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1. Die Ausfahrt

Der Monat, in welchem ich meine neue Reisen mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika beginnen wollte, war gekommen, und ich hatte mir es jetzt – schon ein paarmal durch Schaden klug geworden –, so eingerichtet, daß ich die verschiedenen Länder, die ich zu besuchen gedachte, gerade mit Einsetzen oder doch inmitten der trockenen Jahreszeit berührte. Der Erfolg zeigte auch, daß ich recht gerechnet, und ich ersparte dadurch nicht allein viel Zeit, sondern vermied auch zum großen Teil die Unannehmlichkeiten angeschwollener Ströme und überschwemmter Niederungen, die man in wilden Ländern nie ungestraft außer acht läßt.

Da ich die Fahrzeuge des Norddeutschen Lloyd noch nicht kannte, schiffte ich mich am 13. Juli 18... an Bord der »Bremen« in Bremerhaven ein.

Wir hatten die ganze Reise unausgesetzt konträren Wind, und in der ersten Woche stand sogar eine so schwere See, daß eine weniger starke Maschine als die unsere, einen bösen Stand gehabt hätte. Trotzdem machten wir unter den ungünstigen Verhältnissen immer noch tüchtigen Fortgang und hielten uns wacker. Das gute Fahrzeug lag trotz der oft sehr rauhen See ziemlich ruhig, und wir bekamen dadurch verhältnismäßig sehr wenig Seekranke an Bord. Opfer finden sich freilich immer, und besonders im Zwischendeck lieferten die Frauen ein starkes Kontingent.

Wunderbarerweise will unser Arzt an Bord nun seit fünf Reisen die Bemerkung gemacht haben, daß sich die Bewohner der dicht um den Maschinenraum gelegenen Kojen – also an der heißesten Stelle – am wohlsten befunden und besonders am wenigsten von der Seekrankheit zu leiden gehabt hätten.

Die Einrichtung dieser Dampfer ist vortrefflich und läßt in der Tat nichts zu wünschen übrig. Besonders interessierte mich – mit der Erinnerung an meine erste Seereise – das Zwischendeck, und ich muß gestehen, daß sich die Zwischendecks-Passagiere – im Vergleich zu jener Zeit – ungeheurer Vorteile erfreuen. Wir waren damals in einen dumpfen, engen Raum eingeschlossen, wie es der Bau eines Segelschiffes allerdings auch bedingt – frisches Brot reichte nur etwa auf drei oder vier Tage in See – frisches Fleisch endete mit dem Auslaufen aus dem Hafen. Wie sich das jetzt, durch den Bau dieser großen Dampfer, zum Bessern verändert hat! Die Leute haben hinreichenden, ja übrigen Raum mit runden Fenstern an beiden Seiten, die bei nicht zu rauher See geöffnet werden können und der Luft einen freien Durchzug gestatten. Alle Tage wird frisches Brot für sie gebacken, von dem sie bekommen können, soviel sie wollen – mehrmals in der Woche haben sie frisches Fleisch – dabei Zucker zu ihrem Kaffee, und die Speisen in den Dampfküchen mit einer Sauberkeit gekocht, die allerdings golden gegen die Kambüsen und Köche gewöhnlicher Segelschiffe absticht.

Daß es trotzdem Unzufriedene dabei gibt, versteht sich von selbst. Das Schiff soll noch gebaut werden, an welchem einige der Passagiere nicht etwas auszusetzen hätten; gewöhnlich und fast stets sind es aber gerade die, welchen Kost und Logis nicht gut genug ist, die früher selber nicht einmal Ähnliches daheim gehabt, während alle, die es besser gewohnt gewesen, sich eine kleine Unbequemlichkeit auf Reisen sehr gern gefallen lassen und als selbstverständlich hinnehmen. Außerdem haben viele Passagiere, besonders im Zwischendeck, die etwas wunderliche Idee, daß sie das eingezahlte Passagegeld auch während der Überfahrt wieder herausessen müssen, und erreicht ein unterwegs gemachter Überschlag nachher die Summe nicht, so betrachten sie sich als schändlich behandelt und übervorteilt. Daß das Fahrzeug, welches sie über See trägt, doch auch einige Kohlen und sonstige Unterhaltung braucht, bedenken sie gar nicht, denn: »Was kommt denn darauf an, ob ein Mann mehr oder weniger an Bord ist!«

Übrigens muß man dem Lloyd zum Ruhme nachsagen, daß seine Kapitäne auf das freundlichste für die Passagiere, besonders die Kranken sorgen. Mütter mit Säuglingen, wenn auch im Zwischendeck, bekommen täglich ihre gute Fleischsuppe aus der Kajütenküche – ja, wir hatten vor einigen Tagen die Freude, einen jungen überzähligen Passagier weiblichen Geschlechts begrüßen zu können. Die Frau lag im Zwischendeck, wurde aber augenblicklich in eine erste Kajüte mit ihrer Mutter einquartiert und dort auf das sorgsamste gepflegt und gewartet.

Über die Kajüten brauche ich nichts zu sagen. Sie sind elegant, mit jeder auf der See möglichen Bequemlichkeit versehen, und die Kost ist vortrefflich. Eine sehr zweckmäßige Einrichtung scheint in dem Engagement der Stewards stattgefunden zu haben. Die Stewards der zweiten Kajüte müssen nämlich jeder ein verschiedenes Instrument spielen, und hat die zweite Kajüte abgegessen, so steigen deren Stewards in die erste hinauf und spielen ihre Tafelmusik.

Wehmütig war es freilich anzuhören, als die armen Teufel, von denen viele ihre erste Seereise machten, anfangs bei der rauhen See und während das Schiff hin und her schwankte, krank und elend sich an den Tisch setzen und Musik machen mußten. Sie trieben denn auch natürlich mit Takt und Ineinandergreifen scharf nach Lee zu, und ich für meinen Teil hätte ihnen den Genuß herzlich gern geschenkt. Jetzt aber haben sie sich ziemlich gut zusammengefunden und eingespielt, und bei gutem Wetter spielen sie nicht allein jeden Morgen eine Stunde an Deck, sondern auch manchmal nachmittags zu einem munteren Tanze für die Deckpassagiere auf.

Der Barbier ist eine der gesuchtesten Persönlichkeiten an Bord, und zwar nicht etwa des Rasierens wegen, denn große Bärte greifen zu sehr um sich, sondern als Assistent des Doktors überkam er zu gleicher Zeit das Amt eines Vizebibliothekars, da die Schiffsbibliothek – man könnte sagen: das Bibliothekchen – unter dem Doktor steht. Der Barbier hat deshalb die Bücher auszugeben und sich über die zurückgegebenen und durch die Seeluft und Seewasser an ihren Einbänden geschädigten zu ärgern.

Komisch klingt es freilich, wenn bei ruhiger See – denn bei unruhiger beschäftigen sie sich nie mit Lektüre – Damen nach dem Barbier rufen. Aber sie wollen nur ein Buch haben – und man gewöhnt sich zuletzt an alles – warum nicht auch an einen solchen Bibliothekar?

Das Leben an Bord ist ein sehr friedliches. – Wir haben viele recht liebenswürdige Passagiere – besonders auch einige jung verheiratete Pärchen, und unter der Schiffsmannschaft herrscht ein vortrefflicher Ton. Kein rauhes Wort wird an Bord gehört, und der weiß das am besten zu schätzen, der – leider nur zu oft – auf anderen Schiffen gerade das Gegenteil erlebt hat.

Doch genug über das Schiffsleben, das schon zu oft beschrieben ist und sich doch im ganzen immer so ziemlich gleich bleibt und gleich bleiben muß.

Samstag abend – noch 340 Seemeilen von der amerikanischen Küste entfernt – als die Musik gerade vorn den Zwischendecks-Passagieren lustige Tänze spielte und sich die Paare, bei ziemlich günstigem Wetter, im Takt drehten, zeigte sich plötzlich am Horizont ein kleines Segel, das bald genug als Lotsenkutter erkannt wurde. Bis zu dieser Entfernung hatten sich die kecken Yankees mit ihren kleinen Fahrzeugen herausgewagt, um einander die einlaufenden Dampfer wegzukapern.

Jetzt kam Leben in das Zwischendeck; aber selbst die hübschesten Mädchen fanden keine Tänzer mehr, denn »der Lotse kam!« Der erste »lebendige Amerikaner«, den die Auswanderer zu sehen bekamen, und er wird, wenn er endlich eintrifft, von noch unverdorbenen jungen Gemütern gewöhnlich als erstes Zeichen des Kontinents mit derselben Neugierde und Ehrfurcht betrachtet, wie damals Kolumbus' Schiffsmannschaft das geschnitzte Ruder anstaunte, das sie in See auffischte.

Der Lotsenkutter kam übrigens, seine kleine Flagge gehißt, rasch näher. Es dauerte nicht lange, so stieß sein Boot von Bord ab, und zu gleicher Zeit räumte auch der Wind auf.

Montag morgen um zwei Uhr etwa passierten wir das Vorgebirge Sandy Hook. Mit Tagesanbruch erreichten wir Staten Island, wo der Dampfer vor Anker ging, um zuerst von einem Arzt inspiziert zu werden. Dieser kam schon halb sieben an Bord – wir waren alle gesund, und etwa um neun Uhr erreichten wir die Werft des Norddeutschen Lloyd, und damit zum erstenmal wieder amerikanischen Boden, wo denn auch ohne weiteres die Steuerschererei begann, die jetzt in den freien Vereinigten Staaten auf das herrlichste blüht.

Selbst die Kajüten-Passagiere durften das Schiff nicht verlassen, bis das sämtliche Gepäck ausgeladen war, ob sie selber etwas bei sich hatten oder nicht. Nachher wurde alles geöffnet, fast jedes Stück untersucht, und den Damen nicht allein jede kleine Schachtel im Koffer ausgepackt, sondern sie selber auch noch durch ein paar dafür angestellte »Ladies« in einem Privatzimmer an ihrem Körper visitiert.

Dann durften wir an Land, d.h. die Kajüten-Passagiere. Die Zwischendecks-Passagiere wurden noch immer zurückgehalten, da mehrere Auswandererschiffe zu gleicher Zeit eingelaufen waren und die betreffenden Unternehmer keine besonderen Boote herbeischaffen wollten, um die Passagiere zu befördern. Als ich am Abend wieder an Bord zurückkehrte, um meine an Deck zurückgelassenen Sachen abzuholen, lagen die armen Teufel noch in der Umzäunung und an Bord, und es war keine Aussicht, sie für den Abend frei zu bekommen.

Der Agent des Lloyd tat umsonst sein möglichstes, und da das Zwischendeck schon geräumt worden war, so wies der Kapitän den Frauen und Kindern für die Nacht wenigstens die Betten der zweiten Kajüte an, damit sie nicht auf dem harten Holze liegen mußten.

Ich weiß nicht, an wem die Schuld solcher Verzögerungen in New-York liegt, aber wie man jetzt mit dankenswertem Eifer soviel als möglich für die Sicherheit der Auswanderer und ihre Weiterbeförderung sorgt, sollte man doch auch ein klein wenig auf ihre Bequemlichkeit sehen. Gerade diese Zwischendecks-Passagiere sind es, die mit ihrer Hände Arbeit die Union so groß gemacht, und wie bedeutend die Einwanderung jetzt ist, beweist die Zahl der ankommenden Fremden. Der heutige Herald (30. Juli) – schreibt darüber.

»Gestern traf wieder ein starker Zug von Auswanderern an unseren Ufern ein. Die ›City-of-Boston‹ brachte 678 von Liverpool, der Dampfer ›Bremen‹ 455 von Bremen, der ›Christobal‹ 633 und die Barke ›Aristides‹ 303, die ›Borussia‹ von Hamburg 296 und das Schiff ›Shakespeare‹ 471. Im ganzen 2635 Seelen an einem Tage.«

Doch für jetzt genug davon – ich habe das Schiff verlassen und mich an Land einquartiert – wie ein Traum liegt die kurze Seereise hinter mir, aber der Traum war kein unangenehmer. Auf dem guten Schiff »Bremen« verging uns die Zeit wie im Fluge. Kapitän Neynaber ist ein so liebenswürdiger Gesellschafter wie tüchtiger Seemann, die Kost war vortrefflich, das Schiff gut und stet – was kann man mehr auf einer Seereise verlangen, und ich habe rauhere Touren vor mir! Jetzt werde ich mich vor allen Dingen in das New-Yorker Leben und Treiben stürzen und dann – für Städte passe ich nun doch einmal nicht – wieder hinein in meine Wälder, nach denen ich eine wirkliche Sehnsucht habe.


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