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29. Das Tal von Aragua

Die Fahrt war, an einem herrlichen Nachmittag, entzückend schön und lag wieder das nämliche Tal hinauf, durch das wir schon früher einmal einen Spazierritt gemacht – den Guayra auswärts. – Der Kutscher – wie die meisten hier, ein Italiener – fuhr ebenfalls vortrefflich, und auf dem guten Weg, nur von dem Staub etwas belästigt, rollten wir lustig in das freundliche Land hinein.

Nun lagen allerdings – wie ich recht gut wußte, eine Menge von Regierungstruppen gerade an dieser Straße; da aber auch in eben dieser Zeit zwischen den Blauen und Gelben ein f8ünfzehntägiger Waffenstillstand abgeschlossen worden, so hoffte ich doch wenigstens, aus dem Bereich der Regierungstruppen zu kommen, ehe derselbe abgelaufen, denn denen traute ich viel weniger als den Revolutionssoldaten.

An das Gerücht, daß sich die Truppen in Victoria empört haben sollten, hatte ich gar nicht mehr gedacht, bis wir auf der Straße sehr lebhaft daran erinnert wurden. Dort fanden wir nämlich sämtliche Truppen alarmiert und teils mit Gewehr im Arm wie fertig zum Marsch, teils exerzierend, teils ihre Waffen in Ordnung bringend, und in der Tat die ganze Straße so belebt, ja bedeckt von ihnen, daß wir manchmal anhielten und warten mußten, bis es den Herren nur gefällig war, Raum zu geben. –

Die Uniform des Militärs war allerdings sehr einfach, aber dem Klima entsprechend. Sie bestand aus derber ungebleichter Leinwand – sogenannten Turnerjacken und Hosen, einem sehr leichten Käppi, das ich in Verdacht habe, aus Pappdeckel zu bestehen, und einem breiten, gelben Band um dasselbe, dann Seitengewehr und recht gute Bajonettflinten, die Offiziere und Generale übrigens, die sich fast in nichts als einem Säbel von den übrigen unterschieden, trugen alle möglichen Arten von Strohhüten, und viele von ihnen den Degen nicht einmal umgeschnallt, sondern, wie die Polizei, mit der Scheide in der Hand.

Malerische Gruppen gab es aber gleichfalls dabei. So standen nahe bei dem einen Dorf zwei kleine, dort angepflanzte Palmen, und zwischen beiden hatte ein General seine Hängematte aufgehängt und sah dort, bequem ausgestreckt – ja so bequem, daß er sogar die Stiefel ausgezogen – dem Exerzieren zu. Ein plötzlicher Überfall war auch nicht zu fürchten, denn überall an den Hängen konnte man kleine Pikets erkennen, die dort jedenfalls auf Posten standen, um das Nahen eines Feindes gleich zu melden – und man hatte in der Tat gefürchtet, die Blauen würden mit den in Victoria vermuteten Rebellen den Waffenstillstand brechen und auf Caracas marschieren. Endlich an dem Orte Las Juntas – wo der Zusammenfluß der beiden Bäche stattfindet, die den Guayra bilden, ließen wir das eigentliche Hauptkorps zurück, und ich kann es ihm zum Ruhm nachsagen, daß wir nur etwa drei- oder viermal, wenn der Wagen gerade langsam fahren mußte, von den Soldaten angebettelt wurden. Hinter Las Juntas aber kam das häufiger vor.

Von dort aus wurde das Tal enger, und da wir das Gros der Armee, 1000 Mann vielleicht, hinter uns hatten, so liefen wir jetzt durch eine Vorpostenkette Spießruten, die sich, immer ein paar hundert Schritt voneinander entfernt, an jedem Vorsprung aufgestellt hatten, von wo aus sie den voraus liegenden Weg oder wenigstens eine Biegung desselben übersehen konnten. Sobald diese, die sämtlich barfuß liefen und auch nicht einmal sämtlich Uniform hatten, es irgend möglich machen konnten, kamen sie an den Wagen gesprungen – und nicht etwa um nach einer Legitimation zu fragen, denn darum kümmerte sich niemand – sondern nur um einen »realito« oder etwas klein Geld zu erbitten, wobei sie denn auch nicht einmal ein paar der dort gemachten, wahrhaft nichtswürdigen Zigarren verschmähten. Mehrmals fiel es dabei vor, daß die armen Teufel mit wirklich kläglicher Miene sagten: » Por Dios, Sennor, wir haben den ganzen Tag noch keinen Bissen zu essen bekommen.« und sie sahen wirklich so aus, als wenn sie die Wahrheit sprächen.

Nicht weit mehr aber, so hörten die letzten auf, und unser Kutscher versicherte uns, die Blauen hätten hier herüber schon ein paarmal Streifzüge geschickt, die einzelnen Soldaten weggefangen und sie dann unter ihre eigenen Truppen gesteckt – was sehr einfach dadurch geschehen konnte, daß man ihnen das gelbe Band ab- und ein blaues umband – nachher war die Uniform fertig. In dem kleinen Ort voraus aber: Losteces, wo wir übernachten würden, sollten wieder Regierungstruppen liegen.

Der allerdings sehr gut gebahnte Weg wurde hier übrigens fast ein wenig zu interessant, denn er führte, in den kürzesten Einbiegungen und immer den Einschnitten des Berges folgend, unmittelbar an einem Abgrund hin, während unser italienischer Kutscher dabei ununterbrochen auf seine überdies etwas munteren Tiere einhieb, daß der leichte Wagen nur manchmal so um die scharfen Ecken herumflog und irgend ein Zufall uns Hals über Kopf in die Schlucht hinabsenden konnte.

Wir waren, dem Lauf eines kleinen Baches aufwärts folgend, schon immer höher in die Berge hineingestiegen und rasselten jetzt durch ein Felsenterrain hin, dem man den Namen Sebastopol gegeben hatte. Nun war mir schon in Caracas erzählt, daß vor nicht langer Zeit einer dieser Wagen, wie er mit scharfem Schwung um eine der Felsecken herumflog, gerade an dieser Stelle – und es sah schauerlich aus, wenn man da hinunterblickte – hinabgestürzt wäre, und man sollte kaum glauben, daß auch nur einer der Passagiere hätte mit dem Leben davonkommen können – während in Wahrheit nur einer verunglückte.

Als wir den Platz passiert hatten – denn in der Zeit wollte ich ihn nicht gern stören, fragte ich den Kutscher jenes Sturzes wegen, aber diese Leute hören die Fragen nicht gern, denn es könnte ihnen »auf der Linie« Schaden tun. Er schüttelte denn auch mit dem Kopf und antwortete nicht gleich.

»Aber ich habe doch gehört, daß einer von den Passagieren verunglückt sei.«

»Hm, ja,« sagte der Kutscher, »es war einer aus Victoria.«

»Also der brach den Hals?«

»Ja,« sagte der Italiener, »aber – er war schon vorher krank gewesen.«

An dem Abend, wenn auch erst mit einbrechender Nacht, erreichten wir das kleine Städtchen Losteces, das ebenfalls eine Besetzung von Amarillos hatte. Vor Tag aber fuhren wir wieder aus, um Victoria noch bei guter Zeit zu erreichen.

Hier wußte man nichts von einem Aufstand in dem unfern davon gelegenen Victoria – also war die Sache auch nicht begründet.

Noch in dem Dorf oder Städtchen wurden wir von den Posten angeschrieen und mußten halten, damit sie sich überzeugen konnten, wer wir wären. Dann ließen sie uns passieren, und eine halbe Stunde lang fuhren wir etwa noch im Dunklen, aber die hier ziemlich gute Straße entlang, und froren dabei bitterlich.

Losteces liegt nämlich sehr hoch in den Bergen – Palmen kommen hier gar nicht mehr vor, ja ich glaube kaum, daß sich die Bananen da wohlbefinden, und die Nacht war es so kalt gewesen, daß ich alles über mich deckte, was ich mitgenommen, und mich trotzdem kaum erwärmen konnte.

Jetzt endlich dämmerte der Tag, der uns wieder die warmen Sonnenstrahlen bringen sollte. Wir hielten uns noch immer auf dem Höhenzug, und der Wind, der von da unten herüberstrich, war eisigkalt. Jetzt endlich hatten wir den Gipfel erreicht – der Wagen hielt, und als ich hinaussah – ich war eben am Einnicken gewesen, war im Nu Kälte und Müdigkeit vergessen, denn das Bild, das sich uns hier bot, war so eigentümlich als malerisch.

Vor uns stand – dicht am Rande des Abhangs, aber so an die Bergspitze herausgeschoben, daß man von da aus beide Biegungen des Weges nicht nur überschauen konnte, sondern auch die Auffahrt von beiden Seiten beherrschte – ein kleiner offener Schuppen, mit Binsen gedeckt, das Dach nur auf Pfählen ruhend, und unter demselben kauerten etwa zehn oder zwölf wild genug aussehende Burschen in blauen Cobijas (wie man hier eine Art Poncho oder Zarape nennt) und schienen jämmerlich zu frieren. Zwei andere waren eben damit beschäftigt ein Feuer anzuzünden, und ein dritter stand vor unseren Pferden und hatte jedenfalls den Wagen angehalten.

Diese Leute trugen allerdings Musketen, aber sonst gar keine Abzeichen, nur der Offizier, der jetzt herankam (und der einzige von allen, der auch Stiefel an den Füßen hatte), zeigte an seinem Strohhut eine blaue, aus Band gefertigte Kokarde. Wir hatten den ersten Vorposten der Reconquistadores erreicht, der hier kaum eine englische Meile von Losteces entfernt stehen konnte. Waren wir doch die ganze Zeit nur sehr langsam gefahren.

Die Leute waren aber so freundlich und artig wie nur möglich. Der Offizier erkundigte sich nur, woher wir kämen, wohin wir wollten, und lachte, als ihm mein Begleiter erzählte, welche Aufregung das Gerücht über den erfundenen Aufstand Victorias in Caracas hervorgerufen.

»Noch nicht,« sagte er, »die Nachricht ist nur etwas verfrüht – aber, meine Herren, ich will Sie hier nicht länger auf dem kalten Höhenzug aufhalten. Machen Sie, daß Sie wieder hinunter ins warme Land kommen.«

Den Soldaten dann abwinkend, grüßte er uns freundlich, und gleich darauf rasselten wir wieder zu Tal.

Um neun Uhr etwa erreichten wir wieder ein Dorf, das von den Blauen besetzt gehalten wurde. Hier mußten wir drei Real Schutzgeld zahlen. Es war die einzige Steuer, die von den Insurgenten erhoben wurde, und allerdings mäßig genug. – Aber auch hier wurden wir von den einzelnen Soldaten angebettelt. Die armen Teufel bekamen eben keine Löhnung, weder hüben noch drüben, und waren auf das angewiesen, was sie sich so am Wege verdienten.

Von dort ab hielten die Revolutionäre den Weg überall besetzt, bis wir gegen Mittag in der Nähe von Victoria selber wieder ein kleines Städtchen erreichten, in welchem Falconsche Linientruppen zu liegen schienen, die sämtlich anständig gekleidet gingen – bloße Füße natürlich oder Sandalen abgerechnet. Hätte aber ein preußischer General das erlebt, was uns hier begegnete, er wäre wahrlich aus der Haut gefahren.

Als wir nämlich an einer der größeren Pulperien oder Verkaufsläden vorfuhren, weil unser Kutscher dort etwas abzugeben hatte, fanden wir die ganze Militärmacht, etwa achtzig oder hundert Mann, vor dem Hause in doppeltem Glied aufgestellt, die Musik an der Spitze, und aufs äußerste überraschten mich hier schon die beiden Trommelschläger, welche die in Deutschland neu eingeführten flachen Trommeln trugen. Das war aber noch nichts. Unser Wagen hielt vor dem aus Backsteinen gelegten Trottoir, als plötzlich einer der Trommelschläger, ein Pfeifer und ein Hornist vortraten, sich, während die Mannschaft mit Gewehr bei Fuß stand, vor dem Wagen aufstellten und dann einen lustigen Marsch zu spielen begannen. Ich achtete anfangs nicht viel darauf, denn schön war die Ausführung nicht, und was ging mich auch die Militärmusik an, als mein Reisegefährte, der Doktor aus Caracas, in die Tasche griff und sagte:

»Wir werden den Leuten wohl etwas geben müssen.«

»Welchen Leuten?«

»Nun, den Soldaten, den Musikanten.«

»Ja, um Gottes willen, spielen denn die für uns?«

»Ja, gewiß.«

Er hatte recht; die Musik brachte uns, den beiden Reisenden, während sie in Reih und Glied aufgestellt war und noch unter Waffen stand, ein wirkliches Standchen, bat sich nachher ein Douceur aus und trat dann, als wir, einer dem Trommler, der andere dem Pfeifer einen Vierteldollar in die Hand gedrückt (der Hornist mochte sich nachher mit ihnen vereinigen), wieder auf ihren Platz zurück.

Damit war die Sache aber noch nicht vorbei. Der vor der Front stehende Offizier, der dabei seinen gezogenen Degen in der Hand herumschlenkerte und das Ganze mit angesehen, warf den Musikanten jetzt einen unwilligen Blick zu, und ich glaubte schon, daß er sie augenblicklich abführen würde, wonach ihnen dann ein Kriegsgericht kaum weniger als zehn Jahre Zuchthaus zudiktieren konnte, aber derartiges geschah nicht.

»Na,« sagte der Offizier – jedenfalls ein General, denn Leutnants gab es gar nicht in der Armee – »bedankt ihr euch denn nicht?«

Und der Trommelschläger und Pfeifer – der Hornist schien verdrießlich, denn er hatte nichts bekommen – traten noch einmal vor, spielten mit großem Eifer ein neues, wenn auch etwas kürzeres Stück, und gingen dann ohne weiteres und ohne um Urlaub zu fragen in die Pulperia hinein, um dort jedenfalls ein Glas zu trinken. Der Hornist ging übrigens auch mit.

Victoria, das wir bald nachher erreichten, befand sich noch ganz ruhig in den Händen der Amarillos oder Gelben, und als wir in die Stadt einfuhren, wurden wir von dem Wirt, vor dessen Haus der Wagen hielt, gleich angewiesen, am Regierungsgebäude vorzufahren, um uns dort zu legitimieren.

Dort wurden wir, ohne daß man irgend einen Paß verlangt hätte, und zwar auf die artigste Weise examiniert und über den Stand der verschiedenen Truppen gefragt. Der Doktor nahm dabei das Wort, und während er nach bestem Wissen alles erzählte, was er über die Regierungstruppen wußte, erwähnte er die Blauen mit keinem Wort und gab, direkt darum befragt, nur ausweichende Antworten. – Es war in der Tat alles auf seiten der Revolutionspartei, und es ist mir bis jetzt noch unbegreiflich, daß sich Falcon überhaupt so lange halten konnte.

Etwa vier Leguas von Victoria entfernt, hatte nun, wie ich schon in Caracas gehört, ein Deutscher namens Vollmer eine bedeutende Hacienda, und dorthin beschloß ich mich jetzt zu wenden, da eben Herr Vollmer, der im Land selber geboren war und es genau konnte, mir jedenfalls den besten Rat geben konnte, wie ich von hier ab meine Reise anzutreten habe.

Mein weniges Gepäck, das ich von hier aus auf einen Esel oder ein Maultier zu packen gedachte, schickte ich mit einem Eseljungen voraus, und selber meine Büchse schulternd, machte ich mich an demselben Nachmittag auf, um den Platz noch womöglich vor Dunkelwerden zu erreichen.

Hier betrat ich auch den eigentlichen Fruchtgarten von Venezuela – das Tal von Aragua, das seinesgleichen an Fruchtbarkeit und gesunder Lage kaum noch in diesem Teil der Welt findet.

Wie schön ist diese venezuelanische Welt – welch ein Paradies könnte es sein, wenn die häßliche Leidenschaft der Menschen und Neid und Habgier nicht so oft eine Hölle aus ihr machen wollten!

Anfangs hatte ich noch einige ziemlich sterile Hügel zu passieren, die aber in der langanhaltenden trockenen Jahreszeit auch vielleicht magerer aussahen, als sie sich sonst wohl gezeigt hätten; nur etwas weiter hin erreichte ich aber die eigentliche fruchtbare Ebene, die endlich durch lang ausgestreckte Hecken und behagliche Wohngebäude zeigte, daß sich die Kultur vollkommen dieses Bodens bemächtigt habe und ihn zu benutzen verstand.

Gerade mit einbrechender Dunkelheit erreichte ich die Hacienda und wurde von dem Eigentümer, obgleich ich ihm vollkommen fremd war, auf das herzlichste und gastfreieste aufgenommen, und dort war ich wieder einmal an der Grenze der Zivilisation angelangt, um aufs neue in die Wildnis einzutauchen.

Herr Vollmer, obgleich im Lande selber geboren, war in Deutschland erzogen worden und hatte sich denn auch hier eine vollkommen deutsche Häuslichkeit gebildet. Es wurde hauptsächlich, sogar von den Damen, Deutsch gesprochen, und besonders viel und gute Musik getrieben – nicht das gewöhnliche südamerikanische Walzergeklingel, denn Herr Vollmer war durchaus und gründlich musikalisch gebildet und spielte selber meisterhaft das Piano.

Auf die freundlichste Weise erbot er sich dabei, mir in jeder Hinsicht behilflich zu sein, und meinte nur, daß es schwer sein würde, in jetziger Zeit, wo man alle jungen Leute zu Soldaten presse, einen Führer für das innere Land zu bekommen – und den mußte ich allerdings haben, denn in den pfadlosen Llanos, die noch dazu in jetziger Zeit vollkommen wasserleer waren, hätte ich ohne Führer mit meinem Tier recht gut verdursten können – aber auch das wäre möglich zu machen – ich solle nur ein oder zwei Tage Geduld haben.

Trotzdem, daß er in damaliger Zeit auch den Kopf voll genug hatte, denn gerade in diese furchtbare Gegend warfen sich, besonders während des Waffenstillstandes, beide Teile und suchten sich da ihren Unterhalt, gab er sich doch Mühe, mir gefällig zu sein, und wo ein Wille ist, läßt auch die Tat nicht auf sich warten. Die Zwischenzeit benutzten wir aber auch noch außerdem dazu, die unmittelbare Nachbarschaft zu durchstreifen, und es gibt wohl kaum einen Platz in der Welt, der das besser belohnte, als dieser.

Das herrliche Tal von Aragua, mit einem Klima und Boden, wie man sich beides nicht prachtvoller wünschen könnte, mit seinen üppigen Weiden, seinen Kaffee- und Zuckerpflanzungen, seinen stattlichen Bäumen und Palmen, wie friedlich und still lag es um mich her, aber die Geißel des Krieges hatte überall gewütet. Der kleine Ort San Mateo schien fast verlassen, Vieh und Tiere waren aus den Hacienden fortgetrieben und von den Amarillos als gute Beute erklärt worden, und fortwährend noch suchten kleine Trupps die Landgüter der Besitzenden auf, so daß diese aus Angst und Aufregung keine ruhige Stunde hatten. Ja, selbst die Leute holten sie fort, und man war dabei nicht einmal sicher, daß an ein und demselben Tage die beiden verschiedenen Parteien ihre Besuche abstatteten.

So viel aber zur Ehre der Reconquistadores, daß sie sich dabei stets auf das anständigste benahmen und nie plünderten, sondern die Besitzer um nötige Lebensmittel baten, die ihnen dann auch bereitwillig gegeben wurden. Die Regierungstruppen dagegen nahmen einfach weg, was sie fanden, und wie dabei gewirtschaftet und das Land selber verschuldet wurde, mag nur ein Beispiel aus Hunderten zeigen.

Einem Spanier wurden mehrere hundert Stück Vieh fortgetrieben, die für einige hundert Mann bei nur einigermaßen vernünftigem Wirtschaften hätten auf Monate hin Proviant liefern können. Die Regierung bezahlte ihre Truppen aber gar nicht – womit auch, es war ja nicht ein Peso in der Kasse, – die Offiziere suchten sich also selber zu helfen. Jeder von diesen nahm sich von dem Vieh, soviel er wollte, und verkaufte einen Ochsen oder eine Kuh dann unter der Hand für 4 oder 5 Pesos das Stück, die vielleicht 30 und 40 wert waren. Wer aber kaufte gern gestohlenes Vieh, das leicht wieder reklamiert werden konnte? – Und so mußte es denn verschleudert werden. In fünf Tagen war von der ganzen Herde kein Stück mehr übrig geblieben; der Spanier aber schickte seine Forderung für das konfiszierte Vieh, die sich auf 20 000 Pesos belief, an den spanischen Gesandten, und das arme Land hat solcher Art für die Beköstigung von vielleicht 300 Soldaten, die sich den Tag über bequem mit 30 Pesos unterhalten ließen, für fünf Tage 20 000 Pesos zu zahlen.

Auch Herrn Vollmer waren einige 30 Stück seiner besten Kühe fortgetrieben. Er wandte sich darauf augenblicklich an das Oberkommando und erbot sich, 300 Pesos zu zahlen, wenn man ihm das Vieh ließe. Das wurde bereitwillig zugestanden. Er zahlte seine 300 Pesos und bekam das Vieh zurück – aber schon am nächsten Tage schickte das nämliche Oberkommando einen anderen Trupp, und der Deutsche war jetzt nicht allein sein Vieh, sondern auch seine 300 Pesos los. Was die Falconsche Partei in der Hand hielt, gab sie auch sicher nicht wieder her – und deutsche Konsulate – du lieber Gott, was konnten die ihm in der Weise, wie sie bis jetzt gestanden hatten und gestellt waren, nützen – ja, wenn er der Abkömmling eines anderen Landes gewesen wäre! – Doch auf das deutsche Konsulatswesen komme ich später noch zu sprechen.

Weit besser haben sich übrigens Reconquistadores benommen. Gerade auf dieser Hacienda hatte eine kleine Patrouille an demselben Tage, an dem ich mich dort befand, den Majordomo oder Aufseher als brauchbaren Soldaten mitgenommen. Herr Vollmer ging an das Oberkommando der Blauen und erklärte ihnen, daß er den Mann auf seiner Hacienda nicht entbehren könne, und ohne weiteres wurde er wieder losgelassen. An demselben Tage hatte ein kleiner Trupp von Soldaten mit blauen Bändern in den Häusern der Hacienda verschiedene Sättel und Cobijas oder Ponchos mit fortgenommen, kaum aber war die Anzeige gemacht, als man auch schon eine Patrouille hinter ihnen her schickte und die Burschen abfaßte, die, wie sich herausstellte, weiter westlich desertiert und jetzt auf ihrem Wege nach Hause gewesen – auch wahrscheinlich gar nicht zu den Blauen gehörten, sondern nur so lange die Farbe angenommen hatten, als sie sich im Bereich der Insurgenten befanden.

Einen prachtvollen und lohnenden Ritt machten wir auf die nächsten, allerdings kahlen Höhen, die aber unmittelbar hinter der Hacienda begannen, und von wo aus man eine nicht zu beschreibende Fernsicht über das ganze Tal von Aragua bis zu der Lagune von Valencia, dem Paradies Venezuelas, hatte.

Man behauptet, und ich glaube mit vollem Recht, daß allein das diese Lagune umschließende Land genug Produkte erziehen könnte, um ganz Venezuela damit zu erhalten; und wie sah es jetzt da aus; prachtvolle Hacienden umgaben die deutlich sichtbare Lagune wohl nach allen Seiten, Kaffee- und Kakaoplantagen, Baumwolle, Zuckerrohr, Orangen, Palmen und Hunderte von anderen Fruchtbäumen bilden ihre Wälder, und ein Reichtum herrschte dort früher, der unbeschreiblich war. Die Revolutionen haben auch den Grund und Boden nicht verderben können; die Ursache dieses früheren Reichtums ist geblieben und kann ihn jedes Jahr wieder zurückbringen, aber in diesem Augenblick liegt alles danieder. Viele Hacienden sind sogar in dieser Zeit von ihren Eigentümern verlassen und nur dem Aufseher übergeben; Tausende von Äckern des herrlichsten Landes liegen brach, und die schönen Rosenhecken und Gärten sind verwildert, aus den Häusern selber alle wertvollen Sachen ausgeräumt. Wer sollte auch jetzt seine Acker bestellen, nur um die Tiere der einen oder anderen Partei damit zu füttern? Hat doch das ganze Heer der Reconquistadoren lange Zeit darin gelegen und sich auch sicher wohl darin befunden. Wenn die Hacienderos aber auch hätten ihre Felder bebauen wollen, so wäre es unmöglich gewesen, denn alle jungen Leute waren unter die Soldaten gesteckt oder hatten flüchten müssen, um sich dem edlen Kriegerstande zu entziehen. Es gab keine Arbeiter im Lande, und man fürchtete sogar schon, daß selbst die Ernte gefährdet würde, wenn dieser Zustand noch lange andauern sollte.

Von dort oben überschaut man aber, außer dem bebauten Tale, auch eine ungeheuere, ebenso fruchtbare Ebene, die noch der fleißigen Hand des Menschen harrt, um ihn mit ihren Gaben zu überschütten. Wer aber denkt jetzt in Venezuela an Land urbar machen, wo man nicht einmal alles das benutzen kann und mag, was sich schon unter Kultur befindet. Dazu müssen erst ruhigere und friedlichere Zeiten eintreten, und daß das bald geschieht, will ich dem armen Lande recht von Herzen gönnen.

Ehe wir nach der Hacienda zurückkehrten, ritten wir nach dem kleinen, unfern davon liegenden Städtchen Kagua hinüber, und dort betrat ich zum erstenmal ein volles und richtiges Lager der Reconquistadores, die sich hier entschieden festgesetzt und ihr Hauptquartier hatten.

In der einen Hauptstraße hielten die drei Anführer der Partei dieser Gegend auf ihren Pferden eine Beratung, die sie auch nicht unterbrachen, als Herr Vollmer an sie hinanritt. Es handelte sich um ein eben erlassenes Manifest, das in den entschiedensten Ausdrücken gegen die jetzige Wirtschaft in Cacaras protestierte und das der eine von ihnen, ein Halbindianer, wie denn alle drei der gemischten Rasse angehören, laut vorlas. Ich lenkte mein Tier nebenan in den Schatten einer Mauer und hatte dort volle Muße und Gelegenheit, die dunklen, kräftigen Gestalten genauer zu beobachten.

Der Lesende hatte ein ausdrucksvolles und lebendiges Gesicht, und seine Augen blitzten ordentlich, wenn er zu einer der oft sehr kräftigen und jedenfalls entschiedenen und nicht mißzuverstehenden Passagen kam.

So gingen alle sehr einfach in meist blaues, leichtes Sommerzeug gekleidet, und hatten keine weiteren Abzeichen ihrer Würde, als jeder eine ziemlich große, wenigstens deutlich erkennbare hellblaue Kokarde am Strohhut und dann natürlich den Degen an der Seite, wie einen Revolver im Gürtel. Sie sahen auch wild und malerisch genug darin aus – aber ebenso die gemeinen Soldaten, von denen der Ort schwärmte, denn uniformiert waren sie nicht einmal in Turnerzeug, sondern jeder von ihnen hatte angezogen, was ihn freute, oder was er vielmehr selber eigen besaß. Dazu gehörten aber unter keiner Bedingung ein Paar Schuhe – höchstens die dort üblichen Sandalen oder Alpargates. Nicht einmal blaue Bänder besaßen alle, und doch schienen sie dieselben als eine Auszeichnung zu betrachten und stolz darauf zu sein. – So widerwillig aber die Bewohner der verschiedenen Distrikte den Druck der Einquartierung, wenn er von Regierungstruppen ausging, zu tragen schienen, so willig zeigten sie sich hier, der Truppe alles zu verabfolgen, was sie brauchte, denn man betrachtete sie nicht mit Unrecht als Schutz gegen Falcons Schwärme. Sie bekamen auch von allen Seiten willig, was sie an Nahrung brauchten, und das Trinken ist eigentlich kein Laster der südlichen Stämme – man sieht wenigstens nur in höchst seltenen Fällen Betrunkene auf der Straße.

Herr Vollmer hatte die Führer der Partei, denen er mich vorstellte, gebeten, mir einen Paß für mich und meine Waffen auszustellen, damit ich unbelästigt meine Reise durchs Innere fortsetzen könne, und ohne weiteres willigten sie ein. Im nächsten Kaufladen – denn hier in der Stadt waren, trotz der bedeutenden Einquartierung, alle geöffnet, ließ der erste Chef Andres Alvarado, el Gral en Jefe (Gral ist hier stets die Abkürzung von General), den Paß ausstellen und Unterzeichnete ihn dann unter dem Motto Dios, Union y Libertad, ebenso wie der Kolonel Adolfo Garzia.

Während ich vor dem Laden stand, um die Ausfertigung des Dokuments zu erwarten, traten ein paar Soldaten an mich heran und baten mich um einen realito, den ich ihnen nicht abschlagen mochte, denn sie sahen mich beide so vergnügt dabei an. Es war in der Tat sehr heiß, und die Leute konnten Durst haben, ich gab also dem einen ein Zweirealstück für beide, und laut aufjubelnd sprangen sie damit fort, und zwar in den gegenüberliegenden Laden hinein, in dem keineswegs Spirituosen feilgehalten wurden. Es dauerte auch gar nicht lange, so kehrten sie zurück und zeigten mir nun triumphierend jeder ein blaues Band, das sie sich da drüben gekauft und nun stolz genug um ihre alten Strohhüte knüpften.

Herr Vollmer bezweifelte allerdings, daß ich selbst mit diesem Paß die verschiedenen Banden, die auf dem Wege lagen, unbelästigt passieren könne, und meinte, mein Tier und meine Waffen würde ich wohl schwerlich nach San Fernando bringen. Ich hatte aber besseres Vertrauen. Bei großen Trupps befanden sich auch jedenfalls Offiziere, die, zu welcher Partei sie auch gehörten, entweder den Paß des Präsidenten oder den des Generals Alvarado respektieren würden, und einzelne Streifzügler? – Daß die meine gute Doppelbüchse und meinen Revolver nicht bekamen, davon war ich überzeugt, und so lange ich die behielt, mußten sie mir auch mein Packtier zufrieden lassen.

Die Schwierigkeit war in dieser Zeit, einen Führer zu bekommen, denn ein alter Mann hielt die beschwerliche Tour nicht so leicht aus. Herrn Vollmer aber, der sich wirklich in liebenswürdiger Weise die größte Mühe gab, gelang es, auch diese Schwierigkeit zu überwinden. Er fand nämlich einen einarmigen Burschen – der in einer der früheren Revolutionen den Arm verloren hatte. Dieser war bereit, mich für einen peso fuerte (span. Dollar) den Tag zu begleiten und mein Tier zu treiben, und so wurde denn auf den nächsten Morgen die Abreise bestimmt.

Diesen Tag benutzte ich dann noch, um die Hacienda selber zu besichtigen, und das war um so lohnender, da sie für eine der besten im ganzen Lande galt.

Die Gebäude stammten noch zum großen Teil aus der altspanischen Zeit her, ebenso die massivgebaute Wasserleitung, die nicht allein Haus- und Wirtschaftsräume, sondern auch einen großen Teil der Pflanzungen mit Wasser versah. Die Gebäude nahmen dabei einen ungeheuren Flächenraum ein, besonders die für Aufbewahrung und Reinigung des Kaffees bestimmten, die ein Quadrat bildeten und teils mit Zement ausgegossen, teils mit Platten belegt waren.

Die Kaffeeplantage selber – und der Kaffeebaum ist der Haupterwerbszweig aller dieser Hacienden – befand sich trotz der Kriegszeit in musterhafter Ordnung. Leider blühten nur hier und da einzelne Bäume, die in der Nähe von Wasser standen; sowie aber die Regenzeit beginnt, brechen sie alle auf, und ein solcher Kaffeegarten bietet dann einen reizenden Anblick.

Der junge Kaffeestrauch muß, wie schon erwähnt, im Schatten großgezogen werden, und Bäume werden deshalb zwischen die Reihen gepflanzt; aber man kann nur solche dazu nehmen, die wieder nicht zu vielen Schatten geben, denn die Frucht braucht auch etwas Sonnenlicht und Wärme. Leider hat man noch keinen auch sonst nutzbaren Baum ausgefunden, der sich besonders dazu eignet. Zu der ersten Anpflanzung von Kaffee benutzt man aber meistenteils Bananen oder Platanos (Pisang), die rasch wachsen und mit ihren breiten Blättern die Pflanzen genugsam decken. Diese geben dann zugleich eine prachtvolle Frucht, und in manchen Ländern, z. B. in Ecuador, leben ja die Eingeborenen fast ausschließlich von der Banane.

Venezuela ist besonders reich an diesen Früchten und liefert die verschiedensten und schmackhaftesten Sorten, von der Zwergbanane bis zu dem großen Platano – besonders gewürzhaft ist aber die kleinste Art.

Ein kleines Tier machte übrigens in der stillen Schwüle, die auf der Kaffeepflanzung lag, Spektakel genug und schien sich dennoch ganz vortrefflich darin zu befinden, und das war eine allerdings käferartig aussehende Grille mit langen, breiten, durchsichtigen Flügeln, einer großen, ungestalten Fliege nicht unähnlich, nur daß die Flügel weit länger sind als der Körper.

Das kleine, etwa 1¼ Zoll lange Geschöpf hier im Lande Chicharra genannt, macht wirklich einen für seine Größe ganz unverhältnismäßigen Lärm, und man begreift gar nicht, auf welche Weise es diese gellenden, fast unerträglich lauten Töne herausbringt.

Die Chicharra, die oft in ganzen Kolonieen den Wipfel eines Baumes, und vorzüglich in Kaffeepflanzungen, innehat, beginnt mit einem Tone, der genau so klingt wie das Gackern einer jungen Henne. Die Laute folgen sich aber immer rascher und rascher, bis sie zuletzt in eine Art von Pfeifen und endlich in einen so scharfen, langgezogenen Pfiff ausgehen, wie ihn nur noch der Dampf an einer Lokomotive hervorbringt, und einem dabei vollständig die Ohren gellen. Man behauptet sogar, daß sie sich oft so übermäßig dabei anstrengt, bis sie platzt und vom Baume herunterfällt: ich weiß aber nicht, ob das begründet ist. Eine Eigentümlichkeit hat sie aber außerdem, nämlich die, daß sie beim Singen fortwährend eine Feuchtigkeit umherspritzt, die man deutlich auf der Haut fühlt, und sind viele in dem Wipfel, so sieht das sonst überall vertrocknete Laub unter dem Baume so naß aus, als ob es darauf geregnet hätte.

Hier in Herrn Vollmers Haus hörte ich auch zum erstenmal oder wurde vielmehr zum erstenmal aufmerksam gemacht auf die eigentümliche Weise einer Melodie, den Nationaltanz des Landes und eine sogenannte Dansa, deren sonderbare Takteinteilung mir auffallend war.

Sie geht nämlich in zwei Viertel-Takt, und der erste Teil bietet nichts Außergewöhnliches, im zweiten aber spielt die linke Hand, während die rechte bei ihren zwei Vierteln bleibt – fünf Achtel, und zwar nicht etwa mit einer Triole und zwei Achteln, sondern die fünf Achtel regelmäßig im Takt verteilt.

Die Venezuelaner sind durchaus musikalisch, selbst die unteren Klassen, und Herr Vollmer erzählte mir z. B., daß er schon mehrere Male die Arbeiterinnen auf der Plantage belauscht habe, wie sie, vollkommen rein und korrekt, Passagen aus Beethovens Sonaten nachsangen, die sie nur oben im Haus ein paarmal gehört.

Der Viehstand der Hacienda, der früher sehr bedeutend gewesen, war durch die Raubbanden der Amarillos, wenn auch noch nicht total ruiniert, doch beinahe zerstört worden. Nur ein paar Milchkühe hatte man bis jetzt noch vor den verschiedenen Streifpartieen versteckt gehalten, und dann war noch einiges junge Vieh übrig geblieben. Ebenso war es den Maultieren ergangen, und als mir Herr Vollmer in freundlichster Weise anbot, mir ein Maultier für mein Gepäck zu borgen, das mein Führer dann wieder zurückreiten konnte, und da ich es nicht annehmen wollte, denn ich konnte ihm keine Garantie bieten, daß es der Bursche glücklich wieder zurückbrächte, sagte er:

»Und habe ich hier Garantie dafür? Wir sind dahin gelangt, daß jeden Augenblick ein Soldatentrupp der einen oder anderen Partei einbricht und mitnimmt, was er findet, und vielleicht ist mein Maultier sicherer unterwegs als auf der Hacienda.«

So waren die Zustände im Frühjahr von 1868 in Venezuela, und so kehren sie wieder bei jeder neuen Revolution, wenn es den Venezuelanern nicht gelingt, einen tüchtigen – und, was die Hauptsache ist, ehrlichen Mann zum Präsidenten zu bekommen.

Und gibt es keinen solchen Mann in Venezuela? – Sonderbarerweise hörte ich, sowohl schon in La Guayra wie auch in Caracas, und jetzt ebenso wieder hier, nur einen Namen, nur einen einzigen Mann nennen, den man allerorten als den dazu passenden bezeichnete, und das war der jetzige Präsident einer entlegenen Provinz – wenn auch der größten des Landes: Guyana, und der Mann hieß Dalla Costa.

Und weshalb kam er da nicht nach dem Norden, wo das Land so viele Sympathieen für ihn hatte? – Die Sache war sehr einfach – er befand sich in Guyana, von dem Volk dort geliebt und geachtet, so wohl, daß er bis jetzt noch nicht die geringste Lust zeigte, sich in die wirren Händel des Nordens zu mischen. Er sollte erklärt haben, daß er vielleicht die Präsidentschaft annehme, wenn er allgemein gewählt werde, für jetzt aber halte er sich noch fern und dulde nicht einmal, daß sich Guyana an dem Kampf beteilige.

Dalla Costa, aus einer italienischen Familie stammend, aber im Lande geboren, galt als einer der wackersten und – was ebenfalls schwer ins Gewicht fiel, als einer der ehrlichsten Männer des Landes. Er war dabei vollkommen unabhängig und reich und hatte, wenn er einen solchen Ehrenposten einnahm – einen guten Namen zu verlieren – was nur wenige der übrigen Herren von sich sagen konnten. – Auf ihn bauten sich deshalb die meisten Hoffnungen, und auch hier im Tal von Aragua, und besonders unter der Partei der Blauen, hörte ich seinen Namen oft mit Achtung nennen.

Die Zeit muß jetzt freilich lehren, wie sich alles in dem armen, zerrissenen und mißhandelten Reich gestalten wird. Nur den einen Trost hat es, wenn das ein Trost genannt werden mag – daß es nie schlechter werden kann, als es jetzt ist.

Doch es wurde jetzt Zeit, an meine Reise zu denken, denn Ruhe gibt es ja nun einmal für mich nicht unterwegs – und Gott weiß es, ich bin fast den größten Teil meines Lebens unterwegs gewesen.

Am anderen Tag morgens packte ich denn mein weniges Reisegepäck, das ich so knapp als möglich eingerichtet hatte, auf das Maultier, ich selber schulterte meine Büchse, und nach herzlichem Abschied von der liebenswürdigen Vollmerschen Familie wanderte ich durch das reizende Tal hin meinem fernen Ziel, dem breiten Strom Apure wohlgemut entgegen.


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