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Mexiko ist ein großes, gewaltiges Reich, und von der Natur begünstigt, wie kaum ein anderes des ganzen amerikanischen Kontinents. Was aber haben die Mexikaner bis jetzt dabei getan? Die Antwort, die jeder Fremde im ganzen Land bestätigen wird, ist: gar nichts – ja nicht einmal den tausendsten Teil von dem benutzt, was ihnen die Naur im reichsten Maße, und offen zutage liegend, geboten.
Kaiser Maximilian hätte etwas aus dem Lande machen können. Er besaß dazu die nötigen geistigen Mittel und den guten Willen; aber wenn er auch nicht auf so traurige und gewaltsame Weise zu früh geendet, so fürchte ich doch, daß er, dem lässigen mexikanischen Charakter gegenüber, zuletzt die Geduld verloren und die Sache in Verzweiflung aufgegeben hätte.
Schon Acapulco liefert dazu den Beweis. Silber, Gold und Quecksilber, mit manchem anderen wertvollen Metall vielleicht, füllen seine Berge, die Vegetation ungeheurer Strecken besteht aus den herrlichsten Farbehölzern, und seine verschiedenen Klimate in der Nachbarschaft des Hafens könnten die Produkte aller Naturreiche erzeugen – und was exportiert Acapulco? Nichts auf der Gotteswelt fast als ein wenig Silber, und vielleicht etwas Kakao, wie Häute. Ein deutsches Schiff, das damals gerade im Hafen lag, mußte in Ballast nach den Chinchas-Inseln gehen, um dort Guano einzunehmen, und der von San Francisco oder Panama einlaufende Dampfer ist immer in wenigen Stunden abgefertigt – er braucht nicht viel Zeit, um die in diesem Hafen für ihn lagernde Fracht einzunehmen.
Die Lage des Hafens ist entzückend schön. Das läßt sich nicht leugnen. Allerdings bietet er keine freie Aussicht auf das Meer, denn er ist rings von Hügeln eingeschlossen, aber kein heftiger Windstoß kann auch dafür die im Innern liegenden Schiffe erreichen, und ein guter Ankergrund bietet ihnen daneben jede Sicherheit. Diese Hügel aber, die heftige Stürme fernhalten, schließen jedoch auch zu gleicher Zeit jede Brise ab, und die dadurch herrschende Glut ist entsetzlich.
Man hat in Acapulco eine Sage, daß ein Mann starb und seiner Sünden wegen in die Hölle geschickt wurde, aber schon in nächster Nacht wieder zurückkehrte, um sich – ein paar wollene Decken zu holen; denn, an Acapulco gewöhnt, war es ihm dort unten zu kalt.
Ich hatte bis dahin geglaubt, daß es mir an keinem Punkt der Erde zu heiß werden könnte – hier in Acapulco mußte ich eingestehen, daß ich den Platz gefunden. Ich war nicht imstande, auch nur einen Buchstaben zu schreiben, und suchte nur die ganzen drei Tage, die ich mich dort gezwungen aufhielt, nach einer kühlen oder wenigstens halbkühlen Stelle, um nicht ganz zu zerschmelzen. Wie es die Bewohner dort aushalten, weiß ich wahrhaftig nicht, und doch lebten gerade hier eine Anzahl von Deutschen, die aber freilich ebenso über die Hitze klagen.
Die alten Spanier, die den Platz in früheren Zeiten innehatten, müssen das ebenso gefühlt haben, denn sie fingen an, den einen nach der See zu liegenden Hügelrücken in der sogenannten Quebrada zu durchstechen, um von dort nachher die Brise in die Stadt hereinzulassen: aber der Freiheitskrieg störte sie in ihrer Arbeit und trieb sie aus dem Lande, und die fetzigen Herren des Reiches würden gewiß sehr zufrieden sein, wenn der keinenfalls schwierige Durchstich beendet worden wäre, ihn aber selber zu beenden, fällt ihnen gar nicht ein. Überhaupt findet man Ähnliches in allen früher von den Spaniern in Besitz gehaltenen Ländern Amerikas. Viele Arbeiten haben diese unternommen, die wohltätig für das ganze Land wurden, wie zum Beispiel die zahlreichen Wasserleitungen, und wie fleißig betrieben sie in allen Teilen den Bergbau, wie viele tüchtige Straßen haben sie angelegt! Mit ihrer Herrschaft im Lande endeten aber auch ihre Werke, und die faule Nachkommenschaft gab sich nicht einmal die Mühe, selbst nur das instand zu halten, was jene frei geschaffen, viel weniger denn begonnene Bauten auszuführen.
Welch wichtiger und bedeutender Platz könnte Acapulco werden, wenn es Wege in das Innere und dann fremde Kräfte hätte, um die Schätze des Landes auszubeuten! So aber liegt alles tot; das Volk vegetiert eben und arbeitet gerade soviel, als es zum Leben notdürftig braucht, weiter aber wahrhaftig auch nicht das geringste, und der Hafen von Acapulco wird auch deshalb noch für lange, lange Jahre, und bis nicht ein anderes Volk, und zwar ein tatkräftigeres, Besitz davon ergreift, nichts anderes bleiben, als ein totes, ödes Nest, was er jetzt ist.
Was die Stadt selber betrifft, so läßt sich wenig oder gar nichts darüber sagen. Eine Industrie existiert gar nicht, die Fabrikation von Hängematten, aus den Fasern eine Aloeart geflochten, vielleicht ausgenommen, und diese werden hier zu dem unglaublich billigen Preise von 2 bis 2½ Real das Stück, also etwa 8 bis 10 Groschen, verkauft. Was man sonst in der Stadt sieht, außer den Zarapen, die im Innern verfertigt werden, und einigen ordinären Hut- und Korbarten, ist alles ausländisches Fabrikat, und jede Stecknadel muß von Europa oder Nordamerika importiert werden. Der Handel ist dabei ausschließlich in den Händen von Deutschen und Spaniern, wenigstens alle größeren Geschäfte sind es, und die Mexikaner selber haben nur kleine Krämerläden. Auch ein deutscher Arzt befindet sich hier, der von der österreichischen Expedition zurückgeblieben, ja sogar ein zweiter, der zugleich eine Apotheke hat. Außerdem gibt es mehrere große und kleine deutsche Geschäfte – aber nur eine deutsche Frau existiert in Acapulco, die Frau des Dr. Link und eine Tochter des Kapitän Sutter aus Kalifornien.
Das Hotel von Acapulco, denn ein paar andere miserable Buden kann man gar nicht mit dem Namen bezeichnen, ist das Louisiana-Hotel, das eine alte, rüstige und wohlbeleibte Französin unterhält. Es hat allerdings nur ein Logierzimmer, in das hineingestopft wird, was sich eben hineinstopfen läßt, aber eine recht gute und auch nicht teure Küche, und die alte robuste Dame sitzt den ganzen Tag vorn in ihrem Billardzimmer, raucht dicke Zigarren und spuckt links und rechts um sich her.
Von den Deutschen dort wurde ich allerdings auf das freundlichste begrüßt, aber man kann es mir trotzdem nicht verdenken, daß ich mich von dem Platz wieder wegsehnte, und ich glaubte, ich müßte verzweifeln, als der von San Francisco erwartete Dampfer einen Tag über seine Zeit ausblieb. Die Hitze war zu drückend schwül – kein Lüftchen wehte den ganzen Tag, und der Körper blieb in einer ununterbrochenen, durch nichts gestörten Transpiration.
Meine Barbierstube war ich indessen schon am nächsten Morgen losgeworden, denn der nach San Francisco bestimmte Dampfer traf bald nach uns in Acapulco ein und nahm sie mit fort. Gleich hinterher lief aber auch ein Brief von Mexiko ein, der die Anwesenheit des Don Pedro in jener Stadt auf das sehnlichste wünschte, seine Sehnsucht aber nicht mehr gestillt bekommen konnte, denn der Friseur war abgedampft, und der Ozean gab seine Passagiere nicht zurück.
Die Stadt Acapulco ist, wie alle diese spanischen Städte, mit niederen Häusern und so regelmäßig, als es das Terrain eben zuließ, gebaut. Eine Treppe gibt es, glaube ich, in ganz Acapulco nicht, und draußen vor der Stadt fand ich sogar eine Menge von Familien, die sich ganz gemütlich und häuslich eben nur im Schatten eines Mangobaumes niedergelassen hatten und dort kochten und schliefen. Was brauchten sie auch mehr! In dieser Jahreszeit regnete es doch nicht, und luftig genug wohnten sie, wie sich nicht leugnen läßt, gewiß an solchem Orte, den sie freilich mit Hunden und Schweinen wie einer gelegentlichen Kuh zu teilen hatten.
Am dritten Tage abends traf endlich der schon am vorigen fällige Dampfer, die »Golden City«, von San Francisco ein, und ich freute mich wirklich darauf, an Bord zu gehen, wenn mir auch die Zeit in Acapulco verhältnismäßig rasch entschwunden war. Dazu trugen freilich nur die Deutschen bei, und besonders auch Kapitän Mertens von der Bremer Bark »Victoria«, an deren Bord wir draußen im Hafen in etwas frischerer Luft manche vergnügte Stunde verlebten. Viel lieber wäre ich auch mit dem deutschen Schiff als dem amerikanischen Dampfer in See gegangen, aber ich hatte ein anderes Ziel, mein Weg lag noch weit gestreckt vor mir, und um zehn Uhr abends glitten wir aus der engen, dumpfigen Bai in die freie, offene, luftige See hinaus, hinaus wieder einmal in das Stille Meer, das ich, als ich es zum letztenmal verließ, keine Ahnung hatte, je wiederzusehen. Wer kann sagen, wohin ihn sein Schicksal treibt?
*
Mexiko liegt nun hinter mir, aber einen Blick muß ich noch zurückwerfen auf die herrlichen Berge, auf das schöne Land, dem Gott alles gegeben, was Menschen glücklich und zufrieden machen könnte, und das doch nur fast ununterbrochen zu einem wilden, blutigen Kampfplatz und Schlachtfeld verwandt wurde, auf dem Bruder gegen Bruder mit den Waffen in der Faust gerüstet steht.
Wieder einmal hat das Land eine Monarchie gebrochen und ist zur sogenannten Freiheit zurückgekehrt: aber wie oft wird gerade das Wort mißbraucht.
Die Mexikaner haben das Kaiserreich abgeschüttelt und damit allerdings jenen Brief des unglücklichen Kaisers, vom 3. November 1864 datiert, desavouiert, worin er an den Staatsminister Velasquez schreibt:
»Mein lieber Staatsminister Velasquez de Leon! Zurückgekehrt von meiner beschwerlichen Reise aus den Provinzen des Innern, während welcher ich von jeder Stadt, jedem Flecken und jedem Dorfe die unzweifelhaftesten Beweise der Sympathie und des herzlichsten Enthusiasmus empfangen, haben sich mir zwei unerschütterliche Wahrheiten aufgedrängt. Die erste: daß das Kaiserreich eine Tatsache geworden ist, basiert auf den freien Willen der unermeßlichen Mehrheit der Nation usw.; die zweite: daß dieselbe unermeßliche Mehrheit Frieden, Ruhe und Rechtssicherheit wünscht, Güter, welche sie von meiner Regierung sehnlichst hofft und erwartet usw.«
Ob sie damit glücklicher geworden sind, muß die Zeit lehren. Keinenfalls kann man ihnen das Recht absprechen, ihr eigenes Land auch selber zu regieren und eine fremde Intervention zurückzuweisen.
Trotzdem ist der ganze Zustand im Innern des Landes im gegenwärtigen Augenblick ein höchst trauriger. Die Sicherheit der Straßen ist zu keiner Zeit so maßlos gefährdet gewesen, wie gerade jetzt. Das sogenannte Plagiarsystem, nach italienischem Muster, wo Geiseln aufgegriffen werden, um von ihren Angehörigen Lösegeld zu erpressen, nimmt fast mit jedem Tage überhand und geht sogar so weit, daß angesehene Leute in den Straßen von Puebla und Mexiko abgefaßt und entführt werden.
Alle öffentlichen Arbeiten liegen dabei danieder, die Regierung hat kein Geld und, was schlimmer ist, keinen Kredit; der Handel beschränkt sich nur auf das notwendigste und wird sogar durch unsinnige Steuern noch erschwert; aber diese sind unvermeidlich, da es an vielen Orten die einzige Art und Weise ist, um bar Geld für die Regierung zu erschwingen. Jeder Staat im Reiche hat dazu diese Steuern, und werden Waren nach irgend einem Platz im Innern konsigniert, so müssen sie, wenn man sie von dort wieder nach anderer Stelle bringt, aufs neue versteuert werden. Ebenso ist es mit dem Gelde, das enorme Transportzinsen zahlt, die sich, wenn es einen größeren Weg zurücklegt, bis auf ein Drittel des Kapitals belaufen können. Dadurch wird natürlich der eigentliche Handel und Verkehr im Lande fast absichtlich erschwert und in mancher Hinsicht sogar unmöglich gemacht; überhaupt sieht es fast so aus, als ob die Regierung nicht allein selber nichts tun, sondern auch noch andere an jeder Tätigkeit verhindern wollte. Daß sie unter solchen Umständen einer Einwanderung von Fremden keinen Vorschub leistet, ja am liebsten gar keine fremden Ansiedler und Kaufleute im Land hätte, ist natürlich, und was würde aus Mexiko, wenn es keinen Import hätte? Aber das wollen die guten Menschen eben nicht einsehen, und ich möchte deshalb auch keinem Deutschen raten, unter den jetzigen Verhältnissen wenigstens, nach Mexiko auszuwandern. Sicherheit für sein Eigentum kann ihm nicht geboten werden, und wenn auch Mexiko ein reiches, fruchtbares Land ist, gibt es doch auf der Welt noch viele ähnliche Strecken, die dem Auswanderer bei freier Bewegung und unter dem Schutz der Gesetze alle Vorteile bieten, die ihm hier geboten werden können; und doch, was könnte aus dem Land werden, wenn es von nordischen Händen in Angriff genommen würde!
Das freilich darf man keinem Mexikaner sagen, von denen ja viele behaupten, daß gerade von Mexiko aus die Zivilisation über den ganzen Erdboden weggeschritten sei – und weshalb nicht? Behaupten doch die Chinesen, daß die Kompaßnadel nach Süden und nicht nach Norden zeige, und die Holländer, daß ihre Nation die Buchdruckerkunst erfunden habe, während Gutenberg nur die deutschen Lettern erfunden hätte.
Zu gleicher Zeit lief schon damals das Gerücht um und hat sich seitdem nur bestätigt, daß auf der Halbinsel Yukatan eine bewaffnete Schar gelandet sei, welche die Regierung dort gestürzt und die Kaiserin Charlotte proklamiert habe. Und das nicht allein – überall sind jetzt, und zwar an acht verschiedenen Stellen, Revolutionen ausgebrochen, und da und dort hat sich gezeigt, daß Juarez – vielleicht noch weniger als Maximilian die Sympathieen des ganzen Volkes besitze.
Es war grausam und entsetzlich, daß man den Kaiser, der nur in dem festen Glauben nach Mexiko gekommen war, daß ihn die große Mehrzahl zu ihrem Fürsten wünsche, tötete – aber unpolitisch von dem Standpunkt der jetzigen Partei war es nicht, denn Juarez, oder vielmehr sein Meister Lerdo, hat wohl gewußt und wissen müssen, wie bei einem großen Teil der Bevölkerung wirkliche Sympathieen herrschten, die dann bei der nächsten, in Mexiko gar nicht ausbleibenden Revolution in der Tat gefährlich werden konnten.
Jetzt, wenn Porfirio Diaz nicht an die Spitze derselben tritt – und das kann geschehen, denn er ist kürzlich aus dem Staatsdienst entlassen, – hat die Revolution kein bestimmtes Haupt, das Juarez groß zu fürchten brauchte. Im anderen Falle wäre ihm der Name des Kaisers immer wieder entgegengetreten, wenn Maximilian selber auch wohl kaum hätte vermögen können, je nach Mexiko zurückzukehren.
Was Santa Anna gegen das Land unternehmen will, braucht die Regierung nicht zu fürchten. Santa Anna hat jeden Boden dort verloren, und er mag wohl ein paar tausend Flibustier an die Küste werfen und damit morden und plündern, aber Präsident wird er nie wieder, und wagt er sich selber noch einmal auf mexikanischen Boden, so ist die allgemeine Stimme, daß er wohl kaum wieder so gut wegkommen möchte als das letztemal.
Allerdings ist die Priesterpartei noch immer eine sehr gefährliche, weil sie eben im stillen bohrt und treibt und in dem Sturz der jetzigen Regierung die einzige Hoffnung sieht, wieder zur Macht zu kommen. Aber auch diese Hoffnung ist eine verlorene, denn keine Regierung der Welt könnte das Edikt, welches die Kirchengüter konfiszierte, zu einer Zeit aufheben, wo schon der größte Teil derselben fast ausschließlich in die Hände von Fremden übergegangen ist, die sich vor der gedrohten Exkommunikation beim Ankauf nicht besonders fürchteten.
Mexiko selber ist ein wunderbar schönes Land, und die Indianer haben gewiß Grund zu ihrer Sage, in welcher sie behaupten, ihr Gott habe, nachdem er die Welt vollendet, sich ein Fenster im Himmel angelegt, von dem aus er stets auf Mexiko hinabschauen könne, das ihm vor allen anderen Ländern so sehr gefallen. Aber was helfen dem Volk die Reichtümer und Schönheiten der Natur, wenn es fortwährend seinen eigenen Boden mit Blut düngt und nicht allein eine Einwanderung hindert, für sie Schätze auszubeuten, nein, selbst das eigene Volk davon abhält, das zu genießen, was ihm Gott gegeben?
Ich selber halte Juarez wenigstens für einen ehrlichen Mann. Er ist ein Indianer und steht deshalb weit über der verdorbenen spanischen Rasse, und daß er es gut mit seinem Lande meint, hat er schon gezeigt, als er es dem fast unerträglich gewordenen Druck der Geistlichkeit entzog. Aber Juarez ist immer nur ein Werkzeug in den Händen des viel klügeren Lerdo, der wohl einsieht, daß die an Zahl so gering gewordene weiße Rasse in Mexiko nie auf die Sympathieen der Mehrzahl rechnen darf. Er brauchte deshalb einen Indianer zu seinem Präsidenten und wird ihn benutzen, solange er sich eben brauchbar zeigt. Auf Ruhe darf aber das Land nie unter dieser Regierung hoffen, denn es fehlt ihr auch das Vertrauen, und das kann sie sich nie wieder gewinnen.
Hätte man bei der Präsidentenwahl Porfirio Diaz genommen oder ihn wenigstens nur zum Vizepräsidenten gemacht, so war es möglich, einen geordneten Zustand wieder einzuführen und selbst mit fremden Regierungen wieder Beziehungen anzubahnen. Porfirio Diaz ist allgemein als Ehrenmann bekannt. Er hat sich sowohl in als nach dem letzten Krieg als solcher gezeigt, und das vergossene Blut klebt nicht an seinen Händen. Mit Juarez' Regierung ist dagegen keine Versöhnung möglich. Brach sie doch auch selbst durch den Hohn, mit dem fremde Gesandte von ihr behandelt wurden, jede Brücke hinter sich ab. Ja, die Mexikaner sind im gegenwärtigen Augenblick übermütiger geworden, als sie je gewesen, denn die eigentümlich geschützte Lage ihres Landes konnte ihnen kein Geheimnis bleiben.
Schon das ungeheure, von Sümpfen und Bergen durchzogene Terrain gewährt ihnen einen nicht gering anzuschlagenden Schutz gegen fremde Einfälle, mit den gewaltigen Entfernungen von einem Platz zum anderen, aber das alles tritt gegen das von Nordamerika gegen jeden Angriff ausgesprochene Veto in den Hintergrund. Sie trauen Amerika allerdings selber nicht; sie wissen, daß es von jeher ein Auge auf das Nachbarland gehabt und über kurz oder lang einmal ihr gefährlichster Feind werden könne, aber für den Augenblick ist es ihr mächtiger Beschützer, und der leichtherzige Charakter dieses südlichen Volkes läßt es sich gern über alle Sorgen für die Zukunft hinwegsetzen. Ja, die Mehrzahl denkt sogar nicht einmal an eine solche Möglichkeit, sondern sieht allein in der Tapferkeit der mexikanischen Soldaten nicht bloß die jetzige »Rettung des Vaterlandes«, sondern auch seinen vollkommenen Schutz für die Zukunft.
»Wir sind die tapferste Nation«, habe ich oft genug die Mexikaner prahlen hören, »denn wir haben die Franzosen besiegt, die bis jetzt alle anderen Nationen unterjochten.« Dieses stolze Bewußtsein macht sie aber vollkommen glücklich und zufrieden, und sie ähneln darin einem Schwindsüchtigen, bei dem jeder andere Mensch weiß, daß er seinem Tode entgegengeht, nur er selber nicht. Es würde, wenn es nicht unmöglich wäre, selbst grausam sein, sie in ihrem Vertrauen auf sich selbst wankend zu machen.
Auf dem Weihnachtsmarkt in Mexiko, ziemlich ordinär gemacht, aber mit bunten Farben ausgemalt, war eine Gruppe dargestellt, welche die Stimmung der großen Mehrheit des Volkes recht gut bezeichnen könnte. Die Gruppe bestand aus zwei Figuren: Ein Franzose, die Fahne der »großen Nation« in der einen und das blanke Schwert in der anderen Hand, liegt am Boden. Hinter ihm, den Fuß auf seinen Körper gesetzt, steht die Jungfrau von Mexiko, in der rechten Hand die grün-weiß-rote Fahne (die Streifen aufrecht stehend, wie bei den französischen Fahnen) und in der linken – nicht etwa eine Waffe, sondern nur einen Fächer haltend. Nur der Luftzug dieses Spielzeuges diente, in ihrer Hand, dazu, um den mächtigen Feind niederzuschmettern. Es erinnert das freilich etwas stark an Gellerts Fabel mit dem Heupferd, aber nichtsdestoweniger steht die Tatsache fest, daß Mexiko, in diesem Augenblick wenigstens, in der Tat unangreifbar für fremde Mächte geworden ist, denn Frankreich wird sich hüten, sich zum zweitenmal die Finger zu verbrennen, und andere Reiche haben sich wahrscheinlich ein zu gutes Beispiel an dem Vorhergegangenen genommen, um je einen ähnlichen Versuch zu machen. Mexiko bleibt deshalb vorderhand sich selber überlassen und ihm Zeit und Ruhe von außen genug, das Glück seines schönen Landes zu sichern und seine Zustände zu verbessern, seine Schätze auszubeuten; aber gegen den faulen Wurm, der im Innern frißt, hilft eben kein äußerer Schutz, und ich fürchte sehr, es wird erst dann zu wirklicher Besinnung seiner selbst und nachher auch zu Frieden und Wohlstand kommen, wenn es der schon fast zu mächtig gewordene Nachbar auch noch eingesteckt, und das jetzige System, das die wahre Karrikatur einer Republik ist, von den roten Stühlen im Abgeordnetenhaus heruntergefegt hat.
Und was für ein Geist herrscht unter dem mexikanischen Heer? – Ich selber bin allerdings mit den Herren nicht zusammengekommen, was aber in Mexiko von ihnen erzählt wird, klingt nicht besonders tröstlich. Einigemal soll schon die Eskorte selber die Diligence, der sie zum Schutz beigegeben war, geplündert haben, und über den Offizierstand wurde nicht besser gesprochen.
Damals ging das Gerücht um, daß sich in Vera-Cruz zwei mexikanische Offiziere hätten degradieren lassen, um nicht nach Yucatan in den Krieg zu ziehen. In der nämlichen Zeit steht ein Raubanfall in der Zeitung, nach dem Kapitän Silvester Ochoa mit einem jungen Engländer mehrere Tage gemeinschaftlich reiste und sich dann erbot, dem jungen Manne, namens Russel, den etwas schweren Revolver zu tragen. Kaum hatte er ihn, so schoß er seinen Reisegefährten nieder, plünderte ihn und wurde dann flüchtig. Dieser Offizier wird jetzt steckbrieflich verfolgt.
Ein kleiner amerikanischer Junge gab eine ganz vortreffliche Antwort, als er in der Hauptstadt Mexiko gefragt wurde, wie es ihm hier gefiel. Sie charakterisiert zugleich den Zustand des ganzen Landes.
»O, recht gut,« sagte der kleine Bursch, aber mit einem so zögernden Ton, daß es eher wie eine Verneinung klang, und der Fragende, das bemerkend, setzte hinzu – »Nun? was hast du denn eigentlich dagegen?«
»O, es ist hier wohl ganz hübsch,« meinte jetzt der Kleine, »aber – es sind zu viel Mexikaner hier.«
Es sind in der Tat zu viel Mexikaner in Mexiko, und bis sie nicht gelichtet werden, bleibt es ein Chaos von Revolutionen, in denen man nie Frieden und Wohlstand erwarten darf.
Einen ziemlich harten Stand haben jetzt in Mexiko die angesiedelten Fremden, denn sie sind der Willkür mexikanischer Beamten vollkommen preisgegeben, und keine Stelle in der Welt, bei der sie gegen Ungerechtigkeiten protestieren können; denn wenn auch fast sämtliche Nationalitäten gegenwärtig unter den Schutz des amerikanischen Konsulats gestellt sind, so würde es der Union doch nie einfallen, eher als es ihr selber paßt, einen Krieg mit Mexiko anzufangen, weil vielleicht ein Franzose oder Deutscher von irgend einem Beamten schlecht und unrecht behandelt wurde. Alle Fremden sind deshalb gegenwärtig, wie gerade die Sachen stehen, auf Gnade und Ungnade den Mexikanern preisgegeben, und es ist dabei gar nicht abzusehen, wann in diesem Zustand eine Änderung eintreten kann.
Übrigens muß man es den Mexikanern doch zum Ruhme nachsagen, daß unter solchen Umständen die Lage der Fremden im Lande, einzelne kleinere Fälle ausgenommen, noch eine ziemlich leidliche, wenn auch nicht mehr begünstigte ist. Fremde, die dort keinen festen Wohnsitz haben und deshalb mit den Behörden in keine Berührung kommen, dürfen sich wahrlich nicht beklagen, auch nur auf irgend eine Art belästigt zu werden; man verlangt ihnen nicht einmal einen Paß ab, und sie dürfen sich ungehindert, auf welcher Landstraße sie wollen, von den Räuberbanden plündern lassen.
Der gebildete Mexikaner ist dabei ein ganz liebenswürdiger Mensch, und ich bin unterwegs mit vielen zusammengekommen, die ich wirklich liebgewonnen habe. Sie zeigten sich immer freundlich und gefällig und halfen bereitwillig mit der Sprache aus, wenn ich einmal für dies oder jenes kein Wort finden konnte.
Dabei war ich erstaunt, noch so viele Sympathieen für das Kaiserreich unter ihnen zu finden. Die meisten von ihnen sehen wohl ein, daß es der verstorbene Kaiser wirklich gut mit dem Lande gemeint hat, wenn sie auch nur selten, und dann immer höchst vorsichtig, eine Äußerung über die jetzige Regierung wagen.
In einer Hinsicht stimmen sie aber auch leider mit fast allen Deutschen überein, die ich darüber sprach, daß nämlich der Kaiser Maximilian einen wahren Schwarm von nichtsnutzigen Abenteurern um sich versammelt gehabt habe und von allen Seiten verraten und verkauft gewesen sei.
Armer Kaiser! Er war von den besten, wenn auch oft etwas phantastischen Ansichten beseelt, aber er konnte sein Ziel nicht erreichen, denn die wenigen, die es wirklich gut mit ihm meinten, sahen sich nicht imstande, irgend welchen Einfluß auf ihn auszuüben, und die anderen, die sich um ihn drängten, hatten nur allein ihr eigenes Interesse im Auge und kümmerten sich den Henker um das Land oder Kaiserreich.
Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was man sich in Mexiko unter den Deutschen selbst von sehr vielen österreichischen Offizieren des Kaiserreichs erzählt, so sind das ganz andere Persönlichkeiten gewesen, als ich sie habe unter dem Korps in Österreich selber kennen lernen. Abenteurer waren aber auch wohl die meisten, die unter einem mexikanischen Kaiserreich nur die alten Goldgruben Montezumas zu erblicken glaubten, und als sie sich darin getäuscht sahen, es gerade so machten, wie die Spanier in alten Zeiten. Zwischen jetzt und damals ist nur der Unterschied, daß man in gegenwärtiger Zeit Bücher führt und kleine Vergeßlichkeiten schwarz auf weiß behält, was früher nur durch mündliche, also höchst ungewisse Traditionen auf andere Geschlechter überging.
Verraten und verkauft war der arme Kaiser so von allen Seiten, und es ging so weit, daß man ihm in Cuernavaca nicht einmal mehr sein Essen bringen wollte, weil das Küchengesindel das Geld für alles nicht allein schuldig geblieben war, sondern auch die in Masse eingekauften Gegenstände, z. B. Butter und Eier, wieder nach anderer Seite hin verkaufte. Der Kellermeister des Kaisers hatte in Mexiko selber einen Weinverkauf, und die besten und edelsten Weine waren dort zu haben! Und seine Generale? Lopez, Marguez haben ihn verkauft, selbst Miramon, der tüchtigste von allen, hatte seine Dienste schon Juarez angeboten, und Maximilian wußte es und traute ihm selbst dann nicht mehr, als er es wirklich für die Zeit treu mit ihm meinte, während Miramons Frau, voll Stolz und Ehrgeiz, selber danach drängte, die Nachfolgerin des gestürzten Kaiserpaares und selber Kaiserin von Mexiko zu werden.
Unglücklicherweise war Maximilian schwankenden, unsicheren Charakters, und Leute, die ihn genau gekannt haben, versichern, daß immer der bei ihm recht gehabt, dem es gelang, das letzte Wort zu bekommen. Er war deshalb leicht von einem schon gefaßten Entschluß abzubringen, was denn auch Pater Fischer wohl zu benutzen und auszubeuten verstand. Selbst dieser, dem Kaiser am nächsten stehende Priester hat nur gesucht, ihn für seine eigenen Zwecke zu benutzen, und wenn nur der zehnte Teil von dem wahr ist, was man sich in Mexiko über diesen würdigen Pater erzählt, so verdiente er, daß er – der Leib-Pater des Kaisers der Franzosen würde.
Als er Mexiko damals – gerade während meiner Anwesenheit verließ, denn ich selber habe ihn noch in den Hauptstraßen der Stadt gesehen, glaubte man auch dort allgemein, er würde hinauf nach den Vereinigten Staaten gehen, denn man hielt es nicht für möglich, daß er die Frechheit haben könne, nach Österreich zurückzukehren; aber was wagt ein Pfaffe nicht!
Übrigens veröffentlicht das »Diario Oficial« in Mexiko jetzt die geheimen Archive des Kaisers, die zuletzt in den Händen des Paters Fischer waren, unter dem Titel »Documentos oficiales de los traidores, para servir a la Historia de la intervencion« (offizielle Dokumente der Verräter zur Geschichte der Intervention), und wen ich in der Hauptstadt darüber sprach, behauptete auf das bestimmteste, daß jener Pater gerade diese Papiere an die Regierung des Juarez für 3000 Dollars verkauft habe. Ich kann für die Wahrheit nicht bürgen, aber ich habe auch nicht einen gefunden, der es nur bezweifelt hätte, wohl aber erklärte ein dortiger, sehr angesehener Mexikaner auf das bestimmteste, daß er beim Finanzminister eine Order an die Kasse gesehen habe, dem Pater Fischer diese Summe auszuzahlen. Und was hatte Juarez' Finanzminister mit Pater Fischer zu tun?
Einen höchst interessanten Bericht über die Vertreter der fremden Mächte während Maximilians Regierung, besonders über die Gesandten von Österreich, Preußen, Italien, England und Frankreich, brachte außerdem der »Mexican Standard«, ein englisches Blatt, das leider, wie man in Mexiko behauptet, sehr viel Wahres enthalten soll, trotzdem daß er nichts weniger als schmeichelhaft für die Herren klingt. Nur Herr von Magnus soll in der letzten Zeit wacker und entschieden für den unglücklichen Monarchen eingetreten sein – aber es war zu spät. Lerdo hatte seinen Tod beschlossen und Juarez keinen Willen. Juarez selber würde ihn nie verurteilt haben.
Das Dekret vom 3. Oktober, das alle mit den Waffen in der Hand ergriffenen Mexikaner zum Tode verurteilte, war es aber, was ihn – nicht etwa verdammte, sondern den Feinden den gewünschten Grund zu seinem Tode gab; und doch ist dieses grausame Dekret nie in seinem Herzen entstanden, sondern ihm nur durch Bazaine, dem der Fluch des ganzen Landes folgt, aufgezwungen worden.
Und trotzdem wagte jener Graf Kératry in seinem Buch »Kaiser Maximilians Erhebung und Fall«, das nur geschrieben scheint, um den Marschall Bazaine als edlen Menschenfreund und Märtyrer darzustellen, den Tatbestand dermaßen zu verdrehen, daß Bazaine es gewesen, der sich dagegen gesträubt, und Maximilian allein darauf bestanden habe.
In Mexiko selber, und bei allen, die zu jener Zeit in des Kaisers unmittelbarer Nähe waren, ist nur eine Stimme darüber, die gerade das Gegenteil von dem versichert, was uns Graf Kératry möchte glauben machen.
Der Kaiser hat sich bis zum letzten Augenblick dagegen gesträubt und auch das Dekret nie selber durchgeführt, sondern begnadigt, wo ihm irgend die Gelegenheit dazu geboten wurde. Aber selbst das war nur eine halbe Maßregel und strafte sich bitter vom ersten Augenblick an. Um ihn aber zur Unterzeichnung zu bewegen, war ihm der irrige Glaube beigebracht, daß Juarez das Land flüchtig verlassen habe, und die Revolution gebrochen sei.
Die Wendung, die Graf Kératry der Sache gibt, hätte etwas Komisches, wenn sie nicht einen so ernsten Gegenstand beträfe, denn er sucht es so darzustellen, als ob Kaiser Maximilian mit diesem Dekret dem Präsidenten Juarez hätte eine Aufmerksamkeit erweisen wollen, und schließt diesen Gegenstand, in welchem er Maximilian das schwerste, aber auf eigene Weise geschminkt zur Last legt, mit den Worten:
»Das ist die Geschichte dieses schicksalsschweren Tages, der kein Flecken für das edle Opfer von Oueretaro bleiben darf!«
Die wirkliche Geschichte wird diese Geschichte richten.
Doch vorbei! Der Kanonenschuß fällt, der unsere Abfahrt kündet, und auf dem großen amerikanischen Dampfer »Golden city« ließen wir bald den heißen Hafen vor Acapulco hinter uns und hielten in die prachtvoll kühle Brise der offenen See hinaus.
Von einer kurzen Dampferfahrt zwischen der mexikanischen Küste und Panama würde freilich sehr wenig zu sagen sein, denn das Leben und Treiben auf diesen Dampfern bleibt sich ewig gleich, wenn es nicht das erste Mal gewesen wäre, daß ich auf einem amerikanischen Dampfer fuhr. Ich muß gestehen, daß ich kein günstiges Vorurteil für sie hatte, denn nur zu oft mußte ich früher hören, daß auf ihnen die Passagiere auf das unbarmherzigste zusammengepreßt und dann in solcher Überfüllung nur immer, wenn auch reichlich, doch kaum mehr als abgefüttert werden. Ich sollte auch eine Probe davon bekommen, obgleich der Dampfer auf dieser Reise gerade eine nur verhältnismäßig geringe Anzahl von Passagieren trug.
Mich nämlich traf das Unglück, der Reisegefährte des Präsidenten der ganzen Linie zu werden, und ich mußte dafür büßen.
Gegenwärtig läuft zwischen San Francisco und New York, via Panama eine Oppositions-Dampferlinie, also zwei, und die Preise sind dadurch, da eine die andere freundlichst tot zu machen wünscht, auf das äußerste heruntergedrückt. Die Passage von San Francisco nach New York kostet im gegenwärtigen Augenblick, inklusive der Panama-Eisenbahn, die gegenwärtig 25 Dollars und für 100 Pfund Gepäck 6 Dollars rechnet, nur 97 Dollars amerikan. Gold erster Kajüte und 60 Dollars zweiter. Für Acapulco besteht aber leider kein solcher Zwang, denn dort legt die Pacific-Dampfschiffslinie allein an, hat also auch ihre alten Preise für diesen Hafen und das nördlicher liegende Manzanillo festgehalten, so daß ich selber von Acapulco bis Panama 76 Dollars amerikan. Gold, und wenn man die Panama-Route hinzurechnet, die ich nicht frei hatte, 35 Dollars mehr, also 105 Dollars, oder von Acapulco bis Panama (auf vier Tage) 8 Dollars mehr bezahlen mußte, als die Passagiere von San Francisco bis New York zahlten.
Ärger war es freilich noch einigen Passagieren von China gegangen, die ihre ganze Passage mit 650 Dollars bis New York bezahlt hatten, wobei nur 350 Dollars von China nach San Francisco gerechnet wurden. Da die Passage von San Francisco nach New York aber nur 97 Dollars betrug, so hatten sie mithin 253 Dollars zu viel gezahlt, und die Kompagnie in Kalifornien wollte es ihnen nicht zurückerstatten. Übrigens hatten sie beschlossen, eine Klage in New York einzureichen, und vorderhand mag das nur anderen Reisenden zur Warnung dienen.
Was nun den Präsidenten der Pacific-Dampfschiffslinie, Herrn Mac Lane, betraf, so reiste derselbe mit zwei Töchtern und zwei Dienerinnen, und hatte dafür in höchst bescheidener Weise die eine ganze Kajütenseite des Dampfers in Beschlag genommen. Die Folge davon war, daß die wirklichen Passagiere, die ihr teures Geld für die Überfahrt bezahlten, auf der anderen, und zwar der Sonnenseite, zusammengedrängt und in die winzig kleinen Kajüten eingepfercht wurden. Und das nicht allein, selbst der ganze und kühlste Weggang an der Backbordseite des Dampfers war auf Befehl oder Wunsch des Präsidenten (denn der Kapitän war ein Engländer, und ich möchte ihm diese Maßregel nicht gern zuschreiben, oder war es doch Speichelleckerei?) abgeschlossen, damit der hohe Herr nicht durch das zufällige Vorübergehen oder längere Aufhalten anderen Passagiere in seiner kontemplativen Zurückgezogenheit gestört würde.
Rede mir noch einer von Hofschranzen an den europäischen und anderen Höfen. Unter den amerikanischen Republikanern finden wir genau dieselbe Schmach, und ein deutscher Hausmarschall oder Exzellenz hätte nicht mit größerer Würde und Aufgeblasenheit reisen können als dieser Amerikaner.
Übrigens glaube ich nicht, daß er seiner Gesellschaft damit einen großen Nutzen geleistet, wenn es ihm selber auch bequem gewesen sein mag; denn sämtliche Passagiere waren darüber entrüstet, und viele Amerikaner und Amerikanisch-Deutsche erklärten ganz offen, daß sie von nun an mit der anderen Linie reisen würden.
Die Boote sind übrigens sehr elegant eingerichtet, nur zum größten Teil mit zu kleinen state rooms oder Kajüten, um dort soviel als möglich Passagiere einstopfen zu können – bei großer Hitze eine höchst unangenehme und auch der Gesundheit schädliche Sache.
Die Bedienung bestand sonderbarerweise größtenteils aus Stock-Chinesen, von Lenen nur einer ein klein wenig englisch verstand. Wie ich hörte, war das die erste Reise, die das Schiff mit den Söhnen des himmlischen Reiches machte; die sechs weißen Stewards an Bord schienen aber nicht recht mit der Kompagnieschaft einverstanden, denn wie verlautete, wollten sie, in Panama angekommen, sämtlich kündigen, wenn die Chinesen nicht abgelohnt würden. Diese verderben ihnen jedenfalls den Preis.
Über die Offiziere des Bootes kann ich wenig oder nichts sagen; sie hielten sich so fern von allen Passagieren und so eingeknöpft in ihrer Würde, daß sie sich nicht einmal zu einem Gruß an Deck herabließen und deshalb auch von uns vollständig ignoriert wurden. Es war dies das erste und hoffentlich auch das letzte Mal gewesen, daß ich eine Reise auf einem amerikanischen Dampfer gemacht habe, und ich lobe mir zu einer gemütlichen Fahrt die deutschen, englischen und französischen Linien.
Nur ein paar Worte noch muß ich über die Passagiere sagen, von denen in erster und zweiter Kajüte die reichliche Hälfte aus Deutschen bestand, die sich aber erst im Laufe der Fahrt entpuppten und dann als oft sehr traurige Exemplare zutage flatterten. Es waren mit einigen, aber sehr wenigen Ausnahmen, sogenannte amerikanisierte Deutsche, die sich vier oder fünf Jahre mit »Handel und Erwerb« in Kalifornien aufgehalten und nun merkwürdigerweise ihre Muttersprache verlernt hatten. Wenn sie dann einmal Deutsch sprachen, so geschah es mit jener tollen Mischung verderbter Wörter, und dazu kauten einige von ihnen Tabak, damit man ihnen ja nicht den Deutschen ansehen sollte.
Viele von ihnen hatten, wie es schien, Geld verdient und gingen jetzt nach Deutschland zurück, und dort verblüffen sie nun in dem kleinen Dorfe, wo sie daheim sind, die Bauern durch unverständliche Redensarten und ärgern anständige Hausfrauen durch ihr ewiges Spucken.
Unter den Ladies der ersten Kajüte gab es übrigens ebenso »gemischte Gesellschaft«, als unter den deutschen Handelsleuten der zweiten. Selbst in den wenigen Tagen an Bord kamen wunderliche Geschichten zutage, denn San Francisco hat ebenso seine chronique scandaleuse, wie jede andere große Stadt. Am meisten aber amüsierte mich eine nicht mehr ganz junge Republikanerin, die jeden Tag wenigstens einmal Staatsvisite in dem abgeschlossenen Teil des Herrn Präsidenten und bei dessen Töchtern machte, dazu aber jedesmal erst in ihre Kajüte hinabfuhr, ein schwarzes, schweres, seidenes Kleid anzog und Konzert-Toilette auf dem Kopf machte. Der Besuch dauerte jedesmal etwa eine Viertelstunde, dann kam sie wieder zurück, tauchte aufs neue unter, warf den irdischen Tand ab und erschien wieder, wie vorher, in ihrem einfachen Reisekleid. Der Etikette war dadurch volle Genüge geleistet.
Übrigens hatten wir auch einige wirkliche Ladies an Bord, und unter diesen besonders ein liebenswürdig junges Wesen, das aber einen bösen Krankheitskeim in der Brust trug. Sie war sehr leidend, und wirklich rührend war es, zu sehen, wie sie ihr Gatte – keinenfalls ein Amerikaner – pflegte und über sie wachte. Das junge Ehepaar kam von Japan zurück und ging nach den Vereinigten Staaten, um dort die Gesundheit der jungen Frau wieder herzustellen.
Am fünften Tage erreichten wir Panama, wo ich zurückblieb, während die übrigen Passagiere rasch über den Isthmus auf den ihrer schon im Atlantischen Ozean harrenden Dampfer befördert wurden und als der kleine Dampfer, der sie an Land bringen sollte, von Bord abfuhr, hätte sich die eine Dame fast versäumt, da sie in dem unvermeidlichen schwarzen Kleide noch einen letzten Besuch gemacht und wahrscheinlich mit dem Umkleiden nicht so rasch fertig geworden war. Wie schwer sich doch manche Menschen das Leben machen und noch dazu auf so ungeschickte Weise!