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7. Die Smoky-hill-Route

Nach Beendigung des Pau-Wau hielt ich mich natürlich nicht mehr lange in North Platte auf; der Platz bot in der Tat zu wenig Anziehendes, und es drängte mich, meine Reise fortzusetzen.

Als ich noch auf den Zug wartete, sah ich eine Anzahl der sonst so ernsten und verschlossenen Häuptlinge, die sich nach erledigten Geschäften ebenfalls ein kleines Vergnügen machten. Die Rothäute waren wohl noch kaum je auf einer Eisenbahn gefahren, und der Ingenieur hatte ihnen das Anerbieten gemacht, sie eine kurze Strecke mit in die Prärie hinaus zu nehmen; es wurde aber von ihnen abgelehnt; sie trauten der Sache doch wohl nicht genug. Eine dortstehende Draisine benutzten sie aber, worin man ihnen auch volle Freiheit ließ, mit desto mehr Behagen, und fuhren einander auf dem Gleise hin und her. Spotted tail stand daneben und lächelte, und auch Truthahnbein hatte sich als Zuschauer eingefunden, aber seine Brauen immer so finster und trotzig als je zusammengezogen. In dem Burschen lag kein freundlicher Gedanke, und ich glaube, er kann nur herzlich lachen, wenn er einem besiegten oder überlisteten Feind den Skalp von dem zuckenden Schädel reißt.

Etwa eine halbe Stunde später ging der Zug ab, und ohne weitere Fährlichkeit erreichten wir schon am anderen Morgen wieder Omaha, wo ich glücklicherweise den Anschluß an das den Missouri hinabgehende Dampfboot traf.

Von St. Joseph oder St. Joe, wie es kurzweg bezeichnet wird, nahm ich dann wieder die Bahn und fuhr, nachdem ich dort übernachtet, gegen Morgen dem fast deutschen Städtchen Leavenworth entgegen. Die Entfernung betrug aber kaum mehr als 30 Meilen – ich traf noch zur rechten Zeit zum Frühstück ein und stieg natürlich in einem deutschen Gasthof ab.

Leavenworth, das vor zehn Jahren kaum als Stadt existierte, ist in der kurzen Zeit, und besonders wegen des Krieges, nicht allein ein sehr bedeutender Platz geworden, sondern auch fast zum vierten Teil von Deutschen bewohnt, die sich hier, dem Anschein nach, sehr wohl befinden.

Es ist merkwürdig, wie diese amerikanischen Städte wachsen und sich die Spekulation, sobald sich nur irgendwo eine Aussicht auf Erfolg bietet, mit einer wahren Wut auf solche Stellen wirft. Leavenworth bot dazu allerdings auch in mehr als einer Hinsicht Gelegenheit, denn erstlich war es in der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges der Zentralpunkt sowohl des nordwestlichen Kriegsschauplatzes als auch des Binnenhandels und Verkehrs mit den Prärien, da gerade von hier aus Karawane nach Karawane die Steppen durchzog. Ältere Bewohner von Leavenworth versicherten mir, daß die Wagen oft in unabsehbarer Reihe die Stadt verlassen hätten, und Wagenbauer wie Schmiede bildeten damals einen großen Teil der Bevölkerung.

Die beiden Ursachen des Wachstums der Stadt haben jetzt allerdings aufgehört zu bestehen. Der Krieg ist beendet, und der Zug durch die westlichen Prärien hat durch die hineingebauten Eisenbahnen eine andere Gestalt angenommen, aber Leavenworth besteht, und wenn es sich auch im nächsten Jahrzehnt vielleicht nicht so unnatürlich rasch heben wird, als im vergangenen, so wird es nicht allein nicht zurückgehen, sondern noch langsam vorwärts schreiten, und seine ganze Lage berechtigt es dazu. Am Ufer des Missouri erbaut und mit der jetzt sogar bedeutenden Schiffahrt dieses bedeutenden Stromes in unmittelbarer Verbindung, zweigt es mit seiner Eisenbahn direkt nach der großen Pulsader dieser Distrikte, der Union-Pacific, aus, und wird selbst in nächster Zeit mit den Council-Bluffs und Omaha in Verbindung stehen.

Deutsches Leben hat sich dabei vollkommen in Leavenworth entwickelt und deutsche Tätigkeit ihre Fäden nach allen Seiten ausgebreitet. Schon bestehen dort sogar zwei deutsche Zeitungen, deutsche Schulen und Kirchen, und die wohlhabendsten Farmer der Umgegend sollen zu den Deutschen zählen. Auch an einem deutschen Turnverein und Liederkranz fehlt es nicht, kurz, der Deutsche hat es sich – ganz ungleich von dem Amerikaner, der in seiner ewigen Geldgier nur allein nach raschem Verdienst strebt – schon ganz gemütlich in dem Lande gemacht.

Leavenworth ist übrigens auch seinen Gebäuden nach ein nicht unbedeutender Platz; es hat sehr viele und schöne Backsteinhäuser und regelmäßig ausgelegte breite Straßen mit einem selbst jetzt noch ziemlich lebhaften Verkehr. Massen von Deutschen haben sich in der Umgegend angesiedelt, wie denn überhaupt Missouri und Kansas in letzter Zeit vorzugsweise das Ziel deutscher Auswanderung geworden zu sein scheinen. Überall fast sieht man deutsche Bauern, und erkennt an den wohnlich hergerichteten Häusern und besonders an den ausgezeichneten Scheunen und Fenzen deutschen Fleiß. Der Amerikaner sagt nicht ganz mit Unrecht von den deutschen Bauern: »ihre Scheune sei immer besser als ihr Haus«. – Aber sie bringen auch fast alle etwas vor sich, und wo man – ein sehr seltener Fall – einen verarmten Deutschen sieht, dann war auch sicherlich entweder Krankheit oder eigene Liederlichkeit die Schuld an seinem Unglück.

Ich selber wurde von ihnen wieder auf ebenso herzliche als liebenswürdige Weise aufgenommen und begrüßt, und ich werde die kurze Zeit, die ich unter den guten Menschen verlebte, gewiß nie vergessen.

Aber es leidet mich nun einmal nicht lange an einem Ort. Schon am nächsten Morgen benutzte ich den nach Westen gehenden Zug, um die smokyhill route bis zu ihrem letzten Ende zu befahren.

Von Leavenworth geht die Union-Pacific-Eisenbahn, welche diesen Kurs in Angriff genommen hat, direkt durch den Staat Kansas ihrem Ziel entgegen, und ich hatte für diesen Zweck von dem Vize-Präsidenten der Bahn, Herrn Adolphus Meier, einen Paß – wie man hier sagt – oder vielmehr eine Karte bekommen. Überhaupt kann ich nicht umhin, die Liberalität der hiesigen Eisenbahnen in dieser Hinsicht nicht allein zu erwähnen, sondern mit voller Überzeugung und Dankbarkeit zu rühmen, und möchte nur wünschen, daß unsere deutschen verschiedenen Direktionen, die darin aber entsetzlich kleinlich und knauserig sind – sich daran ein Beispiel nehmen wollten.

Die Vertreter der Presse – der man in Amerika die verdiente Achtung zollt, während man sie in Deutschland lieber ausrotten möchte – bekommen fast auf allen hiesigen Bahnen, sobald sie sich darum bemühen, freie Fahrt durch Karten, die auf den Besitzer lauten. Ja, für bekannte Schriftsteller oder Korrespondenten bedeutender Blätter werden sogar Jahreskarten abgegeben, mit denen sie die Strecke, auf welche das Billet lautet, das ganze Jahr hindurch befahren können. Mir selber wurde die Vergünstigung der einzelnen Freifahrt auf beiden Pacific-Bahnen, wie selbst von Cincinnati bis St. Louis, und ich möchte wohl fragen, welche deutsche Bahn mir etwas Ähnliches bewilligen würde. Armen Leuten werden allerdings auch bei uns dann und wann Freikarten gegeben, aber ein deutscher Schriftsteller und Korrespondent mag ruhig bezahlen wenn er von einem Ort zum anderen reisen muß, und kann er das nicht – nun so bleibt er eben, wo er ist und berichtet par distance.

Der Amerikaner ist überhaupt in seinem ganzen Wesen und Treiben – so unermüdet er auch das eine Ziel: Geld, verfolgt, weit weniger kleinlich als der Deutsche. Will ich in Deutschland ein großes Etablissement, eine Fabrik oder großartige Werkstätten und dergleichen sehen, so kann ich mich darauf verlassen, daß ich, als Fremder wenigstens, die größten Umstände dabei habe. Wohin ich komme, finde ich eine Tür mit der Aufschrift: Kein Zutritt – und frage ich um die Erlaubnis, die Räume zu besuchen, so sagt mir der Geschäftsführer ganz einfach: »Tut mir leid – der Prinzipal ist gerade nicht zugegen, und ohne dessen Erlaubnis darf ich niemanden herumführen lassen.«

Hier in Amerika kann ich alles ansehen, was mich freut, und überall findet man Leute, die sogar den vollkommen Fremden mit größter Gefälligkeit selbst begleiten und ihm das, was er zu wissen wünscht, erklären. Allerdings kann es kommen, daß er einmal alles beschäftigt findet, und niemand Zeit oder Lust hat, sich mit ihm einzulassen. Sagt er aber nur, daß er hergekommen ist, um die verschiedenen Einrichtungen zu besichtigen, so wird man ihn auch sicher ruhig gewähren lassen und nie daran denken, es ihm zu verwehren – wie oft habe ich das bestätigt gefunden, und zwar manchmal in einer Weise, die mich selber in Erstaunen setzte.

Doch um zu meiner Reise zurückzukehren, so erreichte ich das kleine – auch größtenteils von Deutschen bewohnte – Städtchen Lawrence etwa zehn Uhr morgens. Dort wurden die Wagen gewechselt, denn der direkte Zug kommt von St. Louis herauf und geht in einem Strich nach Westen. Bis dahin lag die Bahn auch noch durch völlig besiedeltes und meist bewaldetes Bottomland – oder Niederung, und das Welschkorn stand dort überall vortrefflich. Hinter Lawrence beginnen nun die Prärien, und ich hatte geglaubt, diese wie von Omaha aus meist noch öde und unbesiedelt zu finden, sah aber bald zu meiner Freude, daß ich mich darin vollständig geirrt.

Allerdings zeigte sich hier der Prärie-Boden noch überall von kleinen Flüssen mit ihren dichtbewaldeten Tälern unterbrochen – aber selbst viel weiter draußen schienen die Ansiedelungen nicht abzunehmen. Reich und üppig tragende Welschkornfelder wechselten mit Frucht- oder Obstgärten – da und dort weideten kleine friedliche Herden – nette Häuser standen überall in Sicht von der Bahn, und die Zivilisation schien hier wirklich weit hinaus in das Land zu springen und manche, dem besseren Verkehr weit näher gelegene Strecken überflügelt zu haben. – Und was für Welschkorn trugen diese Stengel! – Freilich hatte die westliche Landplage – die Heuschrecke – auch hier schon ihre Verheerungen begonnen, und wo die Lokomotive vorüberbrauste oder manchmal ihren dampfenden Wasserstrahl zur Seite ausließ, stiegen diese lästigen und gefährlichen Gäste oft wie eine helle Wolke aus dem Rasen auf.

Von acht zu zehn Meilen erreichten wir immer kleine Städtchen, die aber allerdings an Bedeutung verloren, je weiter wir nach Westen zu rückten, bis wir in Junction-City wieder die Anfänge einer größeren Stadt erkannten. In Junction-City sollen sich nämlich – wie auch schon der Name sagt – später mehrere Bahnen vereinigen, und der spekulierende Amerikaner wartet nicht ab, bis das geschehen ist, sondern schon jetzt stehen dort mächtige Backsteinhäuser – freilich noch ohne Baum und Strauch um sie her –, kahl und unheimlich auf nackter Fläche. Aber die Zeit, wo sie gebraucht werden, kommt dennoch, und es ist dann wenigstens kein Augenblick versäumt.

Vor Junction-City erhielten wir ein prächtiges Beispiel von der fast rührenden Sorglosigkeit, mit der man hier auf amerikanischen Bahnen fährt. Die Achse des vordersten Packwagens geriet nämlich in Brand, und als es entdeckt wurde, schlug die Flamme schon ganz lustig etwa sechs oder acht Zoll hoch daraus empor. Wir befanden uns damals noch etwa 25 Meilen von Junction-City entfernt, auf einer Station, wo gerade mittag gemacht wurde. Die Achse begoß man mit Wasser und stellte dann einen Mann daran, der die eine zerbrochene Kapsel herausnehmen und eine andere, mit Deckplatte, dafür einsetzen sollte. Es ging aber nicht – es fehlte ihm das nötige Handwerkszeug dazu, oder wußte er vielleicht nicht recht damit umzugehen, aber er gab es endlich auf, und der »Oberschaffner«, hier Kondukteur, erklärte, er könne nicht mehr länger warten. Die Achse wurde noch rasch ein wenig abgekühlt, dann Baumwolle hineingesteckt und diese mit Öl begossen, und fort ging es dann wieder in voller Flucht. – Bis zur nächsten Station hielt das auch – sie dampfte wohl, aber kam doch nicht wieder in Brand, bis wir von Fort Riley abfuhren. Nach etwa einer Viertelstunde sah ich zum Wagen hinaus, und da sich der Transportwagen gerade vor uns befand, bemerkte ich Rauch, ja sogar wieder die helle Flamme.

Niemand schien es zu bemerken; als gewissenhafter Deutscher hielt ich mich aber für verpflichtet, die oberste Behörde von meiner Entdeckung in Kenntnis zu setzen, und ging deshalb – was bei den ineinanderlaufenden Wagen sehr leicht ist – in den vor uns befindlichen Packwagen hinüber, wo ich den Kondukteur und die verschiedenen Packmeister auf einigen Kisten, Koffern und Büffelfellen behaglich ausgestreckt und schlafend fand. Unsere Unterhaltung, nachdem ich sie geweckt, war so lakonisch als interessant.

»Meine Herren, die Achse brennt wieder.«

»So?« sagte der Kondukteur, während sich der Packmeister kaum dafür zu interessieren schien – wenigstens nicht einmal den Kopf hob.

»Hell!« bekräftigte ich.

» Never mind« (schadet nichts) sagte der Kondukteur.

» You take it coolly« (Sie nehmens kaltblütig) war meine Bemerkung auf die des Kondukteurs, der aber keine Antwort nötig glaubte. Allerdings kamen wir gleich darauf nach Junction-City, aber selbst dort hatten die Leute anderes zu tun, als sich gleich um den brennenden Wagen zu bekümmern, der auch vielleicht, in all dem Eisenwerk, keinen großen Schaden leiden konnte.

Am Wagen entlang kam einer der dortigen Eisenbahnbeamten, ging an der noch hellbrennenden Achse vorbei, lachte und sagte, nach dem Packwagen hinaufnickend: » That's right, that will keep your feet warm« (Das ist recht – das hält euch die Füße warm), und ging dann ruhig vorüber.

Hier übrigens wurde ein Sachverständiger herbeigerufen, der die Achse bald wieder in Ordnung brachte, so daß wir unseren Weg doch ohne Fackel fortsetzen konnten.

Übrigens war es schon fast zehn Uhr abends geworden ehe wir das kaum 224 Meilen von Leavenworth gelegene Ellsworth erreichten, und die Schwierigkeit war hier, für die Nacht ein Unterkommen zu finden, denn der kleine, aus Buden und Zelten aufgebaute und letzte Stationsort der Bahn wimmelte von Menschen. Das beste Hotel sollte das Marshal House sein. Dort quartierte ich mich ein und erhielt in einer großen Bude, die man nach Art der Zwischendeckskojen eingerichtet und mit alten Decken versehen hatte (an weiße Wäsche war natürlich nicht zu denken), ein Lager angewiesen, für das ich am nächsten Morgen, bei nicht einer Stunde Schlaf, da alle Augenblicke entweder Fremde kamen oder gingen, oder Betrunkene draußen herumtobten, 75 Cents bezahlen durfte. Das Frühstück kostete 1 Dollar.

Station Ellsworth, der letzte besiedelte Platz an der smokyhill route, der Grenzplatz der sogenannten Zivilisation gegen die wilden Indianerstämme, wenn ein Nest voll Spielhöllen, Branntweinkneipen und Bordelle, wo die Männer mit Revolvern und mit Messern besteckt und mit Spielkarten und Würfeln in den Taschen herumgingen, und die Frauen der niedrigsten Klasse des Menschengeschlechts angehörten, als zur Zivilisation gehörig betrachtet werden konnte. Aber die Bewohner gehörten den Weißen an, waren wenigstens, ihrer Meinung nach, eine bevorzugte Rasse, und die Indianer dagegen wilde Barbaren. Daß sie gegeneinander irgend einer Bagatelle wegen ihre Pistolen abfeuerten, daß sie falsch spielten und sich schlimmer als Wilde betranken, konnte nicht in Betracht kommen.

Ich verlebte dort eine elende Nacht und war froh, als am anderen Morgen um acht Uhr der Konstruktions-Train nach dem Ende der Bahn abging. Hier nämlich hörten die Personenwagen auf; ein einziger Güterkarren hing hinten an einer endlosen Kette von offenen, mit Schwellen und Schienen beladenen Karren, und fort rasselte der Zug in die Wildnis hinein.

Ein höchst malerisches Bild boten aber wir Passagiere dieses einen Güterkarrens, etwa vierzehn Mann an der Zahl, und eher einer Räuberbande als friedlichen Reisenden gleichend. Da war keiner ohne Büchse, und zwar Büchsen von jeder Art und Form, von dem vierzehnmal schießenden Henry Rifle bis zu der einfachen langen Büchse des Hinterwäldlers hinab. Selbst die Beamten der Bahn trugen jeder ihre zwei Revolver im Gürtel. Der Güterkarren glich einem schwerbewaffneten Kriegsschiff, das seine Bahn durch die weite, meergleiche Prärie steuerte, und nicht ganz ohne Grund, denn gerade in letzter Zeit waren auf dieser Strecke häufig von den Wilden Überfälle verübt und Menschen getötet worden.

Mehrere Male hatten die Indianer die Bahn verbarrikadiert und sich von den neben dem Gleise liegenden Schwellen Schutzwehren gebaut, von denen aus sie auf den Zug schossen. Dicht an dem Schienenweg, einer an der rechten, einer an der linken Seite, standen zwei kleine pyramidenförmige Haufen von ausgestochenem Rasen, die von zwei einsamen Wanderern aufgerichtet waren, um sich dahinter gegen ansprengende Indianer zu decken – es hatte ihnen nichts geholfen: die Cheyennes sprengten gegen sie an und schossen und skalpierten beide – was vor noch nicht einmal acht Tagen geschehen sein sollte.

Im Güterwagen selber befand sich ein alter Trapper, der eine Henry-Büchse mit zerschossenem Kolben trug. Vor vier Tagen erst hatten etwa fünfunddreißig Indianer einen kleinen Trupp von Jägern überfallen. Einer der Kontraktoren der Bahn hatte diese Büchse geführt und fünf Wilde damit erschossen. Als er auf den sechsten anlegte, traf eine Kugel sein Handgelenk, schlug durch den Büchsenkolben und seine linke Schulter, und warf ihn nieder. Wenige Minuten später war er skalpiert. In der Tat wurden nichts als derartige Mordgeschichten auf dem Zuge erzählt, und es schien, als ob sich die Eingeborenen dem Weiterbau der Bahn auf das ernsteste widersetzen wollten.

Die Gegend selber war eine weite, öde, wellenförmige Prärie, denn das fruchtbarste Land lag hinter uns, und hier draußen hätten sich auch überhaupt noch keine einzelnen Farmer niederlassen können, sie wären nicht einmal imstande gewesen, den Bau ihres Hauses zu beenden.

Fort brauste der Zug, während wir gute Wacht nach rechts und links hielten, ob wir nicht irgendwo einen Trupp der gereizten Wilden entdecken könnten, denen aber dann jedenfalls ein warmer Empfang bereitet worden wäre.

»Hallo!« schrie da plötzlich einer der Leute, »hoh! hallo! hoh! hoh!« und vergebens sahen wir uns überall nach einem Feinde um. Die Ursache des Schreiens stellte sich aber bald in anderer Weise heraus, denn wir entdeckten plötzlich, daß sich unser letzter Karren durch das fürchterliche Rucken auf den erst neugelegten Schienen von seiner Kette losgerissen hatte und jetzt etwa dreißig Schritt hinter dem Zuge, diesem aber fast noch in gleicher Schnelle folgend, herlief, ohne daß der Ingenieur bis jetzt etwas davon gemerkt hätte. Wir schrieen nun gemeinschaftlich, aber ebenfalls ohne Erfolg, denn bei dem endlosen Zuge und den auf den Wagen rasselnden Schienen war die Entfernung wie der Spektakel zu groß, um unsere Stimmen, noch dazu gegen den Wind, zu ihm zu tragen.

Unser Wagen hielt sich allerdings noch eine Zeit lang tapfer und schoß so rasch mit uns fort, als ob er sich den Henker um eine Lokomotive kümmerte, aber die Kraft ließ doch allmählich nach, und als wir endlich einer Anschwellung der Prärie entgegenfuhren, blieb er mehr und mehr zurück und endlich friedlich und einsam mitten in der Prärie halten, während der Rauch der Lokomotive wenige Minuten später nur noch wie ein grauer Punkt am Horizont sichtbar war – und was nun?

Aber hinter uns folgte zum Glück ein zweiter Konstruktions-Train, allerdings noch sehr weit entfernt, aber er kam doch, und nachdem wir vielleicht eine Viertelstunde dort gehalten, sahen wir ihn heranbrausen. Indessen hatte auch unser Zug seinen Verlust gemerkt und wurde wieder sichtbar, fand aber kaum, da uns der andere Zug überholte, als er auch seinen Weg wieder fortsetzte und es jenem überließ, uns weiter zu schieben.

Wir mochten etwa eine Viertelstunde wieder im Gange sein, als plötzlich der Ruf laut wurde: »Indianer!« Im Nu griff alles nach der Waffe, und schon knackte hier und da ein Hahn, nicht ganz ohne Gefahr für die Mitpassagiere, denn der Wagen schüttelte uns fortwährend durcheinander.

Rechts auf der etwas anschwellenden Prärie wurden etwa zwanzig bis zweiundzwanzig Indianer sichtbar, die plötzlich auf die Erhöhung hinaufgesprengt kamen und dort ihre Pferde zügelten. Sie waren jedenfalls zu Krieg oder Jagd gerüstet und bis zum Gürtel nackt, mit Bogen und Pfeilen, manche mit Büchsen in der Hand. Aber ob sie überhaupt keine feindliche Absicht hatten oder dem geschlossenen Wagen nicht trauten, den die Lokomotive vor sich herschob – sie kamen nicht näher, und wir hielten jetzt mit Mühe den alten Trapper zurück, der die größte Lust zeigte, ein paar Kugeln zwischen sie hineinzufeuern. Die Entfernung betrug allerdings noch wenigstens 400 Schritt, aber er hätte doch vielleicht Schaden anrichten können und jedenfalls die Indianer ganz unnützer- und törichterweise gereizt. Wenige Minuten später war aber auch der Zug weit aus ihrem Bereich, und immer näher rückten wir jetzt dem »Ende der Bahn,« das etwa 50 Meilen hinter Ellsworth lag.

In der Ferne erkannten wir seitwärts von der Bahn haltende Wagen. Es waren die Telegraphenkarren, für welche man nur einfach einen kurzen Schienenstrang auf die Prärie hinausgelegt hatte, um sie aus dem Weg des Zuges zu bekommen. Diese standen mit der Leitung in Verbindung, und langsam der Bahn folgend, zogen sie das »geflügelte Wort« weiter und weiter in die Prärie hinein, um in wenigen Jahren schon, ja vielleicht in kürzerer Zeit, die beiden Ozeane miteinander zu verbinden.

Und dort drüben hielten die abgeladenen Karren auf der Bahn, die Schienen, Schwellen wie Proviant für die Arbeiter heraufgebracht hatten und nun von den zurückgehenden Lokomotiven gegen die beladenen ausgetauscht werden sollten. Am Wege standen einzelne Arbeiter, um kleine Verbesserungen an der Bahn zu besorgen, oder hier und da nachzuhelfen. Sie arbeiteten mit Spitzhacke und Schaufel – etwa 1000 Schritt von dem Haupttrupp der Arbeiter entfernt – aber jeder trug seinen Revolver im Gürtel und hatte seine geladene Büchse neben sich auf der Erde liegen, jeden Moment eines Angriffes der gefürchteten Feinde gewärtig.

Jetzt nahten wir uns dem Endpunkte der Bahn und sahen die Leute gerade beschäftigt, an einem Zuflusse des Big-Creek eine Brücke zu beginnen.

Hier war unsere Fahrt zu Ende, und ich verließ den Güterwagen, der augenblicklich mit den Lokomotiven zurückkehrte, um selber den Endpunkt der Bahn zu besichtigen und dann natürlich auch die Nacht dort zu verbringen.

Ein Dach war freilich für die Nacht nicht zu bekommen; wir mußten uns lagern, und ein wilderes Bild als dieses Lager läßt sich schwerlich denken. Aber es würde viel Raum einnehmen, um das genau zu schildern. Die Art des Schienenlegens habe ich ja überhaupt schon beschrieben, und ich will mich jetzt nur noch darauf beschränken, die Entfernungen anzugeben, welche die verschiedenen Bahnen durchmessen haben, um das von den Vereinigten Staaten gesteckte Ziel, die Vereinigung mit den von Westen kommenden Bahnen, zu erreichen.

Die smokyhill route ist allerdings, was den raschen Fortgang des Baues betrifft, gegen die weiter nördlich begonnene Omahastraße ziemlich bedeutend zurück. Von der Staatsgrenze Missouris bis nach Ellsworth werden 224 Meilen gerechnet. Von da ab gen Westen war die Bahn damals 50 Meilen vollendet, was im ganzen eine Entfernung von 284 westlich von der Grenze von Missouri in den Staat Kansas gibt.

Viel weiter ist indessen die im Norden begonnene Bahn, die von Chicago aus fast genau westlich durch die Prärieen läuft, in Angriff genommen worden, und die Strecke, die sie schon durchmißt, ist eine sehr bedeutende.

Vielleicht hat es für die deutschen Leser ein Interesse, die genaue Meilenzahl zu kennen, die sich nach geographischen so verhalten, daß 5 englische Meilen eine geographische Meile, von denen 15 auf einen Grad gehen, bilden.

Die nördliche Bahn durchmißt also von New-York nach Chicago 900 Meilen, von Chicago nach Omaha 490 Meilen, von Omaha nach Julesburg 377 Meilen, von Julesburg nach Cheyennes 136 Meilen, und bis etwa 60 Meilen von da war die nördliche Bahn, 1903 Meilen, damals fertig.

Von Cheyennes-City hat die Bahn nun noch allerdings die schwierigste Strecke über die Felsengebirge nach Saltlake-City, eine Entfernung von 511 Meilen, zu überwinden, was also bis dorthin eine Strecke von 2414 Meilen ausmacht. Dort aber begegnet ihr dann auch die von San Francisco in einer Entfernung von 886 Meilen ausgebaute Bahn, und somit würde sich die Totalstrecke der von New-York bis San Francisco hergestellten oder vielmehr noch herzustellenden Bahn auf genau 3300 englische oder 660 geographische Meilen belaufen: eine riesige Strecke, wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten und Gefahren dabei zu überwinden waren, und mit welchen Hindernissen die Kontraktoren zu kämpfen hatten.

Kein anderer als der zähe amerikanische Charakter wäre auch je imstande gewesen, ein solches Unternehmen durchzuführen, denn wer nur dabei überlegt hätte, würde es nie unternommen haben. Erstlich die Terrainschwierigkeiten in den bösartigen Felsengebirgen, der Holzmangel in den Prärieen, die Gefahr, die der Strecke mit ihren Schienen und ihren Telegraphendrähten von feindlichen Indianern drohte, ja selbst die Elemente mit ihren Stürmen in den Ebenen, mit ihrem Schnee in den Gebirgen! Aber das alles konnte die kecken Yankees nicht aufhalten, denn es war Geld dabei zu verdienen – viel Geld, und der Versuch wenigstens mußte gemacht werden – arbeitete man doch mit anderer Leute Kapital.

Die Straße wird auch durchgeführt, und zwar in kürzerer Zeit, als man sich früher – vorsichtigerweise – gestellt. Mögen die Indianer sich dagegen auflehnen, wie sie wollen, – es hilft ihnen nichts – der Dollar steht ihnen entgegen, und wider diesen sind sie machtlos.

Allerdings ist nun die nördliche, schon fast bis Cheyennes-City vorgeschrittene Straße der südlichen smokyhill route in Distanz weit voraus, und wenn ich nicht irre, auch dadurch ein großer Vorteil für sie damit verknüpft, als sie, wenn sie die Verbindung mit der von Westen herüberkommenden Bahn zuerst erreicht, gewisse Privilegien von der Regierung der Vereinigten Staaten zugesichert erhält. Die smokyhill route hat aber dafür den Vorteil besseren und fruchtbareren Landes auf eine ziemlich weite Strecke hinaus, ein sehr bedeutender Nutzen in der Tat, da den verschiedenen Bahnen von der Regierung große Strecken vom ganzen Schienenwege hier unentgeltlich überlassen wurden und nun von den verschiedenen Direktionen wieder verwertet werden können.

Welchen Paß beide Routen über die Felsengebirge einschlagen wollen, scheint noch gar nicht einmal fest bestimmt zu sein, und selbst in jener Zeit wurden die Gebirge noch von beiden Bahnen untersucht, um die bequemste wie zugleich einträglichste Route festzustellen. Welchen Umschwung im Verkehr mit dem Westen diese Bahnen hervorbringen müssen, läßt sich allerdings noch nicht berechnen, daß er aber ein ungeheurer sein wird, ist leicht vorherzusagen, und kurze Zeit nur mag vergehen, daß Städte mit Hunderttausenden von Einwohnern an solchen Stellen emporsteigen, wo jetzt noch der Büffel und graue Bär ihre Heimat haben.

Welchen Veränderungen geht überhaupt dieses Land entgegen, welche riesigen Veränderungen und Umwälzungen hat es allein in dem letzten Jahrzehnt gesehen; aber alles dringt vorwärts, ein Rückschritt ist undenkbar, selbst ein Stillstand unmöglich, und immer rascher, immer reißender geht das, je mehr das ungeheure Land selber wächst und zunimmt! Noch vor hundert, ja vor fünfzig Jahren zogen einzelne Jäger und Pioniere mit ihrer Büchse auf der Schulter, mit ihrer Axt an der Seite in die Wildnis hinein, um sich mitten zwischen Wildnis und Gefahren eine neue Heimat zu gründen; das genügt jetzt nicht mehr, denn augenblicklich verändern in diesen westlichen Bahnen nicht allein ganze Trupps von Menschen ihren Wohnplatz, um weiter nach Westen in die Prärie zu ziehen, nein, ganze Städte mit Haus, Küche und Stall folgen ihnen, auf Wagen geladen, und wo sie Fuß gefaßt und den Anker in den Sand geworfen haben, da ziehen sie das etwas schwerfälligere Schiff der Zivilisation nach und werfen von dort aus ihre Pläne weiter aus.

Der frühere Begriff »im fernen Westen« existiert schon fast gar nicht mehr, denn was man früher unter fernem Westen verstand, liegt jetzt fern im Osten, und was man jetzt darunter verstehen könnte, hat auch den Begriff verloren, den man sonst damit verband, denn im fernen Westen lag früher die furchtbare Öde, und jetzt rückt von dort ebenso die Kultur herüber, um ihrer Schwester aus dem Osten die Hand zu reichen.


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