Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[131] An Frau von Epinay

Neapel, den 11. September 1773

Schöne Frau,

es gibt keine Möglichkeit auf dieser Welt glücklich zu sein: Kaum atmete ich auf von meiner Besorgnis um Ihre Gesundheit, da stürzt die meines Bruders hier mich in neue Unruhe. Er hat vor vier Tagen eine Art Lähmungsanfall gehabt, wovon besonders die Hälfte des Gesichts betroffen worden ist. Diese Nervenkrankheiten, die in unserem vulkanischen Lande sehr häufig sind, machen uns weniger Angst als Ihnen in Paris, aber die Krankheit ist immerhin ernst. Ich befürchte nicht nur den Tod meines Bruders, sondern mehr noch, daß er gelähmt und geistesschwach bleiben könnte; er könnte auch blind werden. Er hat eine Frau, die Mutter seiner Frau und drei erwachsene Töchter, von denen keine einzige verheiratet ist; sehen Sie doch, welch furchtbares Schauspiel sich meiner Phantasie darbietet. In jedem der drei möglichen Fälle bleibe ich dazu verurteilt, ein entsetzliches Serail von fünf Frauen zu leiten, mich für den Rest meines Lebens oder doch mindestens für ein Jahr tödlich zu langweilen, festgekettet an Neapel als Hüter von Unterröcken, und für Nahrung und Unterhalt einer Familie zu sorgen verpflichtet. Sie, die Sie meinen Kopf und Charakter kennen, werden mich wegen dieses mir drohenden Unglücks mehr als wegen jedes anderen auf dieser Welt möglichen beklagen. Wundern Sie sich also nicht, wenn mein heutiger Brief nicht lustig ist; ich führe Ihnen hinreichend gute Gründe dafür an.

Da Sie es nicht übernehmen wollen, mir eine Frau zu finden, so müssen wir den Gedanken daran aufgeben. Ich verlangte von Ihnen eine Kreolin, weil diese für gewöhnlich reich sind, ferner weil ich der Meinung bin, wenn ich eine Frau nehme, so muß diese aus der andern Welt kommen; denn mit denen von dieser Welt bin ich nicht zufrieden; aber Sie wollen nicht, daß ich meinem fürchterlichen Serail noch eine Sultanin hinzufüge. Also lassen wir es.

Aber wie wär's, wenn Sie für mich eine viel leichtere, viel dringendere und viel vernünftigere Besorgung machten. Ich brauche Hemden für diesen Winter. In Paris habe ich mich daran gewöhnt, Kattunhemden zu tragen; ich kann sie jetzt nicht mehr entbehren, weil ich fürchten würde, Rheumatismus zu bekommen. Man findet hier keinen geeigneten Kattun. Ich kaufte in Paris welchen von mittlerer Güte, der mich ungefähr vier Franken die Elle kostete oder sogar noch etwas weniger. Ich möchte zwölf Hemden machen lassen; die Größe meiner Hemden kennen Sie. Nie werde ich die mütterliche Regung vergessen, die vereint mit dem tollsten Lachen Sie ergriff, als Sie in Ihrem Landhaus auf meinem Bett eines meiner Hemden ausgestreckt sahen. Es schien Ihnen unmöglich, daß jemand mit einem so kurzen und so lächerlichen Hemd so anmaßend sein könnte, sich einen Mann zu nennen. Also berechnen Sie die nötige Menge Kattun, um dieses Kind, den sogenannten Mann, zu bekleiden. Ziehen Sie einen Wechsel auf mich und schicken Sie mir den Kattun durch unsern Gesandten Caraccioli, wenn er hierherkommt. Ich werde ihm nächste Woche schreiben, und ich denke mir, er wird nicht so schnell von Paris abreisen, daß mein Brief zu spät käme. Ich werde abgerufen. Leben Sie wohl.


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