Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am 19. Mai – nachdem ich mich genau eine volle Woche in Bolivar aufgehalten, schiffte ich mich auf einer kleinen Balandra ein, mußte aber etwa anderthalb Stunden unten am Ufer liegen, um auf einen anderen Passagier zu warten, der erst noch oben in der Stadt frühstückte. Die Zeit war indessen trotzdem nicht verloren, denn da unten lag ich, an Deck der Balandra auf meinem Poncho ausgestreckt, und betrachtete mit voller Muße die Gestalten, die hier herunter zum Wasser kamen und oft die wunderlichsten und interessantesten Gruppen bildeten.
Als Mittelpunkt konnte man jedenfalls die Wasserführer betrachten, die ihre mit leeren Fässern versehenen Esel zum Strom herabbrachten, um sie gefüllt wieder mit hinaufzunehmen – appetitlich konnte man das Füllen derselben aber wahrlich nicht nennen. Hier wurde einem Maultier, das bis zum Bauch im Wasser stand, der wunde Rücken abgewaschen – da weichte eine alte Negerin etwas schmutziges Leinenzeug ein – darüber badeten sich ein halb Dutzend Kinder, und einige Arrieros saßen dabei und wuschen sich die Füße. Mitten aber zwischen allem möglichen, das nur im Wasser passieren kann, standen die Wasserführer, drückten ihre beiden Fässer zu gleicher Zeit unter die Oberfläche des Stromes, ließen sie vollaufen und luden sie wieder auf. Das also gewonnene Wasser kam aber in die Stadt und wurde dort vielleicht von einem der vornehmsten Häuser zu Küchenzwecken verwandt.
Ein junges Negermädchen war herab zum Strom gekommen, um sich einen Blecheimer zu füllen, aber die jungen Burschen dort neckten sie. Beim Herumhetzen trat sie in ein Stück Glas, und ärgerlich werdend, griff sie ein paar Steine auf und traf ihre galanten Necker mit einer solchen Kraft und Sicherheit, daß ihm gleich das Blut am Kopf herunterlief, während der andere den Stein gerade gegen das Schienbein bekam und ein Schmerzgeheul ausstieß. Die schwarze Schöne kümmerte sich aber wenig darum, setzte sich am Strom nieder, spülte sich den Fuß ab, riß einen Fetzen von ihrem Kleide herunter, mit dem sie sich die Wunde zuband, nahm dann ihren Eimer und stieg ruhig damit in die Stadt hinauf.
Von dort herab kam eine andere Schöne, und diese wirklich hätte ich unseren Damen daheim vorführen mögen – ich wenigstens konnte mich nicht satt an ihr sehen. Der Rasse nach mußte sie größtenteils Indianerin mit vielleicht etwas schwarzem Blut sein. Es war ein junges, bildhübsches Weib von vielleicht zwanzig Jahren, voll und üppig gebaut, mit langem, lockigem und rabenschwarzem Haar und ebenso dunklen Augen, der die bronzefarbige Haut vortrefflich stand. Sie ging natürlich – wie alle die Leute – barfuß und trug dazu ein rot und weiß gemustertes, schon oft gewaschenes Kattunkleid – aber die Schleppe! Wie sie die steile Uferbank damit herabkam, fegte der gemusterte Kattun wenigstens drei Ellen hinter ihr drein, und selbst unten, am ebenen Strand, hatte sie noch reichlich zwei Ellen nachhängen. Hier aber genierte es sie beim Gehen, denn sie mußte sich zwischen den Wasserträgern durchwinden, und jetzt nahm sie es hoch auf, daß die bronzefarbenen Knöchel vollständig sichtbar wurden. Aber wie eine Königin schwebte sie vorbei; sie war sich bewußt, die größtmögliche Quantität Zeug auf ihren Rock verwandt zu haben, was ihr die volle Achtung der Umgebung sichern mußte. Die Eseljungen grüßten sie auch ehrerbietig, und selbst der eine, der noch am Boden saß und sich das Schienbein hielt, zog den alten Strohhut vom Kopfe herunter. Die Schöne ging aber zu einem der dort gelandeten Kanoes, das mit Papelonzucker den Strom heraufgekommen war, erkundigte sich nach den Preisen und stieg dann wieder in die Stadt hinauf, wobei sie von hinten aussah, als ob sie zwölf Fuß hoch wäre.
Endlich kam unser erwarteter Passagier; wir hatten indessen schon in den Strom hinausgelegt, der Anker wurde heraufgehoben, und gleich darauf glitt das kleine Fahrzeug mit der starken Strömung den Orinoco hinab und an dem unteren Teil der Stadt und der Lagunenbrücke vorüber.
Ade, Bolivar – da hinten lag es mit seinen dichtgedrängten Häusermassen, vom Grün der es umgebenden Bäume eingeschlossen, viel freundlicher und pittoresker, als es sich von oben herab kommend gezeigt. Ich habe eine kurze, aber freundliche Zeit dort verlebt, und besonders brave und wackere Deutsche dort gefunden. Sie leben da allerdings, weit von der Heimat entfernt und fast in der Wildnis, wie in einer Oase, aber ihr Herz haben sie trotzdem noch dem alten Vaterland zugewandt und nehmen das größte Interesse an seinen Fortschritten. Auch von ihnen gilt das nämliche, wie von den übrigen Deutschen überall im Auslande: sie kennen keinen Partikularismus, sondern nur ein einziges, großes, deutsches Vaterland, und wissen am besten, daß nur dann unser Volk, unser Name auch im Ausland geachtet sein kann, wenn wir fest vereinigt stehen und dadurch den Rang unter den Nationen einnehmen, der uns gebührt.
Nun aber wandte ich meine Aufmerksamkeit auch erst dem kleinen Fahrzeug zu, das soviel als möglich selbst den Gegenwind zu benutzen suchte, um raschen Fortgang stromab zu machen.
Die sogenannten Balandras sind fast alle sehr stark gebaute, sogenannte Lichterfahrzeuge, wie man sie in größeren Häfen findet, die aber hier fast allein den Strom befahren, weil der Orinoco manchmal schon wirklich ein Seeboot verlangt, um seinen hoch aufgewühlten und schweren Wellen zu trotzen. Die kleinen Dinger müssen dabei aber auch gut am Winde liegen, denn dieser kommt fast das ganze Jahr von Osten, also stromauf, und abwärts sind sie deshalb stets genötigt, zu kreuzen oder zu lavieren. Sie haben selbstverständlich nur einen kurzen Mast mit dem Schonersegel, aber ein Mittelding zwischen Klüver und Stagsegel dabei, und fahren manchmal vortrefflich, selbst in einer tüchtigen »See«, ja gehen sogar bis nach Trinidad hinaus.
Wir bekamen in der Tat Gelegenheit, unser kleines Fahrzeug zu erproben, denn eine richtige Bö wühlte an demselben Nachmittag den Orinoco auf. Sie wehte dabei so scharf, daß wir das Hauptsegel erst reffen und dann ganz einnehmen mußten, und ich hätte wahrlich kaum geglaubt, daß dieser Strom solche Wellen werfen könnte.
An Bord wurde zugleich gekocht, und schon bei der ersten Mahlzeit lud uns der Kapitän freundlich ein, teil daran zu nehmen; ich hatte aber zugesehen, wie die Speisen zubereitet wurden – selbst unter den günstigsten Umständen eine gefährliche Sache – und beschloß, mich lieber auf den Proviant zu beschränken, den ich der Freundlichkeit der Frau Krohn in Bolivar verdankte und der mich auch vollkommen reichlich bis Puerto de las Tablas brachte. Mein Appetit war außerdem noch nicht so groß und hätte eines solchen Schiffskochs gar nicht bedurft, um ihn gründlich zu verderben.
Puerto de las Tablas – der Name klingt allerdings großartig genug, und man hat sogar schon den Vorschlag gemacht, ihn noch umzuändern und den Platz Puerto de Oro oder Galdhafen zu nennen, das Wachstum des kleinen Ortes aber hat trotzdem nicht recht vorrücken wollen, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Bis jetzt ist dies der einzige Platz, von dem aus eine, selbst in der Regenzeit mögliche Straße nach den Minen führt, und man sollte eigentlich denken, daß sich ein solcher Hafenplatz, mit solchen Minen dahinter, in wenigen Monaten hätte zu einer bedeutenden Stadt emporschwingen müssen. Die eigentümlichen Verhältnisse aber tragen die Schuld, daß er bis jetzt nichts als ein kleines Nest geblieben, mit einigen dürftigen Läden darin, nur um eben das Notwendigste einzukaufen, ein paar Kommissionsgeschäften und kaum einer mittelmäßigen Posada. Viel trägt dazu die Ungewißheit bei, ob Puerto de las Tablas überhaupt der Hafenplatz der Minen bleiben wird, da es weiter oben eine noch günstigere Stelle geben soll, sie zu erreichen, und dann hat die Regierung von Bolivar auch noch nicht bewogen werden können, ihm eine Steuerstelle zu verleihen, so daß also alle für den Hafen bestimmten Waren, die per Schiff oder Dampfboot den Strom heraufkommen, zuerst nach der Hauptstadt des Staates geschafft, dort versteuert und dann erst wieder verladen und hier heruntergebracht werden müssen. Sogar mit dem Dampfer von Trinidad kommende Passagiere dürfen hier nicht an Land gehen und ihr Gepäck mitnehmen, sondern müssen erst den weiten und kostspieligen Umweg über Bolivar machen. Ja, man kann es nicht einmal Umweg nennen, da es einfach ein Hin- und Zurückfahren ist.
Freundlich sieht der kleine Ort aber trotzdem aus, da man dicht am Ufer eine Reihe von Kokospalmen und anderen Fruchtbäumen gepflanzt hat, wenn auch die niederen und nicht einmal auf Reinlichkeit Anspruch machenden Häuser etwas gedrückt dahinterliegen. Deutsche gibt es ebenfalls dort, und zwar im Verhältnis ziemlich viel.
Aber auch von den dortigen Venezuelanern wurde ich, infolge des Einführungsschreibens des Präsidenten, wahrhaft herzlich aufgenommen. Dalla Costa war in ganz Guayana eine viel zu beliebte und verehrte Persönlichkeit, um nicht einem von ihm ausgesprochenen Wunsch auf das bereitwilligste entgegenzukommen. In wenigen Stunden schon hatte ich ein gutes Maultier, das mich und mein weniges Gepäck mit Leichtigkeit tragen konnte; selbst der Wirt der Posada wollte kein Geld von mir nehmen, und noch an dem nämlichen Abend ritt ich, in Begleitung eines Deutschen, der oben in den Minen wohnte, in das Land hinein, um wenigstens erst einmal unterwegs zu sein und dann, am anderen Morgen, mit Tagesgrauen aufbrechen zu können.
Allerdings befand ich mich schon eigentlich voll in der für die eintretenden Regentage bestimmten Zeit. In Bolivar hatte es auch schon ein paarmal, während ich mich dort befand, wie mit Mulden niedergeschüttet, und die Voraussetzung war, daß ich auf dieser Tour, so trocken ich mich auf meiner bisherigen Reise gehalten, ganz gehörig würde eingeweicht werden. Übrigens führte ich meinen alten Pehuenchen-Poncho mit, der, wenn erst einmal feucht, keinen Tropfen durchließ, und war völlig darauf gefaßt, selbst den Regenschauern dieser Zone die Stirn zu bieten. Es konnte nun eben nichts helfen und mußte durchgemacht werden. Es regnete auch in der Tat schon, während wir aufsattelten, verzog sich aber wieder, und wir konnten wenigstens trocken aufsitzen – immer schon eine »Annehmlichkeit« auf der Reise – wenn auch eine bescheidene.
Die Gegend hier, unmittelbar am Flusse, bestand noch aus wellenförmigem Land, sandigem Boden und war vollständig mit jenen apfelbaumartigen verkrüppelten Bäumen, den Chaparros, bewachsen, die ich schon so häufig in den Llanos von Calabozo und dann auch später bei Bolivar angetroffen. Nur links erhob sich, nicht weit vom Hafen selbst entfernt, ein nicht sehr hoher Hügel, der aber dadurch merkwürdig ist, daß im sogenannten »Freiheitskriege«, als die Spanier aus dem Land geschlagen wurden, dies der letzte Platz war, an dem sie sich – aus dem nicht fernen San Feliz vertrieben – noch einmal hielten und verschanzten, bis sie sich endlich, zu arg bedrängt, auf dem Orinoco einschifften.
Die Nacht blieben wir, etwa zwei Leguas vom Hasen entfernt, in einer einzelnen Hütte oder Posada, hingen dort unsere Hängematten auf und waren am nächsten Morgen früh wieder unterwegs, um an dem Abend noch zeitig Upata, eine der bedeutendsten Städte von Guayana, zu erreichen.
Die Ebene, wie man dieses wellenförmige Land recht gut nennen kann, steigt dort bald zu einem bewaldeten Höhenzuge hinan, der sich bis dicht nach Upata hinstreckt, und wenn auch gerade keine hohen Berge, doch ganz tüchtige Hügel zeigt. Gleich oben aber auf dem ersten, wo sich ein Plateau öffnete, lag ein sehr interessanter Punkt, der noch außerdem eine prächtige Aussicht über die bewaldete und grüne Niederung nach dem Orinoco zu öffnete. Überhaupt tat es dem Auge wohl, endlich wieder einmal einen grünen Wald und grüne Grasflächen zu sehen, denn bis jetzt hatte die trockene Jahreszeit alles dürr und gelb gehalten.
Bis nach Bolivar hin fand ich auf meiner ganzen Tour durch das Land fast nur trockenes Gras, während die meisten, selbst am Ufer des Orinoco stehenden Waldbäume ohne Blätter, wie bei uns im Winter, standen. Zehn Tage waren seitdem verflossen, die ich mich in Bolivar und auf dem Flusse aufgehalten, zehn Tage, in denen es aber häufig geregnet und besonders nachts seine Schauer niedergeschüttet hatte, und die Zeit schien völlig genügt zu haben, das junge Pflanzenleben mit Macht hervorzurufen. Die Ebene deckte junges, üppiges Gras. Überall brachen die Blätter an den Bäumen heraus, ja hier oben standen einige derselben schon in voller Blüte, sogar die Orchideen fingen an, ihre Blumen zu entwickeln. Es war Frühling geworden.
Dort oben hatte aber auch in der spanischen Zeit ein sehr bedeutender Ort, San Feliz, gelegen, der damals Tausende von Einwohnern gezählt, und einen schöneren Platz für eine Stadt der Tropen würde man auch in der Tat kaum haben finden können. Und jetzt? Jetzt war der Wald über der Stätte emporgewachsen. Hier und da in den Büschen drin verrieten nur noch einzelne Haufen verwitterter Backsteine, wo früher die Wohnung glücklicher und von der Natur so reich begünstigter Menschen gestanden.
Die ganze Stadt San Feliz existiert jetzt nur noch in der Erinnerung des Volkes oder den Überresten ihrer Häusermauern, oder selbst in den Bäumen, die man in jener Zeit gepflanzt. Einen wunderlichen, fast unheimlichen Anblick gewahrt eine frühere Hacienda, die vom Hafen aus links am Wege liegt und selbst jetzt noch, nach so vielen Jahren, deutlich zwischen dem indessen darin aufgeschossenen Wald erkennbar ist.
Dort, an dem hindurchlaufenden Pfad ab, führt eine Allee von alten Orangenbäumen nach der Stelle, wo früher die Gebäude standen und jetzt kaum erkennbar unter der darüber hinwuchernden Vegetation ihre Trümmer liegen, in das Dickicht hinein, und rechts und links von ihnen stehen alte mächtige, hoch aufgeschossene Kaffeebäume und suchen ihre Wipfel dem Licht entgegenzudrängen.
Was aus ihrem Eigentümer oder dessen Erben geworden – wer weiß es – wer kümmert sich darum? Die Spanier wurden aus dem Land hinausgejagt, die Völker frei, und wie sie ihre Freiheit benutzt haben, zeigen die zerrütteten Vermögensverhältnisse und verwüsteten Flächen, die liegen gebliebenen Arbeiten, zeigt der gestörte Handel und Verkehr, und das Blut, das überall geflossen. – Bolivar selbst hat noch vor seinem Tode eingesehen, daß er das Volk durch diese Freiheit nicht glücklich gemacht habe. Was würde er sagen, wenn er es jetzt sehen und Zeuge der Zustände sein könnte, in denen sich fast alle diese Republiken befinden?
Von hier ab hatten wir die Bergregion und dabei einen Weg betreten, der es oft undenkbar erscheinen läßt, daß ihn Karren passieren können, und trotzdem sahen wir die Gleise im Wege; es muß aber eine schwere Arbeit für Tiere und Menschen sein, sich da hindurch zu quälen, und jener in den Minen gegenwärtig beschäftigten amerikanischen Gesellschaft wird es wohl vorbehalten bleiben, auch hier einzugreifen und Hilfe zu leisten.
Wild sah ich gar nicht auf dem Wege, obgleich es dort herum ziemlich viel Hirsche geben soll. Nur zwei Füchse traf ich an, die vor unseren Tieren hinein in die Büsche flüchteten, und zwar nicht wie unsere Füchse, die rasch seitab schnüren, sondern in einem langen Galopp, wie ihn die Wölfe zu eigen haben.
Die Vegetation hier in den Bergen ist ungemein üppig, Schlingpflanzen durchziehen den Wald nach allen Seiten, und unter diesen tritt besonders die wunderlich geformte Vehuco de la cadena oder Kettenliane häufig auf, die sich in dieser Form selbst in die Wipfel der höchsten Bäume hinaufzieht und außerdem ihrer medizinischen Kräfte wegen berühmt ist. Orchideen decken dazu fast alle Bäume, und mit dem frischen Grün, das der letzte Regen hervorgetrieben, prangten einzelne auch schon im vollen Blütenschmuck und waren bedeckt mit weißen, lila oder roten Dolden.
Der Blick blieb freilich ziemlich eingeengt, bis wir, schon gegen Abend, ein so freundliches Tal vor uns ausgebreitet sahen, wie man es sich nur denken konnte. Das Tal von Cocuisa ist wirklich einer der reizendsten Punkte auf dem ganzen Tagesmarsch, und was konnte es sein, wenn sich die Kultur erst seiner bemächtigte! Jetzt aber liegt es noch, wie es Gott der Herr dort in den Wald hineingedrückt, mit grünen saftigen Triften, mit freundlich bewachsenen Hängen und frischem, rieselndem Wasser. Ringsherum erheben sich bewaldete Hügelketten, und einzelne kleine Herden werden in der Niederung. Selbst eine Hütte erhebt sich aus den Matten, das ist aber auch alles. Was die Natur hier im reichsten Maße geboten, liegt noch unbenutzt, und trotzdem der Weg in die Minen hier hindurchführt, hat sich noch kein spekulativer Kopf dazu eingefunden, der die hier in reichem Maße gebotenen Schätze ausbeuten möchte.
Der Südamerikaner ist überhaupt nichts weniger als spekulativer Natur; er sorgt nicht einmal für den nächsten Tag, viel weniger denn für das nächste Jahr, und gerade dieser Minenstrich liefert dafür die besten Beweise.
Upata, das wir gegen Abend erreichten, ist ein allerliebstes kleines Städtchen, aber auch nicht altspanisch gebaut, sondern mit hohen, meist Ziegeldächern, sonst aber niederen Häusern und großen Hofräumen, in denen sich oft ein kleiner Garten befindet.
Upata hat außerdem den Vorzug vor allen anderen Städten des Innern, daß sich dort eine ganz ausgezeichnete Posada (Hotel), natürlich von einem Deutschen gehalten, befindet, und Meinhards Hotel kann sich in der Tat selbst denen in Caracas und La Guayra getrost an die Seite stellen. Ich wurde dort mit einer unendlichen Liebenswürdigkeit aufgenommen, und Herr Meinhard selber drängte mich, einen Tag bei ihm auszuruhen. Wie gern hätte ich das auch bei den guten Menschen getan, aber für mich gab es keine Rast, als solche, die mir gezwungen auferlegt wurde. Schon am nächsten Tage saß ich wieder – von meiner freundlichen Wirtin noch mit reichlichen Lebensmitteln für die nächste Zeit versehen – im Sattel und trabte landein, um sobald wie möglich die eigentlichen Minen zu erreichen.
Die folgende Nacht schliefen wir in einem offenen Schuppen, der ziemlich hoch liegen mußte, denn es herrscht – für dieses Land und unsere leichte Kleidung – eine grimmige Kälte. Ich selbst wenigstens, fest in meinen Poncho eingewickelt, aber in einer luftigen, vom Winde geschaukelten Hängematte, fror bös und mußte mir gegen Morgen sogar noch eine Satteldecke holen, um mich nur etwas gegen den scharfen Zug zu schützen.
Wir trafen unterwegs einige Hacienden, aber im ganzen lagen sie doch so dünn verstreut, daß man das Land recht gut als unbesiedelt betrachten kann. Selbst auf den wenigen war aber nichts weiter als das Notwendigste zu bekommen, ein Schluck spanischen Weins Vino seco, d. h. solcher, welcher keinen Zusatz von zu Syrupsdicke eingedampftem frischen Most vor der Gärung erhalten hat. (sogenannten vino seco oder trockenen Weins) vielleicht ausgenommen, den ich mir vortrefflich munden ließ. Die Leute sind eben auf nichts eingerichtet, und wenn sie sich ein paar Taler erspart haben, kümmern sie sich den Henker um die Reisenden.
Je höher wir in die Berge hineinkamen, desto dichter wurde der Baumwuchs. Besonders stehen hier sehr zahlreich jene Bäume, die den Balsam Copahu liefern, sehr stark im Umfange werden und eine gelbliche, glatte Rinde haben. Man sagt, daß der aus ihnen gewonnene Balsam nur in einer Ader, gewöhnlich an der Nordseite des Stammes liege. Die Sammler, die damit umzugehen wissen, kennen nach gewissen Merkmalen die Stelle, zapfen den Baum an, lassen den in der Medizin wertvollen Saft auslaufen und verstopfen die Öffnung dann wieder, damit sich der angebohrte Baum nicht verblute.
Viele der Lianen haben außerdem heilkräftige Säfte, und die Frauen der Eingeborenen sind vortreffliche Doktoren, denen ich mich in allen Landeskrankheiten mit größter Zuversicht anvertrauen würde. Welche Schätze birgt überhaupt noch die vegetabilische wie mineralische Welt Venezuelas, und kaum in Angriff genommen, kaum berührt sind alle diese reichen Quellen, die hier fast zutage liegen, ja, kaum gekannt ist das Land selber, das sich hier noch in Tausenden von Quadratmeilen ausdehnt, kaum betreten von Weißen, die sich einzig und allein an einigen kleinen Stellen in die Wildnis hineingebohrt haben.
Hier erfuhr ich auch etwas, was ich bis dahin noch nicht gewußt, daß man nämlich in diesem Teil Venezuelas auch den giftigen Saft der Maniokwurzel durch Einkochen genießbar und unschädlich macht.
In Brasilien besonders, wo die giftige Yuka allgemein zu dem Maniokmehl verwandt wird, zerreibt man die Wurzeln und preßt den Saft sorgfältig aus, der dann in Gruben läuft, damit ihn das Vieh nicht etwa trinkt. Hier dagegen fängt man ihn auf, läßt ihn über einem starken Feuer bis zum dritten Teil einkochen und genießt ihn dann. Er soll ganz delikat schmecken und jede, sonst wirklich bösartige, giftige Eigenschaft völlig verloren haben.
Auf der Straße hinreitend, sahen wir links am Wege einen mächtigen Zeïbabaum. Von diesem wird eine vegetabilische Seide gewonnen, die derselbe, wenn reif, abschüttelt. Sie kommt auch schon im Handel vor, und die Engländer haben ihr den Namen cotton silk oder Baumwollenseide gegeben.
Der Baum treibt einen sehr starken, hier vielleicht 3 Fuß im Durchmesser haltenden und vollkommen glatten Stamm, aber mit unverhältnismäßig kleinem Wipfel. Er fiel uns aber besonders auf, denn in den noch ziemlich kahlen Zweigen hingen, an ihren dünnen Fäden, hoch in der Luft und aus dem Bereich jeder Gefahr, elf Nester der Schneidervögel und schaukelten in der Brise. Keine Schlange konnte dort hinauf, kein wildes Tier, selbst kein nach den Eiern lüsterner Affe durfte sich hinaus auf jene dünnen Zweigspitzen wagen, kein Raubvogel sogar konnte Halt an ihnen fassen, und gegen den Regen schützte die junge Brut der festgewobene, kuppelartige Deckel.
Hätten diese kleinen Vögel wohl je solche Arbeit und Anstrengung kostenden Nester gebaut, wenn sie nicht nach und nach durch die Zerstörung ihrer Nachkommenschaft dazu gezwungen gewesen wären? Jetzt sieht es freilich einer vom anderen ab, aber welche Überlegung, welcher Scharfsinn gehörte dazu, ehe sie es zu dieser Vollkommenheit im Bau brachten, und vollkommen sind die Nester, das läßt sich nicht leugnen.
Verschiedene Flüsse hatten wir hier zu kreuzen, aber wir beachteten sie nicht, den Juruary ausgenommen, der ziemlich angeschwollen war. An dem Wege lag aber eine kleine Hacienda, und der Eigentümer derselben hielt ein Kanoe, so daß wir leicht und rasch hinüber konnten. An den anderen Flüssen war nichts derartiges, und schwollen sie wirklich an, so mochten Reisende und Arrieros sehen, wie sie dieselben passierten, oder eben am Ufer liegen bleiben, bis sie von selber abliefen. Was lag auch an der Zeit, die sie dabei versäumten, Zeit hatte ja gar keinen Wert!
Ein kleines Städtchen, Guacipati, erreichten wir am vierten Abend, den ersten Abend, an dem wir nur noch zwei Leguas machen konnten, mitgerechnet, und blieben dort in einer sogenannten Posada, einem alten Kloster, in welchem allerdings eine Küche, aber nichts zu essen war. In einem dumpfen Gemach, einer früheren Zelle, bekam ich mein Logis angewiesen, zog es aber vor, meine Hängematte auf die Veranda zwischen zwei Pfeiler zu hängen, und war nur froh, daß ich wenigstens eine Tasse Kaffee und etwas Brot bekommen konnte, damit ich doch nicht ganz hungrig zu Bett ging. Hier befand ich mich aber schon dicht an den Minen und hörte sogar, daß selbst von Guacipati aus alte Minenplätze, welche schon früher von den Spaniern bearbeitet worden, aufgefunden seien und in der allernächsten Zeit in Angriff genommen werden sollten.
Wieder die alte Geschichte, nur mit anderen Ausdrücken. Hier wurde von Quarzadern, filones, flor, barancas, gredas usw. gesprochen, lauter Ausdrücke, die ich noch nicht kannte, die mir aber gar nicht mehr so lange fremd bleiben sollten, denn ich stand ja eben im Begriff, in dieses Leben einzutauchen.
Dicht hinter Guacipati trafen wir noch einen kleinen Fluß, den Cunury, an dem wir aber kaum genug Wasser zum Trinken fanden, so niedrig war er gerade. Die Tiere näßten sich beim Hindurchreiten nur eben die Hufe, und auf dem Rückweg mußten wir ihn durchschwimmen.
Jetzt lag nur noch jener Fluß zwischen uns, an dem sich das Kanoe befand, und dieser ist allerdings der bedeutendste des ganzen Landstrichs und läuft viele lange Leguas nach Süd-Südost bis in die englischen Besitzungen von Demerara oder Englisch-Guayana. An seinem Ufer sollen auch noch viele wilde Indianerstämme wohnen, und die Venezuelaner erzählen sich von diesen – weil sie eben noch nicht selber hingekommen sind – die schrecklichsten Geschichten.
Der Fluß ist übrigens kaum noch befahren, keinenfalls schon untersucht und erforscht worden. Er zieht sich durch eine Wildnis, die der Weiße meidet, weil er weiß, daß er dort drinnen von Hunger und Insekten gepeinigt wird, und dabei fürchtet, daß ihm noch viel schlimmere Dinge von Indianern mit vergifteten Pfeilen und sonstigen häßlichen Angewohnheiten zustoßen könnten.
Selbst die Minen, nicht weit von Guacipati entfernt, wurden nur durch einen Zufall, und zwar durch Eingeborene entdeckt, die sich in einer der verschiedenen Revolutionen einer Truppenaushebung entziehen wollten und deshalb hinein in diese Wildnis flüchteten. Dort entzündeten sie, zwischen den umhergestreuten Quarzblöcken, ein Feuer und fanden in den Steinen, die sie um ihren Lagerplatz zerstreut liegen sahen, das reiche Gold.
Caratal wurde jener Platz aber nach der Caratapalme genannt, die dort in Masse wuchs und deren Blätter von den Venezuelanern dieser Gegend allein zum Decken ihrer Häuser und Hütten gebraucht werden.