Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Siebter Abschnitt. 1893 – 1894

Berlin

98.

Berlin, den 20. April 1894.

Es ist nicht Stimmung noch Verstimmung: die letzten Monate flossen einförmiger dahin als die entsprechende Zeit in den Vorjahren, obgleich die Schatten der kommenden Berliner Ausstellung schwarz genug in dieselben hereinfielen. Das hat mancherlei Ursachen. Hier in der jungen Weltstadt kümmert sich die Gesamtheit nicht viel um unser Tun, das der städtischen Bevölkerung wie der städtischen Presse fremd und unlieb ist. Die Nächstbeteiligten überlassen mir mit rührendem Vertrauen so ziemlich alles und noch einiges dazu. Wo es sich um repräsentative Aufgaben handelt, habe ich mir's zum Grundsatz gemacht, mich hier möglichst zurückzuhalten und Berliner, Brandenburger und Preußen antreten zu lassen. Es tut mir nicht weh und tut ihnen ausnehmend wohl. Schmerzlich aber fühle ich nachgerade, daß es nicht gut ist, sich allzu lang in ein und demselben Arbeits- und Gedankenkreis zu bewegen. Man verliert den Sinn für Größenverhältnisse, und Dinge werden zentnerschwer, die nur Pfunde wiegen.

An- und aufregend war der erneute Kampf mit dem Kainitsyndikat, der neuestens leider mehr und mehr auf politisches Gebiet hinüberspielt. Wie wir früher eine Verminderung, so verlangt das Syndikat bei der Erneuerung seiner Verträge jetzt eine Erhöhung des Preises der Kalisalze, die wir, als Vertreter der Landwirtschaft, nicht zugeben können und wollen. Da die Herren uns aber nicht mehr nötig haben, wie zur Zeit, als ihnen unsre Propaganda den landwirtschaftlichen Markt öffnete, ist es bedeutend schwieriger, mit ihnen zu verhandeln. Dazu ist Schultz-Lupitz, der Sturmbock auf unsrer Seite, gegenwärtig fast immer krank, und wenn Schultz krank ist, fühlen die übrigen Herren der Düngerabteilung ein unwiderstehliches Bedürfnis, zu Bett zu gehen. Doppelt verwickelt, aber allerdings für uns etwas günstiger, wird die Sache dadurch, daß einige der Bergwerke dem preußischen Staat gehören und die Minister gegenwärtig selbst den Schein vermeiden möchten, daß der Fiskus die Landwirtschaft ungebührlich auszupressen suche. So viel immerhin verdanken wir dem Bund der Landwirte. Jedenfalls müssen der Landwirtschaftsminister und der Finanzminister, denen wir abwechslungsweise drohend und schmeichelnd unsre Aufwartung machen, tun, als ob sie sich in Kainitangelegenheiten in den Haaren lägen.

Dies alles langweilt Dich. Du hättest aber doch Deine Freude daran gehabt, wenn Du die leidenschaftlichen und hochpatriotischen Reden mit angehört hättest, die wir uns gelegentlich der gemeinsamen Sitzungen der Kaliwerke und der D. L. G. hielten. Namentlich wird mir ein Augenblick unvergeßlich bleiben, in dem ein Großkaufmann und Rittergutsbesitzer aus Stettin, der auf unsrer Seite steht, den Kalifritzen – Kalionkel nennt man in Norddeutschland einen Mann, der mit Kali zu tun hat und mit dem man auf freundschaftlichem Fuß zu stehen wünscht, Kalifritze heißt er, wenn die Freundschaft einen kleinen Stoß erlitten hat –, den Kalifritzen also ans Herz legte, daß sie mit der Annahme unsrer Vorschläge nicht nur nichts verlieren würden, sondern – hier erhob er die Stimme und beide Hände – »sondern wie ein Pegasus – nein, wie ein – Donnerwetter, wie heißt der Vogel?«

Wir besannen uns. »Pelikan«, schlugen die Syndikatsleute vor. Ich lachte höhnisch: »Sie, mit Ihrer Raubvogelnatur – Pelikane! Greif vielleicht.«

Der Großkaufmann aus Stettin schüttelte heftig den Kopf. »Greif« war es auch nicht.

»Vogel Strauß,« flüsterte ein kindliches Gemüt von der landwirtschaftlichen Seite des Tisches. Ein zürnender Blick, eine hilflos fragende Gebärde lohnte diesen Vorschlag. »Phönix!« rief endlich ein vierter, und mit strahlender Miene nahm der Redner seinen Gedankengang wieder auf: »Ja, meine Herren, das ist's! Wie ein Phönix würden Sie alljährlich aus der Asche Ihres Kainitmehls aufsteigen, wenn Sie den Zentner loco Staßfurt um fünfundsiebzig Pfennig verkauften!«

Siehst Du in diesem Beispiel nicht einen Beweis, wie tief eine vierhundertjährige humanistische Bildung in Fleisch und Blut unsers Volkes eingedrungen ist? Und da sprechen Leute noch von der Zwecklosigkeit klassischer Schulung!

Nach drei Monaten des Kampfes kam man zu einer erträglichen Vereinbarung, so daß wir gegenseitig auf fünf Jahre wieder Ruhe haben. Doch hatten die Verhandlungen alle Beteiligten derart aufgeregt, daß letzte Woche in der preußischen Kammer die Verstaatlichung der Kalibergwerke ernstlich in Frage kam. Der Fühler ging von der Regierung aus. Ob wir dadurch vom Regen in die Dachtraufe gekommen wären, ist eine offene Frage, welche die Staatseisenbahnen vielleicht beantworten können. In England und Amerika, wo die Leute mit Initiative und Kampfesmut auf die Welt kommen und sich selbst helfen, wo es not tut, wäre dies zweifellos der Fall. Hier, wo man von einer väterlichen Regierung über und unter der Erde alles erwartet, liegt die Sache etwas anders. Schultz-Lupitz, den das tragische Schicksal ereilte, in dem Augenblick aus dem Abgeordnetenhaus hinausgewählt zu werden, in dem die wichtigste Maßregel, an der seine Lebensarbeit hängt, zur Entscheidung kommen soll, ist krank vor Zorn. Ich bedaure ihn; aber es geschieht ihm recht. Wehe dem Mann, der sich auf Politik verläßt und sein Heil in einer Wahlurne sucht.

Auch Sombart hat seinen Sitz im Abgeordnetenhaus verloren. Das sind zwei Männer, die ihr ganzes Leben hindurch für die Landwirtschaft gewirkt haben, verständig, bahnbrechend, erfolgreich, mit dem geringsten Maße von Eigennutz, und nun werden sie vom Bunde der Landwirte hinausgeworfen, um ein paar Schreiern Platz zu machen. Sombart ist ein siebenundsiebzigjähriger Mann und lacht, Schultz ist jünger und namenlos unglücklich. Auch in die D. L. G. suchte sich der Bund da und dort einzudrängen, doch sitzen wir schon zu fest im Sattel; die Gefahr scheint vorüber zu sein. Immerhin gilt es aufzupassen. Kein vernünftiger Mensch kann den Bündlern verargen, daß sie politischen Phantasien nachjagen. Es geschah zu wenig in früheren Zeiten, und naturgemäß schlägt jetzt der Pendel nach der andern Seite aus. Aber den Pflug sollen sie uns in Ruhe lassen, und Rinder und Schafe und was dazugehört, sind unsre Sache. Wenn sie imstande sind, ihre »großen Mittel«, Schutzzoll, Doppelwährung und dergleichen durchzudrücken, gut! Sie brauchen deshalb die kleinen, mit denen wir arbeiten, nicht über den Haufen zu werfen. Bis jetzt hat die Geschichte der Menschheit und der Natur überall gezeigt, daß man mit großen Mitteln zerstört, mit kleinen baut. Der Bund, fürchte ich, wird diese Wahrheit nicht umdrehen.

Aber der Ansturm wird vorübergehen, ich bin dessen fast sicher, obgleich der wackere Schultz augenblicklich schwer darunter leidet.


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