Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[90] An Frau von Epinay

Neapel, den 14. März 1772

Schöne Frau, eben in dieser Minute kommt Ihre Nr. 86 an. Sie entzückt mich, tröstet mich, ruft mir Paris, Sie, meine Freunde zurück; und Sie wundern sich, daß ich nach Ihren Briefen seufze!

Ihr Sohn vollendet also seine Erziehung. Gut so! Man muß niemals den Mut verlieren; und auf dieser Welt, der besten aller unmöglichen Welten, ist alles zum besten, so, wie es ist. Denn (nota bene) das »Beste« ist etwas, das nur in unserm Kopf vorhanden ist; denn es ist nur der Begriff einer Beziehung, und man hat daraus den Angelpunkt für die ganze Physik einer Welt gemacht, die außer uns ist. Welche Tölpel sind doch die Metaphysiker! Aber was hat meine Bemerkung über den Optimismus mit Ihrem Sohn zu tun? Meine Bemerkung ist schön, neu, großartig, und ich wollte nicht, daß sie verloren gehen sollte. Darum brachte ich sie hier an, wo sie gar nicht hingehörte. Aber kommen wir wieder auf unsere Hammel zurück.

Der Prinz von Gotha ist reizend; ich habe ihn außerordentlich gern gewonnen, wie er mich; offen, aber im Vertrauen gesagt: ich habe ihn noch lieber als seinen Bruder. Herz, Verstand, Heiterkeit sind bei ihm, wie sie sein sollen. In meinem teuren Vaterland hat er keinen Erfolg gehabt. Um so besser für ihn, um so schlimmer für mein Land. Er traf hier mit dem Herzog von Glocester zusammen, der mit großer Vollendung den schlecht erzogenen Fürsten spielt; und er ist nur ein gut erzogener Privatmann. Darum hat der andere ihn in den Schatten gestellt; denn der entsprach besser dem Begriff, den man sich von Fürsten macht und den meine Nation nur oberflächlich fühlt, da sie keinen Geschmack daran zu finden vermag. Nur in Punkto Freigebigkeit hat der Prinz in seiner Mittelmäßigkeit sich besser benommen als der Herzog in seiner bettelhaften Würde; denn er war arm, obgleich Engländer und Prinz von Geblüt.

Prinz August und ich haben einen Briefwechsel verabredet. Ich habe seinem Bruder einen Antwortbrief geschickt und einen an den Prinzen, der mir von Rom aus schrieb. Diese beiden Briefe – ohne Eitelkeit sag' ich's! – verdienten, nicht verbrannt zu werden. Wenn Grimm Abschriften nehmen kann, werden Sie sie sehen; ich habe keine Kopie aufbewahrt. Ich würde erröten, wollte ich Ihnen die Abschriften von den Briefen des Prinzen August schicken, denn sie sind zu schmeichelhaft für mich; aber Sie würden sehen, daß sie sehr gut geschrieben und angenehm stilisiert sind. Ich habe ihm einige von Ihren Briefen mitgeteilt. Er wollte vor Lachen platzen über Ihren Ausdruck, daß Grimm seinen Prinzen in Darmstadt in die Remise geschoben habe.

Gatti soll in der heurigen Fastenzeit die Hälfte unseres vornehmsten Adels impfen. Bitte, verhindern Sie doch, daß er Briefe aus Paris bekommt, die ihn plötzlich dorthin zurückrufen. Das wäre recht schade im Interesse unserer Nation, die sich sehr willig zum Impfen herbeiläßt, weil man Vertrauen zu ihm hat. Die Dinge nehmen eine derartige Wendung, daß ich mich gar nicht wundern würde, wenn in ein paar Monaten unser König sich entschlösse, sich impfen zu lassen. Die Hofkavaliere seiner Umgebung, die sich als die entschiedensten Gegner aufspielten, um ihm nach dem Munde zu reden, sind jetzt die ersten, die Gatti ihre Kinder anbieten; und der Königliche Leibarzt (Gegner des Impfens) wird von ihm seine einzige bereits erwachsene Tochter impfen lassen. Das sind nun alle Neuigkeiten von hier.

Ich danke Ihnen für das mir von Ihnen mitgeteilte Verfahren, das Wunder der Blutstillung zu bewirken.

Ich bin heute abend zu einem Konzert eingeladen, wo historische Musik gegeben wird; deshalb kann ich meinen Brief nicht länger machen. Danken Sie dem Baron für die Juvenalübersetzung, die er mir schickt. Wer weiß? Das könnte mich veranlassen, Anmerkungen zum Juvenal zu schreiben; aber er ist nicht Horaz, bei weitem nicht! Er verhält sich zu Horaz wie Robbe zu Voltaire. Er ist ein feurigen Schreihals; ihm fehlt Zartgefühl und Geschmack. Doch guten Abend. Beinahe wäre ich in eine Abhandlung über den Unterschied zwischen Juvenal und Horaz hineingeraten. Also, haben Sie mich lieb und lassen Sie sich's gut gehen: keine Dysenterie, denn sie verträgt sich nicht mit dem guten Ton; lieber Blähungen. Einige Migränen hier und da, und recht scharfgereizte Nerven – das ist alles, was ich Ihnen erlauben kann...

Passen Sie auf, wenn neue Reisebeschreibungen herauskommen; sie sind jetzt meine einzige Lektüre. Ich suche, so gut ich kann, außer Landes zu sein. Würden Sie's glauben, daß ich Anquetil gelesen habe, ohne ein einziges Wort auszulassen? Es ist unglaublich! Er ist nach Indien gegangen, um Zoroasters Bibel zu suchen, und hat das Brevier mitgebracht! Guten Abend.


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