Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[141] An Frau von Epinay

(Kategorische Antwort auf Nr. 87)

Neapel, den 15. Februar 1774

... Ich kenne Ihr Haus in der Rue Gaillon. Fürchten Sie nichts, man lebt länger, wenn man nicht der Lüftung ausgesetzt ist. Die Welt und die Ärzte glauben das Gegenteil; aber die Erfahrung beweist, daß sie sich irren. Der Rückfall de Moras fängt an, mich zur Verzweiflung über seinen Gesundheitszustand zu bringen. Die Madrider Luft ist zu zugig, und seine Lungen halten sie nicht aus.

Die italienische Reise, nach der Petersburger, langweilt Sie und bringt Sie zur Verzweiflung; dennoch kann ich meine unendliche Freude darüber nicht verhehlen, wenn es dazu kommt. Was ich nicht glaube. Übrigens finde ich den Entschluß, lieber in Petersburg zu überwintern, als in so rauher Jahreszeit zu reisen, nicht verrückt. Diese Reise erscheint mir so schrecklich! Und dann ist es so lächerlich, lange Reisen zu machen und sich nur so kurze Zeit aufzuhalten...

Die Trauer der Frau von Matignon war in der Tat außerordentlich; all das rührt von einem Mangel an Bildung her. Wenn man sie gelehrt hätte, daß ein Gemahl nur ein Mann ist, würde sie einsehen, daß ihr, beim Verlust eines einzelnen, das ganze Geschlecht bleibt. Herr von Matignon ist unendlich beweint worden, ohne daß man seinen Hingang bedauert hätte; denn man sah ein, daß er niemals etwas anderes geworden wäre als ein lustiger Bruder...

Was Sie mir über die alte Freundschaft Carlins mit dem Papst mitteilen, hat mir zu denken gegeben, und es kommt mir ein erhabener Gedanke, den Sie durchaus Herrn Marmontel, als von mir ausgehend, mitteilen müssen, damit er in Feuer gerät. Man könnte, wie mir scheint, daraus den schönsten und erhabensten Roman in Briefen zimmern. Man beginnt mit der Voraussetzung, daß sich die beiden Schulkameraden Carlin und Ganganelli, die sich in ihrer Jugend innigste Freundschaft geschworen, das Versprechen gegeben haben, wenigstens einmal alle zwei Jahre Briefe zu wechseln und sich über ihre Verhältnisse auf dem Laufenden zu erhalten. Sie halten ihr Wort und schreiben sich Briefe voller Seele, Wahrheit, Herzensergüsse, ohne Sarkasmen und schlechte Witzeleien. Diese Briefe böten also den merkwürdigen Gegensatz zweier Menschen, von denen der eine stets unglücklich war und eben deswegen Papst geworden ist, während der andere, beständig glücklich, Harlekin geblieben ist. Das Spaßhafteste dabei wäre, wenn der Harlekin in einem fort Ganganelli Geld anböte, der zunächst ein armer Mönch, dann ein armer Kardinal und endlich ein nicht besonders wohlhabender Papst wäre. Harlekin würde ihm seinen Kredit bei Hofe zur Wiedererlangung Avignons anbieten, und der Papst würde ihm dafür danken. Meinen Kopf hat dieses Werk so entflammt, daß ich es in vierzehn Tagen niederschreiben oder diktieren könnte, wenn meine Kraft dazu ausreichte. Ich würde mich an die strengste Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit halten, ohne jede romanhafte Episode, und ich würde die Welt überzeugen, daß Harlekin der glücklichste der Menschen und Ganganelli der unglücklichste gewesen ist. Das Werk würde etwa aus dreißig Briefen und den Antworten darauf bestehen. Viel Genie und kein Witz würden es zum Meisterwerk stempeln. Guten Abend. Leben Sie wohl. Haben Sie mich lieb.


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