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24. St. Thomas

Man sagt gewöhnlich: »ein Unglück kommt nie allein«, und wenn das wohl auch nicht immer zutrifft, so hat St. Thomas doch jedenfalls die Wahrheit dieses Sprichworts im vollsten Maße erleben müssen. Es gibt kaum einen ärger heimgesuchten Platz in der ganzen Welt, als es diese kleine freundliche Insel in den letzten Jahren war, denn sie hat – man kann sagen in Monaten, eine wahre Kette von Leiden durchmachen müssen.

Zuerst kam der Sturm, der furchtbare Verwüstung, besonders unter den Fahrzeugen anrichtete und in Zeit von einer Stunde einige siebzig Schiffe von allen Größen, vom Dreitausend-Tonnenschiff bis zum kleinsten Schoner hinab, versenkte oder auf den Strand warf, und dabei wie zum Spiel Häuser abdeckte oder auch umwarf, den Palmen ihre Kronen abriß, die Blätter von den Büschen fegte und eine Heidenverwüstung anrichtete.

Dann unmittelbar darauf kam das Erdbeben, das noch nicht so unheilvoll gewirkt hätte, da es merkwürdigerweise nur an einigen Stellen wirklich bösartig auftrat, wäre die Welle nicht hinterher gekommen, die das Verderben vollendete. Mitten in der Verwirrung, wo Stoß nach Stoß folgte, ging auf einmal der Schrei durch die Stadt: »Die See kommt!« Und was laufen konnte, lief. Dem Phänomen ging übrigens – wie an allen Orten, wo Ähnliches erlebt worden – das regelmäßig zuerst stattfindende und plötzliche Fallen der See voraus. Das Meer wich zurück, um gleich darauf in einer riesigen Sturzwelle wiederzukommen, deren Schrecken ich wohl hier nicht weiter zu beschreiben brauche, da davon Schilderungen genug in deutschen Blättern erschienen sind.

Diese Sturzwelle richtete aber an allen den Stellen, welche sie erreichen konnte, die furchtbarste Verwüstung an, weil durch den Sturm und das Erdbeben alle von Menschenhänden aufgeführten Werke schon gelockert und zum Teil auseinandergerissen waren. Da hinein sprang sie, und ihrer furchtbaren Gewalt widerstand nur wenig.

Was sie an nach dem Sturm eingelaufenen Fahrzeugen in der Nähe des Ufers fand, setzte sie hoch auf den Strand; Boote und Bojen warf sie weit in die Stadt hinein, und alle die Warenhäuser am Ufer, von denen die meisten schon Risse durch das Erdbeben bekommen, wurden plötzlich durchwaschen und manche auch total auseinandergerissen.

Und damit war die Sache noch nicht zu Ende. Die schlimmste Gefahr schien allerdings damit überstanden, aber die Erde zitterte fort. Stoß folgte auf Stoß; fast jede halbe Stunde wiederholte sich eine dieser fatalen Erschütterungen, und daß Tausende von Menschen dadurch nervös und zuletzt krank gemacht wurden, läßt sich denken. Solch' ewige Aufregung konnten nur wenige Nerven ertragen, und ansteckende Krankheiten fanden das Volk empfänglich dafür.

Zuerst trat das gelbe Fieber auf, während die Erde noch immer fortschüttelte, und dann folgte endlich, aber nur in geringem Maße, die Cholera, während selbst jetzt noch manchmal einzelne schwache Stöße fühlbar sind. Das wird natürlich entsetzlich übertrieben, und so kam z. B. gleich anfangs ein Passagier von St. Thomas an Bord, der uns solche Geschichten aus der Stadt erzählte, daß man hätte glauben sollen, kein Mensch sei dort seines eigenen Lebens sicher.

Seiner Beschreibung nach zitterte die Erde in einem fort, und es verging fast keine Stunde ohne einen fühlbaren Stoß. – Ich selber war nachher eine ganze Woche auf St. Thomas und habe nur am ersten Morgen einen – aber kaum merkbaren Stoß gefühlt, der von einem dumpfen Grollen begleitet war, wie einige kleine, aber sehr leichte Erschütterungen später. Es gibt aber Leute, deren eigene Furcht ihnen auch das geringfügigste entsetzlich erscheinen läßt, und wie sie es empfangen, teilen sie es wieder mit.

So viel ist sicher – jener unterirdische Feuerballen, der jedenfalls den Kern unserer Erdkugel bildet, hat in diesem Augenblick noch mehr Gas vorrätig, als er durch die gewöhnlichen Sicherheitsventile der Vulkane bequem ausführen kann, und während die Krater in allen Weltteilen tätig arbeiten, zuckt auch noch an vielen Stellen die Erde, und St. Thomas scheint dabei gerade nicht an der allersichersten Stelle zu liegen. Die größte Gefahr ist aber jedenfalls für die Insel vorbei – soweit menschliche Berechnungen da überhaupt ausreichen; und wenn dort unten nicht noch etwas ganz Außerordentliches vorgeht, so werden die Erdstöße hier wohl noch eine kurze Zeit anhalten, aber kaum mehr erheblichen Schaden anrichten; man darf also weiteren übertriebenen Schilderungen nicht allzu vielen Glauben beimessen.

Das angerichtete Unheil ist außerdem auch schon groß genug und fast unberechenbar, denn die meisten Häuser in der Stadt haben, wenn sie auch äußerlich keine besonderen Verletzungen zeigen, doch Risse bekommen, und selbst kleine Stöße können das Übel leicht verschlimmern.

St. Thomas hat in der Tat enorm gelitten, und durch welche Straßen man auch geht, sieht man in dem überall umherliegenden Schutt deutlich die Verwüstungen, die Sturm oder Erdbeben angerichtet. Und die armen Kokospalmen, wie traurig, wie entsetzlich traurig sie dreinschauen mit ihren kahlen, vergilbten Wipfeln, nur hier und da noch ein grünes, abgerissenes Blatt zeigend. Viele sind auch durch den Sturm ganz entwurzelt worden; die meisten hielten aber doch stand, bogen sich, ließen sich rupfen, und überschauten dann wieder mit den kahlen Häuptern die um sie her geschehene Verwüstung.

Merkwürdig ist jedenfalls, wie strichweise der Sturm gewütet hat, der, allem Anschein nach, nicht in einer kompakten Masse den Grund fegte, sondern in Windstreifen gegangen sein muß. So findet man an den Orten, die er am meisten heimgesucht, Stellen, auf denen er stark gebaute Häuser vollkommen abgedeckt und leichte Bretterhütten gefaßt und umgeworfen oder auch voneinander gerissen hat, während dicht daneben eine elende Baracke unbeschädigt, unverletzt stehen geblieben ist. Einen Strich ruinierte er vollständig – einen anderen, nahebei, berührte er gar nicht, und wenn sich das auch nicht gut erklären läßt, sieht man es doch hier allerorten bestätigt.

Am ärgsten war aber natürlich die Verwüstung in der gerade von Schiffen aller Nationen gefüllten Bai, an denen er seinen vollen Übermut auslassen konnte – und auch ausließ.

Ich nahm ein Boot und fuhr damit im Hafen herum und muß gestehen, daß einem der Anblick, den ich dort genoß, das Seefahren wohl auf eine Weile verleiden könnte. Ein einzelnes Wrack, dem man auf See begegnet, bietet schon stets nur zu genügenden Stoff zum Nachdenken, und hier fährt man wirklich in einem Wald zerschmetterter Fahrzeuge herum, jedes seine eigene Unglücksgeschichte an der Stirn tragend, jedes ein memento mori zerstörter Menschenleben.

Die Verwirrung muß entsetzlich gewesen sein. Der Sturm kam zuerst in einem furchtbaren Stoß von Westen, lullte dann aber plötzlich zu einer vollkommenen Windstille ein, um wenige Minuten später, nachdem er jedenfalls hinter den Bergen im Norden herumgegangen, von Osten mit erneuter Kraft wieder zu kehren. Und jetzt nahm er die Backen voll.

Der Liverpool-Dampfer »Venezuela« war eben – oder doch nur erst wenige Stunden vorher – mit über 200 Passagieren eingetroffen. Den warf er gegen den eisernen Floating-Dock, der mit ihm sank, und zum Überfluß ein 3000 Tonnenschiff, das größte, was bis jetzt noch die westindischen Inseln besucht, die »British Empire«, oben darauf. Das letztere Schiff, das einen argen Leck bekommen, sank aber erst vollständig den nächsten Tag, da es die Mannschaft nicht mit Pumpen flotthalten konnte, und andere Hilfe in der Verwirrung und dem allgemeinen Unglück nicht zu erhalten war.

Rechts in der Bai bietet sich der interessanteste Anblick dar, denn dort liegt ein ganzes Nest von Dampfern und Schiffen, die, nachdem sie im Hafen gegen andere Fahrzeuge angerannt und sie und sich vernichtet hatten, endlich hier in seichtes Wasser hineingeworfen wurden und jetzt rettungslos fest und auf dem Grunde sitzen. Ein kleiner Dampfer scheint besonders in der Klemme gewesen zu sein; seine eisernen Räder sind in jede erdenkbare Form hineingebogen, sein eiserner Rumpf ist auseinandergerissen, sein Stern ist eingestoßen seine Schornsteine sind über Bord geworfen. Arme »Prinzeß Alice«! Sie haben ihr arg mitgespielt, und nur das seichte Wasser hielt sie vom völligen Versinken ab.

Kleine Schoner, wie z. B. »Wild Pigeon« und andere, liegen hoch und trocken auf den Steinen, von einigen, die in tiefem Wasser versanken, schauen eben noch die Masten empor, aber im ganzen ist doch schon wieder sehr viel getan, um teils versunkene Schiffe zu heben und wieder instand zu setzen oder aufs Land geworfene flott zu bekommen.

Erwähnen muß ich noch, daß jene große Woge, welche das Erdbeben gegen das Land schleuderte, auch zu gleicher Zeit eine Menge von Fischen aufs Trockene warf. Aber keiner der Neger wollte einen davon in seinen Topf tragen, denn sie behaupteten: das Erdbeben sei eine Strafe Gottes, und sie dürften daraus keinen Nutzen für sich selber ziehen wollen.

Entsetzlich muß der Anblick der unteren Stadt aber unmittelbar nach der großen Woge gewesen sein, die in das Land hineinwusch, die zahlreichen Werfte total zerstörte und große Verwüstung in den Lagerhäusern anrichtete. So hoch aber, als sie anfangs geschildert wurde (dreißig Fuß), war sie keinenfalls. Sie kann nach der Höhe, in der sie in die Stadt eingedrungen ist, nicht mehr als fünfzehn oder höchstens zwanzig Fuß gehabt haben, ja, ich glaube, kaum zwanzig, denn der Druck des Wassers hat sie außerdem noch immer weiter getrieben als ihre eigene Höhe. Übrigens hat sie Schaden genug angerichtet.

St. Thomas ist jedoch der am günstigsten gelegene Platz des ganzen westindischen Archipels, und die Kaufleute hier haben bewiesen, daß sie selbst schwere Verluste wacker tragen konnten. Trotz allem Unheil, das über sie hereingebrochen, hat nicht ein einziges Haus seine Zahlungen eingestellt, und die Bauten gehen zu derselben Zeit rüstig vorwärts, um den erlittenen Schaden wieder auszubessern. Unbehaglich nur befanden sie sich damals in der Ungewißheit, ob Amerika die Insel wirklich gekauft hat oder nicht, und das nicht etwa aus Anhänglichkeit an das Mutterland, sondern weil die Existenz des ganzen bedeutenden Handelsplatzes dabei auf dem Spiele steht.

Dänemark selber hat sich nicht besonders freundlich gegen seine Kolonie gezeigt. Es verhandelte dieselbe zuerst und ließ nachher in St. Thomas, mehr zum Schein, abstimmen, ob die Einwohner auch mit dem Verkauf zufrieden wären, ja, dänische Beamte beeinflußten sogar die Wähler, dem faktisch schon abgeschlossenen Handel ihre Stimmen zu geben. Die Fremden hier, und selbst mit wenigen Ausnahmen die Dänen, würden auch sehr gern an Amerika fallen, wenn sie nur die Gewißheit hätten, daß die Insel ein Freihafen bleibt, denn dadurch allein hat sie sich, als Mittelpunkt der Inseln, ihre Stellung erworben. Machte aber Amerika, wie man sehr zu fürchten schien, einen Kriegshafen aus dem Platz, dem es dann den freien Handel nahm, so hörte seine Bedeutung vollständig auf, und die Kaufleute würden die Insel, so rasch sie konnten, verlassen haben.

Jetzt beherrscht sie fast den ganzen Handel mit Puertorico und manchen anderen reichen Inseln, die von hier ihre Waren beziehen; soll aber hier erst ein hoher Zoll darauf entrichtet werden, so ist das natürlich vorbei, und St. Thomas selber viel zu klein und schwach bevölkert, um einen bedeutenden Handel zu erlauben.

Die Aufhebung des Freihafens würde deshalb St. Thomas zehnmal so arg schädigen, als es Sturm, Erdbeben und ansteckende Krankheiten getan haben – ja, es vollständig ruinieren, und jetzt wirkte diese stete Unsicherheit lähmend auf den Verkehr und trieb nur einzelne zu einer allerdings sehr gewagten Spekulation: nämlich eine Masse von Waren hierher zu werfen; um im Fall des amerikanischen Besitzes und Aufhebung des Freihafens dieselben steuerfrei nach den Vereinigten Staaten einführen zu können.

Übrigens scheint es fast, als ob der ganze amerikanische Handel nicht allein aufgeschoben, sondern sogar aufgehoben sei, denn der Kongreß hat, unter den jetzigen Umständen, das Geld nicht zu dem Ankauf bewilligt und mag außerdem auch befürchten, daß, nach den letztgemachten Erfahrungen, der Hafen von St. Thomas doch am Ende nicht so sicher sei, als man früher wohl vermutet.

Nie im Leben hätte ich geglaubt, so viel Deutsche hier zu finden. Sie sind jedenfalls weit zahlreicher als Engländer und Franzosen, und wohin man kommt, hört man die deutsche Sprache, ja sogar nicht selten unter den Negern selber. Viele Eingeborene der Insel sprechen Deutsch untereinander, und deutsche Firmen trifft man allerorten. Außerdem gibt es kaum einen überseeischen Hafen der Welt, wo die verschiedenen Nationalitäten freundlicher zusammenhalten als in St. Thomas, und selbst Dänen und Deutsche leben hier im besten Einvernehmen und besuchen ein und dieselben Lokale und Klubs. Das kommt aber auch vielleicht von der geringen Zahl her, in der die Weißen hier der farbigen Bevölkerung gegenüberstehen. St. Thomas hat etwa 15 000 Einwohner, und von diesen sind 12 000 Farbige und Neger, und zwischen diesen nur 2500 Weiße. Die letzteren, und besonders die Deutschen, haben hier zwei ganz vortreffliche Gesellschaftslokale, die von allen Nationalitäten besucht werden, während sie vom gelben Fieber, das mehr unter [Eine Zeile fehlt im Buch. Re] Büchern in allen Sprachen, und den sogenannten internationalen Klub, in den aber keine Farbige aufgenommen werden. Das deutsche Element überwiegt jedoch in allen, schon vielleicht aus dem Grund, weil der Deutsche überhaupt geselliger Natur ist und am liebsten in Rudeln lebt – und prächtige Leute findet man unter ihnen. Mir wenigstens sind die Tage, die ich in St. Thomas verbrachte, so rasch wie kaum so viele Stunden verflogen.

Was nun die hier »wütende« Cholera betrifft, so spürt man, wie ich es mir auch vorher gedacht, gar nichts davon. Abends begegnet man allerdings dann und wann einem Leichenwagen, aber die Krankheit scheint sich hauptsächlich auf die unteren Klassen der Farbigen zu beschränken, wie denn sonderbarerweise die Neger gewöhnlich sehr heftig von dieser Krankheit mitgenommen werden, während sie vom gelben Fieber, das mehr unter den Weißen aufräumt, fast gar nicht leiden.

Die Neger nennen deshalb auch die Cholera black man's turn, das gelbe Fieber dagegen white man's turn, das heißt, bei der ersteren Krankheit kommen die Schwarzen, bei der zweiten die Weißen daran.

In der Stadt selber wird jetzt rüstig gebaut, um alle die erlittenen Schäden wieder auszubessern. Ich begreife wirklich nicht, wo nach solchen Kalamitäten, die fast jedes Haus berührt haben und überall Arbeit notwendig machen, so urplötzlich alle die Maurer und Zimmerleute herkommen, die doch in ruhiger Zeit unmöglich alle Beschäftigung finden können. Tausende von solchen sind aber jetzt hier emsig in Tätigkeit, als ob keiner von ihnen je etwas anderes getrieben habe. Die angerichtete Verwüstung war aber doch zu groß und allgemein, um in den wenigen Monaten schon beseitigt zu sein, und überall findet man deshalb noch in den Häusern Schutt, und außerhalb der eigentlichen Geschäftsstadt kann man auch wohl noch halbe Straßen umgewehter Holzbaracken finden – ein Bild trostloser Verwüstung, wie es eben der Sturm zurückgelassen.

In der Bai draußen bereitete sich übrigens ein kleiner Seeroman vor, der möglicherweise ernstere Folgen nach sich zieht. Es lag hier nämlich im Sturm ein amerikanisches Schiff, für Peru bestimmt, mit Kanonen und Munition an Bord, das arg beschädigt, seine gefährliche Ladung löschen mußte. Ein anderer Amerikaner, die »Sarah Newman«, hat jetzt dieselbe an Bord genommen und ist zum Auslaufen fertig, und zwei kleine spanische Kriegsdampfer liegen hier, fortwährend die Kessel geheizt, und warten auf den Moment, wo sie die Bai verläßt, während kein amerikanisches Kriegsschiff hier ist, um sie zu schützen. Ob sie sich das nun selber besorgen wird, weiß man nicht: das Material dazu haben sie jedenfalls an Bord, und ich glaube auch nicht, daß sich der Amerikaner den Spaniern so leicht ergeben wird. Interessant ist das Resultat jedenfalls, und hätte mein Ziel nach der Westküste, statt nach Venezuela, gelegen, so würde ich gewiß auf der »Sarah Newman« Passage genommen haben.

Ich darf aber St. Thomas nicht verlassen, ohne wenigstens ein paar Worte über die Neger der Insel zu sagen, die wie schon vorerwähnt, die eigentliche Bevölkerung derselben bilden, und zwar in so vorwiegendem Maße, daß man anfangs wirklich glaubt, es gebe überhaupt nur einzelne Weiße auf dem ganzen Platz.

Die Boote in der Bai sind natürlich, wie in allen warmen Himmelsstrichen, nur von Negern bemannt, aber selbst wenn man das feste Land betritt, sieht man nichts – gar nichts als farbiges Volk, in den schönsten Schattierungen von gelb zu schwarz, und hört auch nichts als den furchtbaren und stets laut geschrieenen Dialekt dieser wohl arg mißhandelten, aber auch sehr unangenehmen Rasse.

Sie selber tragen freilich nicht die Schuld, denn nicht freiwillig verließen sie ihr Vaterland; als Sklaven wurden sie fortgeschleppt, und daß sie mit der Zeit frei werden mußten, war eine natürliche Folge der Zivilisation. Mit ihrer Freiheit konnte man sie aber nicht mehr zur Arbeit zwingen, und daß der Neger wenig Bedürfnisse kennen lernte, verdankt er ebenfalls nur wieder seinem früheren weißen Herrn. Eine Sorge für die Zukunft, wie sie uns in der Freiheit Geborenen gleich von früher Jugend ans Herz gelegt wird, ist ihm ebenfalls fremd geblieben, und da er von dem Weltverkehr und Handel entschieden ferngehalten wurde, so kann man bei ihm auch keinen Sinn für Nationalökonomie erwarten. Was liegt ihm daran, ob das Land, in dem er sich befindet, Produkte ex- oder importiert, solange er eben selber hat, was er braucht, und daß jetzt auch hier auf St. Thomas aller Ackerbau liegen blieb, war nur eine natürliche Folge.

Früher bedeckten die Hänge reiche und weite Zuckerfelder – seit Aufhebung der Sklaverei liegen sie kahl und trocken in der Sonne, und ein klein wenig Gemüse abgerechnet, wird wohl in diesem Augenblick gar nichts weiter auf der ganzen Insel gezogen.

Die Neger selber scheinen sich aber vollkommen wohl zu befinden, und ich habe nie ein vergnügteres und in seinen Vergnügungen lauteres Volk gesehen. Das ist ein ewiges, ununterbrochenes Lachen unter ihnen, und ebenso oft hört man dazwischen Zanken und Schimpfreden ins Unglaubliche, so daß man denken sollte, ein offener Kampf müsse jeden Augenblick unter ihnen ausbrechen, aber es kommt nie dazu, denn wie nur einer von ihnen einmal einen recht außergewöhnlichen Fluch oder ein sonderbares Schimpfwort ausstößt, endet die ganze Sache jedesmal unter schallendem Gelächter der Umstehenden und Streitenden selber.

Die echten Negerhasser werfen der afrikanischen Menschenrasse oft das Affenähnliche in ihrer ganzen Natur vor, und zum Teil haben sie recht. Der Neger besitzt wirklich einen großen Trieb zur Nachahmung, und wo der bei dem Sklaven unterdrückt wurde, bricht er sich in der neugewonnenen Freiheit um so mehr Bahn.

Es gibt kaum etwas Komischeres, als einen etwas wohlhabenden Schwarzen zu sehen, der nicht allein in seiner Kleidung, nein, auch in seinem ganzen Wesen, in Bewegung wie Ausdruck – aber mit dem verwünschten Dialekt und wolligen schwarzen Kopf – einen Weißen zu affektieren sucht. So brachten in Jamaica ein paar solcher Herren einen ihrer Freunde an Bord des Dampfers, und es war wirklich rührend, zu sehen, mit welcher ausgezeichneten Höflichkeit und mit wie gewählten Worten sie den Herrn in – das Zwischendeck begleiteten, denn in der Kajüte wird die Rasse trotz aller Emanzipation und Freiheit noch immer nicht zugelassen, eine Maßregel, mit der ich selber vollkommen einverstanden bin. – Ich gönne dem Neger von Herzen seine Freiheit, aber ich mag – wie schon gesagt – keine Gemeinschaft mit ihm haben, und wenn das nicht christlich sein sollte, wäre es jedenfalls natürlich.

Übrigens verdienen die Neger damen einer ganz besonderen Erwähnung, denn sie zeichnen sich selber hier auf das auffälligste aus. St. Thomas hat freilich auch sehr viel wohlhabende, ja selbst reiche Schwarze, die eine Stellung in der Stadt einnehmen, und wie ein Geldprotz bei uns, der sich von einer unteren Stufe emporgeschwungen, auch am stolzesten auf sein Gewonnenes ist, so brüstet sich der freigewordene Neger, wenn es ihm seine Verhältnisse irgend erlauben, mit seinem eigenen Ich, und daß er in dem Fall auch seine Frau und Töchter nicht will irgend einer weißen Familie nachstehen lassen, kann man sich denken.

Diese Putzsucht – eigentlich der erste Schritt zur Zivilisation, da er größere Bedürfnisse mit sich bringt – bleibt aber nicht allein bei den Reicheren, sondern geht bis in die untersten Schichten der Bevölkerung hinab, und die schwarze Sennora schleppt ihr langes, teures Seidenkleid nicht ärger und länger durch den Staub und Straßenschmutz als das ärmste Negerweib, das mit einem Korbe voll Gemüse auf dem Kopf zum Markte kommt, ihren alten schmierigen und zerrissenen Kattunlappen – denn die Mode war jetzt hier in voller Blüte. Ich begreife dabei nur nicht, wie mitten zwischen solchen Karrikaturen wirklich weiße Ladies sie noch aufrecht erhalten konnten; das, wie die Mode selbst, bleibt ein Rätsel.

Übrigens hat der letzte Sturm den in St. Thomas herrschenden Luxus sehr begünstigt, und besonders der ärmeren Klasse die Mittel geboten, sich entschieden hervorzutun. Die Ladungen einiger Schiffe, wenn sie auch vom Seewasser beschädigt waren, wurden doch gerettet, und nachher natürlich zu Spottpreisen öffentlich versteigert. Die Neger aber hatten gleich nach den Unglücksfällen für sehr wenig Arbeit sehr hohe Löhne erhalten und deshalb Geld in Händen. Sie kauften jetzt in Masse die havarierten Ausschnittwaren, und seit der Zeit rauscht es in St. Thomas von endlosen Schleppen steif gestärkten Kattuns, und gentlemen of colour tragen Röcke und Hosen, auf denen sich noch deutlich die in den Ballen erhaltenen See- oder auch Bilchwasserspuren abzeichnen.

Der Neger ist von Natur mildtätig, denn er hat das Unglück aus eigener Erfahrung kennen gelernt, achtet dabei auch, wie sich nicht leugnen läßt – das Alter mehr, als es oft zivilisierte Nationen zu tun pflegen. Alte Neger treten aber auch deshalb mit einer unbeschreiblichen Würde auf und werden darin nur – aber gründlich – von alten Negerinnen übertroffen.

Woher es kommt, weiß ich nicht, aber fast alle alten Negerfrauen haben einen Grundbaß, von dem sie den vollständigsten und unumschränktesten Gebrauch machen. Sie lachen dabei selten oder nie – das überlassen sie dem jungen Volk, und wenn sie sprechen, geschieht es stets in diktatorischer und so entschiedener Weise, als ob jedes Wort ein Gesetz wäre.

Es gibt kaum etwas Würdevolleres, aber auch zugleich Komischeres, als so eine alte Negerlady zu sehen, wenn sie, sehr dekolletiert, mit gespreizten Knieen, die kurze, qualmende Pfeife in der rechten Hand, die linke auf ihr Knie gestützt, vor ihrer eigenen Tür sitzt und ihre Meinung über irgend einen beliebigen Gegenstand ausspricht oder vielmehr einen Bescheid erteilt, denn Widerspruch wäre doch nicht denkbar. Die jüngeren Leute behandeln sie dabei stets mit Ehrfurcht, und nur gefährlich wird die Sache, wenn eine andere ähnliche Dame – vielleicht die Nachbarin – anderer Meinung sein sollte. Die Folgen sind in einem solchen Fall nicht abzusehen. Zu Tätlichkeiten kommt es freilich nie zwischen ihnen, und der Schluß eines solchen Wortkampfes ist fast stets der, daß die Überwundene aufsteht, mit einer verächtlichen Bewegung in ihr Haus geht und dort drinnen nur um so viel lauter weiter räsonniert.

Alte Neger mit weißen Haaren tragen fast stets hohe, schwarze Seidenhüte und einen schwarzen Rock mit weißen Hosen. Im ganzen sind die Neger überhaupt nicht unreinlich – die untersten, verworfensten Klassen ausgenommen, die sich dann aber auch vollkommen gehen lassen, so daß man da oft, besonders unter den Frauen, wahren Abscheu erregenden Gestalten begegnet. Stehen die Negerinnen aber, besonders bei irgend einer Herrschaft, im Dienst, so halten sie sich, fast ohne Ausnahme – immer höchst reinlich und gehen dann auch nie auffallend gekleidet – den Lappen ausgenommen, den sie, ebenso wie ihre Herrinnen, hinter sich herschleifen.

Im Hotel du Commerce hatten wir übrigens auch – als Gegensatz zu dem liederlichen und schmutzigen Negervolk, das sich besonders gegenüber vor einem ordinären Branntweinladen herumtrieb und die Luft oft mit seinen laut geschrieenen Zoten erfüllte, die vollste Aristokratie der afrikanischen Rasse in ihrer letzten Abstufung, oder vielmehr in ihrem Übergang zu dem Geschlecht der Weißen, und zwar zu der besseren Gesellschaft, denn ich möchte die wirklich gut erzogene Quadrone doch nicht unter den gemeinen Irländer oder eine andere ähnliche Nationalität anreihen.

Es waren dies Frau und Töchter eines haïtischen Ministers, die hier nur auf Schiffsgelegenheit warteten um nach Haïti zurückzukehren, da die englischen, sonst die Verbindung unterhaltenden Dampfer gegenwärtig der gefürchteten Quarantäne wegen keine Passagiere von St. Thomas mitnahmen.

Die Mutter der beiden jungen Damen konnte die Quadrone nicht verleugnen, ja, sie war kaum weiß genug dafür; die beiden Töchter aber, besonders die jüngste, würde niemand, der nicht die genauen Merkmale der Blutmischung kannte, für andere als weiße Damen gehalten haben. Es waren zwei junge, liebenswürdige Wesen und – wenn ich nicht irre, in Paris erzogen und ausgebildet, dabei bescheiden und anspruchslos in ihrem ganzen Betragen. Die schwarzen Aufwärter flogen aber auch, wenn sie ihnen nur einen Wunsch an den Augen absehen konnten. – Sie beabsichtigen jetzt mit einem deutschen Schiff nach ihrer Heimat überzusetzen.

Ich selber wartete auf eine französische Barke, die uns nach La Guayra bringen sollte, und wenn ich mich auch nicht vor der Cholera fürchtete, so ist doch stets der Aufenthalt in einer Stadt, in der nun einmal eine ansteckende Krankheit herrscht, nicht gerade angenehm. Ich sehnte mich wenigstens danach, wieder einmal die frische, reine Seebrise einzuatmen.

Eine Wohltat könnte man übrigens dem Platz erweisen, denn eine Hauptursache von Krankheiten ist doch nur in zu vielen Fällen Unreinlichkeit und das Verfaulen weggeworfener Überreste oder toter Tiere. In St. Thomas gibt es aber keine Zapoletes oder Aasgeier, und doch wie leicht wäre es, diese nützlichen, ja an manchen Stellen notwendigen Tiere von Vera-Cruz sowohl, wo es deren in Unmasse gibt, wie von Venezuela aus hinüberzubringen. Zu fangen sind sie dort unendlich leicht; an jedem Marktplatze könnte man Hunderte bekommen, und wie wenig Transportkosten würden sie zahlen. Aber es bekümmert sich eben kein Mensch darum, und doch bin ich überzeugt, daß sie den Preis ihrer Anschaffung jährlich an Beerdigungskosten abtragen würden – die Menschenleben dabei gar nicht gerechnet.


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