Fluch der Sklaverei langsam aber sicher die ganze Westküste Südamerikas.

Aspinwall selber hat sich in den letzten sieben Jahren außerordentlich vergrößert, denn deutlich erinnere ich mich noch an die paar kleinen Bretterbuden, die mit mächtigen Buchstaben bemalt, großartige Hotels und andere Dinge verkündeten. Diese Buden sind jetzt vollständig verschwunden oder in das Negerviertel der Stadt zurückgedrängt, und statt derselben sieht man ganz hübsche, zum Teil massive Gebäude von zwei Stock Höhe. Ungeheure Geschäfte werden dabei allerdings in Aspinwall gemacht, aber die offenen Läden sind alle nur darauf berechnet, aus den dort lebenden Fremden, von denen sie wissen, daß keiner von ihnen, wenn er nicht notgedrungen muß, auch nur über Nacht bleibt, so viel heraus zu pressen, als sie möglicherweise können; nachher mögen sie wieder laufen. Genau so sollen denn auch die Hotels sein, denen ich aber zum Glück noch nicht in die Hände gefallen bin, denn man richtete sich überhaupt schon immer so ein, daß man nur eine oder ein paar Stunden Aufenthalt in dem Neste hat.

Und was für eine entsetzliche Atmosphäre durchweht den Ort! Man riecht in der Tat die matten, heißen und schweren Dünste, die fiebergeschwängert auf ihm lagern, und dankt Gott, wenn man erst wieder draußen auf dem blauen Wasser in der freien, gesunden Brise schwimmt.

Wer dorthin zieht, tut es auch nur, um so rasch wie möglich eine Summe Geldes zusammenzuschlagen und dann, wenn er wirklich das Leben behalten hat, in ein kälteres, gesünderes Klima zurückzukehren: aber ungestraft geschieht das wahrlich nicht, denn mit voller Gesundheit kehrt keiner aus diesem Fieberlande zurück. Die meisten haben ihre noch kurze Lebenszeit daran zu tragen, und ihre Erben allein ernten gewöhnlich den schwer genug erworbenen Lohn.

Übrigens kann man die älteren Residenten augenblicklich von den neu eingetroffenen Fremden unterscheiden, die gewöhnlich eine gesunde oder doch wenigstens menschliche Gesichtsfarbe mitbringen. Die eigentlichen Bewohner von Aspinwall sehen weit mehr grün als gelb aus, und um die Augen tragen sie alle dunkle Ränder, wie denn auch ihre Lippen fast keine Farbe haben. Und doch habe ich Leute in einem solchen Zustand gesehen, die sich kaum ein volles Jahr in diesem Pestloch aufhielten. Man kann es ihnen da wirklich nicht verdenken, daß sie rasende Preise für alles fordern, was sie eben leisten oder zum Verkauf feilhalten.

Einen höchst interessanten Anblick bietet die Front- oder Wasserstraße von Aspinwall, besonders zu der Zeit, in welcher gerade ein langer Bahnzug die Dampferpassagiere von Panama herübergeschafft, oder andere Steamer von New York neue Durchwanderer auf den Isthmus geworfen haben – und ein solcher Verkehr herrscht nicht allein drei- oder viermal die Woche, sondern manchmal sogar jeden Tag.

Diese vordere Straße ist, der so häufig niederströmenden Regen wegen, mit Kolonnaden bebaut und zu solcher Zeit so gedrängt voll Menschen, daß man sich seinen Weg kaum hindurch bahnen kann. Diese drängen sich dabei aus einem Lokal in das andere, wo Verkaufsläden und Restaurationen miteinander abwechseln, oder feilschen auch an den kleinen, in den Kolonnaden aufgestellten Ständen, an welchen allerlei Kuriositäten: Muscheln, Kernarbeiten, Kalabassen, Mützen aus Kokospalmbast, natürlich gewachsen, Muschelschmuck und hundert andere Dinge mit Früchten und auch Spirituosen zum Verkauf ausstehen. Aspinwall hat ja sowohl Freihafen wie Freihandel; und diesem Verkehr sind deshalb keine Schranken gesetzt.

Und was für Gestalten sieht man dabei in dem Gewühl – die elegantesten Herren und Damen, wie sie eben aus der Kajüte getreten sind, und das rauheste, wildeste Volk, das sich über eine Woche in einem schmutzigen Zwischendeck herumgetrieben und in der Zeit – und aus einem kalten Klima kommend, weder Kleider noch Wäsche gewechselt hatte. Aber es sind alles Passagiere, und ein jeder von ihnen hat wenigstens ein paar Dollar in der Tasche, um sie hier für wertlosen Tand oder wirkliche Bedürfnisse sitzen zu lassen.

Eine ungeheure Verbesserung erhielt der Hafen durch die prachtvollen, weit ausgebauten Werfte, an denen nicht allein die Dampfer und Schiffe anlegen, löschen und laden können, sondern auf welche sogar die Schienen der Eisenbahn hinauslaufen, so daß die von Panama kommenden Waren bis dicht an Bord hinangefahren und übergenommen werden.

Das schönste und praktischst eingerichtete Werft hat übrigens die englische Royal-Mail-Company, mit einem riesigen, vollständig aus Eisen gebauten Kohlenschuppen an der einen Seite, mit Kranen, Eisenbahn und allem, was dazu gehört. Es muß allerdings an diesem Ort ungeheure Summen gekostet haben, lohnt sich aber nun auch wieder insofern, als es ganz enorme Kosten erspart und um so viel weniger Menschenkräfte verlangt.

Dieses neue Werft verdankt aber seine Entstehung leider einem schweren Unglücksfall, der das alte vor einigen Jahren betroffen, und auf den sich der Leser vielleicht noch erinnert.

Ein Kaufmann in Aspinwall hatte dem dort gerade Ladung einnehmenden Dampfer eine Partie kleiner Kisten als Fracht übergeben, die der Deklaration nach harmlosen Inhalt trugen, in Wirklichkeit aber wollte der Betrüger darin eine Partie Sprengöl fortschmuggeln, das ihm sonst von jedem Passagierboot verweigert worden wäre und selbst auf anderen Fahrzeugen eine sehr bedeutende Fracht hätte zahlen müssen.

Die Matrosen ließen die kleinen Kisten, immer einen Teil derselben aneinander geschnürt, ziemlich leichtsinnig in den unteren Raum hinab. Da rutscht eine derselben aus dem Seil und stürzt, und in demselben Moment erfüllt ein furchtbarer Schlag die Luft. Das Öl hatte sich entzündet – der Dampfer am Werft ist zerschmettert und in Brand geraten, arbeitende Matrosen sind in Atome zerschellt, und einzelne der Zuschauer nur wie durch ein Wunder gerettet worden. Natürlich fingen die Überreste des Bootes an zu brennen, und nur der Kühnheit eines anderen englischen Dampfers war es zu danken, daß nicht noch mehr Unheil angerichtet wurde, da sich auch noch eine Quantität Pulver an Bord befand. So aber schleifte ihn derselbe hinaus in See, wo er denn bald darauf zum zweitenmal explodierte und sank.

Der Schaden war natürlich ein ungeheuer, und manches Menschenleben außerdem dabei zu beklagen.

Unser nach St. Thomas bestimmter Dampfer lag schon ziemlich fertig langseit. Er hatte nur noch eine Kleinigkeit Fracht einzunehmen, die wir ihm mit der »Talca« von Süden heraufgebracht, besonders Ballen mit Chinarinde. Die Passagiere waren ebenfalls an Bord, und etwa gegen vier Uhr wurden die Taue, die uns noch am Ufer hielten, gelöst, und wir gingen in See hinaus.

Etwa eine Stunde früher war der Oppositionsdampfer der Pacific-Linie von New-York eingelaufen und setzte einen unglaublichen Schwarm von ruppig genug aussehenden Passagieren an Land. Diese Leute kamen aber erst ganz frisch aus der bitteren Winterkälte New-Yorks in diesen Brütofen Amerikas, und wunderlich genug stachen viele mit ihrer Tracht gegen das so luftig angezogene Volk der Küste ab. So sah ich einige sogar – hier ein unerhörter Anblick – in Pelzröcken, in welchem sie, wahrscheinlich mangelnder Wäsche wegen, ganz gehörig eingeknöpft gingen. Schals trugen eine Menge von ihnen, und kleine Kinder regelmäßig jede Frau.

Viele von ihnen trafen es glücklich, daß sie gleich mit dem Extrazug, der uns von Panama herübergebracht, hinüberfahren konnten. Alle war der Zug aber nicht imstande mitzunehmen, denn das Schiff sollte eine ungeheure Anzahl an Passagieren, ich glaube 1100, halten. Was eingestopft werden konnte, ging aber mit, und als sich der Zug endlich, gerade als auch wir in See gingen, in Bewegung setzte, stießen die Passagiere ein wahrhaft indianisches Freudengeheul aus, das deutlich bis zu uns herübertönte.

Übrigens zeigte sich hier deutlich, in welchem Geist die Opposition zwischen diesen beiden Dampferlinien betrieben wird; denn den Passagieren von San Francisco, die nicht gleich ihr Billett durchgenommen hatten, wurden nicht etwa die durch die Opposition ermäßigten und festgestellten Preise abgenommen, sondern sie mußten, da in dem Augenblick noch kein anderer Dampfer da oder auch nur signalisiert war, die volle und hohe Passage nach New-York bezahlen. Kaum eine Stunde später aber, als wir von Panama hier ankamen, lief er in Sicht, und jetzt hätten die Passagiere leicht 100 Dollars ersparen können, denn die erste Linie würde sie um jeden Preis mitgenommen haben, nur um sie der anderen nicht zu gönnen. Es war aber zu spät. Da der erste Dampfer fast mit uns zugleich oder doch bald nachher abging, so hatten sich die Reisenden genötigt gesehen, ihre Billets gleich zu nehmen, und von denen wurde selbstverständlich keins wieder herausgegeben.

Leider mußten wir es erleben, daß der Amerikaner, der nach uns ausgegangen, näher und näher kam, und etwa um halb sieben Uhr unter dem Hohngeschrei der darauf befindlichen amerikanischen Passagiere dicht an uns vorüberlief. Es ließ sich aber nicht ändern; es war wirklich ein wackeres Boot und ließ uns bald weit hinter sich zurück.

Das geschah am 23. Februar 1868, und der kleine Dampfer »Solant« sollte uns nur bis Jamaica bringen, wo wir nachher von dort aus den größeren benutzten.

Früher war dieser nur bis St. Thomas gegangen und hatte dort die von Jamaica und Aspinwall eintreffenden Zwischenboote erwartet, um danach seine Fahrt nach England anzutreten. Jetzt ist das abgeändert, und man spricht sogar davon, daß St. Thomas – teils des beabsichtigten amerikanischen Kaufes, teils der ewig dort herrschenden Krankheiten wegen – von der englischen Postlinie ganz aufgegeben werden soll.

Jedenfalls hatten wir eine angenehme Fahrt, von ruhiger See begünstigt, und mir war der Umweg über Jamaica, wenn er auch etwas mehr Geld kostete, ganz recht, indem ich doch dabei manche der übrigen westindischen Inseln zu sehen bekam.

Am 26. erreichten wir die »Perle der Antillen«, Jamaica, und der Anblick der Insel, deren hohe Gebirgszüge von Nebeln durchzogen wurden, war wirklich prachtvoll. Kingston selber, wo der Dampfer anlegte, machte jedoch einen weniger günstigen Eindruck und ist auch in der Tat nur ein kleines erbärmliches Nest.

Desto schöner war dafür die Einfahrt in den Hafen – für Segelschiffe jedoch nicht ganz ungefährlich, da eine Menge von kleinen Inseln, Klippen und Sandbänken im Weg liegen und sorgsam vermieden werden müssen – aber das Bild wird dadurch so viel schöner. Überall, wohin sich der Blick wendet, fällt er auf kleine zerstreute Wohnungen, Kokospalmen schaukeln ihre federartigen Wipfel darüber hin, und das Grün der Berge bildet einen reizenden Hintergrund. Jetzt schießt das Boot an einer langen Landzunge hin, so flach, daß sie kaum über der hohen Flut trockenen Boden zeigt, und Baracken und Zelte, mit dazwischen aufgepflanzten Kanonen unter einem ganzen Wald von Palmen, mit den überall gelagerten schwarzen Soldaten in Zuaventracht, sehen malerisch genug aus.

Kingston ist auch in der Tat von einer nicht unbedeutenden bewaffneten Macht umgeben, denn die letzte Negerrevolution hat die Weißen vorsichtig gemacht, so daß sie jetzt imstande sind, einen neuen Ausbruch rasch und im ersten Keim zu ersticken. Nicht allein hier liegt Militär, sondern hinter der Stadt sind die eigentlichen Baracken der Negersoldaten, während hoch in den Bergen, im sogenannten Newcastle, die Weißen Soldaten ihr Lager in dem gesündesten Teile des Landes haben, aber in kaum zwei Stunden in der Stadt selber stehen können.

Jetzt biegen wir um die Landzunge, und wie ein kleines Aquarellgemälde liegt das Städtchen Kingston, mit zahlreich dort ankernden Schiffen, herüber- und hinüberkreuzenden Booten und von hochstämmigen Palmen überragt, vor uns ausgebreitet.

Unser Boot legte sich langseit dem englischen Dampfer »Shannon«, nach Southampton bestimmt, und ein kleiner Kahn führte mich in der nächsten Viertelstunde schon an Land und brachte mich zwischen einen Haufen von Negerweibern, die hier eben eine Kohlenbarke löschten.

Alle diese Arbeiten auf Jamaica scheinen großenteils von Frauen getan zu werden, und ein lebendigeres, aber auch geräuschvolleres Treiben ließ sich hier kaum denken.

Von dem am Werft liegenden Fahrzeug aus wurden die Kohlen auf das Werft selber geworfen, und hier standen einige sechzig Negerinnen – in welchem Zustande der Reinlichkeit bei dieser Arbeit läßt sich eher denken als beschreiben – füllten die Kohlen in Körbe, hoben sich die auf den Kopf, oder ließen sie sich vielmehr aufheben, und schritten dann, ähnlich als ob sie einen Cancan tanzten, unter Lachen, Schreien und Schimpfen – denn ein paar von ihnen schienen fortwährend in Streit dabei zu liegen – der Stelle zu, wo die Kohlen zum Gebrauch der einlaufenden Dampfer angehäuft wurden, und in der Tat hatten sie dort schon ein kleines Gebirge angeschaufelt.

Das schnatterte und gellte und sang aber durcheinander, daß man sich hätte die Ohren zuhalten mögen – Neger sind überhaupt sehr laut, wenn sie irgend eine Meinung äußern, und diese Klasse besonders hielt nicht mit ihrer Stimme zurück. Anständig war die Unterhaltung, die zwischen den ausladenden Matrosen und couleurten Damen geführt wurde, ebenfalls nicht, das aber milderte sie, daß es in einem nichtswürdigen englischen Dialekt geschah, der allen diesen Inseln eigen ist. Wie schade aber, daß ich kein Genremaler bin, was für prachtvolle lebende Bilder habe ich schon gestellt bekommen, und diese Kohlenträgerinnen Kingstons gehörten jedenfalls zu den lebendigsten!

Die Stadt selber bietet wenig oder gar nichts, besonders nichts Neues oder Eigentümliches; die Hauptstraßen sind ziemlich breit, aber die Häuser niedrig und unbedeutend, und die verschiedenen Verkaufslokale dunkel und unansehnlich. Natürlich benutzte ich meine Zeit soviel wie möglich und nahm mir einen der berühmten jamaicaischen Fiaker, einen offenen Kasten mit einem Sonnendach, um die Umgegend ein wenig in Augenschein zu nehmen; aber auch diese bot, wenigstens in der Nähe der Stadt, nichts Besonderes, kaum viel Freundliches, denn alle die Gärten, durch welche wir fuhren, schienen arg vernachlässigt und von Unkraut überwuchert. Auch die Bäume sahen trocken aus, es war ja Winterzeit, und im Frühjahr mag wohl das Ganze einen freundlicheren Anblick gewähren.

Interessant war es, die Wasserwerke Kingstons zu besuchen, zwei ungeheure Reservoirs, die das klare Quellwasser aus den Gebirgen bekommen und es dann durch Röhren in die Stadt verteilen. Eins von diesen wurde gerade gereinigt, da sich doch viel Schlamm am Boden angesetzt und aus diesem Wasserpflanzen emporgewachsen waren. Auch hier verrichteten Frauen wieder die alleinige Arbeit: ein wahres Heer von schlammbedeckten, schwarzen Megären schaufelte sich den Schmutz in kleine Butten, füllte diese halb voll, hob sie auf den Kopf und wanderte dann langsam durch das leere Reservoir der Treppe zu, um ihn oben abzuwerfen und dadurch an der einen Seite höheren Boden zu schaffen. In Amerika wäre das ganze Reservoir jedenfalls in einem Tage gründlich gereinigt worden, hier gebrauchte man Wochen dazu.

Von dort ab fuhren wir nach den Baracken der schwarzen Soldaten hinaus, die auf einer weiten Ebene, ziemlich nahe bei dem Platz für die Pferderennen, und zwar ähnlich wie die nordamerikanischen angelegt sind. Die Gebäude waren hoch und luftig, dem Klima angemessen, gebaut, und die Offizierswohnungen hatten dabei kleine Gärten. Hoch darüber in den Bergen, aber noch Meilen entfernt, konnte man die lichten Zelte und Baracken der weißen Soldaten erkennen, die, wie es von unten aussah, an einem steilen Berghang klebten. Hätte ich Zeit gehabt, so würde ich auch sie gern besucht haben, denn die Aussicht von dort soll wahrhaft wundervoll sein; da aber Dampfer die angenehme Gewohnheit haben, nie einzugestehen, wie lange sie in einem Hafen liegen bleiben, so durfte ich mich nicht zu weit von meinem Fahrzeug, mit schon bezahlter Passage, fortwagen: ich konnte sonst zurückgelassen werden; denn auf einen Passagier wird sicher auch keinen Moment gewartet.

Deutsche gibt es sonderbarerweise in Kingston nur sehr wenige, ich glaube kaum ein halbes Dutzend, und trotzdem hatte ich die Freude, Bekannte darunter anzutreffen, mit denen ich nachher den Abend sehr vergnügt verbrachte.

Von Kingston ab, wo wir erst noch an dem herrlichen Jamaica hinliefen, hatten wir eine höchst interessante Fahrt, indem wir den größten Teil derselben fast immer in Sicht von Land blieben. Bis Jamaica waren wir, von Aspinwall aus, nördlich aufgelaufen, von hier aus aber hielten wir östlichen Kurs, die Insel im Norden lassend, und erreichten am 28., noch ziemlich früh am Tage, nachdem wir San Domingo die ganze Zeit zu Backbord gehabt, die Negerrepublik Haiti, wo wir an einem der kleinen südlichen Städtchen, Jakmel, anlegten.

Wir hatten bis dahin einige Passagiere im dritten Platz gehabt, die allem Anschein nach Geld besaßen, denn sie gingen sehr anständig, fast vornehm gekleidet. Übrigens waren es unverkennbar Mulatten, diese wären aber, selbst wenn sie das Doppelte hätten bezahlen wollen, nicht in die Kajüte aufgenommen worden.

Nun finde ich das, vom moralischen Standpunkte aus betrachtet, abscheulich, denn unsere »schwarzen Brüder« müssen für ihr gutes Geld die nämlichen Rechte haben wie wir selber – vom menschlichen aus war es mir aber jedenfalls recht, denn ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mich in der Gesellschaft von Negern oder ihren Abkömmlingen nicht behaglich fühle. Ich gönne ihnen alle errungenen Vorteile und wünsche, daß sie dieselben gut benutzen mögen, aber – ich selber mag nichts mit ihnen zu tun, wenigstens keinen gesellschaftlichen Verkehr mit ihnen haben, und aufrichtig gesagt, war es mir recht, daß ich nicht bei Tisch an ihrer Seite oder vielmehr in ihrem Dunstkreis sitzen mußte. In Haiti, wo sie vielleicht eine sehr achtbare Stellung bekleideten, gingen sie an Land, und als sie das Boot hinüberbrachte, konnte ich deutlich erkennen, daß ein ganzer Menschenschwarm zum Ufer kam – vielleicht um sie zu begrüßen. Wer kann in dem Herzen eines Menschen lesen – es waren vielleicht Gouverneure oder Minister gewesen; an Bord wurde aber nicht ihr Rang, sondern nur ihre Haut in Betracht gezogen, und diese befähigte sie ganz entschieden nur für den dritten Platz.

Leider blieb uns selber keine Zeit, das Ufer zu betreten, und nur aus der Ferne durften wir das wunderliche Land betrachten, an das ich wirklich vorher gar nicht gedacht, oder ich hätte es doch vielleicht so eingerichtet, ein paar Wochen einmal hier zu bleiben.

Jakmel selber schien ein ziemlich dürftiger Platz, aus dem nur die auf der höchsten Stelle liegende und jedenfalls noch aus der altspanischen Zeit herstammende große Kirche abstach. Das Land selber, soweit wir es mit unseren Teleskopen überschauen konnten, war, die unmittelbare Nähe des Hafens abgerechnet, außerordentlich wenig angebaut. Nur sehr vereinzelt sah man kleine Hütten und dürftige Farmen. Wie eine Wildnis dehnten sich die öden, schwach bewaldeten Hänge am Strande hin, und Wege schien es fast gar nicht auf der Insel zu geben. Die Leute darauf befinden sich wahrscheinlich außerordentlich wohl, aber sie haben dann auch nur wenig Bedürfnisse und arbeiten natürlich denen entsprechend.

Der Hafen ist übrigens ganz vortrefflich, und wir bekamen vollauf Zeit, ihn zu beobachten, da wir nicht vor Anker gingen, sondern so lange auf und ab fuhren, bis das von Bord abgesetzte Boot zurückkehrte.

Schon vorher hatten wir uns bei dem Offizier, der das Boot begleitete, eine Quantität Pfeifen bestellt, die er uns von Jakmel mitbringen sollte. Diese scheinen das einzige hiesige Fabrikat zu sein und sprechen allerdings nicht besonders für die Industrie des Platzes. Es sind kleine, ganz ordinär gebrannte Tonköpfe, und lange dünne Rohre einer dort wachsenden Binsenart, ohne weitere Spitze und nicht einmal in die Köpfe passend, gehören dazu. Jedenfalls muß es eine Eigentümlichkeit des Landes sein, denn Passagiere wie Mannschaften schienen ganz versessen darauf – außerdem sind sie – ein nicht hoch genug in diesem Weltteil anzuschlagender Vorzug – sehr billig.

Am 29. abends erreichten wir die Höhe von Puertorico, ebenfalls eine hohe, bewaldete und bergige Insel, die wir aber zu weit abließen, um selbst mit unseren Fernröhren näheres wahrzunehmen, bis wir dann endlich am 1. März morgens Crab-Island an unserer Linken, hinter uns Puertorico und vor uns die so arg heimgesuchte Insel St. Thomas hatten.

Crab-Island ist nicht sehr hoch, scheint aber ungemein fruchtbar und dicht besiedelt; denn wohin auch das Auge fiel, konnten wir teils Zuckerplantagen mit ihren weitläufigen, in der Sonne hell scheinenden Gebäuden, teils einzelne Ansiedelungen und Häuser erkennen. Auch kleine Schoner glitten hier und da am Ufer hin und mochten wohl den Verkehr mit den verschiedenen Teilen der Insel unterhalten.

Unser Interesse wurde aber doch hauptsächlich durch St. Thomas, das immer deutlicher vor uns auftauchte, gefesselt; denn zu viel hatten wir davon gehört, und neuerdings sogar die eben nicht erfreuliche Kunde erhalten, daß gegenwärtig, nach Sturm und Erdbeben, die Cholera darauf wüte und Hunderte von Menschen hinwegraffe. In Panama und Aspinwall hatte man mir auch in der Tat ganz ernstlich abgeraten, die von dem Schicksal so arg heimgesuchte Insel jetzt zu betreten; denn abgesehen davon, daß ich selber der Krankheit zum Opfer fallen könne, sei die Wahrscheinlichkeit, ja fast die Gewißheit da, daß ich kein Boot dort finden würde für die Weiterpassage, indem die Quarantäne auf den Inseln sowohl als in La Guayra entsetzlich streng sei, und Fahrzeuge sicherlich nicht einen einzelnen Passagier aufnehmen würden, durch den sie vielleicht eine mehrwöchige Quarantäne bekamen.

Jetzt war es entschieden zu spät, das alles noch einmal zu bedenken, und ich folgte meinem alten Wahlspruch: »Nur immer mitten hineingesprungen in alle Schwierigkeiten.« Sitzt man dann erst einmal drin, so findet sich auch stets eine Gelegenheit, um wieder hinauszukommen. Mir ist es bis jetzt wenigstens noch immer geglückt, und ich vertraute denn auch jetzt meinem alten Schutzgeist, der allerdings bei mir kein besonderes ruhiges Brot gehabt. St. Thomas selber war mir zu interessant, um daran vorbeizufahren, und was die Gerüchte über an irgend einer Stelle wütende Cholera betraf, so hatte ich darin schon zu viel Erfahrung gemacht, wie übertrieben dieselben gewöhnlich ausfielen.

Übrigens fanden wir bald, daß unser alter Dampfer »Shannon«, ein mehr bequemes als sehr schnelles Boot, als wir uns der Einfahrt näherten, nicht auf den eigentlichen Hafen von St. Thomas zu hielt, sondern in eine Seitenbucht einbog, während er noch außerdem die Quarantäneflagge aufzog. Das sah nicht besonders tröstlich aus, ließ sich aber nicht mehr ändern, und wir mußten jetzt jedenfalls ruhig abwarten, was über uns verhängt werden würde.

Vier englische Dampfer lagen in der Bai: einer, der vom Sturm beschädigt worden und jetzt reparierte, der Dampfer für Trinidad oder Demarara, der für Jamaica und der eben von England eingelaufene Postdampfer – aber nicht diese zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich, sondern die überall an der Küste umhergestreuten Wracks, die man selbst in dieser Seitenbucht deutlich erkennen konnte. Dort lagen ein paar Schoner hoch und trocken auf den Steinen, dort zeigten sich in den verlassenen und zerstörten Kesseln die Überreste eines Dampfers, da starrten noch Masten aus dem Wasser empor, und drüben am rechten Ufer konnten wir deutlich die Trümmer zusammengebrochener Gebäude erkennen, an denen Sturm, Erdbeben und Sturzwelle wahrscheinlich zusammen gewirkt hatten.

Es war ein Bild der vollsten Zerstörung, und doch sagten uns die Offiziere, daß der größte Schaden schon wieder ausgebessert, und manches von den Fahrzeugen, die versunken gewesen, durch Taucher und Pumpwerke wieder an die Oberfläche gebracht sei. Uns schien es aber noch genug Verwüstung, und besonders ein alter englischer Kapitän, der sich als Passagier mit an Bord befand, mochte wohl mit recht schwerem Herzen die umhergewaschenen Schiffstrümmer betrachten – hatte er doch in dem Sturm nicht allein sein Schiff, sondern auch seinen Sohn darauf verloren!

Jetzt erreichte unser Dampfer die Boje, an welcher der Trinidad-Steamer hing, und legte dort an, und in kurzer Zeit mußte es sich nun entscheiden, wie die Sache am Ufer stand und wie ich von hier – einmal angelangt – weiter befördert werden konnte. Das aber zeigte sich bald als nicht besonders tröstlich.

Der Agent der Kompagnie, der an Bord kam, erwiderte mir auf meine Frage, daß die Cholera in St. Thomas – genau wie ich es mir gedacht – allerdings wenig oder gar keine Bedeutung habe. Bis jetzt wären nur Schwarze daran gestorben und zwei Weiße – anerkannte Säufer, die es selber verschuldet; aber trotzdem bekämen die Schiffe keinen Gesundheitspaß mehr, und wenn ich nach Venezuela mit dem Trinidad-Dampfer gehen wolle, so dürfe ich nicht an Land gehen oder der Dampfer nehme mich nicht mehr auf. – Angenehm! – Aber wie sollte ich erfahren, ob ich auf andere Weise fortkäme? – »Das wisse er nicht,« lautete die Antwort, »aber so viel könne er mir sagen, daß das nach La Guayra bestimmte Paketboot keine Passagiere vom Land mitnehme. Wenn ich dort an Bord wolle, müsse ich hier in der Bai auf dem in der Reparatur begriffenen englischen Dampfer bleiben – er wisse aber nicht, ob der Passagiere aufnehme.« – Wieder angenehm!

Übrigens war ich fest entschlossen, das letztere nicht zu tun und hatte noch immer Zeit genug, da unser Dampfer wenigstens noch sechs Stunden im Hafen blieb, ein paar Briefe an Land zu schreiben, um mich über die Verhältnisse dort zu erkundigen.

Merkwürdig übrigens – der Trinidad-Dampfer nahm keinen Passagier auf, der an Land gewesen war, und der Kapitän desselben lief den ganzen Tag in der Stadt herum. Möglich, daß englische Kapitäne nicht anstecken: ich weiß das nicht, aber was dem einen recht ist, sollte dem anderen billig sein.

Mit dem für England bestimmten Boot fand übrigens freier Verkehr statt; selbst den nach Europa gehenden Passagieren wurde gestattet, an Land zu fahren und bis abends dort zu bleiben. Nur wir anderen sollten uns eingepfercht halten. Glücklicherweise erhielt ich bald Antwort von Land. Herr Fedderson, der preußische Konsul, war so freundlich, mir mitzuteilen, daß in einigen Tagen eine französische Barke nach La Guayra abginge und Passagiere mitnähme, und kaum eine Viertelstunde später saß ich mit meinem wenigen Gepäck in einem der zu uns herausgekommenen Boote, fuhr, dem Dampfer Valet sagend, zwischen den Trümmern an der Küste hindurch und, eine schmale Einfahrt in den anderen Hafen benutzend, nach St. Thomas hinüber, wo ich mich jetzt ohne weiteres im Hotel du Commerce einquartierte.


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