Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[88] An Frau von Epinay

Neapel, den 25. Januar 1772

Schöne Frau, wenn es den geringsten Zweck hätte, Tote zu beweinen, so würde ich mit Ihnen über den Verlust unseres Helvetius weinen; aber der Tod besteht nur in der Trauer der Überlebenden. Wenn wir ihn nicht betrauern, ist er nicht tot; ebenso würde er nicht geboren sein, wenn wir ihn niemals gekannt und geliebt hätten.

Alles was ist, ist in uns selber mit Bezug auf uns. (Erinnern Sie sich, wie der kleine Prophet sich in metaphysischen Betrachtungen erging, wenn er traurig war? Genau so mache ich es jetzt.) Das Bedauerliche am Verlust unseres Helvetius ist schließlich nur, daß er eine Lücke in den Reihen des Streithaufens läßt. Also schließen wir die Reihen! Lieben wir, die wir zurückbleiben, uns um so mehr, und man wird nichts merken. Als Major dieses unglücklichen Regiments rufe ich Euch allen zu: ›Auf geschlossen! Vorwärts marsch! Feuer!‹ Unser Verlust wird nicht bemerkt werden.

Seine Kinder haben durch den Tod des Vaters weder Jugend noch Schönheit verloren. Gewonnen haben sie die Eigenschaft, reiche Erbinnen zu sein. Warum, zum Kuckuck, wollen Sie also über ihr Los jammern? Sie werden sich verheiraten, verlassen Sie sich darauf. Diese Prophezeiung ist sicherer als das Orakel des Kalchas.

Seine Frau ist mehr zu beklagen; es sei denn, daß sie einen ebenso vernünftigen Schwiegersohn bekommt, wie ihr Mann war; das ist ja nicht so ganz leicht, aber in Paris leichter als anderswo. Es ist noch viel Sittlichkeit, Tugend, Heroismus in Ihrem Paris; mehr als anderswo, glauben Sie mir! Darum vermisse ich es auch so sehr, und darum werde ich es vielleicht eines Tages wiedersehen.

Ich habe heute abend keine Zeit, dem Baron zu antworten; seien Sie so gut, ihm zu sagen, daß ich seinen reizenden Brief und das Buch von Montami erhielt, für das ich ihm recht sehr danke. Da jedoch, wenn man sich etwas besorgen läßt, die Annahme von Geschenken gänzlich ausgeschlossen sein muß, so seien Sie so freundlich und bezahlen Sie es ihm für mich. Ich werde Ihnen das Geld schicken, wenn Sie nicht etwa noch was für mich in Händen haben. Davon habe ich nämlich gar keine Ahnung, da ich kein Interesse daran habe, es zu wissen.

Ihre Nr. 80 ist mir noch nicht zugegangen. Haben Sie mich recht sehr lieb; der Gründe, mich lieb zu haben, werden immer mehr, wie Sie sehen. Heute abend habe ich keine Zeit. Besorgen Sie, bitte, den Brief, den ich dem Ihrigen beischließe; sein Weg führt nicht weit von Ihrer Tür. Guten Tag oder guten Abend – denn ich weiß nicht, wie spät es ist.


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