Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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85.

Straßburg, den 10. Mai 1890.

Den halben Winter und das ganze Frühjahr quäle ich mich, wie so viele in diesen Tagen, mit einer versteckten Influenza ab, die zuzeiten recht unangenehm hervortritt. Daher mag es kommen, daß mir alles etwas trüber erscheint als gewöhnlich und mich Kleinigkeiten drücken, wie zum Beispiel die Tatsache, daß ich ausstellungshalber seit vier Jahren nicht mehr in der Lage war, meinen Geburtstag zu feiern, als wäre ich am 29. Februar eines Schaltjahrs geboren. Das unangenehme Gefühl, daß ich in dem Augenblick ernstlich krank werden könnte, wenn dreitausend Stück Groß- und Kleinvieh nach mir und nach ihrem Futter brüllen, sitzt mir förmlich in den Knochen. Es ist eine fürchterlich gewagte Sache, eine derartige Ausstellung, die wie das tragische Fatum der Griechen einherschreitet, mit einem bresthaften Menschenleben zusammenzukuppeln. Dies muß anders eingerichtet werden.

Im übrigen geht es hier mit dem üblichen Drängeln und trotz der Schwierigkeiten, die ein berechtigtes Reservatrecht jedes einzelnen Gaues ausmachen, leidlich genug vorwärts. Die Regierung bringt uns ihre Mitwirkung auf halbem Weg entgegen: es muß ihr selbst daran liegen, eine »altdeutsche« Ausstellung in den Reichslanden erfolgreich zu sehen; die städtischen Behörden sind die Bereitwilligkeit selbst, voran der Oberbürgermeister, dessen kluges Benehmen und praktisches Geschick in einer schwierigen Stellung bewundernswert sind. Soweit ich Gelegenheit hatte, dies zu beobachten, scheinen mir die Elsässer, so sehr sie noch französeln, nicht allzu schwer zu führen. Höfliche Festigkeit, möglichste Schonung einer angeborenen oder anerzogenen, meist harmlosen Eitelkeit – damit scheint man fast durchzukommen. Die Bäuerlein draußen im Land haben allerdings die unangenehme Eigenschaft, zu erwarten, daß man ihnen alles, aber auch alles bezahlt, was sie für ihr eignes Wohl tun sollten. Ähnliche Gefühle finden sich übrigens auch in der Stadt. Der Ansturm auf Freikarten für die Ausstellung war nirgends so lebhaft wie hier. Die Bauern allerdings fragen des weitern: wer ihnen den Besuch der Ausstellung überhaupt bezahle, denn das koste doch Geld. Es ist schwer, diese Seite des Volkscharakters mit den Grundsätzen der D. L. G. zu vereinigen. – Sodann hatte ich nirgends so große Schwierigkeiten, die Leute zu überzeugen, daß es sich nicht um eine fête agricole handelt, sondern um ein Unternehmen, bei dem alle weit mehr arbeiten als Feste feiern sollten. So höre ich auch von Entrüstung in der Stadt darüber, daß unsre Ausstellungsbauten nicht in Farben prangen. Am liebsten hätte man rot, weiß, blau. Auch fehlt es an den üblichen tragikomischen Streitereien nicht, so daß ich mich manchmal ganz zu Hause fühle. Es bestehen hier drei Fischereivereine – die Straßburger sind leidenschaftliche Fischer –; deshalb müssen die Ausstellungsfische eingeteilt werden in a) staatlich berechtigte Fische; b) unabhängige elsaß-lothringische Fische und c) französische Fische. Jede Gruppe beschuldigt die andre, man suche sie durch gemeine Intrigen von der fête agricole fernzuhalten. Morgen ist im Ministerium eine Zusammenkunft der drei feindlichen Brüder, um, wenn möglich, einen Ausgleich anzubahnen. – Von erschreckender Großartigkeit wird die Weinprüfung ausfallen, für die sich 1920 Kistchen von je sechs Flaschen angemeldet haben. Wir haben hierfür das städtische Theater gepachtet, in dem sich bereits eine Filiale unsers Ausstellungstreibens bemerklich macht. Ob die Weinrichter lebendig aus dieser Prüfung hervorgehen werden, ist mir an der ganzen Sache das Interessanteste.

Von allem übrigen will ich Dir nichts erzählen. Das meiste kennst Du von Magdeburg, Breslau und Frankfurt her, und auch mir ist es fast allzu bekannt. Folge: ich habe noch nie so ernstlich empfunden, daß es nachgerade genug ist, und habe kürzlich einen langen Schreibebrief aufgesetzt, in dem ich dem hohen Direktorio diese Tatsache mitteile. Bremen muß ich wohl noch mitmachen, um meinem Nachfolger den nötigen Anschauungsunterricht zu erteilen. Dieser Brief ist mir eine große Beruhigung. Ich sehe ihn zuweilen an, wenn das Getriebe zu bunt wird. Es ist mir dann fast gleichgültig, ob ich »zu Straßburg auf der Schanz« mein Leben, das heißt mein landwirtschaftliches Ausstellungsleben, aushauche oder nicht. So weit kann die Influenza den Menschen herunterbringen, wenn er keine Zeit hat, sie zu pflegen.


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