Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[167] An Frau von Epinay

Neapel, den 9. November 1776

Ihre Nr. 21 wäre herrlich, da sie lang ist und Sie mir einen vollkommenen Gesundheitszustand anzeigen. Nur eine gewisse Stelle über Emiliens Gesundheit ist keinen Deut wert. Sie möchten wissen, wie es mir geht. Augenblicklich ganz nach Wunsch, und aus Gründen. Ich liebe die großen Ereignisse, und wir haben ein solches die vergangenen Tage gehabt, das Sie erfahren werden. Mich berührt es, um die Wahrheit zu sagen, weder im guten noch im bösen Sinne, da ich wenig zu fürchten und noch weniger zu hoffen habe. Aber da das größte Glück meines Lebens die großen Schauspiele bilden, bin ich schon darüber glücklich, daß es solche gibt, und mein Befinden ist vortrefflich.

Die Tinte des Markgrafen liegt, wie ich glaube, schon im Hafen von Neapel. Wenn sie gut ist, wie ich hoffe, werde ich nur noch schreiben; und welche Briefe werden Sie bekommen!...

Ihr habt einen Generalkontrolleur verloren, von dem man in der Geschichte weder Gutes noch Schlechtes sagen wird. Sein Nachfolger interessiert mich sehr wenig. Ich kann, alles in allem genommen, nicht finden, daß ihr einen großen Mann bekommen werdet; denn der große Mann des Jahrhunderts muß etwas Undefinierbares sein; er darf weder die Tugenden noch die Laster haben, von denen man in den Moraltraktaten spricht. Da wir in ein Jahrhundert gekommen sind, das in gleicher Weise die Übel und die Heilmittel unerträglich macht, so mögen Sie daraus die Schwierigkeit der Lösung des Problems erkennen. Ich glaube, nachdem ich lange darüber nachgedacht habe, daß der flachköpfigste Mensch der größte Mann unseres Zeitalters wäre, da er alle Übel bestehen ließe (was notwendig ist), indem er sich in einem fort den Anschein gibt, als wolle er sie heilen (was ebenfalls notwendig ist). Turgot, der im Ernst an die Heilung dachte, wurde gestürzt; Terray, der offen eingestand, daß er keine Heilung wollte, wurde verabscheut; ein Flachkopf würde alles behaupten, was Turgot behauptete, und alles tun, was Terray tat, und alles ginge vortrefflich.

Also guten Abend! Es ist zwei Uhr früh; ich gehe zu Bett.


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