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31.San Fernando de Apure

Unmittelbar am diesseitigen Stromesufer standen ein paar Gebäude mit einem langen Schuppen daran gebaut, in welchem eine Unmasse von Packsätteln und anderem Reitgeschirr aufgestapelt lag. Auch ein paar Tische mit Bänken waren darin angebracht, und Leute saßen dort, die teils Karten spielten, teils über die jetzigen Zustände politisierten – aber alle im revolutionären Sinn – und hier erfuhr ich auch, daß in San Fernando der letzte Vorposten – ich weiß nicht wie viel hundert Mann – der Amarillos oder Regierungstruppen lagen, über welche Don Pedro Manuel Rojas ein strenger Anhänger des Präsidenten Falcon – kommandierte.

Dicht dabei war eine Art Pulperia oder Branntweinschank, und in der Tat da auch gar nichts zu haben, als eben nur ein sträflicher Branntwein, der unserem Kartoffelfusel um gar nichts nachstand – und doch war es, auf den heißen Ritt, eine Erquickung, ja sogar ein Luxus, nur etwas derartiges zu bekommen.

Der Ausschenker in diesem, nichts weniger als brillanten Hotel war sonderbarerweise ein Deutscher, der aber erst kürzlich vom Qrinoco hier heraufgekommen war und gar nichts vom Land und seinen Verhältnissen kannte. Er konnte mir also auch keine Auskunft geben, ob ich in San Fernando Schiffsgelegenheit zu Tal finden würde. Er sprach überhaupt erst sehr mittelmäßig Spanisch und schien einer von den Leuten, die sich vollkommen ziellos in der Welt umhertreiben – jede Schiffsgelegenheit, die ihnen billig oder umsonst geboten wird, – wohin, bleibt sich gleich – benutzen, und an irgend einem Punkt angelangt, sich um weiter nichts bemühen, als nur so rasch als möglich wieder wegzukommen.

Etwa eine halbe Stunde später hielt das Fährboot, das zwischen San Fernando und dem diesseitigen Ufer lief, von zwei Mann gerudert, über den Strom herüber. Es war eine ziemlich große Pirogue – kanoeartig gebaut und breit genug, auch selbst dem aufgewühlten Strom, ohne besondere Gefahr, die Stirn zu bieten.

Hier war es nun nötig, ein Arrangement mit meinem Führer zu treffen, der von da ab wieder nach Hause zurückkehrte und das Maultier an Herrn Vollmer zurückbringen mußte. Er hatte sich auf dem ganzen Marsch als ein zuverlässiger und braver Bursche gezeigt, und da ich doch nicht Lust hatte, in San Fernando herumzulaufen, um einen Esel mit seinem Packsattel zum Verkauf auszubieten, so schenkte ich ihm alles: den Esel, den gekauften Reitsattel und den Packsattel sowie noch mehrere andere Gegenstände, und nahm ihn nur mit nach San Fernando hinüber, um ihn dort auszuzahlen.

Schon auf der Überfahrt, im Strom selber, hörten wir aber den militärischen Lärm, der da drüben vollführt wurde. Das trommelte und pfiff und blies und marschierte nach Herzenslust am Ufer herum. – Aber was kümmerte mich der Lärm oder die ganze künstliche Soldatenwirtschaft – mir war zu wohl zumute, daß ich wieder einmal auf Wasser schaukelte und die frische, fast kühle Brise fühlte, die den Strom heraufkam, als daß ich auch nur einen Gedanken hätte auf die Truppen von Don Pedro Manuel Rojas wenden können, und als wir das gegenüberliegende Ufer endlich erreichten, sprang ich mit einer wahren Wonne die steile Sandbank hinauf, die jetzt, bei dem niederen Wasserstand, unter der Stadt lag.

Nun hatte ich schon in Caracas gehört, daß ich in San Fernando wenigstens einen Deutschen, und zwar den üblichen deutschen Hutmacher, der nirgends fehlt, finden würde. Den suchte ich mir vor allen Dingen auf, um wenigstens von ihm eine gute Posada zu erfragen und dann weiter mit ihm zu besprechen, wie ich später meine Reise am besten stromab fortsetzen könne, denn kurze Zeit mußte ich mich jedenfalls erst in San Fernando nach dem langen, mühevollen Marsch ausruhen. Den Deutschen fand ich auch – einen alten komischen Kauz, und zwar aus Westfalen stammend, der aber anfangs seine Nationalität vollständig verleugnete und sich für einen Holländer ausgab, weil er – wie er mir später gestand, bis jetzt noch wenig Freude an den hier eintreffenden Landsleuten gehabt hätte.

Da er aber wohl merkte, daß ich nichts von ihm haben wollte als seinen guten Rat, und auch sonst »keine Arbeit suche,« wie das wohl gewöhnlich bis jetzt der Fall gewesen, so wurde er freundlich und opferte mir später wirklich auf die sorglichste Weise seine Zeit, um mir alles, was ich brauchte, einrichten zu helfen.

Vor allen Dingen brachte er mich in die Posada des Ortes, wo ich ohne weiteres meine in Kamahua gekaufte Hängematte aufhing – denn Betten gab es hier nirgends – und mich hineinwarf, um ein wenig auszuruhen. Mein Bursche war indessen ausgegangen, um noch etwas zu besorgen und einige Briefe abzugeben, die er in Calabozo bekommen, und als er zurückkehrte, rechnete ich mit ihm ab, zahlte ihm reichlich – was ich nicht einmal gebraucht hätte, auch für den Heimweg, und ging dann selber wieder aus, um mir die Stadt ein wenig anzusehen.

Als ich in die Posada zurückkam, hatte sich mein Führer schon wieder übersetzen lassen, um seine Heimreise anzutreten, vorher aber noch sich auf meine Rechnung von der Wirtin Extraproviant geben lassen und mir außerdem aus dem Bergsack meine beiden letzten baumwollenen Tücher mitgenommen.

Sonderbares Volk! Die Venezuelaner sind wirklich im ganzen brave und ehrliche Leute, und was z. B. in Mexiko zu den Alltäglichkeiten gehört: Straßenraub und Mord – würde hier mit Entrüstung von den Bewohnern des Landes betrachtet und augenblicklich selber bestraft werden – aber solche Kleinigkeiten – ich glaube, der Bursche hätte eine Gemütskrankheit bekommen, wenn er sich zu dem allen, was ich ihm schon gegeben, nicht noch einen kleinen Überverdienst hätte machen können.

Dagegen muß ich jedoch erwähnen, daß ich während meiner mehrtägigen Anwesenheit in San Fernando meine sämtlichen Sachen in dem offenen Bergsack in einer Stube liegen hatte, an der sich nicht einmal eine Tür befand, und daß mir nicht die geringste Kleinigkeit weiter abhanden gekommen ist.

San Fernando de Apure – der Name klingt hochtrabend genug, aber dem entspricht die Stadt selber nicht, wenn man sie wirklich betritt. Von über dem Fluß drüben sieht sie allerdings ziemlich bedeutend aus, denn eine lange Häuserreihe, die auf der hohen Uferbank dicht am Rand des Stromes liegt, bildet ihre Front, und man erwartet natürlich, mehr dahinter zu finden. Der ganze Handel beschränkt sich aber in der Tat nur auf diese eine Reihe von noch dazu sehr einfachen und niedrigen Häusern, und doch ist gerade dieser kleine, unscheinbare Ort – in ruhigen Jahren einer der bedeutendsten Handelsplätze Venezuelas und hat nur das zu seinem Nachteil, daß es in Venezuela seit den letzten zehn Jahren kaum eine ruhige Stunde, geschweige denn ein ruhiges Jahr gegeben hat.

Allerdings liegt es im Mittelpunkt des gewaltigen Reiches – wenn man dasselbe aus einer Landkarte betrachtet, den Strom ausgenommen kann man aber kaum sagen, daß eine wirkliche Straße von irgend einer Richtung her dahinführt, und auf den ersten Blick erscheint es einem auch wirklich fast nur wie ein etwas weitläufiges Dorf, wie ein Sammelpunkt von Menschen in der Wildnis, mit ein paar kleinen Händlern zwischen ihnen lebend, um ihnen die notwendigsten Bedürfnisse zuzuführen. Aber der Schein trügt, denn die meisten dieser »kleinen Händler« sind Komandithäuser großer, weitauszweigender Geschäfte, besonders aus Bolivar (Angostura), und was sie importieren, versieht den Bedarf der ganzen Llanos, Während sie alle in ihren Bereich kommenden Produkte des Landes ausführen und auch zum großen Teil den ungeheuren Viehhandel mit dem Süden und Westen vermitteln. Zu gleicher Zeit laufen ihre Fahrzeuge nicht allein in den Orinoco hinein und bis Bolivar herab, dann in den Portugese und die anderen Nebenströme, sondern sie senden dieselben auch Hunderte von Leguas weiter den Strom hinauf in den Meta und alle die gewaltigen Zuflüsse des Orinoco hinein, wo sie mit den dort herumhausenden Indianern selber einen nicht unwichtigen Handel treiben.

Das Städtchen sieht gar nicht danach aus, aber es sind schon sehr bedeutende Vermögen darin gewonnen worden.

Die Bauart ist ähnlich wie bei allen übrigen Städten in Venezuela, die der oft sehr heftigen Regengüsse wegen von den flachen Dächern absehen und schräge Ziegeldeckung vorziehen – aber nur die besseren Häuser sind in San Fernando mit diesem hier etwas teuren Material gedeckt, eigentlich fast nur die Kaufläden, während die Wohnungen der ärmeren Klasse mit den Blättern der diesem Himmelsstrich eigenen Sombreropalme überdacht stehen.

Die Häuser haben alle nur einen Stock, d. h. Parterrewohnung.

Allerdings glaube ich nicht, daß San Fernando aus seinem angeschwemmten Boden und in der ganz flachen Lage je etwas von Erdbeben zu fürchten hätte, aber es fehlt ja nicht an Raum, und man hat außerdem das Angenehme, keine Treppen zu steigen.

Nur ein einziges zweistöckiges Haus stand in San Fernando, und zwar an der Plaza. Dort war auch das Hauptquartier der Regierungstruppen, denn oben im ersten Stock wohnte General Don Pedro Manuel Rojas – wie gesagt ein eifriger Anhänger Falcons. Kaum aber drang bald danach die Kunde von dem Sieg der Revolution nach San Fernando, als er auch augenblicklich mit seiner ganzen Armee zu dem Feind überging, und ich glaube schwerlich, daß er die Soldaten auch nur vorher deshalb gefragt hat.

Hätte er es früher getan, so wäre ihm vielleicht eine größere Rolle im Staate vorbehalten gewesen, denn er galt für einen tüchtigen Mann, gehörte aber leider zu jener Klasse von Politikern, welche die Nordamerikaner sehr bezeichnend Fencerider nennen – d. h. Leute, die oben auf einer Fenz oder Umzäunung sitzen und noch nicht genau wissen, nach welcher Seite sie einen Sprung riskieren sollen. Er sprang auch, als ihm keine Wahl mehr blieb, zu den Blauen hinunter, aber es half ihm das nichts weiter, als daß er seine eigene Person in Sicherheit brachte – eine politische Rolle in Venezuela wird er aber erst dann wohl wieder spielen, wenn die Sache ein wenig vergessen ist, und das dauert in den südamerikanischen Republiken nicht lange. Leute mit einer fleckenreinen Vergangenheit sind überhaupt zu rar, um die anderen ganz entbehren zu können.

General Don Pedro Manuel Rojas mag übrigens ein sehr gescheiter und tüchtiger General sein – ich weiß nichts zum Gegenteil – aber Gehör kann er unter keiner Bedingung haben, denn dicht und unmittelbar unter seinem Fenster vollführten die Soldaten den ganzen ausgeschlagenen Tag einen solchen Heidenlärm mit Trommeln, Pfeifen und Trompeten, und dann auch noch nachts mit Gitarrespielen und Singen – und was für ein Gesang! –, daß jeder andere davon taub geworden wäre, und es selbst die Nachbarschaft zur Verzweiflung trieb. Ihn selber schien es aber gar nicht zu genieren, und solange ich mich in San Fernando aufhielt, wurde es hartnäckig und unverdrossen fortgesetzt.

San Fernando hat in der Tat eine ungemein günstige Lage, ja so günstig, wie sie nur eine Binnenstadt haben kann, und wäre ein anderes Volk im Besitz des Landes – oder hätte es selbst nur eine ehrliche Regierung, so würde es seine Einwohner nicht nach Hunderten, sondern nach Tausenden zählen. So aber wächst es nur langsam und allmählich fort, ja, fristet in solchen Zeiten, wie die jetzigen, kaum sein Dasein.

Der Apure-Distrikt ist seiner prachtvollen Weidegründe wegen berühmt, und das sämtliche Vieh, das da heraus nach dem nördlichen Markt getrieben wird, muß hier bei San Fernando den Strom kreuzen. Außerdem ist die Wasserverbindung, fast mit allen Himmelsgegenden – natürlich nicht in der allertrockensten Jahreszeit – eine außerordentliche, denn wenn wir eine Karte von Venezuela ansehen und darauf Wasserkurse angegeben finden, die wir gewöhnlich für kleine Flüsse halten, so zeigt die Wirklichkeit da mächtige Ströme, von denen viele, selbst im Sommer, durchaus schiffbar bleiben und die Fahrzeuge, nicht etwa durch ihre seichten Stellen, sondern durch ihren zuzeiten so hohen Wellenschlag sogar gefährden.

Es ist nämlich eine fast wunderbare Naturerscheinung, wie tief die Passatwinde in den nördlichen Teil des südamerikanischen Kontinents hineinreichen. Nicht allein bis zu dem 120 geographische Meilen von der Küste entfernten San Fernando streichen die scharfen Ostwinde – die nie wechseln – herauf, nein, auch in den Meta hinein, und mehr als 100 deutsche Meilen dringen sie sowohl hier als auch auf dem Amazonenstrom, und ermöglichen so eine Schiffahrt auf diesen ungeheuren Strömen, indem die zu Berg gehenden Fahrzeuge mit diesem Passat allein die gewaltige Strömung des Orinoco sowohl, wie des Amazonenstroms stemmen können.

Diese Wasserverbindung des inneren Landes findet in der Tat erst an den Cordilleren ihre Grenze, denn selbst von Bogota in Columbia nieder, wenigstens nur eine kurze Strecke von dort entfernt, kommen den Meta herab große, dort gebaute Fahrzeuge, die nachher nachdem Hunderte von Meilen entfernten Bolivar – wenn man die Krümmungen des Stromes rechnet, geschafft und dort aufgetakelt und vervollkommnet werden. Selbst die Indianer des Rio Negro – eines Tributars, ja, man könnte sagen, eines Arms des Amazonenstroms, schaffen ihre Produkte in den Apure und nehmen ihre Kanoes dann, mit Waren beladen und von dem Ostwind getrieben, wieder in ihre Heimat zurück.

Ein Hauptarm des Orinoco – der Casiquiare – steht ja auch mit dem Rio Negro in so genauer Verbindung, daß fast gar keine Wasserscheide zwischen beiden zu liegen scheint und die Kanoes der Eingeborenen, mit vielleicht nur einem kurzen Trageplatz dazwischen, aus einem in den anderen Strom passieren können. Wohl das einzige derartige Beispiel in der Welt, zwischen zwei so gewaltigen Wasserbecken!

Von all diesem Handel zieht aber San Fernando, in der jetzigen unruhigen Zeit, sehr wenig Nutzen, und da noch dazu die Viehtreiber ausbleiben und nicht daran denken, den Regierungstruppen ihre Herden in die Hände zu liefern, für die sie dann nie einen Centavo erhielten, hat das eigentliche Geschäft ganz aufgehört, und selbst der Detailhandel ging seinem Ende entgegen.

An der Ecke der Plaza befand sich eine kleine Pulperia, die ein Italiener hielt, und als ich dort hineinkam, standen im ganzen Laden herum fast nichts als kleine geöffnete Fäßchen mit den verschiedensten Arten von Nägeln, dann einige Schleifsteine und verschiedene Säcke mit Mais. Ich fragte ihn nun, ob so viele Nägel hier in San Fernando gebraucht würden, daß er sie so zur Auswahl bereit stelle, er erwiderte aber fluchend: die hätte er den verdammten Soldaten hingesetzt, denn er verkaufe manchmal in der ganzen Woche kein Pfund Nägel, aber wenn er irgend etwas anderes – Eßbares dastehen habe, dann kämen sie fortwährend herein und holten es ihm weg und dächten natürlich gar nicht ans Bezahlen. Mit den Nägeln aber könnten sie nichts anfangen, und die ließen sie zufrieden.

Höchst interessant soll es in früheren Zeiten gewesen sein, zu sehen, wie die Viehtransporte, die für den nördlichen Markt bestimmt waren, den breiten Strom kreuzten, denn ein richtiges Fährboot für dieselben existierte gar nicht.

Dicht am Ufer war nämlich ein großer Korral oder eine starke Umzäunung – und zwar nach dem Strom zu offen – gebaut. Dort hinein wurden die angekommenen Tiere getrieben, und hatten sie sich dann ausgeruht und war alles vorbereitet so begann das Experiment.

Die Treiber bekamen alle ihren bestimmten Platz in der Umzäunung, und zwar die Tiere einkreisend, um auf ein gegebenes Zeichen gleichzeitig auf sie einzudrängen. Einer der Llaneros und ein geübter Schwimmer hat es indessen übernommen, die Herde zu leiten. Sobald alles bereit ist, sprengt er mitten in die Tiere hinein, hält mitten zwischen ihnen und gibt das Zeichen zum Beginn. Darauf haben aber die übrigen nur gewartet; jetzt brechen sie auf einmal mit Schreien, Hetzen und Kreischen auf die verdutzten Tiere, die das Wasser gar nicht gern annehmen, ein und drängen sie mit aller Gewalt und Anstrengung dem Stromrand zu.

Diesen Moment muß der Llanero rasch benutzen. – Jetzt galoppiert er hinab bis zum Wasserrand, und während ihm die Kühe folgen, sprengt er mit seinem Pferd in den Strom hinein, läßt sich aber dort, um sein Tier nicht zu erschöpfen, vom Rücken desselben gleiten und schwimmt nun, es nur am Zügel führend, neben demselben her, dem anderen Ufer zu.

Jetzt folgen auch die Rinder – zuerst einige der kecksten – oder vielleicht auch furchtsamsten, wie man es gerade nehmen will, solche nämlich, die sich durch das Schreien und Hetzen am meisten einschüchtern lassen – dann die ganze Herde, und selten soll dabei – trotz der Breite und starken Flut des Stromes – ein Unfall vorkommen.

Merkwürdig ist aber, daß sich diese Llaneros noch in den Strom hineinwagen und hindurchschwimmen, denn nie in meinem Leben habe ich so furchtbare Geschichten von irgend einem Fluß erzählen hören, wie gerade hier in San Fernando von diesem nämlichen Apure.

Kaimans gibt es ja darin in großer Zahl, wie ich selber bald darauf mit eigenen Augen gesehen habe, und daß sie sich besonders in der Nähe der Stadt halten, weil sie dort von allen den Abfällen reichliche Nahrung finden, ist ebenfalls natürlich. Wahre Mordgeschichten wurden aber von diesen Tieren erzählt, so daß man, wenn man das alles glauben wollte, gar nicht wagen dürfte, sich selber die Füße in dem Strom zu waschen, aus Furcht, von einer der Bestien erfaßt und unter Wasser gezogen zu werden – gerade wie sie saufende Kühe bei der Nase packen und hineinziehen sollen – eine Sache, die schon an und für sich unmöglich oder wenigstens äußerst schwierig wäre.

Dann kamen die Geschichten von dem Zitteraal, die Humboldt ebenfalls – sicher auf solche Berichte gestützt – in seinen Natur-Bildern ein wenig romantisch ausgeschmückt. Aber damit sind wir noch nicht fertig – nun gibt es auch noch die Stachelfische und die Caraiben (kleine Fische, auf die ich später zurückkommen werde), die alle dem Menschen Verderben drohen sollen, wenn er tollkühn genug wäre, sich der Flut anzuvertrauen. Diese Llaneros durchschwimmen aber den ganzen Strom, und wenn ich auch nicht leugnen will, daß es unter den Kaimans – ebensogut wie unter den Krokodilen, einige sogenannte »Menschenfresser« gibt und einzelne Unglücksfälle vorkommen mögen, so ist das Ganze doch jedenfalls so übertrieben, daß ich mich wenigstens nie habe abhalten lassen, zu baden, wenn mich die Lust dazu überkam – und das war ziemlich alle Tage, ohne je durch irgend eins dieser entsetzlichen Geschöpfe gefährdet zu werden.

Fremde sind wenige in San Fernando – Spanier ausgenommen, in deren Händen sich auch der größte Teil des Handels befindet. Einige Italiener hatten verschiedene Ecken zu ihren Pulperien eingenommen, wie man das fast durchgehends in Südamerika findet. (In Lima z. B. gibt es, glaub' ich, nicht eine einzige Ecke, an der nicht ein Italiener einen Laden und Schenkstand hat – die Kirchen ausgenommen.) Sonst war noch mein deutscher Hutmacher dort, aber weder ein Franzose noch ein Engländer oder Amerikaner – nicht einmal ein deutscher Konsul.

Die Nacht schlief ich in meiner Hängematte zwischen einem Esel und einem Kalb – aber sonst vortrefflich, und es lohnt vielleicht der Mühe, eine solche Posada zu beschreiben.

Das etwa vierfenstrige Haus (dem Verhältnis des Raumes nach, denn wirkliche Fenster hatte es gar nicht) war in zwei Hälften geteilt. Die linke nahm eine Pulperia oder Materialwaren-Handlung ein, wo eben alles verkauft wurde, was man nur irgend in diesen einfachen Verhältnissen braucht – in der rechten war das Parlour oder Speisezimmer – d. h. ohne jedes weitere Ameublement, einen Tisch, zwei Bänke und einige Stühle ausgenommen – rechts im Hofe war die Küche und Vorratskammer, hinten quervor und links einige Ställe und ein kleiner offener Verschlag, in dem ich meine Sachen liegen hatte.

Und wo schliefen die Gäste? –

Wo sie Lust hatten oder Platz fanden, denn eiserne Haken waren überall in den Wänden eingeschlagen, und im Hof oder an der Galerie entlang standen auch einige Holzsäulen, um daran eine Hängematte oder Chinchorra aufzuhängen, denn auf der Erde schläft hier kein Mensch, schon des Ungeziefers wegen. San Fernando ist nämlich feiner niguas oder Sandflöhe wegen berüchtigt – von denen ich mir ebenfalls einen in einem Zehen des linken Fußes mit auf die Reise nahm.

Im Hof nun, vor dem Parlour und der Pulperia hinlaufend, befand sich eine Art von Veranda oder Galerie, und in dieser, da ich nur gezwungen in einem geschlossenen Raume schlafe, hing ich mir meine Chinchorra auf und lag dort kühl und angenehm. Die Sache hatte nur einen Haken, und das waren die verschiedenen Haustiere, die man dort ebenfalls nachts unterbrachte, und wo ich mich in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem vorerwähnten Esel und Kalb befand.

Mit Ausnahme einzelner Maultiere (Pferde habe ich gar keine in San Fernando gesehen, da man sie wahrscheinlich schon vorher aus dem Bereich der Soldaten geschafft) gab es nur Esel im Ort, die zu den verschiedensten Lebenszwecken, als: Wasser oder Futter holen, Güter oder Häute transportieren ec. verwandt wurden. Diese Esel waren natürlich durch die ganze Stadt verteilt, und gnade Gott den Schläfern, wenn es einem von allen, wo auch immer – und was jede Nacht regelmäßig wenigstens zweimal geschah – einfallen sollte, seine Stimme ertönen zu lassen, die dann jedesmal in ein klägliches Geschrei ausartete. Vielleicht rief er die Geliebte, die zwei oder drei Cuadras von ihm entfernt in einem anderen Stadtteil angebunden stand, aber sie vernahm seinen Ruf und antwortete ihm, daß sie ja nicht fortkönne und es sehr bedauere, und nun hatte plötzlich die ganze Familie ebenfalls noch ein Wort mit dreinzureden.

Und das nicht allein – die Maultiere nahmen teil an dem unglücklichen Schicksal der Liebenden. Die Hähne fingen dann an zu krähen, die Hunde zu bellen, und es war für etwa eine Viertelstunde ein wahrer Heidenlärm.

Arme Esel! Sie haben ein Recht zu schreien, denn wenn irgend ein Tier auf der weiten Gotteswelt nichtswürdig behandelt wird, so ist es jedenfalls ein südamerikanischer Esel. Das Maultier muß wohl auch schwere Lasten tragen, aber ein gutes Maultier kostet auch von 200 bis 300 Pesos, und man verwendet deshalb mehr Sorge auf sie; einen Esel kann man aber schon von 10 bis 12 Pesos erhalten, es lohnt sich also nicht der Mühe, ihn zu schonen.

Dem wird deshalb aufgeladen, was er eben schleppen kann. Sein Rücken ist wund gerieben, und nimmt der Treiber ja einmal den Packsattel ab, so zeigen sich handgroße, blutig gescheuerte, oft eiternde Stellen, auf die sich augenblicklich die Fliegen setzen. Aber was tut das? Sobald man ihm die gewöhnliche Zeit zum Fressen gelassen hat – ob er da draußen in der dürren Llano etwas gefunden oder nicht, bleibt sich gleich – so wird ihm der Packsattel wieder aufgelegt und unbarmherzig festgeschnürt, und macht man den Leuten deshalb Verstellungen, so ist die einzige Antwort, die man bekommt: – »Warum ist es ein Esel geworden!«

Anti-Tierquälerei-Vereine mit weiblichen Mitgliedern, die kleine unangenehme Hunde halten, und sie tausendmal besser füttern und betten, als manche Kinder armer Leute gefüttert und gebettet werden – hier solltet ihr eure Wirksamkeit entfalten – hier wäre ein Feld dafür. Aber es ist das gerade so wie mit den Missionären, nur eben umgekehrt. Diese, die zu Hause bleiben sollten, wo sie genug zu tun hätten, anstatt glückliche und zufriedene Heiden mit Drohungen von schrecklichen Höllenstrafen zu beunruhigen, bleiben nicht, sondern suchen sich irgendwo eine hübsche Insel aus, wo sie sich in Ruhe hinsetzen; die weiblichen Mitglieder der Tierschutz-Vereine dagegen, anstatt auszuziehen und jenem Elend zu steuern, leisten zu Hause ihren fetten Pinschern Gesellschaft. – Wunderliche Welt das!

Den südamerikanischen Eseln ist aber in der Tat nicht zu helfen, und mir taten nur immer die jungen Eselein leid, die so vergnügt am Wege standen und mit den schon völlig ausgewachsenen Ohren und dem dicken, wolligen Kopf gar so putzig und verschmitzt aussahen. Sie kennen das Leben ja bis jetzt nur von der glücklichen Seite, aber ihre Stunde kommt ebenfalls, wo ihnen zuerst ein Packsattel aufgepaßt wird, und dann sind ihre frohen Tage vorbei. – Glückliche Jugendzeit!

Was das Militär von San Fernando angeht, so befand sich diese Truppe genau in einem so verwahrlosten Zustand, wie die von Calabozo, und wenn das überhaupt möglich gewesen wäre, hätte sie auch vielleicht noch wilder ausgesehen. Das ging aber nicht an. Jedoch Sinn für Musik schien die Bande zu haben. Während sich über Tag ein Teil der Soldaten in der Stadt herumtrieb, und was sie zum Leben brauchten entweder erbettelten oder erborgten – und beides kam auf eins heraus, denn wer ihnen borgte, konnte sich fest darauf verlassen, daß er auch nie einen Centavo bezahlt bekam, exerzierte die andere Hälfte unter ihres Generals Fenster und machte einen Hauptskandal mit der Musik. Abends aber lagen sie auf der nämlichen Stelle auf Kuhhäuten, spielten mit den niegewaschenen Fingern Gitarre und brüllten dazu einige Lieder ab.

Es sah wirklich originell aus, wenn man dort abends vorüberging und die Burschen da, jeder seine alte Muskete – und ich glaube sogar noch dazu scharf geladen neben sich, auf den Kuhhäuten und ihren Cobijen ausgestreckt liegen sah. Sie waren auch nicht stolz und verschmähten es sogar nicht, auch einen Zivilisten um einen »realito« anzugehen. Im ganzen muß ich aber doch eingestehen, daß ich hier in dem wilden Land, und von der viel elender aussehenden Truppe, lange nicht so viel angebettelt worden bin, als in Caracas selber von der regulären Armee.

Am zweiten Tag wurden indessen plötzlich die Kuhhäute, auf denen sich die Armee so wohl gefühlt, von dem Eigentümer abgeholt und wo anders untergebracht. Wie er erzählte, waren ihm schon zwei davon verloren gegangen, und da er den »glücklichen Finder« nicht wieder auftreiben konnte, mochte er wohl für den Rest besorgt werden. Die Soldaten mußten sich jetzt mit ihren Cobijen behelfen – die übrigens, beiläufig gesagt, merkwürdige Ähnlichkeit mit den argentinischen dunkelblauen und rotgefütterten Ponchos haben. Übrigens blieb es noch immer trocken, obgleich man die Regenzeit schon seit fast vierzehn Tagen erwartete.

Unter der Hand erkundigte ich mich jetzt, und nacheinander fast bei allen Kaufleuten, ob nicht in den nächsten Tagen wohl eine Lancha (eins der gewöhnlichen Fahrzeuge, die vielleicht von 20 bis 30 Tonnen Gehalt – auch manchmal mehr – in guten Zeiten fast regelmäßig zwischen Bolivar und San Fernando laufen) den Strom hinabginge, erhielt aber nirgends eine befriedigende Antwort. Man erwartete allerdings eine oder zwei von unten, und es war möglich, daß diese dann im Laufe des Monats Mai expediert werden konnten – keinesfalls aber vor dem 25. oder 30., und das half mir entschieden nichts, denn gerade in den Tagen ging der Dampfer von Bolivar (Angostura) ab, der Anschluß an die französische Linie in Trinidad hatte, und die wollte ich jedenfalls zu meiner Heimkehr benutzen.

So ging ich denn daran, ein Kanoe zu suchen, und selbst das schien in dieser Zeit nicht so leicht, denn ich brauchte dazu besonders einen zuverlässigen und mit dem Strom genau bekannten Mann, denn mir wurde von allen Seiten gesagt, daß der Orinoco ein ziemlich gefährliches Wasser und an manchen Tagen gar nicht mit ihm zu spaßen sei. – Allerdings keine übertriebenen Angaben, wie ich später auch selber fand.

Hierbei half mir aber mein ins Holländische übersetzter Landsmann, der deutsche Hutmacher, denn mit allen Leuten hier auf das genaueste schon seit Jahrzehnten bekannt, hatte er bald einen Neger ausgefunden, der, wie er mir versicherte, ein ganz ausgezeichneter » marinero« wäre, und seine Sache aus dem Grund verstände.

Die Sache war aber nicht billig. Der Mann verlangte für sich selber 30 Pesos – ein Peso etwa so viel wie ein preußischer Taler – für einen Piloten 26 Pesos und für Kanoemiete 16 Pesos – also zusammen 70 Pesos, und außerdem mußte ich Proviant für die Reise einlegen, die sich, wie sich später herausstellte, ebenfalls über 10 Pesos beliefen – keine Kleinigkeit also für eine Kanoefahrt, die in zirka 10 Tagen beendet sein konnte. In früheren Jahren hätte ich sie auch billiger gemacht, aber – ich bin doch mit den Jahren etwas bequemer geworden, und da mir eigentlich gar keine andere Wahl blieb, so nahm ich das Gebotene an.

Komisch war, daß sich auch hier in San Fernando der General Rojas meine alten Zeitungen aus Caracas ausbitten ließ. Auch hier wußten sie nichts aus der Hauptstadt und hatten schon seit über einen Monat keine Nachricht von dort.


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