Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[84] An den Abbé Mayeul

Neapel, den 14. Dezember 1771

Ganz gewiß ist nicht alles gut, mein lieber Abbé; denn es ist nicht gut, daß Sie es übernehmen, mir Nachrichten zu geben. Denn Sie geben mir nur traurige, und das ist nicht schön von Ihnen. Zum Glück hat Gatti mich über Frau von Epinays Krankheit beruhigt, die Sie als einen Magenkrampf bezeichnen, wie wenn Madame die Füße im Magen hätte. Da Sie mir aber die Ehre erwiesen haben, mir zu schreiben, lieber Abbé, so sei es nicht mehr als recht, daß ich versuche, Ihnen die ganze Größe meiner Dankbarkeit zu zeigen. Sie haben ein Priorat; Gott erhalte es Ihnen. Wenn Sie noch eins dazu erwischten, wären Sie dann nicht noch besser dran? Nun, in unserer Zeit ist der kürzeste Weg zur Erlangung von Prioraten, mein lieber Abbé, ohne Zweifel die Atheistenjagd. An Wild ist kein Mangel; man muß es nur aufzustöbern wissen. Ich werde Ihr Jagdhund sein, ich werde Ihnen zeigen, wo dies Pack seinen Bau, seine Lagerstatt, seinen Schlupfwinkel hat. Das Totschießen ist dann Ihre Sache. Also auf zur Jagd! Vorwärts!

Die Philosophen, die da behaupten, es sei alles gut auf dieser besten aller Welten, sind abgefeimte Atheisten, die ihren Vernunftschluß nur halb vorbringen, weil sie Angst haben, auf dem Scheiterhaufen zu schmoren. Aber vollständig lautet er folgendermaßen: Wenn ein Gott die Welt gemacht hätte, wäre sie zweifellos die beste von allen; aber sie ist es nicht – da fehlt viel daran. Also gibt es keinen Gott: seht die Spitzbuben an! So räsonieren diese Philosophen. Da läuft der Hase, mein lieber Abbé; jetzt müssen Sie ihn schießen, aber lassen Sie die Flinte nicht versagen. Was, es knallt nicht? Nun, da werde ich Ihnen zeigen, wie man solches Wildbret jagt. Zunächst sagt man zu ihnen: »Ihr Spitzbuben, ihr Lumpen! Ihr verdientet alle den Galgen!« Kriegt man sie, so muß man ihnen ohne Erbarmen dies Wort halten. Läuft aber das Wild davon, so läßt man sich in Verhandlungen mit ihnen ein und sagt ihnen höflich: »Ihr seid Tölpel! Wißt ihr denn nicht, daß Gott diese Welt aus dem Nichts geschaffen hat? Nun, so haben wir also Gott zum Vater und das Nichts zur Mutter. – Ganz gewiß ist unser Vater was ganz Bedeutendes; aber unsere Mutter taugt ganz und gar nichts. Man schlägt dem Vater nach, aber man schlägt auch der Mutter nach. Was auf der Welt Gutes ist, stammt vom Vater, und was an Bösem da ist, stammt von unserer Mutter Frau Nichts, die nicht viel wert war.« Da sind denn nun, lieber Abbé, die Philosophen belämmert. Ihre Voraussetzung ist falsch, vollkommen falsch. Denn wenn wirklich diese Welt die denkbar beste wäre, so wäre klar, daß sie ungeschaffen wäre, und es gäbe keinen Gott! Ihre Unvollkommenheit ist der überzeugendste Beweis, daß sie geschaffen und einem Wesen untergeordnet ist, das vollkommener ist als sie. Diese Beweisführung ist, wenn ich mich nicht irre, neu, und darum nicht weniger gut.

Versuchen Sie, sie auf passende Weise beim Erzbischof von Reims unterzubringen, und berichten Sie mir über Ihren Erfolg.

Aber es bleibt noch eine kleine Schwierigkeit; man könnte uns fragen: Warum hat Gott sich in die Abgründe des Nichts gestürzt, um eine Welt daraus hervorzuholen, da er doch wußte, daß diese wegen der Mängel ihrer Mutter niemals vollkommen sein könnte? Was zum Kuckuck wollte er in dieser Tretmühle? Darauf müssen wir antworten, mein lieber Abbé! Sie werden wohl zunächst sagen: Fragt doch Gott selber danach – wie man Ludwig XIV. fragen mußte, warum er Versailles an einem so häßlichen Ort erbaut habe. Diese Antwort ist nichts wert im Munde eines Theologen; ich sage Ihnen, mein lieber Abbé, ein Theologe muß auf alles zu antworten wissen, wonach man den lieben Gott selber fragen könnte, und darf niemals eine Antwort schuldig bleiben. Was werden wir also antworten? Man darf nicht den Mut verlieren; es sind schon tausend Antworten darauf gegeben worden, freilich keine einzige gute. Aber ich weiß die gute: Man gibt allgemein zu, daß Gott nicht nötig hatte, die Welt zu erschaffen, um endlich glücklich zu sein; wenn nun Gott mit seiner bloßen Existenz unendlich zufrieden war, so mußte das Nichts in seiner Nichtigkeit sich unendlich langweilen. Infolge der sehr dringenden und angelegentlichen Bitten des Nichts ist also unsere Welt geschaffen worden; und das ist durchaus nicht sonderbar, denn wir sehen schon auf der Welt viel mehr Mütter, die Kinder zu haben wünschen, als Väter, die welche zu zeugen wünschen. Die tödliche Langweile unserer Mutter ist also Veranlassung zu unserer Existenz geworden. Es langweilte sie, daß sie Nichts war, und darum langweilen wir alle uns auf dieser Jammerwelt. Die Langweile ist ein Muttermal, das wir im Schoß unserer Frau Mama erhielten, die an diesem Übel litt, als sie mit uns schwanger ging. Unser Vater hat keine Schuld daran; denn ganz gewiß langweilt Gott sich niemals. Da haben Sie also noch etwas Neues, mein lieber Abbé; aber es würde beim Herrn von Reims wohl nicht so zweckdienlich sein wie das andere; bringen Sie es also anderswo unter.

Doch nun habe ich mit Ihnen genug von Theologie geschwatzt. Obwohl auf dieser Welt nicht alles recht ist, ist es doch recht, daß Sie Prior sind; es ist recht, daß Sie Ihre Würde noch recht lange genießen; es ist recht, daß Sie mir zuweilen schreiben, und ich bin Ihr recht ergebener Diener.


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