Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Achter Abschnitt. 1894 – 1895

Köln

101.

Berlin, den 15. Januar 1895.

Während ich mich an den Hängen der Dachsteingruppe erholte, bereiteten sich in Berlin manche Änderungen vor, unter denen mich der Abgang meines Ausstellungsassistenten am wenigsten überraschte. Ein Ersatz war unschwer zu finden. Auch war das stattliche Haus in der Zimmerstraße für unsre sechzig Angestellten nachgerade zu eng geworden. Damit regte sich der Gedanke wieder, ein eignes Haus zu kaufen oder zu bauen. Namentlich drängten die Berliner, voran Neuhauß, darauf, daß es Zeit sei, der stattlichen Gesellschaft ein entsprechendes Heim zu schaffen. Es würde sich im billigsten Fall um 700 000 Mark handeln, und wir haben 900 000 Mark erspart. Das Festlegen dieses Vermögens erscheint den einen ein Vorteil, den andern ein Nachteil zu sein. Ich bin gegen den Hausbau, im Grunde weil er mir als ein sichtlicher Schritt in der Richtung der gefürchteten Verberlinisierung der Gesellschaft erscheint, deren Hausdach der blaue Himmel sein sollte, welcher sich über ganz Deutschland wölbt. Wozu ein Haus in Berlin für zehntausend Mitglieder, von denen kaum zehn vom Hundert es je sehen werden? Aber Neuhauß war nicht zu beruhigen, bis der freundschaftlich geführte Streit plötzlich in der schmerzlichsten Weise zu Ende kam. Er starb ganz unerwartet an einem Schlaganfall. Ich betrauere ihn aufrichtig. Er war ein wackrer, uns nützlicher Mann; einer von der alten Garde, die für gemeinnützige Zwecke noch etwas übrig hatten. Unter den Jungen werden derartige Leute immer seltener; man weiß nicht recht warum, aber die Klage ist allgemein. Es ist, als ob in den letzten fünfundzwanzig Jahren die Selbstsucht mit dem Quadrat oder Kubus der Bevölkerungszunahme gewachsen wäre. Niemand hat Lust und Zeit, für sich oder andre etwas zu tun, dessen Nutzen er nicht sofort in der eignen Tasche spürt. Vielleicht haben wir zu lange in Frieden und Wohlbehagen gelebt und brauchen wieder einmal ein großes Unglück – Krieg, Hunger oder Pestilenz –, um uns daran zu erinnern, daß nicht jeder für sich allein auf der Welt ist. Die Wohnungsfrage aber ist vorläufig erledigt. Neuhauß bezieht ein kleines Bretterhäuschen, und die D. L. G. einen stattlichen, aber gemieteten Neubau in der Kochstraße. –

In Köln fangen die üblichen Ausstellungssorgen an. Die Platzfrage hatte dort ein überaus bedenkliches Aussehen, bis die Stadtverwaltung in entgegenkommender Weise auf den glücklichen Gedanken verfiel – ich hoffe wenigstens, es ist ein glücklicher Gedanke –, den im Bau begriffenen großartigen Schlachthof und das umliegende Gelände, soweit wir es dazu pachten können, der D. L. G. zur Verfügung zu stellen. Es kam zu einem feierlichen Vertrag, demgemäß uns vom 1. Mai bis 1. August sämtliche Bauten fertiggestellt überlassen werden. Dies erspart uns eine gewaltige Masse eigner Bauerei, und unser Getier wird fürstlich untergebracht sein. Aber ein gewisses Wagnis liegt darin, denn ich habe nicht das geringste Vertrauen in die Pünktlichkeit städtischer Bauleute. Und was helfen uns alle Verträge, wenn sich dreitausend Tiere vor den Toren drängen und der Boden, auf, oder das Dach, unter dem sie stehen sollen, nicht vorhanden ist. Maschinen und Geräte, Kohl und Zwiebel sind ja geduldig. Aber eine brüllende Rindviehherde und ihre fluchenden Treiber können auch dem stärksten Mann den Angstschweiß auf die Stirne treiben.


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